
Sie könnten verschiedener kaum sein: Marianne ist die Tochter reicher Eltern, die in einem großen Anwesen lebt und kaum Kontakt zu ihren Mitschülern hat. Connell ist Everybody’s Darling in der Schule, seine alleinerziehende Mutter ist die Putzfrau von Marianne. Die offensichtlichen Gegensätze ziehen sich an, aber schnell merken sie, dass sie beide eine große Verunsicherung in sich tragen und das Gefühl haben, nur vom jeweils anderen verstanden zu werden und nur in dieser Zweisamkeit wirklich sie selbst sein zu können. Sie gehen gemeinsam ans Trinity College, dort wenden sich die Dinge, Marianne ist plötzlich populär unter ihresgleichen und Connell hat große Schwierigkeiten sich anzupassen, zu fremd fühlt er sich. Jahre vergehen, sie haben andere Partner, aber immer wieder kommen sie zu einander zurück, denn es verbindet sie weiterhin die Frage, wie man einfach nur „normal“ sein kann, was sie falsch machen, dass sie sich auf dieser Welt so fremd fühlen.
Sally Rooneys zweiter Roman war 2018 „Best Novel“ der Costa Book Awards und sowohl für den Man Booker Prize wie auch für den Women’s Prize for Fiction nominiert. So sehr mich „Gespräche mit Freunden“, das Debüt der Autorin begeisterte, ihr zweiter Roman ist in der Figurenzeichnung weitaus ausgereifter und tiefgründiger. Nicht nur, weil Marianne und Connell deutlich komplexer sind, sondern weil Rooney auch diese spezielle Dynamik zwischen den beiden wundervoll in Worte zu transferieren vermag.
Marianne und Connell, beide gleichermaßen intelligent und intellektuell ihren Mitschülern weit entfernt, vollführen einen seltsamen Tanz: mal schwingen sie perfekt im Rhythmus, mal treten sie einander unwillentlich auf die Füße und geraten ins Stolpern. Ihre jeweiligen Familien haben sie geprägt und Spuren hinterlassen, in Mariannes Fall hat sie Gewalt und Verachtung kennengelernt, worauf sie nur mit emotionalem Rückzug zu antworten wusste, um sich selbst zu schützen. Connell hat all die Zuwendung und Liebe seiner Mutter erfahren, die ihn trotz aller Widrigkeiten zu einem guten Menschen gemacht hat, der niemals jemanden verletzen könnte. Beide sind unvollständig, erst miteinander erleben sie so etwas wie Vollkommenheit, auch wenn diese nie störungsfrei verläuft. Es ist keine obsessive, destruktive Liebe, sondern mehr der Strohhalm, der ihnen beiden Halt gibt in einer Welt voller Erschütterungen, die jeden Moment droht einzustürzen. Die Angst davor ist jedoch so übermenschlich, dass sie ausgelassene Sorgenfreiheit verhindert.
Ein sehr emotionsgeladenes Buch, das jedoch auch ein Loblied auf Freundschaft und deren Kraft singt.