Sharon Solwitz – Once, in Lourdes

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Sharon Solwitz – Once, in Lourdes

Lourdes, Michigan, summer of 1968. Four friends make a pact: in exactly fourteen days, before the sun’s first rays hit the lake, they will leap together into death. They are outsiders, all the four of them, for different reasons. Kay Campion is fat, as a child she found her mother who committed suicide and her father re-married only a couple of months later. Vera is beautiful and gracile, but she was bullied due to her crippled fingers. CJ is searching for his identity: does he love boys or girls? And last but not least, Saint who comes from a very poor and highly dysfunctional family. They are looking for someone who loves them just as they are and found each other. Since life does not seem to have much in offer for them, why should they continue living? Will their last 14 days on earth make a change?

The story is told from Kay’s point of view. Only step by step do we learn why she is struggling so much with life. Not just that she has lost her beloved mother and had to see her hanging in the basement, it is also the permanent question what she is to her father. Her emotions are expressed in her dysfunctional relationship with her own body – quite an authentic and typical reaction for teenage girls. Yet, for me even stronger was the character of Vera. She is really lost and without any stable ground to walk on. She seems to be highly gifted and is a perfect example of what bullying can make of a child: turning the talented dancer into a drug addict who confounds physical closeness with love. But also the boys are highly interestingly drawn. CJ who is constantly digging in his father’s past in a concentration camp and Saint who seems to have several personalities reflected in the different ways his name is used.

As shown before, the most stunning about the novel are the characters who are elaborated in every detail and thus really come alive while reading. You can easily imagine them in reality and also their pact make absolutely sense. The title – hinting at Lourdes in France with its famous Marian apparitions – promises a wonder, a sudden and unexpected healing from the things the four teenagers suffer from. But wonders do not happen that often and apparitions and inspiration are reserved for the selected few, not the average boy or girl.

A noteworthy novel which, however, I would not recommend to teenagers with emotional troubles.

Naja Marie Aidt – Schere, Stein, Papier

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Naja Marie Aidt – Schere, Stein, Papier

Thomas und Jennys Vater ist gestorben. Eigentlich sind sie erleichtert, das Verhältnis war schlecht, gekümmert hat er sich nie und ein Verbrecher war er dazu, die letzte Zeit seines Lebens saß er im Knast. Doch die erhoffte Erleichterung stellt sich nicht ein. Ein letztes Mal gehen sie in die elterliche Wohnung, Jenny will unbedingt den Toaster mitnehmen, der sie an die guten Zeiten der Kindheit erinnert. Doch das Gerät ist scheinbar kaputt. Als Thomas ihn auseinanderbaut, findet er die Beute des letzten Raubzugs seines Vaters. Er behält das Geld und verschweigt seiner Schwester und seiner Freundin Patricia den Fund. Doch an dem unverhofften Geldsegen klebt Pech und Thomas muss mit ansehen, wie sein geordnetes bürgerliches Leben, in das er sich als dem Sumpf gerettet hat, nach und nach bedroht wird und schließlich zusammenbricht.

Naja Marie Aidts Roman beschreibt den Niedergang in aller Eindringlichkeit und facettenreich. Es sind nicht die Handlungen, das Geschehen, die ihren Roman bestimmen, sondern die Menschen mit ihren Wesenszügen und Schwächen. Im Zentrum Thomas. Mit seinem Freund hat er einen Schreibwarenladen. Er hat den sozialen Aufstieg geschafft, es zu etwas gebracht, sich von seinem Vater und der Kriminalität seiner Kindheit distanziert. Der Fund des Geldes weckt jedoch eine Gier in ihm und bringt das zum Vorschein, was er hinter sich lassen wollte. Nicht kalkuliert hatte er, was dieses kleine Verbrechen mit ihm und seiner Umwelt macht. Er wird misstrauisch, vermutet Betrug hinter allen Handlungen seiner Mitmenschen, vertraut nicht mehr. So zerstört er nach und nach alle Beziehungen und gefährdet sich und andere. Vor allem seine Freundin Patricia. Ist die Beziehung zu Beginn des Romans fragil, werden die Risse im Laufe der Geschichte immer deutlicher. Leidet Thomas eher unbewusst, wird sie physisch wie psychisch zum Opfer.

Auch das Verhältnis der Geschwister zueinander ist nicht geprägt durch Verbundenheit ob des gemeinsam erlebten Leidens. Mit leichter Verachtung straft Thomas Jenny immer wieder, diese ist schwach, hat den Aufstieg nicht im selben Maße geschafft wie ihr Bruder und zudem in der Kindererziehung versagt. Doch mehr und mehr kehrt sich dieses Verhältnis um, Jenny findet ihren Weg, wirkt zunehmend selbstsicher und autonomer und kann sogar eine funktionierende Beziehung aufbauen während Thomas dazu immer weniger in der Lage scheint.

„Schere, Stein, Papier“ – ein passender Titel. Immer wieder stehen sich im Roman zwei Figuren gegenüber, die vor eine Entscheidung gestellt werden und deren Kampf ein scheinbar offenes Ende hat. Beide können gewinnen, sie taktieren, versuchen das Gegenüber zu durchschauen, um so die Oberhand zu gewinnen. Jede Handlung beeinflusst unbewusst jedoch die darauf folgende – wie auch jede Erfahrung das weitere Agieren eines Menschen bewusst oder unbewusst beeinflusst. Nichts ist völlig willkürlich im Leben und daher kann man sich auch nicht von dem lossagen, was man gerne ablegen möchte. Am Ende der Handlung muss Thomas sehen, dass er wieder zurückkehrt zu dem, was er verdrängt hatte und schließt so den Kreis.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Verlagsseite von Random House.

Margaret Atwood – The Handmaid’s Tale

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Margaret Atwood – The Handmaid’s Tale

Irgendwann in einer unbestimmten Zukunft, in der Republik Gilead. Offred kommt in das Haus des Commanders Fred und seiner Frau Serena Joy. Offred ist eine sogenannte „Handmaid“, ihre einzige Chance zu überleben nachdem ihre Hochzeit mit Luke für ungültig erklärt wurde und ihre einzige Alternative die Kolonien gewesen wären. Die Aufgaben der Handmaids sind ebenso wie die der anderen Gruppen, etwa der Marthas oder Aunts, genau definiert und ihre Kleidung lässt sie schon von weitem als zugehörig erkennen: ein roter Mantel, der alle weiblichen Formen verhüllt, dazu eine weiße Haube, die verhindert, dass man den Handmaids, die den Blick nach unten zu richten haben, ins Gesicht sehen kann. Wie ihre Namen bereits andeuten sind die Besitztum eines Kommandanten und erfüllen die wesentlichen Aufgaben, denen die Ehefrauen nicht nachkommen können oder wollen: Geliebte und Mutter der Kinder.

Die Neuverfilmung des Stoffes war Anlass nun endlich zu dem Klassiker des Dystopien zu greifen. Wie auch andere bekannte Werke des Genres, etwas George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Brave New World“ liegt über dem gesamten Roman eine bedrückende Atmosphäre, die die Verzweiflung und Aussichtslosigkeit der Menschen in diesem Staat verdeutlicht. In Gilead gibt es eine klare Rangordnung, die vorgeblich auf biblischen Grundlagen herrscht: Frauen sind Besitztum der Männer und weitgehend frei von Rechten. Wertvoll sind sie dann, wenn sie gebärfähig sind. Allen sozialen Gruppen sind Farben zugeordnet, die leicht erkennen lassen, wer zu welcher Klasse gehört. Individualität gibt es nicht mehr, viele Frauen verlieren sogar ihren Namen und werden nur noch über ihre Funktion benannt: Martha oder Of-Fred/Of-Glen, die Frau, die Fred/Glen gehört.

Die Geschichte Offreds ist geprägt auch von Rückblicken, sie kann sich noch an die Zeit vor Errichtung der Republik erinnern, als sie mit Luke verheiratete war und mit ihm auch eine Tochter hatte. Dann ihre Zeit der Umerziehung und Vorbereitung auf die Rolle der Handmaid. So kontrastiert und charakterisiert Atwood den neuen Staat, der vor allem für Frauen ein herber Rückschritt bedeutet. Viele Szenen lesen sich nur mit Schrecken, etwa Offreds erste Begegnung mit dem Commander oder die öffentlichen Hinrichtungen. Es gibt Versuche, das System zu unterwandern, diese sind jedoch gefährlich und nicht immer erfolgreich, lediglich der Epilog macht Hoffnung, spielt dieser in der Nach-Gilead Zeit, zu der die Republik offenbar schon nicht mehr existiert.

Viel kann man zu diesem Roman schreiben, viel ist geschrieben worden. Unzählige Anspielungen auf die Realität der 1980er Jahre – nicht nur in den USA, sondern auch in Ländern, in denen islamistische Herrscher die Frauen aus der Öffentlichkeit verbannten wie dem Iran – lassen sich in dem Text finden, der jedoch auch 2017 kein bisschen von seinem Schrecken verloren hat. Für mich aufgrund der spezifisch feministischen Perspektive ein besonders beachtenswerter Roman des Genres.

Barbara Vine – The Birthday Present

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Barbara Vine – The Birthday Present

Ivor Tesham ist 1990 ein aufstrebender Abgeordneter der Tories. Margaret Thatcher regiert das Land und dem attraktiven jungen Politiker steht eine glänzende Karriere bevor. Das einzige, was er nicht hat, ist die glückliche Familie. Dafür aber eine Affäre mit einer verheirateten Frau, die seine Leidenschaft für Rollenspiele beim Sex teilt. Zu ihrem Geburtstag will er ihr eine besondere Freude machen und eine Entführung inszenieren – doch dabei läuft etwas schief und Hebe sowie ein weiterer Mann sterben, ein dritter wird schwer verletzt. Ivor hat Angst um seine Karriere und meldet sich daher nicht bei der Polizei. Doch es gibt Menschen, die von der Affäre wissen und so macht sich der kaltblütige Politiker erpressbar.

Die Geschichte wird rückblickend aus Sicht von Ivors Schwager erzählt, weshalb Ivor seine Geschichte nicht selbst erzählen kann, bleibt zunächst unklar. Der Schwager ist ein braver Familienvater und spart nicht mit der Analyse der Diskrepanz zwischen Ivors tatsächlichem Verhalten und dem öffentlichen Bild des konservativen Politikers mit reiner Weste. Er ist immer wieder schockiert, wie abgebrüht Ivor Entscheidungen vor dem Hintergrund seiner Karriere trifft und dabei die Menschen völlig aus den Augen verliert.

Neben Ivor spielt Hebes Freundin Jane, die ihr regelmäßig Schützenhilfe beim Betrug leisten musste, eine wesentliche Rolle. Der Abstieg der jungen und intelligenten Frau ist grausam mit anzusehen. Einerseits versucht sie ihre Cleverness zu nutzen, dann scheitert sie wiederum an ihrer Menschenkenntnis und der Gutgläubigkeit, die bisweilen regelrecht naiv wirkt. Sie ist für mich – neben zahlreichen anderen – das Hauptopfer der Geschehnisse zu denen sie nichts beigetragen hat, die aber ihr Leben zerstörten.

Machtbesessenheit, Gier und Egoismus sind die Triebfedern des Romans, der gnadenlos mit seinen Figuren umgeht und sie für ihre Fehltritte zahlen lässt.

Dan Mooney – Me, Myself and Them

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Dan Mooney – Me, Myself and Them

Everything is at its best in Denis Murphey’s life. As long as things go as he plans them and as long as there are no odd numbers. His days are highly regulated: waking up at exactly the same time, the amount of minutes he needs in the bathroom, his breakfast. Once a week, he visits his friend Eddie who is in hospital and also once a week, he sees his mother. Everything is at its best. But then Rebecca reappears in town. His ex-girlfriend. How could she? And how can he avoid meeting her? He cannot and soon his life and the life of his four housemates is turned upside down.

At first, there were a lot of things I was wondering about. First of all, of course, Denis’ strange behaviour. That there is a kind of over-control impulse which limits him in his life is quite obvious. He has a fixed plan and he cannot tolerate any variation from it. He seemed to me to suffer from autism spectrum disorder due to his repetitive behaviour patterns and his restricted range of activities and friends. Soon, however, it becomes obvious that something has triggered this behaviour and that he certainly was not born with it. So, the big question arises: what has happened?

Second, the housemates. There are four of them, very singular creatures with distinctive features and somehow destructive traits of character. The fact that they talk to Denis all the time did not necessarily mean for me that they were humans, I guessed at times that they were cats, but this assumption did not really fit with everything in their description and behaviour. When I finally sorted out who or rather what they were, it all made sense.

It is not revealing too much of the story when saying that the protagonist is suffering from a serious mental health problem. A lot of what happens only happens in his brain but he cannot cope with it or even fight it. The demons that haunt him are real for the time being and what is in his head cannot get out or be explained to anybody. He is alone with his fight and several times prone to give up the war he is waging. I really appreciated the metaphor of the four housemates who inhibit Denis and who tell him what to do since this renders it possible for people who have never been in close contact with such an illness to understand not only how those affected feel but first and foremost how difficult it is for them to get back to a “normal” life and to be in command over their life.

All in all, a difficult topic masterly transferred into literature and thus a valuable contribution in the fight for understanding mental health problems.

Joel Dicker – The Baltimore Boys

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Joel Dicker – The Baltimore Boys

Already when he was a child, Marcus envied his cousins, the Goldmans from Baltimore. He himself is part of the Goldmans from Montclair, but in Baltimore, so much more was happening and he was only part of the gang during the holidays that he spent in Baltimore. The Baltimores adopted Woody, a sports prodigy and best friend of Hillel who was a frequent victim of bullying when he was a child. When they grow up and become teenagers, the friends turn into competitors for the first time: all the three of them fall in love with Alexandra, the girl from next door. School is over and college is calling. Star athlete Woody will have it easy, just as Hillel who is highly intelligent. But things turn out other than planned and only many years after the catastrophe Marcus manages to fully understand what happened.

Just like in “The Truth about the Harry Quebert Affair”, Joel Dicker narrates his family saga in a discontinuous way but springs back and forward in time. Piece by piece is added to the story and it only integrates into a whole picture at the end. His tone is calm and relaxed, interrupted by the present time and thus creating breaks and delays which increase the tension and the readers’ interest to find out what happened.

Strongest in this novel are definitely the characters. None of the three is just the average boy with an average life. They all have their flaws and weaknesses which makes them quite interesting but not that singular that you could not imagine them in reality. Their friendship is deconstructed piece by piece thus shading a different light on what young Marcus perceived and felt.

Denzil Meyrick – Tödliches Treibgut

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Denzil Meyrick – Tödliches Treibgut

Eigentlich ist Glasgow sein Revier, aber im entlegen Küstendorf Kinloch wird eine abscheulich zugerichtete Frauenleiche angespült und vor Ort sind keine geeigneten beamten, um den Fall zu lösen. DCI Jim Daley wird also in die Provinz abkommandiert, wo man den Fremden scharf beäugt. Jeder scheint auf dem Laufenden zu sein und mehr als die Polizei zu wissen. Da es nicht bei einer Leichte bleibt, muss Verstärkung angefordert werden. Mehrere Leichen, ein internationales Drogenkartell, korrupte Beamte – bald schon weiß Danley nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Und da rauscht auch noch seine frustrierte Gattin mit dem blasierten Schwager an. Seine Eheprobleme sind nicht gerade förderlich bei der Lösung des komplexen Falles.

Der erste Roman aus Meyricks Serie um DCI Jim Daley, die nun erstmals in deutscher Sprache erscheint. Zwei Dinge kann man ganz klar ehrauslesen: 1. Der Autor kennt seine Heimat und die Bewohner sehr gut. Akkurat zeichnet der die Figuren, die geprägt sind von ihrer Umgebung am Rande Großbritanniens. 2. Der Autor war selbst Polizist in Strathclyde, bevor er anfing zu schreiben und kann vor allem sehr plastisch darstellen, wie es den jungen Constables ergeht.

Der Fall entwickelt ungeahnte Komplexität, die jedoch nach und nach sauber wieder aufgelöst und glaubwürdig zu Ende geführt wird. Ein paar Handlungspunkte waren etwas vorhersehbar, aber das ist in der Gesamtschau vernachlässigbar. Der Protagonist kann überzeugen, kein Superheld, sondern menschlich mit nachvollziehbaren Schwächen aber genauso liebenswerten Charakterzügen. Insgesamt lebt der Krimi ganz eindeutig von der Atmosphäre, die authentisch für einen kleinen Ort wirkt: jeder kennt jeden, alles spricht sich schnell rum, Unangenehmes wird unter den Teppich gekehrt, und ein Glas Alkohol mehr geht auch immer. Alles in allem eine durchaus ansprechende Serie, die vielleicht im Original durch die sprachliche Umsetzung des Schottischen Dialekts noch einen Tick besser sein dürfte.

James Patterson – Gefahr am Airport

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James Patterson – Gefahr am Airport

Gemeinsam zwei Wochen in Griechenland ausspannen, den Alltag vergessen und es sich gutgehen lassen. Matt Bates und sein Freund Chaz Shoeman treffen sich am Airport von London, um gemeinsam in den Urlaub zu fliegen. Doch am Terminal kommt ihnen eine Gruppe Scheichs seltsam vor und nur kurz darauf wird der Verdacht der Ex-Militärs bestätigt: eine Gruppe von Islamisten hat einen Anschlag vorbereitet, der mit einer Geiselnahme beginnt und in der Zündung einer chemischen Bombe enden soll. Das Sicherheitspersonal kann nicht mehr eingreifen, Matt und Chaz sind nicht nur auf sich allein gestellt, sondern halten auch das Leben unzähliger Unschuldiger in ihren Händen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt.

James Patterson ist eine feste Größe im Krimigenre, seine Serien um Alex Cross oder den Women’s Murder Club sind legendär. Seit einiger Zeit gibt es auch die knackigen Bookshots, Kurzkrimis, die ohne viel Nebenhandlung auskommen und auf guten 100 Seiten in aller Kürze eine spannende Geschichte für zwischendurch erzählen.

War ich bei den bisherige Bookshots begeistert davon, wie es einem Autor, der für komplexe Handlungen bekannt ist, gelingt, sich auch auf das Wesentliche zu konzentrieren und dabei dennoch zu unterhalten, so blieb „Gefahr am Airport“ hinter den Erwartungen zurück. Die beiden Protagonisten Matt und Chaz bleiben mir zu vage, vor allem wird nie klar, was genau in ihrer Vergangenheit vorgefallen ist, dass die unehrenhafte Entlassung veranlasste. Die Handlung an sich ist glaubwürdig, gerade vor den Geschehnissen der vergangenen Tage in Manchester hat man sicher keine Zweifel an der Möglichkeit eines solchen Anschlags in London. Jedoch ist es für mich eher weniger überzeugend, dass zwei Männer sich gegen ein so großes Himmelfahrtskommando erfolgreich durchsetzen. Für Actionfans mögen gerade die letzten Kapitel auf dem Weg zur bevorstehenden Explosion besonders spannend sein, mir hätte hier ein wenig mehr Tiefe besser gefallen als doch recht banale Action.

Alles in allem, ein überzeugendes Grundkonstrukt, jedoch mit einigen Schwächen umgesetzt.

Paula Hawkins – Into the Water

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Paula Hawkins – Into the Water

Welcher böse Fluch lastet auf dem Fluss nahe Beckford, der bereits mehrere Frauenleben zu verantworten hat? Erst im Frühling fand die erst 15-jährige Katie dort den Tod, nun auch Nel, die Mutter von Katies bester Freundin Lena. Nel war besessen von dem sogenannten „Drowning Pool“, der immer wieder Frauen angezogen hat. Allerdings ist dieses Mal die Lage etwas anders, Nel hat mehrfach vor ihrem Tod versucht ihre Schwester Jules zu erreichen, die beiden hatten seit Jahren keinen Kontakt mehr. Jules hat die Anrufe registriert, aber nie entgegengenommen. Sie ist sich allerdings sicher, dass Nel niemals Selbstmord begangen hätte. Vieles passt in dem Ort nicht zusammen und je tiefer Jules und die beiden Polizisten Sean Townsend und Erin Morgan nachforschen, desto mehr Verbrechen kommen sie auf die Spur.

Dieses Buch ist in der Hörversion eine echte Herausforderung. Gelungen sind die unterschiedlichen Sprecher, die den einzelnen Charakteren, die jeweils abwechseln aus ihrer Sicht die Geschehnisse erzählen, ihre Stimme verleihen und so ein wenig helfen, den Überblick zu behalten. Insgesamt erschienen es mir aber viel zu viele Figuren, die gerade zu Beginn nicht einfach zu unterschieden waren und deren Verhältnis zueinander ebenfalls nicht immer ganz klar war. Leider leiden sie fast aller unter Charakterzügen, die sie nicht gerade besonders liebenswert machen, was ich ebenfalls nicht einfach finde, man möchte ja doch so etwas wie Empathie gegenüber den Figuren empfinden.

Die Geschichte an sich ist komplex und immer mehr Nebenstränge entwickeln sich, die jedoch nicht alle besonders glaubwürdig sind und für mich zum Teil sehr konstruiert wirken. Insbesondere Jules Verhalten erscheint mir absurd, steht aber vielen anderen diesbezüglich in nichts nach. So richtige Spannung kam leider nie auf, dafür war die Erzählung oftmals zu sprunghaft und konfus und kaum auf das Wesentliche fokussiert. Auch wenn am Ende alle Zusammenhänge aufgeklärt und der Fall quasi gelöst ist, stellt sich kein befriedigendes Gefühl bei der Story ein.

„The Girl on The Train“ konnte mich insgesamt überzeugen, Paula Hawkins aktueller Roman jedoch ist mir zu schwach, um mit dem Vorgänger mithalten zu können.

Jonas Lüscher – Kraft

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Jonas Lüscher – Kraft

„Theodicy and Technodicy: Optimism for a Young Millennium“ – diese Fragestellung ist es, die den Rhetorikprofessor Richard Kraft aus seiner finanziellen Not retten soll. In einer guten Viertelstunde soll in der ehrwürdigen Stanford Universität von den Bewerbern die Frage erörtert werden, dem Sieger winkt eine Million Dollar gestiftet von einem Internet Milliardär. Da er sich in seinem Tübinger Zuhause nicht in der Lage sieht, angemessen konzentriert an die Arbeit zu gehen, fliegt Kraft schon zwei Wochen vor der Veranstaltung nach Kalifornien und wohnt dort bei seinem Freund István, mit dem er einst in der Westberliner Enklave das Leben studierte und die Politik diskutierte. Bei der Suche nach der Frage, weshalb alles, das ist auch notwendigerweise gut ist, kehrt Kraft gedanklich auch immer wieder in seine Vergangenheit zurück und lässt seine Zeit mit István ebenso Revue passieren, wie die Zeit mit den drei Frauen, die sein Leben geprägt haben. Je näher der Tag der Präsentation rückt, desto weiter entfernt sich Kraft von der Überzeugung, dass in seinem Leben und in der Welt alles zum Besten steht.

Der Roman des Schweizer Autors Jonas Lüschers ist vom Feuilleton direkt nach Erscheinen begeistert aufgenommen worden. Es ist vermutlich die erstaunliche Verbindung, die Lüscher in „Kraft“ schafft zwischen der philosophischen Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, der politischen Lage eines geteilten Deutschlands, das dem angloamerikanischen Neoliberalismus zu Beginn der 80er Jahre nur Helmut Kohl entgegensetzen kann, den weltbeherrschenden Internetgiganten des Silicon Valley und dem Leben eines einzelnen Mannes, der immer dann beruflich auf der Karriereleiter emporsteigt, wenn gleichzeitig die Frau an seiner Seite den Abstieg hinnehmen muss. Hierin Sinn zu finden und zu begründen, dass dies die bestmögliche aller Welten ist – kein leichtes Unterfangen, wie der Protagonist zunehmend verzweifelt feststellen muss.

Der sprechende Name des Protagonisten dient hervorragend als Ausgangspunkt zur Dekonstruktion des Romans. Richard Kraft – steht der Vorname für die Eigenschaften reich, mächtig und stark, fügt der Nachname diesen Einfluss, Wirkungsfähigkeit und Veränderungsfähigkeit hinzu. Sieht man sich die Figur an, so ist Kraft zunächst einmal finanziell abgebrannt. Zwei Ehen und vier Kinder haben ihn ruiniert, er ist dringend auf eine Geldspritze angewiesen. Macht und Stärke hat er eigentlich qua Profession, er war im frisch vereinten Deutschland eine Größe auf seinem Gebiet, scheint aber seine große Zeit hinter sich zu haben und nur wenige ergiebige Gedanken produzieren zu können. Mit dem Vortrag in Stanford erhält er die Chance seinen Einfluss geltend zu machen, eine positive Wirkung auszuüben und etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Doch statt in der Ferne neue Gedanken zu kultivieren, sinkt er Grübelei und hängt der Vergangenheit nach. Eine Lücke klafft zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte; ein Riss, der den Protagonisten selbst durchläuft und sehr passend auch auf dem Cover stilisiert ist.

Der eigentlich leistungsstarke und intelligente Mann wird überrollt – so wie in seinen Gedanken San Francisco von einer mörderischen und zerstörerischen Welle erfasst und zerstört wird, kann auch er den globalen Trends gesteuert durch die Ökonomie der Internetfirmen nichts entgegensetzen. Hat Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen, so erschafft nun der Mensch den Roboter, der alsbald droht die Macht zu übernehmen und als das bessere Wesen zu regieren. An dieser Stelle wird Kraft zum Sinnbild des modernen Menschen, der sich machtlos ausgeliefert fühlt und für den sich nicht erschließt, weshalb diese Welt, die bestmögliche sein soll.

Ein starker Roman, der sich nicht einfach nebenbei weglesen lässt, sondern immer wieder komplexe Diskurse mit dem Leser führt und ihn so mit der Ausgangsfrage konfrontiert.

Ein herzlicher Dank geht an den C.H. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Buch finden sich auf der Seite des Verlags.