J.M. Coetzee – The Schooldays of Jesus

Review, Novel, Man Booker Prize Longlist
Simón, Inés and Davíd had to flee and now come to Estrella where they hide among fruit pickers. Quickly it becomes obvious that Davíd is not an ordinary child, he asks a lot of questions and at the same time his view of the world cannot really be understood. When he is enrolled in the Academy of Dance – public schools are no option for obvious reasons – he feels comfortable and at home. The school’s strange philosophy seems to give him everything he needs and dancing becomes a new passion for him. For Simón and Inés this is difficult to understand and with the child’s gradual alienation they also find it more and more difficult to agree with each other.
J.M. Coetzee’s novel was nominated on the 2016 longlist for the Man Booker Prize. Normally, this is an indicator for me to read and book and I was never disappointed. However, this time the novel really had me despaired. First of all, I could hardly orientate in the novel. Where are we? And when? At least approximately. As I figured out in the meantime, there is another novel by Coetzee called “Childhood of Jesus” which might give some explanation to that. Second, most of the book is about the academy’s philosophy – and this was completely lost to me. Even more than to the protagonist Simón who also does not understand the least of what the teachers try to explain. Thirdly, which is closely linked to my first point, the family relationships were all but clear to me, this might be due to the fact that there is a first book in the series that I was not aware of.
Leaving aside the unease while reading, what does this text qualify for the Man Booker Prize nomination? It raises some questions which are definitely worth asking: who am I? What defines me? Which role do the family and the surrounding play in constructing me? Additionally, we have complex inner and out of family relationships which develop, intensify and loosen in the course of the story. The way especially Simón and Davíd not only interact but also react and define themselves through the other are quite interesting to observe.

All in all, I guess a lot of the story was lost to me. Unfortunately, there was too much I was wondering about to really enjoy it. 

Philipp Winkler – Hool

Roman, Rezension, Shortlist, Deutscher Buchpreis 2016
Philipp Winkler – Hool

Wenn das Leben wenig zu bieten hat und die eigene Familie sich in ihre Bestandteile aufgelöst hat, braucht man einen Ersatz. Heiko hat ihn gefunden: gemeinsam mit seinen Kumpels ist er nicht nur Fan von Hannover 96, sondern Hool. Wenn die Fußballer ihre Duelle auf dem Platz austragen, freuen sie sich schon auf die dritte Halbzeit, wenn die Anhänger der Teams auf der Straße aufeinander treffen und in heimlichen Fights nach ihrem Sieger suchen. Sein Onkel Axel, Inhaber eines Gym mit illegalen Nebengeschäften, hat ihn schon früh an die Hand genommen, als sein Vater in Depressionen versank nachdem die Mutter davongelaufen war. Genau wie Axel wird auch Heiko den Absprung nicht schaffen, obwohl sich nach und nach die Kumpels in ein bürgerliches Leben verabschieden. Welches Leben wartet auch schon auf ihn? Er hat doch nur die Fights.

Philipp Winklers Roman ist einer der sechs verbliebenen der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2016. Thematisch sicher der ausgefallenste von den Nominierten, die ich gelesen habe. Heiko ist ein krasser Außenseiter, der am Rand der Gesellschaft lebt und dessen Dasein von einem ganz anderen Takt und anderen Werten bestimmt wird. Man teilt seine Einstellung über weite Strecken nicht und dennoch kann man nicht sagen, dass er einem gänzlich unsympathisch ist. Das, was er seinen Freunden an Zuneigung und Hilfe entgegenbringt, ist schon beachtenswert – allerdings sind diese auch seine Ersatzfamilie nachdem dir originäre sich aufgelöst hat. Eine völlig ausgereifte Figur mit vielen Facetten, kein unbedarfter Teenager mehr, aber auch noch nicht ganz im Leben angekommen. Nicht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, kein großer Zweifler, aber im eigenen Leben nicht zu Hause und das richtige ist nur manchmal verschwommen am Horizont erkennbar.

Worin liegt die Qualität des Romans, die die Nominierung rechtfertigt? Ein Einblick in das Leben eines Menschen am Rande der Gesellschaft, thematisch gewagt; mit Hooligans werden nicht viele Leser etwas anfangen können, es mag sogar eher verschrecken – insbesondere Titel und Cover sind hier sehr drastisch, was jedoch zum Buch passt. Die Konstruktion des Romans wird nicht gleich offensichtlich, es dauert ein wenig, bis man durchschaut, was Winkler sich da ausgedacht hat. Wir werden nicht chronologisch durch die Handlung geführt, sondern haben zwei Stränge: Heikos Leben im Jetzt, das zeitlich voranschreitet und Heikos Leben in der Familie, das rückwärts läuft und erst spät aufklärt, wie es zur Fragmentierung kam. Eine sehr gelungene Erzählweise, die sich kompliziert anhört, aber dennoch gut zu lesen ist. Der Ton ist glaubwürdig getroffen und passt zur Szene. Alles in allem, ein in sich völlig stimmiger und runder Roman, auf den es lohnt, sich einzulassen.

Gila Lustiger – Erschütterung

Rezension, Essay, Sachbuch
Schon im Januar 2015 wurde Paris mit den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und den Hyper Cacher schwer getroffen. Aber die Attentate am 13. November gingen viel stärker noch in das Bewusstsein der Franzosen ein, denn dieses Mal traf es die normale Bevölkerung, Menschen, die sich am Freitagabend amüsieren wollten, die ein Konzert besuchten und in Bars saßen, Menschen, die keine Schuld auf sich geladen und doch den Zorn von Terroristen auf sich gezogen hatten. Die deutsche Autorin Gila Lustiger hat diesen Abend und die folgenden Tage miterlebt und ihre Erschütterung in einem Essay festgehalten. Dabei spielen auch die Jugendkrawalle aus dem Jahr 2005 eine wesentliche Rolle, waren diese doch Vorläufer dieser Attentate, ebenso wie die zunehmende Anzahl an antisemitisch motivierten Einzeltaten.
Auf das Buch wurde ich durch eine Veranstaltung mit der Autorin aufmerksam, in der sie zum einen auszugsweise vorlas, zum anderen aber auch noch einmal spontan in Worte fasste, weshalb sie dieser Abend so sehr persönlich getroffen hat. Gewalt und Bedrohung im Alltag sind ihr nicht fremd, immerhin hat sie einige Zeit in Jerusalem gelebt und als Jüdin ist sie insbesondere mit den Facetten sublimer und offener Feindseligkeit vertraut. Man merkte ihr sowohl bei der Lesung wie auch im Buch an, dass die Tage im November sie persönlich stark berührt haben. Dieser sehr persönliche Ton, wie auch die offenen Beschreibungen ihrer Gefühle zwischen Verzweiflung, Unverständnis und Aktionswille, machen ganz wesentlich den Essay aus. Der Versuch als Außenstehende die französische Gesellschaft und die Problematik der Cités zu analysieren gelingt ihr meines Erachtens ebenfalls sehr gut, unter anderem weil sie auch eigene Erfahrungen mit der Frage von Assimilation und dem Recht der Bewahrung von Herkunftssprache und -kultur gemacht hat.
Es ist nicht die große gesellschaftlich-politische Analyse, die umfassend alle Frage beantwortet, sondern ein sehr persönlicher Bericht und Blick auf die aktuelle Situation Frankreichs. Am Ende schafft sie auch einen ganz wesentlichen Schritt: nicht mehr viel über die Täter reden, sondern auch die Opfer in den Fokus rücken, diejenigen, die für die Fehler anderer bezahlen mussten.

Owen Sheers – I Saw a Man

Rezension, Roman, Krimi
Owen Sheers – I Saw a Man
Ein gefährlicher Einsatz, ein Versehen, eine ganze Reihe von Opfern. Die Journalistin Caroline stirbt bei einem Auslandsdreh in Afghanistan durch eine amerikanische Rakete. Ihr Mann Michael kann den Verlust kaum ertragen, schon gar nicht im gemeinsamen Haus in Wales. In London hofft er sich ablenken und weiter an seinem aktuellen Buch arbeiten zu können. Seine neuen Nachbarn, Josh und Samantha mit den Töchtern Rachel und Lucy, schließen schnell mit ihm Freundschaft und kümmern sich um ihn in seiner Phase des Trauerns. Er wird zum fünften Familienmitglied und bewegt sich frei in ihrem Haus. Eines Nachmittags will er nur schnell einen Schraubenzieher abholen, den er Josh geliehen hatte. Seltsamerweise steht die Hintertür offen. Ein ungutes Gefühl zieht Michael in das Obergeschoss des scheinbar leeren Hauses. Ein Geräusch lässt ihn erst erschrecken und löst dann eine unheilvolle Kette von Ereignissen aus. Auf der anderen Seite des Atlantiks hadert ebenfalls ein Mann mit dem Schicksal und am Ende stehen gleich drei Männer vor der Frage, wie sie mit der Schuld, die sie auf sich geladen haben, leben sollen.
Owen Sheers schafft es, den Leser zu fesseln und wirft ihn immer wieder neue Spuren und unerwartete Wendungen hin, die den Roman unzählige Male in eine völlig andere Richtung lenken. Seine Rahmenhandlung wird durch die Ereignisse des einen, unheilvollen Nachmittags im Juni bestimmt. In Zeitlupe bewegt sich Michael im Haus seiner Nachbarn, jeder Schritt wird unterbrochen von Erinnerungen an Caroline und die Erinnerungen eines anderen Mannes. Wenige Andeutungen lassen ahnen, was passieren wird, um dann die Katastrophe ein weiteres Mal zu verzögern. Auch der Ton wandelt sich, je nachdem wo wir uns befinden: im Haus herrscht äußerste Anspannung und die Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt – dann wiederum sind wir mit Michael in der Trauer um seine Frau oder bei dem amerikanischen Soldaten und seinen Erinnerungen an den schlimmsten Tag seines Lebens. Hier wird der Ton ruhig und melancholisch nur um dann wieder an den neuen Tatort zurückzukehren. Das eigentliche Ereignis, auf das die Geschichte lange Zeit hinsteuert, ist dann doch ganz anders als erwartet und hat vor allem ungeahnte Folgen für die Zeit danach – hier kann Sheers sich wirklich von der Masse der Krimis absetzen. Mehr zu schreiben würde potenziellen Lesern nun den Spaß verderben, bleiben wir dabei: eine wirklich gute Idee auch hervorragend umgesetzt. Einzig das Ende fand ich einerseits recht knapp und zum anderen für das, was ihm vorher gelungen war, etwas zu dünn.

Als Roman kategorisiert kann der Text jedoch mit erstaunlich viel Spannung punkten und darüber hinaus auch ganz wichtige Fragen nach Schuld und Verantwortung aufreißen. Vieles kam für mich unerwartet – wirklich ein Buch, das in vielerlei Hinsicht überraschen kann.

Gerhard Falkner – Apollokalypse

Rezension, Roman, Deutscher Buchpreis
Georg Authenrieth erinnert sich. Soweit er das noch kann, denn vieles ist weg oder nur noch verschwommen da, manches ergibt auch wenig Sinn. Aber vielleicht sind das ja auch nicht seine Erinnerungen, sondern die seines Doppelgängers. Schließlich ist ohnehin alles nur Rekonstruktion. Die Kindheit in Nürnberg, die erste Liebe zu Isabel, das Leben im Berlin der 80er Jahre. Die zweite wichtige Frau, Billy, der Anschlag, der Geheimdienst, die Freunde, die Reisen in die USA und die DDR. Man muss das nehmen, was man hat und so macht es auch Georg oder Georg über den Menschen Georg Authenrieth, der vorgibt, er zu sein und es vielleicht sogar ist.
Gerhard Falkners Roman hat es 2016 auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Die Presse hat den Roman bejubelt: ein neues Kapitel der Berlin-Literatur (Süddeutsche), großartig (Deutschlandradio Kultur), fantastisch (Zeit), kunstvoll und komisch erzählt (LiteraturSpiegel). Ich habe mich auf jeder Seite gefragt: was soll das? Was will mir das sagen? Hä?
Ein Erzähler, der sich seiner Erinnerung nicht sicher ist – ok, keine ganz originelle Idee, aber kann man was draus machen. Diskontinuierliche, unchronologische Erzählung – kein Thema, man darf als Leser schon ein wenig gefordert werden. Episodenhafte Erzählungen, lose Verbindungen – auch das kann seinen Reiz haben. Aber hier war mir alles zu lose, zu unverbindlich, zu wenig greifbar. Phasenweise waren zwar Ansätze einer Erzählung vorhanden, diese wurden dann wiederum von absurden Spekulationen über das Sein abgelöst und der Erzähler springt von der ersten zur dritten Person. Wenn alles im Rahmen von Spekulation und Unverbindlichkeit bleibt, wozu dann noch ein Roman? Wenn selbst die Literatur sich nicht mehr in der fiktiven Welt festlegt, wer soll dies denn noch in der Realität tun? Ein Roman, der nichts sagen will, ist für mich letztlich egal und auch irrelevant.
Rechnet man die Idee einer inhaltlichen Aussage raus, könnte der Text immer noch durch seine Konstruktion und die Sprache punkten. Aber auch da erreicht er mich nicht. Insbesondere die Ergüsse im Bereich der Fäkalien sind einfach nur widerlich, die Wortwahl abstoßend und dezidierte Beobachtungen des Stuhlgangs sind für mich keine Kunst, sondern schlichtweg verzichtbar.

Irgendwer scheint den Roman verstanden zu haben, ich offenkundig nicht. 

Paul Beatty – The Sellout

Review, Novel, Man Booker Prize 2016

A man is in Washington, waiting for his trial before the Supreme Court. He has never done anything wrong so why is there a case of the United States of America vs. himself? The narrator has to go back to his childhood days when he, the son of a black psychologist, was his father’s prime study object. His isolated upbringing always against the background of racial hated has left its marks and when is father is shot and he is faced with the police’s lack of interest, he understands that he has to do something for Dickens, his hometown which has vanished from the maps, and for his father’s memoir. A fight for equality and to find out who is really is and who he wants to be starts.
Paul Beatty’s novel has been shortlisted for the Man Booker Prize 2016 and it is obvious why it has been nominated. At the end of two terms of a black president, the country has to raise the question if anything has changed in the last eight years. Considering the last months’ riots and street fights in many cities between the police and the black community, the answer might be “no” – or even: things are worse today. Thus, Beatty has chosen his topic well, it could not fit more to the current debate. But apart from its societal relevance, what does the novel have to offer?
First of all, the irony is just captivating. The best example for me is the search for a sister city when Juárez, Chernobyl and Kinshasa refuse to be linked to Dickens due to diverse reasons. You have to laugh until the laughter gets stuck to your throat because you understand what has been said about this black town in this scene. Its situation close to the LA metropolis is worse than the most violent city in Norther America, worse than the most polluted and dead place in Europe and worse than the poorest town in Africa. Is there anything to top this? Yes, of course there is – and that’s what makes this novel so outstanding. The narrator invents an upside-down version of segregation and has the white pupils expulsed from the local schools. This reminds you of something in history? Yes, but now things are different. Or not so different at all. The absurdity sharpens the observer’s view on the current state this small town is in.
At times, Beatty has his narrator reflect on what he is doing and what is happening and he comes to very sharp conclusions on why things are the way they are and why people just cannot act differently.  This sounds quite serious, that’s what it is at the end of the day, but Beatty found a unique style ignoring all taboos to bring across his message.

Megan Abbott – You will know me

review, novel

Devon is a gymnastics prodigy, one of the few who have the potential to make it to the magnificent few who can represent the USA at the Olympic games. It all started out with an accident when she was a small kid and lost some toes, this seemingly disadvantage turned out to be the beginning of a stunning career. And her parents Katie and Eric are doing everything for their talented daughter. Days, whole weekends spent at the gym, hiring the best coaches even if they can hardly afford it. They have a plan set up, a plan to follow to make the dream come true. But a couple of weeks before the most important tournament of Devon’s life, everything is at risk and suddenly Katie has to ask herself if she really knows her family anymore and how much she is poised to do for her daughter’s success.

 Megan Abbott’s novel is difficult to pigeonhole. On the one hand, we have the story about an ambitious girl (and her parents), who are ready to sacrifice their whole life for this one dream. You can see how much strong will can achieve and what it needs to be a sportsman or –woman of the top. On the other hand, we have a murder case, a case of disappointed feelings, of hatred and jealousy – the classic ingredients of a crime novel. And there’s the family story, a family close to breaking up and before the question: what glues us really together? A lot of things mixed up in an exciting plot. Some of the clues, however, are too obvious to see, so the twists and turns do not really come unexpectedly. Yet, for me, it was less the question of solving the murder case, but the development of the family structures which had most of the interest. This point is really strong in the novel, the relationships are not easy ones and they develop throughout the story in an authentic and convincing way. All in all, an entertaining novel which has to offer a lot for different kinds of readers. 

Fiston Mwanza Mujila – Tram 83

Roman, Rezension, Afrika, Kongo
Äquatorialafrika, es könnte Kongo sein, es könnte überall sein. Ein Ort namens Stadtland bildet die Kulisse für ein unglaubliches Schauspiel. Im „Tram 83“, eine Mischung aus Bar, Bordell und lokalem Handelsplatz für quasi alles, nahe des Bahnhofs gelegen, treffen sich allabendlich die Bewohner und die Touristen. Junge Mädchen, genannt Küken und kaum die Pubertät erreicht, bieten ihre Körper ebenso an wie erwachsene Frauen. Die Arbeiter der nahegelegenen Minen betrinken sich ebenso wie die Studenten. Ex-Kindersoldaten versuchen zu vergessen, ebenso wie die Verlierer des korrupten Staates. Unter ihnen auch Requiem, der sich mit Erpressung und zwielichtigen Geschäften ganz gut positionieren konnte. Lucien wiederum, erfolgloser Schriftsteller und Träumer, hat weniger Glück und die Tatsache, dass Requiem noch eine Rechnung mit ihm offen hat, wird es nicht leichter machen. Alle versuchen zu überleben in einem Land, das von regelmäßigen Stromausfällen, unsicherer politischer Lage und ausländischen Kräften geprägt wurde. Im Tram 83 verschwinden die Unterschiede jedoch manchmal, denn die Kellnerinnen schnauzen alle gleichermaßen an.
„Am Anfang war der Stein, und der Stein schuf den Besitz und der Besitz den Rausch“ – man sagt guter Literatur nach, dass sie im ersten Satz schon alles unterzubringen mag, was die danach folgenden Seiten beinhalten. Fiston Mwanza Mujila hat sehr viel seines Romans hineingepackt in diesen ersten Satz: die Steine der Diamantminen, eine schier unerschöpfliche Geldquelle – für wenige. Ursache von Korruption und Verderbtheit. Schuld nicht nur an unsäglicher Armut, sondern auch der Suche nach dem Rausch und der Flucht vor der Realität. Der Alltag in Afrika, den uns der Autor präsentiert und den er nicht an einen Ort oder ein Land bindet, ist für uns Europäer verschreckend. Nichts lässt mich jedoch daran zweifeln, dass das Leben vielerorts genauso ist, wie wir es in „Tram 83“ kennenlernen. Was sonst hören wir aus Afrika außer Korruption, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Prostitution schon von Minderjährigen, kriegswilde Generäle, tödliche Minen etc. Viel Hoffnung auf Besserung gibt uns auch dieses Buch nicht.
Was fasziniert jedoch so an diesem Roman, der dem Autor zahlreiche Preise eingebracht hat und in vielen Ländern von der Presse bejubelt wird? Wir haben keine Erzählung und Handlung, der ein Erzähler stringent folgt. Viel mehr folgt das Geschehen dem afrikanischen Rhythmus, wird unterbrochen, hat Wiederholungen, bestimmte Segmente tauchen regelmäßig auf. Wie im Jazz wird mal scheinbar improvisiert, dann geben wieder klare Regeln den Takt vor. Der Ton ist manchmal brutal laut, dann in einem fast heiteren Allegro bis hin zu einem leisen Piano, kulminierend in einem immer mehr Fahrt aufnehmenden Crescendo. Man muss sich in den ungewohnten Rhythmus einlesen, findet aber zunehmend Gefallen daran.

Ein afrikanischer Roman also – jein. Man merkt, dass Fiston Mwanza Mujila Europa und seine Kultur kennt. Die oben bereits zitierte Stelle, die jedem Christen sofort das Johannesevangelium in Gedächtnis ruft, deutet an, dass hier auch mit der Frage des Kolonialismus gespielt wird. Es kam kein Erlöser nach Afrika; die Europäer, denen man im Roman begegnet, sind reiche Touristen oder Nachfahren der Kolonialzeit, die in abgeschotteten Stadtvierteln unter sich bleiben. Nur zum Vergnügen kehren sie ins „Tram 83“ ein und mischen sich unter die Einheimischen. Abgelöst werden sie nach und nach von den Chinesen, die möglicherweise ein neues Zeitalter einläuten werden. Das muss auch Lucien merken, der seine Literatur nach Europa verkaufen will – aber dort hat man schon kein Interesse mehr an Afrika. Zu wenig exotisch ist es mittlerweile. Bleibt am Ende nur noch, sich ins Getümmel des Tram zu stürzen und sich zu vergnügen, denn der Morgen hat wenig zu bieten.

Ian McEwan – Nutshell

review, novel

Trudy is pregnant, but currently not living with the child’s father, John, but his uncle, Claude. The house they live in was one Trudy and John’s retreat and now worth millions since housing in London is expensive. Claude is into real estate and comes up with a plan: why not get rid of the unwanted father of the child and make money of the house? A plan is made, but John interferes when he suddenly shows up and asks Trudy to leave the house where he wants to create a new home for himself and his girlfriend Elodie. Quick action is needed and thus Trudy and Claude have to react fast. Just a couple of hours later, they seem to have reached their aim and nobody is there who could blame them. But what they don’t know is that somebody has been listening all the time…
Respect. Ian McEwan really succeeded in surprising me. One of my favourite authors of whom I have read many novels accomplished something I thought risky and did not expect much from: telling a story from an unborn baby’s point of view. But what do we get: a lot of fun with a narrator who is not only a lot cleverer than all the adults presented, but also a close observer and ironic commentator of what he hears and understands. In this special case, getting the story just form one perspective is a great plus since the baby is just hilarious. At points, however, the laughter gets stuck in your throat when, for example, the baby is longing for another glass of wine – something it is highly used to. In this way, McEwan does what we expect him to do: he knows exactly how to put the words so that there is a double meaning and the underlying message can hit you hard.
What I liked best about the novel were first of all the baby’s way of narrating what’s happening. A slightly naïve tone which nevertheless shows a lot on knowledge and understanding. Second, the presentation of the characters who are mainly characterized through their action and even though they are not really the sympathetic type of person and only seen through the baby’s eyes, the develop facets and become more and more complex in their feelings.

All in all, a quick read which connects a lively and lovable narrator with a murder plot.  

Evelyn Holst, York Pijahn – Oh Boy, Oh Girl! Eine Gebrauchsanleitung für Männer & Frauen

Rezension, Sachbuch
Oh Boy, Oh Girl! Männer sind anders und Frauen auch. Evelyn Holst und York Pijahn wagen einen Blick auf das Lieben und Zusammenleben der beiden Geschlechter. Sie packen ihr geballtes Alltagswissen und viele verfügbare Vorurteile in das Buch und nachdem beide perspektiven präsentiert sind, wird ein Experte zu Wort gebeten. So beginnen wir im Sandkasten, wandern über die Pubertät hin zu ersten Liebe und der ersten Trennung bis hin ins Erwachsenenalter, wo die üblichen Themen Shopping, Kosmetik, Haushalt, das Erwachsenwerden der Kinder und das eigene Altern unter die Lupe genommen werden.
Das Buch ist augenzwinkernd als „Gebrauchsanleitung“ betitelt und fernab der ernstgemeinten Ratgeber zum besseren Verständnis des anderen Geschlechts. Ganz im Gegenteil, hier werden munter Klischees bedient und amüsiert vorgetragen, die beiden Autoren nehmen sich gegenseitig aufs Korn und nähern sich dem Thema mit einer gehörigen Portion Humor. Entsprechend ist der Ton eher unterhaltsam plaudernd und lässt einem beim Leser mehr als einmal schmunzeln. Ebenso sind die Passagen, in denen Fachleute zu Wort kommen, gestaltet. Die Interviews sind nicht bierernst, sondern schließen nahtlos an das zuvor gesagte an und können so den Stil nahtlos fortführen.

Wer große Enthüllungen erwartet, wird sicherlich enttäuscht sein. Inhaltlich können die Autoren nicht wirklich mit neuen Erkenntnissen aufwarten. Auch kratzen die Expertenmeinungen nur an der Oberfläche. Nimmt man das Buch als nette Lektüre zur Amüsement – gerne auch als gemeinsame Lektüre mit dem Partner – bietet es unterhaltsame Lesestunden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.