Léna Forestier – Un voisin si craquant

Seines Sohnes wegen lässt Maxence seine Theatergruppe in Grenoble zurück und zieht nach Lyon in die Nähe seiner Ex-Frau. Seine erste Begegnung mit seiner Nachbarin ist wenig vielversprechend: im Schlafanzug und ungewaschen öffnet diese nachmittags die Tür. Armelle ist ebenfalls erschrocken – so hat sie sich doch nicht wirklich präsentiert?! Als freischaffende Journalistin kann sie sich ihre Tage frei einteilen, aber das war nun wirklich zu viel des Guten. Dabei machte der neue Nachbar einen charmanten Eindruck, auch wenn die junge Frau neben ihm nicht zu verachten und sicherlich seine Freundin war.

Ein kurzer Roman mit vielen Verwirrungen dank ungesagter und nur gemutmaßter Dinge über den jeweils anderen. Das ganze ins Theatermilieu integriert, um so die Brücke zwischen beiden zu schlagen. Kein ganz großer Wurf, auch kein unnötiger Kitsch. Daher: nett für zwischendurch. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Uli Hannemann – Hipster wird’s nicht. Der Neuköllnroman

Gescheiterter Autor, erfolgloser Poetry-Slammer und bei Frauen ebenfalls nicht gerade hoch im Kurs zieht Thomas mit Mitte 40 in eine WG in Neukölln. Doch irgendwie haben sich die Twens seit seiner Studentenzeit böse verändert: Stofftaschen, Mützen, Vegetarismus und Biobier – er ist bei einer Horde Hipster gelandet. Man nimmt den Dino auf und gründet quasi eine „Mehrgenerationen-WG“, in der jedoch beide Seiten Anpassungsschwierigkeiten haben. Aber die hübsche Franziska nimmt Thomas an die Hand bei seiner Reise durch diese seltsame neue Welt.
So richtig hat sich mir nicht erschlossen, was das Buch möchte. Sich über die Hipster lustig machen? Ist schwierig, wenn man eine so gescheiterte Existenz wie Thomas entgegenstellt. Licht ins Dunkel dieser hochmodernen Lebensform bringen? Dafür kommt zu wenig rüber. Lustig sein? Dafür sind viele Sprüche zu ausgelutscht und die Protagonisten zu wenig sympathisch. Am Ende bleibt: viele Seiten mit belanglosestem Blabla, nur mäßig witzig und begrenzt unterhaltsam.

Fazit: verzichtbar.

Benjamin Constable – Die drei Leben der Tomomi Ishikawa

Ein Abschiedsbrief erschüttert Ben Constable: seine Freundin Tomomi Ishikawa ist tot. Sie hat sich umgebracht. Er macht sich auf in ihre Wohnung, wo er ihren Laptop mitnimmt, doch mit den Dateien, die sich darauf befinden, kann er zunächst nichts anfangen. Nach und nach erhält er Nachrichten von der Toten und immer mehr ergeben die Puzzleteile einen Sinn. Und ein erschreckendes, anderes Bild der jungen Frau: ist sie eine Serienmörderin, die als Racheengel für Recht gesorgt hat? Oder ist dies alles ihrer Phantasie entsprungen und doch nur erfunden? Tomomi schickt ihn auf eine rätselsame Reise, wobei sich immer drängender die Frage stellt, ob sie überhaupt tot ist.

Ein interessanter Roman, der mit verschiedenen Erzählebenen spielt und viele Fragen zwischen Fiktion und Realität in der Fiktion offen lässt. Der Ich-Erzähler begleitet den Leser – oder umgekehrt – bei der Suche nach der Wahrheit, die zugleich eine Reise durch Paris und New York und in die Vergangenheit Tomomis ist. Eine gelungene Mischung, die immer wieder interessante Stadterkundungsmomente bietet und die Spannung langsam steigert. Alle weiteren Figuren treten hinter den beiden Protagonisten zurück, die sich auf ihrer wundersamen Schatzsuche befinden und mit dem Leser und seinen Erwartungen spielen. Frei nach Arthur Conan Doyle lebt das Buch nach dem Motto „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“

Fazit: eine kuriose Schnitzeljagd nach der Wahrheit, die doch im Verborgenen bleibt. 

Nadja Quint – Halbe Miete

Lilo Gondorf führt auf Rügen ein bescheidenes und ruhiges Leben. Aufregend war ihres ja auch genug, als Kommissarin, dann früh verwitwet allein mit drei Kindern. Nun freut sie sich über ihre Feriengäste und die Ruhe der Insel. Ein Paar hat sich angekündigt, beide etwas älter und die Frau erblindet. Sie machen einen netten Eindruck doch schon am ersten Urlaubstag geschieht das Unglaubliche: Werner Koch stürzt beim Wandern ab. Doch die Leiche ist nicht zu finden. Es scheint kein Unfall, sondern Mord gewesen zu sein. Ermittlerin ist ausgerechnet Lilos Tochter, die der Mutter nicht zu viel über den Fall verraten möchte. Doch die Neugier der Seniorin ist geweckt. Auch die neuen Feriengäste scheinen verdächtig und so ermittelt sie gemeinsam mit ihrem Nachbarn, einfach an der Polizei vorbei.
Was dem Buch gelingt, ist die Szenerie auf Rügen attraktiv und glaubwürdig erscheinen zu lassen. Der Ansatz zweier betagter Freizeitermittler ist hingegen inzwischen etwas überstrapaziert, ebenso wie das Anschmachten von Pastoren oder anderen Religionsvertretern. Insgesamt leiden die Figuren des Romans unter einer erheblichen Blässe und mangelnder Authentizität, weshalb mir insbesondere Protagonistin Lilo sehr fremd blieb. Die resolute Oma hat man schon überzeugender gesehen. Der Fall schien lange Zeit recht glaubwürdig, wartet gegen Ende aber mit so vielen Zufällen auf, dass es – trotz der durchaus vorhandenen Spannung – böse bergab geht und man nur noch den Kopf schütteln mag. Auch der „literarische Kniff“ die Figuren mal spazieren gehen zu lassen und dem Leser nicht zu berichten, was sie aushecken, wurde offenkundig aus der Mottenkiste ganz unten gekramt – ich habe schon lange keine so schwache Auflösung bei einem aktuellen Roman mehr erlebt. Enttäuschend.
Fazit: kommt einem vor wie die sonntägliche Rosamunde Pilcher Verfilmung – tolle Kulisse bei schwacher bis dämlicher Handlung und unglaubwürdigen Figuren.

Oliver Schütte – Metropolis Berlin: Die Rote Burg

Berlin 1926. Im Zoo wird ein unbekannter Toter aufgefunden. Den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Martin Forster soll ermitteln und diese spektakulären Mord möglichst rasch klären. Doch allein die Identität des Toten herauszufinden dauert Wochen. Schnell wird klar, dass er tief ins Milieu verstrickt war und dort ist wenig Kooperation mit der Polizei zu erwarten. Die Wochen fließen dahin, heiße Spuren sind nicht zu finden und die Presse zerreißt sich das Maul. Kann eine Hellseherin entscheidende Hinweise geben?

Der Plot ist durchaus interessant und spannend, aber der Darstellung gelingt es so ungemein gut, die zähen Ermittlungen darzustellen, dass auch das Buch mehr und mehr quälend wird, je länger sich die Aufklärung des Falles hinzieht. Geht die erste Hälfte noch flott von der Hand wird dann aus dem Lesespaß eher Anstrengung. Der Protagonist kann mich auch nicht wirklich packen, erscheint er zunächst sympathisch, nervt mich seine Darstellung als Frauenheld bald. Auch seine zickige Freundin erschöpft sehr bald die Geduld des Lesers mit ihrem Gemecker.

Fazit: insgesamt glaubwürdig die 20er Jahre dargestellt bleibt der Roman aber weit hinter seinen Möglichkeiten.

JD Salinger – The Catcher in the Rye

Holden Caulfield ist einmal mehr von der Schule geflogen. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten und der unabwendbaren Konfrontation mit den Eltern. Kurzentschlossen verschwindet er aus seinem Internat und fährt schon nach New York, allerdings nicht nach Hause, da würden die Eltern nur blöde Fragen stellen. Also treibt er sich in der Stadt herum. Besucht Nachtbars, macht Frauen an, übernachtet im Hotel, kauft seiner Schwester eine Platte, die er dann zerbricht, schleicht sich doch heimlich in die Wohnung der Eltern, um die Schwester zu besuchen, trifft sich mit alten Freundinnen – er treibt einfach durch die Stadt.
Hat mich das Buch als Jugendliche gefesselt und begeistert – vermutlich im Wahn der der Jugend eigenen Überlegenheit gegenüber der Elterngeneration und all der angepassten Erwachsenen, wie die man glaubte niemals zu werden, hat es doch nun 20 Jahre später ein wenig an Reiz verloren, da die Perspektive für mich als Leserin eine andere ist. Immer noch ist die Figur des Holden in ihrer Konstruktion glaubwürdig und stimmig, die Handlung vielleicht etwas überzogen, aber das darf sie ja auch sein. Die Brüche zwischen Sein und Schein werden klar, das Treiben ohne Sinn und Ziel – eben die Verlorenheit der Jugend, das bleibt.

Fazit: muss man lesen, wenn man jung ist.

Matthew Quick – Forgive me, Leonard Peacock

Leonards 18. Geburtstag läuft genau so wie er vermutet hat: niemand erinnert sich daran. Seine Mutter ist ohnehin weit entfernt in New York bei ihrer Karriere und dem französischen Liebhaber. Der drogenabhängige Vater schon vor Jahren verschwunden. Leonard will all dem ein Ende setzen. Aber da ja Geburtstag ist, möchte er sich noch von vier Menschen mit einem Geschenk verabschieden. Und so beginnt er den Tag bei seinem Nachbarn, der ihm ein guter Freund wurde, auch wenn er schon alt ist, aber mit dem er alle Bogart Filme gesehen hat. Dann folgt der iranische Wundergeiger, dem er über Monate täglich beim Üben zuhörte. Sein Geschichtslehrer Herr Silverman, der ihn schwer beeindruckte, ist eine weitere Adresse, und das erste Mädchen, das er geküsst hat. Dazu packt er eine alte Waffe seines Opas, um dann allem ein Ende zu setzen – vor allem seinem ehemals besten Freund, der er erschießen möchte, bevor er Selbstmord begeht.
Die Handlung wird rein aus Leonards Perspektive beschrieben und der Tag ist durchzogen mit Erinnerungen, die er mit den jeweiligen Menschen geteilt hat, die erste Begegnung, memorable Momente. So nähert man sich langsam dem Höhepunkt – denn die Frage, weshalb Leonard diese drastische Maßnahme ergreift und was sein Freund verbrochen hat, dass er ihn töten möchte, bleibt sehr lange im Dunkeln. Was Matthew Quick auf jeden Fall sehr gut gelungen ist, ist den Ton eines Jugendlichen zu treffen. Man nimmt dem Erzähler in jeder Zeile ab, dass er 18 ist und für sein Alter trotz der widrigen Lebensumstände ein völlig durchschnittlicher und normaler Junge – wenn auch ein Außenseiter. Interessant auch die Ausflüge in die Zukunft, die sich dem Leser zunächst nicht erschließen, aber eine wesentliche Funktion haben.
Fazit: kein ermutigendes positives Buch, aber dafür authentisch und ergreifend.

Helen Walsh – The Lemon Grove

Wie jeden Sommer verbringen Jenn und Ihr Gatte Greg den Urlaub zusammen mit der Tochter Emma auf Mallorca. Doch dieses Jahr ist vieles anders. Emma kommt wegen der Abschlussprüfungen erst eine Woche später nach und außerdem bringt sie ihren neuen Freund Nathan mit. Diesen kennen die Eltern noch nicht besonders gut, wollten der Tochter aber diesen Wunsch nicht abschlagen. Schnell schon zeigt sich, dass durch die Anwesenheit des jungen Mannes nicht nur die Stimmung leidet, sondern dass er mehr als nur einen feinen Riss in die scheinbar heile Welt der Familie bringt. Besonders Jenn ist zunächst irritiert und dann mehr und mehr angezogen vom Freund der Tochter. Mit jedem Tag spitzt sich die Situation mehr zu und plötzlich kommt alles auf den Tisch, was sich die drei sich gegenseitig schon lange verheimlichen.
Das Buch hat durchaus seinen Reiz, wenn mir auch die Protagonistin Jenn sehr fremd bleibt mit ihrer Schwärmerei für den Jungen. Gefallen hat mir, wie sich die Stimmungslage zunehmend verändert, ganz heile Welt herrscht ohnehin nie, aber die Konflikte werden heftiger und die von Seite zu Seite Allianzen klarer. Viele kleine Andeutungen ergeben nach und nach ein etwas anderes Bild der Familie, die aus sehr viel Schein besteht. Der Spannungsaufbau ist gelungen und kulminiert als man denkt das Schlimmste sei vorbei. Die Charaktere bleiben leider etwas flach, was daran liegen mag, dass die Geschehnisse quasi nur aus Jenns Perspektive geschildert werden und sich die Handlung auf sehr kleinem Raum innerhalb kürzester Zeit abspielt.

Fazit: empfehlenswert für den Sommerurlaub am Pool – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Mark Watson – Eleven

Nach einem schrecklichen Unglück flüchtet Chris aus Australien und wird in England unter dem Namen Xavier Nighttalker im Radio. Dort gibt er täglich den Anrufern Tipps und kümmert sich um sie. Doch die Menschen in seiner unmittelbaren Lebenswelt bleiben ihm fern, er vermeidet geradezu den Kontakt – bis er die Putzfrau Pippa bei einem Speed-Dating kennenlernt und für seine Wohnung engagiert. Sie bringt ihn seiner Umwelt wieder näher und so erfährt man auch, weshalb er quer über den Globus geflüchtet war. Doch er kann so das Schicksal nicht aufhalten, er hat angefangen Einfluss zu nehmen und so nehmen die Dinge ihren Lauf.
Bemerkenswert, wie es Watson gelingt, elf Leben, die in keiner unmittelbaren Verbindung zueinander stehen, doch zu verweben und zu zeigen, wie kleine Handlungen oder ausbleibende Handlungen nachhaltige Folgen haben können. Hier einen Konflikt ignoriert, dort eine SMS an den falschen Empfänger, eine kleine Beschwerde und das Leben gerät aus den Fugen. Es dauert ein wenig, bis man merkt, wie diese elf Leben sich gegenseitig beeinflussen und sich gegenseitig zerstören und wie der berühmte Schlag des Schmetterlings mit einem Mal alles verändern kann und unaufhaltsame Dinge in Gang setzen kann.

Fazit: keine besonders ausgefeilten Charaktere, aber eine gelungene Konstruktion der Handlung.

Zoe Beck – Schwarzblende

zoe-beck-schwarzblende.jpg
Zoe Beck – Schwarzblende
Bei Probeaufnahmen im Park beobachtet Niall zufällig zwei auffällige Jugendliche: mit Macheten spazieren sie scheinbar ziellos vor sich hin. Kurz darauf ist ein weiterer Mann tot. Erstochen von den Jugendlichen. Und sie haben eine Nachricht, die Niall aufzeichnen soll: im Namen Allahs und des IS kämpfen sie gegen England und die westliche Welt und werden alle töten, die sich ihnen entgegenstellen. Die Polizei kann die Situation schnell aufklären und nach einer Nacht in einem der schlimmsten Gefängnisse der Insel wird auch Niall als Unschuldiger und Unbeteiligter wieder entlassen. Doch er will nicht schweigen und als er das Angebot erhält, eine Dokumentation über die Hintergründe der beiden Jungs zu drehen, nimmt er an. Zusammen mit seinem Vater, einem ehemaligen Kriegsberichterstatter, macht er sich an die Nachforschungen. Doch was er herausfindet ist unerwartet und bringt ihn in größte Gefahr.
Ein hochaktuelles und brisantes Thema wird von Zoe Beck spannend und überzeugend umgesetzt. Dabei tappt sie nicht in die Falle pauschalisierender Anschuldigungen, sondern spinnt die Geschichte sogar noch weiter und in eine völlig andere Richtung, die verblüfft, aber womöglich – vor dem Hintergrund der Aufdeckungen über Geheimdiensttätigkeiten etc. – plausibel und glaubwürdig ist. Der Roman wird zunehmend spannender, spart nicht an brutalen und unbequemen Szenen und wird von dem Protagonisten Niall getragen, der zwar nicht besonders komplex konstruiert ist, aber dessen leicht einfältige Naivität den Raum für die Entwicklung der Geschichte bietet.

 

Fazit: ein aktuelles Thema literarisch gelungen umgesetzt.