Sascha Arango – Die Wahrheit und andere Lügen (Hörbuch)

Henry Hayden ist erfolgreicher Schriftsteller und glücklich verheiratet. Irgendwo an der Küste lebt er ein ruhiges Leben, einzig seine Affäre mit der Lektorin Betty, seiner Entdeckerin, trübt das nach außen perfekte Bild. Die Wahrheit hinter diesem Scheinbild, ist aber eine andere. Henry ist ein Betrüger, denn seine Frau schreibt die Romane und als Betty ihm beichtet, schwanger zu sein, wird er zum Mörder. Doch sein Plan geht schief und statt der Geliebten wird die Frau zum Opfer. Als wenn dies noch nicht genug wäre, droht ein alter Bekannter sein ganzes Scheinleben auffliegen zu lassen und Betty sieht die Zeit für traute Zweisamkeit gekommen. Der Mord an seiner Frau wird unweigerlich nicht der einzige bleiben.

Sascha Arango hat den Roman geschickt konstruiert. Von Beginn an ist man in Henrys Gedankenwelt eingebunden und erlebt die Entstehung der perfiden Pläne unmittelbar. Die Polizei und ihre Ermittlungen spielen nur eine untergeordnete Rolle, im Zentrum steht die Frage, wie sich der vermeintliche Autor aus dem Schlamassel befreien kann. Dies geschieht durchaus  spannungsgeladen und bisweilen weiß man nicht, ob man Henry – der nicht unbedingt ein Sympathieträger ist – wünschen soll, gefasst zu werden oder durchzukommen. So spielt Arango auch mit dem Leser bzw. hier dem Hörer. Axel Milberg baut mit seiner passend modulierten Lesart an den richtigen Stellen die erforderlichen Spannungsmomente auf, die das Zuhören zu einem großen Spaß werden lassen.

Heike Handschuhmacher – Spurlos 2012

Nach Monaten in der Psychiatrie ist Sophie endlich wieder im Leben. Zum Neustart schenkt ihr ihr Mann Frank einen Urlaub. Dafür hat er extra ein Wohnmobil gekauft. Doch schon kurz nach Reisebeginn wird sie von furchtbaren Alpträumen geplagt, in denen der Verkäufer des Campers die Hauptrolle spielt. Gefoltert und vergewaltigt in Träumen kann sie bald schon nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden und treibt auch ihren Mann in die Irre. Als sie eine Spritze im Wagen findet, droht sie völlig die Kontrolle zu verlieren. Mit Frank macht sie sich daran, das Geheimnis zu lüften.

Die Idee an sich ist nicht schlecht, aber die Umsetzung ist mir zu abstrus. Sophies Wahn ist nur nervig, auch die Aufklärung, wie es zu diesen Träumen kam scheint mir sehr weit an den Haaren herbeigezogen. Die unvermeidlichen Cliffhanger am Kapitelende können bei mir leider auch keine Spannung hervorrufen. Die Figuren sind zu platt und eindimensional, um zu überzeugen und auch sprachlich kann das Buch nur wenig bieten.

Sara More – Irrtum 5,8: Die Trümmer von L’Aquila

Ist eine Naturkatastrophe nicht vorhersehbar und man dieser notgedrungen ausgeliefert? Als in L’Aquila 2009 die Erde bebte, schien das unabwendbare Unheil über die Menschen der Region gekommen zu sein. Sara More beschreibt, wie fiktive Figuren dieses Ereignis erlebten, die bangen Tage davor mit leichten Vorbeben und die Zeit danach, als alles Hab und Gut in Trümmern lag und die Liebsten beerdigt werden mussten. Doch nicht das Leid des einzelnen wird hier ins Zentrum gerückt, sondern die Frage, was die Verantwortlichen wussten und ob sie absichtlich zahlreiche Tote in Kauf genommen haben.
Der Fact-Fiktion Roman erzählt eine an sich bekannte Geschichte, ausgeführt mit persönlichen Schicksalen wie sie sich sicherlich in dieser oder ähnlicher Weise ereigneten. Mit Passagen, die aus Zeitungsberichten und anderen Realmedien entnommen sind, wird der Bezug zu dem tatsächlichen Beben in den Abruzzen hergestellt und die Handlung auf eine realistische Basis gestellt. Im Laufe des Buches nährt sich immer mehr der Verdacht, dass hier seitens der Regionalregierung nicht nur tragische Fehler begangen, sondern wissentlich Opfer in Kauf genommen wurden. Mit dieser Einbettung in die real existente Situation erlangen die Einzelschicksale eine gänzlich andere Bedeutung, die bekannten Zeitungsmeldungen und erschreckenden Bilder bekommen ein Gesicht.

Die Verbindung von Fakt und Fiktion ist Sara More absolut gelungen. Beide stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, stützen sich und untermauern die jeweiligen Aussagen. Die Figuren sind glaubwürdig gezeichnet, einzig die junge Deutsche ist mir ein wenig zu extrem dargestellt, dies mindert aber nicht die Unterhaltung, die trotz des brisanten und erschreckenden Inhalts durchaus gegeben ist. Der Erzählstil ist fesselnd und lässt einem das Buch nicht weglegen, obwohl einem vieles schon bekannt ist. Eine sehr gelungene Symbiose, bei der einzig das relativ offene und plötzliche Ende einen kleinen Wermutstropfen darstellt.

Hans Fallada – Der Alpdruck

Deutschland, April 1945. Der Krieg ist zu Ende, die letzten Züge bis die Grauensherrschaft endgültig ausgelöscht ist. Nahe Berlin warten Doll und seine Frau auf die Rettung durch die Russen. Endlich rollen die ersehnten Panzer. Verstecken sich alle anderen vor den Soldaten, gehen Doll und seine Frau fröhlich auf sie zu. Als Städter sind sie ohnehin anders und bald schon kehren sie den missgünstigen Kleinbürgern den Rücken und  ins geliebte Berlin zurück. Doch dort sind die Spuren des Krieges unverkennbar und neben den krankheitsbedingten Leiden kommt nun akute Not über das Paar: die Wohnung wurde anderweitig vergeben, zu Essen gibt es nichts und an Arbeit ist gar nicht zu denken. Für Wochen versinken beide in tiefer Apathie, die sie mit Morphium pflegen, um nur die Augen vor der Realität verschließen zu können. Wie soll in dieser Stadt, in diesem Land jemals wieder Leben entstehen? Ist nicht mit den Nazi alles Zugrunde gegangen?  Schwer nur können sie sich aus der Schockstarre lösen und wieder aktiv ins Leben zurückkehren.
Für mich war dies der erste Roman Hans Falladas und ich bin nachhaltig von ihm beeindruckt. Zwei Aspekte sind für mich insbesondere relevant: einerseits sein Vermögen, die Nachkriegsstimmung in der Kleinstadt wie auch im zerbombten Berlin einzufangen, sowohl die sichtbaren Schäden wie auch die weniger offensichtlichen psychischen Schäden bei der Bevölkerung. Andererseits die symbolische Porträtierung des deutschen Volkes durch den Zustand der Familie Doll. Die Befreiung, die wiederum neue Probleme mit sich bringt, die Hoffnung an die Vorkriegsjahre anknüpfen zu können, die jäh zerstört wird, das neu arrangieren in allen Lebensbereichen, Umkehrung von Machtverhältnissen, das nackte Überleben müssen oder die Option der Flucht aus der Realität. Wie langsam die Deutschen aus der Depression herausfinden und ihr Vaterland wieder herrichten, müssen auch die Dolls erst ihr neues Leben annehmen und mit frischen Mut Rückschläge wegstecken, um sich eine Zukunft zu schaffen.
Für mich in seiner Symbolkraft einer der stärksten Romane seiner Zeit. Die vordergründige Handlung mit kleinen Seitenverweisen versehen, die zum Teil nur andeuten, manchmal aber auch offenkundig die Situation eines Landes am Boden darstellen – eine gelungene Anklage und Mahnung.

Ebenfalls sehr gelungen die Aufmachung des Buches durch den aufbau Verlag. Ein Buchcover, das erfreulicherweise nicht belang- und bedeutungslos ist, sondern einen klaren Bezug zur Handlung aufweist. Mit informativem Vor- und Nachwort, um das Werk angemessen einzubetten und den Leser bei der Lektüre zu begleiten. Ein alles in allem sehr gelungenes Werk. 

André Aciman – Mein Sommer mit Kalaschnikow

Mit seinem Sohn ist der Ich-Erzähler in Harvard, um diesen für ein Studium dort zu begeistern. Beim Wandeln durch die ehrwürdigen Hallen fällt ihm sein letzter Sommer als Student wieder ein, der Sommer nach der verpatzten Prüfung, in dem er Kalasch  kennen lernte.  Der gebürtige Ägypter trifft den tunesischen Taxifahrer im Café Algiers und ist von dessen aufbrausender Art und seiner Ablehnung Amerikas zugleich fasziniert und abgestoßen. Sie bilden ein seltsames Gespann, gemeinsam ist ihnen vor allem die Sprache und Erinnerungen an Frankreich, ansonsten eint sie wenig. In diesem Sommer wird der Erzähler erwachsen, in der Spiegelung zu Kalasch findet er seinen Platz in dem Land, das ihm bis dato fremd blieb.

Acimans Roman ist nicht leicht zu fassen. Die beiden Protagonisten finden zueinander, entfernen sich wieder, lernen von einander, verachten sich bisweilen. Als Leser hat man es nicht leicht dem Erzähler zu folgen, zu oft sind seine Handlungen frustrierend, sein Verhalten unmöglich. Auch Kalasch ist kein leichter Charakter, er bietet zahlreiche Reibungspunkte. Überzeugen kann das Buch durch den Ausdrucksreichtum und die treffenden Beschreibungen, das Harvard Ende der 70er Jahre entsteht vor dem Leser und nimmt ihn in sich auf. Trotz allem bleibt man am Ende unbestimmt unzufrieden zurück – ein buch, nicht leicht zu fassen.

André Georgi – Tribunal

Den Haag, Internationaler Gerichtshof. Das Verfahren gegen einen der schlimmsten Verbrecher des Balkan-Krieges läuft. Heute sind zwei Zeugen geladen, die ihn endgültig zu Fall bringen werden, weil sie bestätigen, dass er den Tod Tausender Menschen zu verantworten hat. Jasna Brandic hat sie ausfindig gemacht und in die Niederlande gebracht. Nur noch wenige Minuten, bis sie am Ziel ist. Doch es kommt anders und am Ende des Tages steht sie und der Ankläger mit leeren Händen da. Aber in Belgrad scheint noch jemand gewillt, eine Aussage zu tätigen. Eine schwere Reise in ihre Heimat beginnt.

André Georgis Roman ist erschreckend, bedrückend und vermutlich realistischer als man sich vorstellen mag. Der Schreibstil ist bisweilen stakkatohaft, was jedoch hervorragend zur Handlung passt. Besonders die Vermischung von politischen Ereignisse, angelehnt an reale Vorkommnisse, und persönliche Betroffenheit der Figuren hat mich hier überzeugen können.

Alles in allem ein aktueller, überzeugender Thriller, der besonders in der Figurengestaltung durch Brüche und Nuancen punkten kann.

Kerstin Hamann – Windige Geschäfte

Ein Wiesbadener Stadtrat wird ermordet von seiner Putzfrau aufgefunden. Die ersten Spuren führen zu Paul Fischer, Mitglied des Wiesbadener K11 – sein Blut findet sich am Tatort. Doch er war nicht alleine dort, attraktive Studentin Eva, die für Stumpf arbeitete, war am Vorabend ebenfalls bei einer rauschenden Party anwesend. Wie war das Verhältnis zwischen Politiker und Studentin? Schnell tauchen weitere Verdächtige auf: offenbar gab es ein lukratives Geschäft mit Windkraftanlagen, an dem nicht nur Stunpf Interesse hatte. Ein Diebstahl, ein Einbruch und einen Doppelmord später scheint jedoch klar zu sein: Der Kollege ist hochgradig verdächtig und die Tatsache, dass er untertaucht, spricht nicht für ihn.

Kerstin Hamann hat einen überzeugenden Regionalkrimi mit aktuellem Bezug geschaffen. Für Kenner des Rhein-Main-Gebiets gibt es vieles zu entdecken und so manche Parallele zu aktuellen Diskussionen. Die Figuren sind glaubwürdig gezeichnet, der Fall spannend mit sauberer Auflösung und aktionreichem Ende. Besonders gefallen hat mir der psychologische Aspekt mit der Frage, wie gut man einen Kollegen/Freund kennt bzw. ob man sich derart in einem Menschen täuschen kann. Die Zweifel werden langsam aufgebaut und unterfüttert und auch als Leser fragt man sich ebenfalls lange Zeit, was dahintersteckt. Einmal mehr konnte mich ein Krimi des Sutton-Verlags begeistern.

Joseph Merrick – Crimson. Teuflische Besessenheit

Jake Dark wird strafversetzt. Statt weiterhin dem FBI zu dienen wird er in die tiefste Provinz nach Alaska versetzt, um dort als Dorfsheriff seinen Dienst zu leisten. Der tiefe Winter empfängt ihn, das Licht ist rar und auch sonst scheint in dem wenig beschaulichen Crimson so einiges seltsam. Eine Gruppe von Amish, die offenbar der ominösen Sekte der Chlysten angehören, treibt ihr Unwesen. Rituelle Morde fast im Stundentakt, dazu zwei obskure KGB Agenten, ein Sheriff, der von den Toten wieder aufersteht und unzählige falsche Identitäten bringen Jake Dark schnell an den Rand des Wahnsinns. Bildet er sich das alles nur ein oder geschehen diese Dinge wirklich?

Der Thriller lässt mich etwas ratlos zurück. Einerseits fand ich den Schreibstil fesselnd und sehr gut passend zu der Figur Jake Dark, aus deren Sicht die Handlung geschildert wird. Die Seiten rauschten nur so dahin, was bei über 700 ein echtes plus ist. Die Handlung selbst konnte mich lange Zeit packen, sehr mysteriös und Geheimnis beladen. Als jedoch in etwa nach 2/3 weitgehend klar war, wie sich viele Vorgänge erklären, hat die Spannung für mich stark nachgelassen. Für mich war vieles danach zum einen langatmig, zum anderen abstrus und verworren, so dass ich nur noch leidlich vorankam. Positiv bei alledem bleibt, dass Joseph Merrick auf schwarz-weiß-Malerei verzichtet und dem Leser keine einfachen Antworten bietet, wie sie in so manchem Kirchen oder Sekten-Thriller zu finden sind.

Sibylle Lewitscharoff – Killmousky

Richard Ellwanger steht vor einer wichtigen Frage: wie um Himmels Willen soll er jetzt seine Tage füllen? Der Kriminalhauptkommissar musste nach einem umstrittenen Verhör seinen Dienst quittieren und sitzt nun mit dem frisch zugelaufenen Kater Killmousky zu Hause. Doch seine Vermieterin hat schon einen Auftrag für ihn: im fernen New York kam die Tochter eines Bekannten ums Leben. Die Polizei hat den Fall schnell zu den Akten gelegt, doch die Familie vermutet, dass der Ehemann einen Mord geschickt vertuscht hat. Überhaupt scheint dieser nicht ganz durchsichtig und da es Verbindungen nach Deutschland gibt, soll Ellwanger der Sache auf den Grund gehen. Schnell stellt er fest, dass auch bei den oberen Zehntausend genauso niedere Beweggründe zu finden sind, wie überall sonst.

Sibylle Lewitscharoff hat sich mit Killmousky an ein für sie neues Genre gewagt und war erfolgreich. Der Protagonist wirkt authentisch und sympathisch, insbesondere in seinem zunächst unsicheren Umgang mit den Schönen und Reichen, doch zunehmend kommt seine Professionalität zum Vorschein und er gewinnt an Sicherheit und Profil. Doch Sibylle Lewitscharoff hat nicht nur einen unterhaltsamen Krimi geschrieben, dessen Auflösung durchaus vorhersehbar ist, sondern lässt den Kommissar gleich zweimal an moralische Grenzen stoßen, bei denen sich der Leser ebenfalls fragen muss, ob der rechtliche Rahmen und das eigene Moralgefühl hier zueinanderfinden. Bei aller Kritik an der Autorin und ihren verschrobenen Weltansichten: dieser Roman ist gelungen.

Véronique Olmi – Das Glück, wie es hätte sein können

Zufällig kommt die Klavierstimmerin Suzanne in das Haus von Serge. Sein Sohn hat ein neues Klavier erhalten. Es liegt etwas in der Lust, doch erst wenige Tage später bei einer erneuten Begegnung in einer Bar, entzündet sich ein Funke zwischen beiden. Dabei ist Suzanne glücklich liiert und Serge hat neben einer erfolgreichen Immobilienagentur ebenfalls alles, wovon man nur träumen kann: ein tolles Haus, eine reizende junge Frau, zwei liebenswerte Kinder. Dennoch geben sie sich dieser Faszination hin und gefährden ihrer beider Leben.

Die Verbindung zwischen Serge und Suzanne ist spürbar und stark, leider leidet das Buch unter einer ruckeligen Übersetzung. Die Formulierungen sind nicht so glatt und leicht, wie man sie bei einem kurzen Blick ins Original finden kann. Manche muten bisweilen seltsam an, wenn Serge wiederholt „Die Schöne und das Tier“ meditiert (im Original: „La belle et la bête“ in Anlehnung an das berühmte Märchen), fragt man sich schon, warum hier auf die gängige Formulierung im Deutschen – „Die Schöne und das Biest“ – verzichtet wird. Einmal mehr kann ein französisches Buch hier nicht punkten, weil es sprachlich nicht überzeugt.