Jo Nesbo – Der Sohn

OD_9783550080449_nesbo-der_sohn_SU_A01.indd
Jo Nesbo – Der Sohn

Seit 12 Jahren sitzt er im Gefängnis. Seine Drogen bekommt er, weil er Morde auf sich nimmt, die er nicht begangen hat. Es ist ihm egal, denn das Leben hat ihn bitter enttäuscht, sein Vater hat ihn bitter enttäuscht. Doch dann erfährt er, dass alles gar nicht so war und beschließt seinen Vater zu rächen. Er nimmt einsam den Kampf mit der Osloer Unterwelt auf. Sonny Lofthus will die Wahrheit über seinen Vater erfahren. Simon Kefas, Polizist und ehemals bester Freund des Vaters, kommt ihm schnell auf die Spuren – aber wird er ihn aufhalten oder in seinem Kampf unterstützen?

Jo Nesbo hat einen Krimi über einen einsamen jungen Mann geschrieben, der schon mit dem leben abgeschlossen hatte. Der Protagonist ist unheimlich stark in seinem Handeln, nicht blind vor Wut, bedacht, er sucht nach Gerechtigkeit. In jeder Phase hat man eigentlich den Eindruck, dass dieser unheimliche Killer, der Gute ist, derjenige, der zu Recht Rache nimmt und man hofft, dass er seine Mission erfüllen kann. Die Grenzen von Gut und Böse verschwimmen hier und der Autor bringt den Leser in die missliche Lage, Mitleid mit einem Vielfachmörder zu empfinden und dessen Weg gutzuheißen.

Erzählerisch wie immer glaubwürdig, in sich logisch und absolut überzeugend.

Wilkie Collins – The Haunted Hotel

Lord Montbarry löst ohne weitere Erklärung die Verlobung mit Agnes Lockwood um die Countess Narona zu ehelichen und mit ihr in einem Palast in Venedig zu ziehen. Begleitet werden sie von Ferrari, dem Boten. Dessen Frau erhält schon bald eine Nachricht mit einer größeren Geldsumme, ihr Mann scheint verschollen. Ebenso verstirbt Lord Montbarry plötzlich und seine Witwe macht sich mit ihrem vermeintlichen Bruder und dem Erbe auf nach Amerika. Der venezianische Palast wird derweil in ein Hotel umgebaut und wenige Monate später wird Agnes dort übernachten und ihr ein Geist erscheinen, der einige der Vorgänge erlklären wird.
Eine klassische Geistergeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit hysterischen Frauen, niederen Beweggründen, der besseren Gesellschaft, die durch Europa reist und ein wenig Grusel und Geistern. Nicht unbedingt Collins‘ Meisterwerk, aber im Genre sicherlich eins der gelungeneren Werke.

Lovelybooks Leserpreis 2014

Der größet Preis von Lesern im deutschsprachigen Raum geht in die 6. Runde. Jetzt Favoriten nominieren!

Anne Lise Marstrand-Jörgensen – Das indiskrete Leben der Alice Horn

1969 in Dänemark. Alice Horn lebt das typische Leben einer Frau ihrer Zeit. Die Ausbildung noch beendet wird sie heiraten und sich um Mann und Kinder kümmern. In einem hübschen neuen Häuschen, umgeben von vielen Familien, die ein identisches Leben leben. Die Einöde holt sie und ihren Mann Eric bald ein, mit sexuellen Freiheiten und besuchen im Swingerclub wollen sie wieder mehr zueinander finden, doch sie entfernen sich immer weiter und es endet wie es enden muss: Alice tritt aus dem Leben, das sie nie haben wollte. Sie lässt Eric völlig überfordert zurück, die Töchter Marie-Louise und Flora könnten unterschiedlicher kaum sein und stehen am Übergang zur Pubertät. Sie müssen sich denselben Fragen stellen, auf die ihre Mutter schon keine Antwort gefunden hat: wie selbstbestimmt können sie in der Gesellschaft Anfang der 70er Jahre leben? Wie viel echte Freiheit geht mit sexueller Freiheit einher? Mit einem Vater, der ihnen keine Hilfe ist und einem jüngeren Bruder, der ebenfalls abdriftet, rennen die beiden Mädchen in ihr Unglück.
Der deutsche Titel ist unglücklich gewählt und irreführend. Alice Horn tritt schon nach dem ersten Drittel des Buches ab und verblasst danach recht schnell. Zwar treten ihre Töchter, insbesondere die kleine Flora, in ihre Fußstapfen, aber das rechtfertigt den Titel nicht. noch dazu legt dieser etwas nahe, was nicht der Fall ist: Alice sucht nicht die Indiskretion und findet darin auch keine Erfüllung. Das Buch bleibt für mich schwer zu fassen, vor allem, weil der Fokus sich immer wieder verschob und Antworten offen blieben. Vieles bleibt am Rande – wie die Geschichte um Martin, man kann nur mutmaßen, was mit ihm los ist und welches Unglück passierte. Auch Marie-Louise lernt man nur als Außenstehende kennen, dabei wäre es interessant gewesen, wie sie im Kontrast zu Flora mit dem Verlust der Mutter umgeht. Die Einblicke in das Seelenleben, dass man zu Beginn von Alice erhält, wird in Flora fortgeführt, sie ist jedoch kein besonders leichter und auf Anhieb sympathischer Charakter, was es schwer macht, mit ihrer Zerrissenheit und Unsicherheit mitzufühlen. An ihr arbeitet die Autorin die Entwicklung zur sexuellen Freiheit der damaligen Zeit ab, die Verunsicherung, verschiedene gesellschaftliche Strömungen und die Konfrontation mit tradierten Werten, wobei es letztlich auch keine Antworten gibt.

Fazit: keine leichte Lektüre, viele Brüche und Unebenheiten, die einem immer wieder anhalten lassen.

Tonder Defkjell – Deutscher des Jahres

50 Mal wurden Deutsche für eine besondere Tat von den Lesern geehrt. Jetzt soll er gewählt werden, der Deutsche des Jahres. Nach Berlin sind sie eingeladen, in ein Hotel und am Ende der Woche soll der Sieger gekürt werden. Auch Herr rein ist einer von ihnen, einfältig, engstirnig, simpel im Gemüt. Doch bald schon überschlagen sich die Ereignisse und ein Unglück jagt das nächste. Die Zahl der Titelanwärter sinkt drastisch. Steckt die Konkurrenzzeitung dahinter? Oder einer der Kandidaten. Herr rein hält tapfer durch – mit Pornos und Alkohol überlebt er den Irrsinn um ihn  rum.

Ein kurzer humoristischer Blick auf das Gemüt und den Charakter der Deutschen. Natürlich vorhersehbar und überzeichnet, jedoch mit Augenzwinkern und an mancher Stelle wirklich treffend. Besserwisserei, zu viel Bier, Stoffeligkeit, dazu Geiz und eine ganze Menge Ignoranz – durchaus Eigenschaften, die man so manchem Mitmenschen nachsagen kann. Die Idee gefällt mir sehr gut, dass alles etwas überzogen ist, finde ich auch durchaus passend. Allerdings bleiben mir die Figuren zu unbestimmt. Natürlich kann Herr Rein ohne Profil quasi jeder sein, mir wäre hier aber ein bisschen mehr an Figur lieber gewesen. Er ist mir einfach zu blass, um als wirklicher Mensch zu erscheinen. Auch die Gruppendynamik hätte noch ein wenig mehr Beachtung bekommen dürfen, ebenso wie das Medienecho nach all den Vorkommnissen, was nur am Rande abgehandelt wird. Sprachlich bleibt das Buch leider auch ein wenig flach, die Handlung hätte mehr als den Running Gag 60-40-20 hergegeben. 

René Freund – Liebe unter Fischen

Alfred Firneis versinkt. In seiner Wohnung herrscht Chaos und ans Schreiben ist nicht zu denken. Seine Verlegerin braucht aber schnell einen Erfolg und nimmt sich des Burnouts ihres Geldesels an: sie schickt ihn auf eine Hütte in die Einsamkeit. Und tatsächlich: Alfred blüht plötzlich inmitten der Natur auf und findet wieder zu sich selbst. Fernab der Zivilisation taucht plötzlich Mara auf, die eine Doktorarbeit über Fische schreibt und mit den zarten Gefühlen für diese Frau kommt auch die lyrische Ader wieder zum Vorschein. Doch Mara ist nicht, wofür Alfred sie gehalten hat.

Ein humorvoller Roman über einen Menschen in Erschöpfung. Die Figuren liebevoll gezeichnet, ein vager Blick nur in ihre Gefühle und das Näherkommen. Kleine Fische als Spiegelung des menschlichen Verhaltens und die Abgeschiedenheit der Alpen, die einen neuen Blick auf das Sein gewährt. Eine überzeugende Mischung aus Amüsement und Ernsthaftigkeit, Erfolgsdruck und Selbstfindung. 

Don Winslow – Vergeltung

Dave Collins verabschiedet sich am Flughafen von seiner Familie, schon in wenigen Tagen wird er sie wiedersehen und gemeinsam Weihnachten feiern. Doch dazu kommt es nicht, denn der Flieger mit seiner Frau und seinem Sohn explodiert. Die Regierung möchte den Anschlag vertuschen und stellt es als Unfall dar, doch so leicht lässt sich der ehemalige Elitesoldat nicht abwimmeln. Er wird seine Familie rächen und sich den Auftraggeber Aziz selbst vornehmen. Dank alter Kontakte kann er ein Team von Elitekämpfern aus unterschiedlichen Ländern und mit der notwendigen Durchschlagskraft zusammenstellen. Er begibt sich in den Kampf und hat es bald nicht nur mit einem fanatischen Islamisten zu tun, sondern auch mit seiner eigenen Regierung, die ihn jagt, und Verrätern in den eigenen Reihen.

Ein Buch wie ein Film – zumindest scheint es die Vorlage für einen action- und explosionsreichen Hollywood-Blockbuster zu sein. Der Plot ist glaubwürdig, der Rachefeldzug sinnvoll motiviert und mit dem Hintergrund der Protagonisten auch nicht ganz aus der Luft gegriffen. Es nervig sind Massen von technischen Daten, die den in diesem Bereich nicht versierten Leser langweilen und nichts sagen. Die Handlung ist in weiten Teilen vorhersehbar, aber das ist bei einem derartigen Thriller nicht ungewöhnlich, dass der Held am Ende siegt und Niederlagen davor, nur keine Hindernisse auf dem Weg zum Sieg darstellen, ist erwartungsgemäß. Auch die schwarz-weiß Malerei in Gut und Böse von einem amerikanischen Autor jetzt nicht überraschend. Winslows Schreibstil jedoch wieder einmal überzeugend und mitreißen. 

Angelika Hager – Schneewittchen-Fieber

Angelika Hager schreibt auf Seite 49 des Buches: „Ich wollte dieses Buch schreiben, weil ich wütend bin.“ – Das merkt man.
Die Autorin holt aus zum Rundumschlag gegen Frauen, die sich in ein vorrevolutionäres Pseudo-Familienidyll flüchten und dabei vergessen, dass sie eigentlich über Intelligenz und ausreichend Bildung verfügen, sich nicht in die totale Abhängigkeit zu begeben. Frauen, die sich selbst reduzieren auf ihr Äußeres und in der Prinzessinnenrolle voll aufgehen. Frauen, die sich selbst zum Opfer machen und damit all jenen schaden, die wirklich Opfer von Diskriminierung und Gewalt werden. Und auch Männer, die Alterskomplexe ausleben oder vor Weinerlichkeit unerträglich sind.

Natürlich überspannt sie den Bogen und überzeichnet so manche Situation. Auch die Ausdrucksweise ist bisweilen drastisch, aber die Aussagen dahinter sind ernst. Eine Aufforderung an die Frauen von heute, sich nicht in Rollen oder vermeintliche Zwangsentscheidungen zwängen zu lassen – Mutter des Jahres oder Karriere-Furie – und die Unabhängigkeit und Freiheit, die in den Jahrzehnten zuvor gewonnen wurde, auch zu nutzen. Ein zwar unterhaltsamer aber ernst gemeinter Blick auf den Zustand der Frau 2014 – der sich auch für Männer empfiehlt. 

Paul Bokowski – Hauptsache nichts mit Menschen

Paul Bokowski schreibt über sein Leben in Berlin. Sein Verhältnis zu den Eltern. die alltäglichen Unwegsamkeiten eines Endzwanzigers. Mal lustig, mal fast erschreckend, oft satirisch und auch selbstironisch. Kurze Geschichten, Tagebucheinträge, Dialoge – variationsreich und unterhaltsam. Die Mutter, die sich plötzlich mit dem Internet auskennt und droht sein Privatleben zu entdecken, der tote Nachbar, der wenigstens kein Lärm mehr versursacht, die Weihnachtsparty bei IKEA zu der er sich schleicht, ein Überfall im Hausflur und immer wieder auch kommt der Hypochonder durch. Genau beobachtet er seine Mitmenschen und sich selbst und mit treffendem Sprachwitz verarbeitet er das Leben um ihn rum in seinen Episoden, die von wenigen Zeilen bis mehreren Seiten reichen.
Kurzgeschichten aus der Hauptstadt zum Amüsieren für Zwischendurch.

J.F. Penn – Desecration

Ein grausamer Mord in einem Londoner Museum. Die junge Jenna, Tochter aus besserem Haus, die sich von den Eltern abgewandt hat, liegt nicht nur ermordet, sondern regelrecht zugerichtet aufgebahrt zwischen den Exponaten. Ermittlerin Jamie Brooke wird der Fall übertragen. Blake Daniel unterstützt sie mit seiner übernatürlichen Fähigkeit, sich in Dinge hinein zu fühlen und zu sehen, was mit diesen geschah. Bei der Arbeit die starke, abgehärtete Frau durchleidet Jamie jedoch den privaten Super-Gau: Polly, ihre einzige Tochter, die seit Jahren an einer unheilbaren Krankheit leidet, liegt im Sterben. Als ihre Leiche verschwindet verbinden sich plötzlich der grausame Mordfall und ihr Privatleben.
Die Protagonistin wird glaubwürdig und facettenreich geschildert. Vor allem ihr Kampf um das Leben der Tochter und wie sie damit umgeht – insbesondere in Verbindung mit ihrem Beruf und dem, was sie täglich erleben muss – ist intensiv gezeichnet. Eine außergewöhnliche Figur, die den Roman trägt. Die Motivlage und der Hintergrund der Tat erscheinen mir technisch etwas gewagt, aber grundsätzlich glaubwürdig.
Nicht gelungen ist jedoch der obligatorische Alleingang, der nur als grenzenlos doof bezeichnet werden kann und bei dem ich mich in jedem Krimi frage, ob Ermittler in der Realität wirklich so kopflos sich und andere gefährdend handeln würden. Auch die ebenso schablonenhafte Rettung in letzter Minute – vorhersehbar, da diese Art Krimi immer gut endet – kam etwas abrupt und unmotiviert.

Über weite Strecken spannend und unterhaltsam, jedoch mit großen Schwächen gegen Ende.