Georges Simenon – Madame Maigrets Liebhaber

Georges Simenon – Madame Maigrets Liebhaber

Madame Maigret betrügt ihren Gatten? Unvorstellbar! Und auch nicht wahr, wie schon im ersten Kapitel schnell aufgelöst wird. Der Kommissar neckt seine Gattin lediglich damit, denn seit Tagen beobachtet sie vom Fenster ihrer Wohnung aus einen Mann, der täglich morgens über die Place des Vosges spaziert und nachmittags stundenlang regungslos auf einer Bank sitzt. Auch Maigret kann einen Blick auf ihn werfen, etwas kommt ihm jedoch seltsam vor und tatsächlich: der Mann ist nicht mehr nur regungslos, sondern mausetot. Am helllichten Tag inmitten von spielenden Kindern und Dienstmädchen erschossen. Ein Mord direkt vor seiner Haustür und dieses Mal ist die wichtigste Zeugin genau jene Frau, die er am besten kennt: seine Gattin. Diese nutzt die seltene Gelegenheit und wird zur Assistenzkommissarin im Viertel.

Der vielversprechende Titel sowie das Cover – zwei nicht erkennbare Personen, die sich in einem Metrogang innig küssen – scheinen so gar nicht zu den biederen Kommissar Maigret Geschichten zu passen. Einen schönen Spaß hat sich der Autor mit dem irreführenden Titel da für seine Novelle erlaubt, die ansonsten im typischen Stil des französischen Polizisten gehalten ist. Eine Podcastfolge von „Shedunnit“ hat in mir die Lust auf einen klassischen Krimi geweckt. In Folge 45„The Detection Club“ berichtet Caroline Crampton von einer Vereinigung Krimiautoren, die sich Ende der 20er Jahre regelmäßig zu exklusiven Dinner Meetings trafen und die klare Regeln für das Genre aufstellten. Unter den Gründungsmitgliedern waren so prominente Namen wie Agatha Christie, G.K. Chesterton und Dorothy L. Sayers. Auch wenn Simenon kein Mitglied war, erfüllt sein Werk doch ziemlich perfekt Ronald Knox‘ 10 Anforderungen an einen fairen Kriminalroman.

»Nein, nein und noch mal nein!«, rief er, sich halb im Bett aufrichtend. »Fang gar nicht erst an, mir gute Ratschläge zu erteilen, nur weil du beinahe die richtige Fährte aufgenommen hast. Jetzt ist es an der Zeit, zu schlafen …«

Maigret erlebt eine ungewöhnliche Herausforderung, nicht nur geschieht ein Mord direkt vor seiner Nase und Wohnung, nein, seine Gattin ermittelt mindestens genauso geschickt wie er, was er natürlich nicht zugeben kann. So höflich und liebeswürdig er sie behandelt, das würde nun wahrlich zu weit gehen. Zu dem Fall lässt sich nur wenig sagen ohne zu viel zu verraten: ein Mord, klassische Befragung, Lesen von Spuren und zielgerichtete Lösung des Falles. Herausragend dieses Mal die Rolle von Madame, die sogar einen Tick flotter ist als ihr Mann.

Ein schnelles Vergnügen, das keine Wünsche offenlässt.

Anna Bruno – Ordinary Hazards

Anna Bruno – Ordinary Hazards

THE FINAL FINAL has been Emma’s and Lucas’ preferred bar for years. But on her 35th birthday, Emma isn’t anymore the woman she used to be. She is drinking alone, acknowledging the other regulars and thinking about what has gone wrong in her life during the last couple of years. Her professional choice which deeply annoyed her success-oriented father, her marriage with Lucas which was never easy but also not too bad, the happiness when their son Lionel was born. And now she is sitting in a bar drinking and ignoring the texts from her friend Grace who seemingly has arranged something for her birthday. The more the evening advances the more the tension in the bar rises and unexpectedly, she learns things which lead to a dramatic end.

What I liked most about Anna Bruno’s novel were first, the atmosphere of the bar and second, the development of the protagonist. On the one hand, we have a place where you typically do not find an average single woman drinking alone. At first, everybody is friendly, they have known each other for years but keep a natural distance, they are only bar acquaintances it seems with no further connection and know not to trespass the personal sphere of each other. Over the course of time, you learn more about the other guests and slowly the heat is rising. This comes quite as a surprise which only underlines how perfectly this has been developed.

The whole plot centres around Emma and her pondering. It does not take too long to understand that something important must have happened that lead to the separation and deeply impacted her psychological state. It is just those things that happen in life, evidently ordinary hazards.

I loved the structure of the novel, having two timelines interwoven which each other which culminate in a distressing climax. Vividly narrated at a moderate pace, I really enjoyed delving into it.

Helena Adler – Die Infantin trägt den Scheitel links

Helena Adler – Die Infantin trägt den Scheitel links

Sie ist das jüngste Kind auf dem Bauernhof, was jedoch nicht bedeutet, dass sie alles hinnimmt, was die Zwillingsschwestern und Eltern von ihr erwarten. Sie hat ihren eigenen Kopf und widersetzt sich schon als Kleinkind. Im Dorf hat sie schnell ihren Ruf weg und auch die Großmutter warnte eindringlich davor, sie aus dem Auge zu lassen. Brutal und bösartig ist das Leben am Rande eines Berges, wo statt Idyll viel mehr mit Bigotterie und Aufrechterhaltung des schönen Scheins versucht wird, die Wahrheit zu verschleiern.

So absurd der Titel und kurios das Cover, so grotesk ist auch die Geschichte des Heranwachsens, die Helena Adler erzählt. Es ist die Umkehrung des seit Jahren anhaltenden Trends zum Idyllisieren des Landlebens, wie es in Zeitschriften wie „Landlust“ und unzähligen DIY und Koch- bzw. Gemüse-Anbau-Sendungen angepriesen wird. Es ist die realisierte Hölle auf Erden mit einem starken Mädchen als Hausherrin.

Der Roman, der auf der Longlist des diesjährigen Deutschen Buchpreises steht, versetzt einem im steten Wechsel mal in puren Zorn, um sogleich wieder in abstruse Komik überzugehen. Bei der jungen Erzählerin steht zunächst noch das ewig dauernde Kampf mit den Schwestern im Vordergrund:

„Ein anderes Mal erzählen sie mir davon, dass ich als Baby wochenlang von der Muttersau gestillt wurde, weil man ohne Muttermilch nicht überlebt und die Mutter auf Kur war, um sich von meiner Höllengeburt zu erholen.“

Familie ist alles, egal wie sehr man einander verabscheut. Und zu den entsprechenden Gelegenheiten wird getan, was getan werden muss. Glücklich scheint niemand zu sein, das wurde aber auch nie versprochen. Mit herrlich pointierter Sprache setzt die Autorin dies in Szene:

„Als ich den Leichnam der Urgroßmutter noch einmal sehe, ist sie schon aufgebahrt und der gesamte genetische Rattenschwanz hat sich um ihr Totenbett versammelt.“

Mit zunehmendem Alter löst sie sich mehr und mehr von der Familie, nur um in ein fragwürdiges Milieu, in dem Diebstähle und Drogenkonsum angesagt sind, überzusiedeln. Sie versucht zu ergründen, weshalb ihre Familie so werden konnte, wie sie nun einmal ist, stößt aber auch da an die Grenzen dessen, was der gute Ton erlaubt:

„Die Tante hat mir unlängst anvertraut, die Mutter habe ihrem Vater vom Missbrauch durch einen Verwandten erzählt, da war sie noch jünger als ich. »Der Klassiker«, sage ich und frage: »Wer?« Doch die Tante will es nicht verraten. Nur so viel: Die Mutter bekam eine Tracht für dieses Geständnis, eine Tracht Prügel für ihre Milchmädchenrechnung, für ihre Fehleinschätzung von dem, was wirklich war.“

Es ist weniger die Handlung als mehr die Art des Erzählens, die diesen Roman aus der Masse der jährlichen Veröffentlichungen hervorhebt. Zwischen Skurrilität und bitterböser Abrechnung schafft sie einen Gegenentwurf zu dem harmlos beschönigenden Heimatroman, der selbst im Krimigenre kaum etwas von seiner kitschigen heilen Welt einbüßt. Ein köstlicher Spaß nicht nur für all jene, die der Dorfwelt den Rücken gekehrt und sich in die Anonymität der Großstadt geflüchtet haben.  

Anders Roslund – Geburtstagskind

Anders Roslund – Geburtstagskind

Siebzehn Jahre ist es her, dass ein unglaublicher Mord an einer Familie Kommissar Ewert Grens beschäftigte. Alle außer der kleinen Zana wurden hingerichtet und diese saß drei Tage neben den Leichen und der Torte zu ihrem 5. Geburtstag. Jetzt kommt es in Stockholm wieder zu Morden nach demselben Muster, sind die Täter etwa zurückgekehrt? Grens muss Zana schützen, die inzwischen unter einer neuen Identität lebt. Auch der Undercover Agent Piet Hoffmann ist besorgt, nach Jahren der Ruhe muss er mit seiner Familie wieder untertauchen, wenn er überleben will. Die beiden Männer kämpfen gegen einen unbekannten Feind, der sowohl das Milieu wie auch die Polizei unterwandert zu haben scheint.

Anders Roslund ist zusammen mit Börge Hellström und ihrer Serie um Grens und Hoffmann („3 Sekunden“, „3 Minuten“ und „3 Stunden“) bekannt und inzwischen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Sein erster Solo-Titel setzt die Reihe fort und überzeugt durch eine rasante Handlung und eine komplexe Geschichte, die den Leser lange rätseln lässt, wer hinter den Kulissen die Fäden zieht.

Die beiden Handlungsstränge um die Kriminalpolizei einerseits und den mehr oder weniger einsamen V-Man, der seine Familie beschützen will, verlaufen parallel. Dass sie zusammenhängen, wird schnell klar, die Frage bleibt jedoch: wie? Es entfaltet sich eine spannende Geschichte, die von zwei ungewöhnlichen Figuren dominiert werden, die einerseits typische Alleingänger sind und nur schwer Vertrauen fassen, andererseits aber auch wissen, dass sich manche Probleme eben nicht im Alleingang lösen lassen.

Ein routiniert erzählter Krimi mit viel Spannung und interessanten Verstrickungen, der aber vor allem durch die psychologischen Komponenten überzeugt.

Volker Jarck – Sieben Richtige

Volker Jarck – Sieben Richtige

Das ganz normale Leben zwischen Bochum und Köln, wie es eben so spielt mit seinen Zufällen. Die Ehe von Marie und Victor ist am Ende, ihr Sohn Nick lebt inzwischen in den USA und nach der Krebs-Diagnose zieht es Marie weg aus dem Ruhrgebiet zu ihrer Schwester an den Rhein. Ihre Nachbarn durchleben derweil im Sommer 2018 den größten Alptraum aller Eltern: ihre Tochter Greta wird durch einen übermütigen Raser lebensgefährlich verletzt. Im Krankenhaus arbeitet die Pflegerin Lucia, die ebenfalls eine schreckliche Nachricht erhält: ihr Vater starb durch einen Wespenstich an einer Autobahnraststätte; er war gerade dabei die Möbel der Autorin Eva Winter zu deren neuer Wohnung in Köln zu transportieren. Diese hat sie kurzfristig bekommen, da die Vormieterin Linda mit ihrem neuen Freund Tim zusammengezogen ist, beide waren einst Schüler von Victor, der seinerseits während seine Studiums von einer gemeinsamen Zukunft mit Eva träumte. Der Kreis schließt sich und die Uhr dreht sich unermüdlich weiter.

„Sieben Richtige“ – quasi der Sechser im Lotto plus Zusatzzahl, ein statistisch unwahrscheinliches Zusammentreffen der richtigen Zahlen im richtigen Moment, das aber dennoch regelmäßig vorkommt. Genauso verhält es sich mit den Begegnungen der Figuren in Volker Jarcks Roman. Nach vielen Jahren als Lektor hat er sich auf die andere Seite des Schreibens gewagt und das mit überzeugendem Ergebnis. Die Geschichten der einzelnen Figuren greifen immer wieder ineinander, sind verwoben und stoßen sich gegenseitig an und werden so zu einem stimmigen Ganzen.

Völlig lose voneinander erscheinen die Erzählungen zunächst, erst im Laufe der Handlung werden die vielfältigen Beziehungen deutlich, die es nicht nur 2018 gibt, sondern auch schon Jahrzehnte zuvor und ebenso viele danach geben wird. Sie sind Geliebte, Partner, Lehrer, Schüler, Nachbarn, Freunde, Ex-Partner, Kinder – in unterschiedlichen Konstellationen treffen wir sie an, mal heiter, mal traurig, beschwingt vom Moment des Glücks, am Verzweifeln ob der sich abspielenden Tragödie. Immer neue Verbindungen werden geschaffen und so einsteht eine kleine Welt in der großen, in der Gegenwart wie in Vergangenheit und Zukunft.

Für jede einzelne Figur sind es große Ereignisse, tatsächlich aber gibt es im Roman nicht die eine weltverändernde Begebenheit; die Geschichte lebt von der Normalität, in die sich jedoch der unglaubliche Zufall einschleicht, so wie er das tagtäglich überall tut. Vor allem das Ineinanderspielen der einzelnen Episoden fasziniert, macht das sichtbar, was Stanley Milgram einst als „Kleine-Welt-Phänomen“ bezeichnete: dass zwei unbekannte Menschen über 6-7 Personen miteinander verbunden sind.

Sprachlich routiniert erzählt mit kleinen, aber feinen Ausreißern nach oben (die Wespe!), ein Roman zum Aufschlagen und einfach nur genießen.

Frances Cha – If I Had Your Face

Frances Cha – If I had Your Face

Fünf junge Frauen wohnen in einem Apartmentblock im Seouler Stadtteil Gangnam. Kyuri verdient ihr Geld als Begleitdame in einem angesehenen Salon, der zu den Top 10 gehört, d.h. nur die schönsten Mädchen der Stadt beschäftigt, die reichen Businessmännern Gesellschaft leisten und dafür mit Alkohol abgefüllt werden. Miho, mit der sie das Zimmer teilt, ist eine talentierte Kunststudentin, die sich schon immer fehl am Platz fühlte. Nachdem sie dem Waisenhaus entwachsen war, hatte sie das Glück in New York studieren zu können, wo sie auf die Kinder der koreanischen Oberschicht traf, mit denen sie kaum etwas gemein hatte. Ara ist eine herausragende Hairstylistin, nach einem schrecklichen Erlebnis jedoch ist sie verstummt und flüchtet sich in eine K-Pop Traumwelt. Ihre beste Freundin Sujin träumt davon nach zahlreichen Schönheitsoperationen endlich einen vermeintlich glamourösen Job wie jenen von Kyuri zu bekommen. Unter ihnen wohnt Wonna, sie ist bereits verheiratet und wartet sehnsüchtig darauf, endlich schwanger zu werden – ein Traum, den kaum eine junge Koreanerin noch träumt.

Frances Cha erlaubt in ihrem Debut einen Blick in eine völlig fremde Welt, deren Werte und Ideale nicht nur sehr weit von unserem Alltag entfernt sind, sondern die selbst auch zerrissen sind zwischen Tradition und Moderne. Es entsteht der Eindruck einer Kultur des Scheins, die ausbeuterisch und extrem ist und genau zu dem führt, was man vermuten würde: keine der Frauen ist glücklich, sie alle leiden auf die eine oder andere Weise.

Die Kapitel wechseln immer wieder zwischen den Blickwinkeln der einzelnen Figuren, auch untereinander finden nur begrenzt offene Gespräche statt; auch wenn sie befreundet sind, lässt Kyuri keinen offenen Blick in ihren Job und ihr Seelenleben zu. Sie möchte Sujin davon abhalten ihr nachzueifern, kann dies aber nicht wirklich kommunizieren. Sie sitzen auf engstem Raum und sind doch alle einsam, sie teilen ihr Leid nicht, sondern machen dies mit sich selbst aus und verstecken sich hinter einer Maske, die durch die OPs auch immer ähnlicher und austauschbarer werden.

Vieles an dem Buch ist verstörend, nicht nur der Umgang mit dem Körper und die Schönheitsideale, sondern auch die Art wie die Männer in den Salons die Mädchen behandeln und auch was sie auf der Arbeit erleben. Die Elterngeneration – wenn es sie überhaupt gibt – taucht nur als Schreckgespenst auf, das die Töchter unter möglichst gesellschaftlich und finanziell günstigen Gesichtspunkten verheiraten will. Das Konstrukt Ehe wird insgesamt eher als Geschäftsangelegenheit behandelt denn als Entscheidung zwischen zwei Menschen. Individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung scheint es nicht zu geben und auch nicht vermisst zu werden, Referenzpunkt sind die K-Pop Stars und ihr Leben, das ebenso unwirklich ist wie das eigene Dasein.

Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit die Darstellung realistisch ist, zu weit ist Korea entfernt, zu wenig hört man über das Land jenseits von politischen Spannungen. Selbst wenn vieles überzeichnet wäre, würde es immer noch ein erschreckendes Bild der Gesellschaft liefern. Ein lesenswerter Blick hinter die Fassade einer fremden Welt.

Sabine Kunz – Die Saubermacherin

Sabine Kunz – Die Saubermacherin

Millie ist Expertin im Reinigen, egal ob Küche, Wäsche oder Bad, bei ihr wird alles blitzblank. Dabei ist die serbische Frau mit den buschigen Augenbrauen auch noch diskret und kaum zu hören bei der Arbeit. Das ist auch gut so, es soll ja niemand mitbekommen, wie sie ihre Arbeitgeber ausspioniert. Das tut sie allerdings nicht aus reiner Neugier, sondern für ihre Agentur, die den Putzservice nur als Vorwand nutzt. Tatsächlich sind die Damen ausgebildete Agentinnen, die international auf höchstem Niveau agieren. Der aktuelle Fall gilt den Lobbyisten eines manipulierten Saatguts, das per EU Verordnung den Weg nach Europa finden soll. Mitten in ihrem Auftrag lernt Millie Max kennen, zu dem sie sich unmittelbar hingezogen fühlt, aber kann sie ihm trauen? Und ein weiterer Mann taucht auf der Bildfläche auf, doch bei den Gefühlen zu ihm muss Millie nicht lange analysieren: ihr Leben lang schon hasst sie den Schlächter, dem sie einst nur knapp entkommen konnte.

Es passiert mir eher selten, dass ein Buch meine Aufmerksamkeit durch das Cover erregen kann, in diesem Fall war es aber so, denn das abgebildete klassische Waschbecken erinnerte mich an ein ähnliches, das im Hausflur meines Wiener Apartments hing und daher sofort Sympathien weckte. „Putzfrauen-Krimi“ klang dazu amüsant und in der Tat konnte der Roman meine Erwartungen erfüllen: ein Kriminalfall der ziemlich ungewöhnlichen Art, der auch eine gehörige Portion Humor bietet und die perfekte Balance zwischen Spannung und leichter Unterhaltung schafft.

Die Protagonistin wird zunächst unter ihrer Under-Cover-Identität vorgestellt: als etwas einfältige Putzfrau mit begrenzten Sprachkenntnissen und demütiger Haltung. Dass sie eine wahre „Jane Bond“ ist, zeigt sich jedoch schnell, nicht nur ist sie in Computerspionage perfekt ausgebildet, sie kann auch mit entsprechenden Kampftechniken aufwarten und Feind ebenso wie Freund kurzerhand außer Gefecht setzen. Die Geschichte um das manipulierte Saatgut erscheint mir zwar etwas abenteuerlich, aber letztlich war dies nur der Auslöser für das Kräftemessen zwischen der Agentur der Putzfrauen und der Geheimorganisation der TEA-BAGs.

Interessanter jedoch als dieses Kräftemessen fand ich Millies Erinnerungen an ihre Kindheit, die von den Erlebnissen des zerfallenden Jugoslawiens und den Gräueltaten des Krieges geprägt sind. Auch wenn viel Slapstick und Komik immer wieder zum Schmunzeln einladen, sind es diese Episoden, die auch nachdenklich stimmen und durchaus glaubhaft erläutern, wie ein Mensch ziemlich abgestumpft gegenüber Gewalt werden kann und diese als notwendiges Überlebensmittel zu akzeptieren weiß.

Ein Debüt, das nicht an Klischees spart und dem mit dem Genremix durchaus eine bemerkenswerte Geschichte gelingt.

Anthony Horowitz – Moonflower Murders

Anthony Horowitz – Moonflower Murders

Former editor Susan Ryeland is running a hotel on Crete with her partner when one day she is contacted by the Trehearnes who themselves also run a hotel in England. On their premises, a dreadful murder had taken place years ago which was used by writer Alan Conway as the basis for a successful novel. Since Susan edited Conway’s novels before he died, she might help them because their daughter Cecily has vanished. Immediately before her disappearance, she had read Conway’s novel and obviously was come across some important information related to the crime. As his editor, Susan must know the novel very well so she might be the one to help solve the case. Since she is rather short of money, she consents to come to Suffolk to investigate the circumstances.

After the “Magpie Murders”, “Moonflower Murders” is the second instalment in the Susan Ryeland series featuring the literary detective Atticus Pünd invented by the deceased novelist Alan Conway. Just like in the first novel, we have a novel within a novel which helps to solve a mystery and links two lines of narration. As a reader, you really have to pay attention not to mix up everything since you have a bunch of fictional characters who are represented in the second narration.

Over the last couple of years, Anthony Horowitz has become one of my favourite authors who never disappoints me. He most certainly is a master of complex plots which pay homage to the great crime writers and the Golden Age of crime fiction by respecting Ronald Knox’ “Ten Commandments” of mysteries.

Just as expected, masterly crafted and even though I liked “Magpie Murders” a bit more, an enjoyable read I can only recommend.

Sorj Chalandon – Wilde Freude

Sorj Chalandon – Wilde Freude

Als die Buchhändlerin Jeanne die Diagnose Krebs erhält, fällt sie in ein tiefes Loch. Schon wieder ein Schicksalsschlag, erst verliert sie ihren Sohn, jetzt ist sie selbst betroffen. Ihr Mann Matt kann mit der Situation kaum umgehen und zieht sich schnell zurück. Nur bei den anderen Frauen, die wie sie tapfer die Therapie ertragen, findet sie Trost und bald auch Freundinnen. Die tapfere Brigitte, die nichts im Leben umwerfen zu können scheint; die emotionale Assia, die Jeanne lange misstraut und Mélody, die ihrer entführten Tochter nachtrauert. Jede hat Schicksalsschläge hinter sich, doch das eint sie und lässt sie in der Not zusammenstehen und eine richtige Dummheit begehen.

Sorj Chalandon ist seit vielen Jahrzehnten ein bekannter französischer Reporter, aus seinen Berichten heraus sind auch Romane entstanden, so habe ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit ihm als Autor gemacht. Sein neustes Werk „Wilde Freude“ ist allerdings gänzlich anders als das, was ich bisher von ihm kannte. Komplizierte Lebenssituationen sind sein Markenzeichen, dieses Mal bewegt er sich aber in höchstprivaten Sphären und macht gleich vier Frauen zu ungewöhnlichen Heldinnen.

Das erste Kapitel des Romans wirft viele Fragen auf, die Handlung muss erst einige Monate zurückspringen, um zu verstehen, was sich zutragen wird. Zunächst steht Jeanne im Zentrum der Handlung. Eine niederschmetternde Diagnose nachdem sie noch immer die Trauer um den Sohn nicht ganz verwunden hat. Mehr noch als ihr emotionaler Zustand den Leser berührt, macht das Verhalten ihres Mannes wütend.

„Ganz schön widerlich“, murmelte er.

Mehr fällt ihm zum Haarausfall seiner Frau nicht ein. Statt Stütze zu sein, verschlimmert er die Situation und er erweckt den Anschein, als wenn er ihr die Schuld für den Krebs zuschreiben würde. Die Männer ihrer Leidensgenossinnen sind derweil noch schlimmere Betrüger, was die Frauen rasch zusammenführt. Zu wissen, dass es Frauen in einer ähnlichen oder gar noch ärgeren Situation gibt, spendet ein gewisses Maß an Trost. Besonders beeindruckend fand ich, wie sie mit den kleinen, aber doch bedeutenden Fragen wie den ausfallenden Haaren umgehen und Jeanne dabei begleiten, sich mit der neuen, nicht mehr vorhandenen Frisur, anzufreunden. Sie leisten genau das, was gute Freundinnen in diesem Moment tun müssen. Obwohl sie sich kaum kennen.

Das gegenseitige Geben und für einander einstehen geht noch einen Schritt weiter, als sie beschließen, das Lösegeld für Mélodys Tochter durch einen Überfall auf einen Juwelier zu beschaffen. Clever planen sie den Coup und geradezu abgebrüht können sie ihren Plan umsetzen. Mir erscheint diese Episode zwar etwas abenteuerlich, aber in der Grundaussage – was haben sie denn noch zu verlieren? – fügt sie sich ins Bild.

Man kann den Roman schwer zusammenfassen, zu facettenreich und vielseitig ist das, was er auslöst. Die Krebs-Erkrankungen und die Schicksalsschläge stimmen eher traurig-melancholisch, die Männer machen wütend, bei dem Überfall schwanke ich zwischen Kopf schütteln und auch einer Portion Bewunderung für die waghalsige Courage. Ein durch und durch gelungener Roman, der letztlich zeigt, dass am Ende der Verzweiflung immer noch Mut kommt, um alles in die Hand zu nehmen und das Leben neu anzupacken.

Hilmar Klute – Oberkampf

Hilmar Klute – Oberkampf

Jonas Becker hat seine Zelte in Berlin abgebaut und nichts zurückgelassen. Es zieht ihn nach Paris, wo er eine Biografie über den Autor Richard Stein schreiben möchte, der dort schon lange lebt. In der Rue Oberkampf bewohnt er ein kleines Appartement und schon an seinem ersten Tag erlebt er die Metropole in einem Ausnahmezustand, aus dem sie nicht mehr herauskommen wird: die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hebdo schreiben sich tief in das Gedächtnis der Stadt. Die Tage verbringt Jonas mit Interviews Steins, nachts erobert er mit seiner neuen Freundin Christine die Bistros und Bars. Zwei Unterbrechungen erlebt sein neuer Rhythmus, zum einen erhält er unerwartet Besuch von Fabian, seinem früheren Freund und Kollegen, der sich ein monatelang gehütete Geheimnis von der Seele reden muss, zum anderen reist er mit Stein in die USA, um dort dessen Sohn zu suchen. Wieder zurück in Frankreich schließt Jonas die Biografie ab, ein Abschnitt geht zu Ende. Aber dies ist nicht der womöglich fatale Endpunkt seines Paris Aufenthaltes.

Es gibt Bücher, bei denen man schon nach wenigen Seiten merkt, dass das einer der Romane ist, in die man unmittelbar versinkt und gefühlt Teil der Geschichte wird. Hilmar Klute war mir bislang nicht als Autor bekannt, aber unabhängig von der Thematik hat mich sein Schreibstil restlos überzeugen können. Mit versierten, starken Bildern erweckt er nicht die Figuren zum Leben, sondern auch Paris und die Schockstarre, in der sich die Metropole nach den Anschlägen befand, wird immer wieder greifbar.

„Jonas lief dicht an den Hauswänden entlang, so als müsste er sich nah an die Stadt schmiegen, der nun jemand ins Herz geschossen hatte.“

Die Geschichte um den Autor, der interviewt wird, liefert den Anlass für den Umzug und die Handlung, für mich jedoch tritt dies tatsächlich zunehmend zurück. Es sind andere Aspekte, die mich bei der Lektüre gepackt hatten. Den Rahmen setzen die Anschläge, man ahnt schnell, dass Charlie Hebdo der Anfangspunkt war und es ist bekannt, was nur den Endpunkt setzen kann. Zwischen diesen verstörenden Ereignissen liegt eine Sinnsuche, die sich auch im Protagonisten wiederfindet, der vermeintlich alles hinter sich gelassen hat, aber kann man sich wirklich von der eigenen Vergangenheit lösen? Schmerzlich wird Jonas bewusst, dass dem nicht so ist. Das Vakuum, in dem er sich befindet, ist auch nicht sein Leben, er sucht nach selbigen und bis er es gefunden hat, füllt er es mit jenem von Stein, der ihm vorhält, zu ängstlich zu sein, um wirklich zu leben.

Daneben dreht sich der Roman immer wieder um Literatur und Sprache. Der Spruch an einer Hauswand – „Il faut se méfier des mots“ – wird zu einem Leitspruch, der ihn verfolgt. Welche Worte, welche Zeichen benutzt er? Welche hatten die Karikaturisten von Charlie Hebdo verwendet, die so sehr den Hass ihrer Mörder provozierten und mit welchen wird die Trauer um sie öffentlich bekundet? Wie konnten ihn Bücher als Jugendlicher so faszinieren, dass er tagelang gedanklich aus der realen Welt ausbrach und weshalb kann er das als Erwachsener nicht mehr so intensiv erleben? Woraus sich wiederum die Frage ergibt, weshalb er scheinbar permanent auf der Suche nach einem Ausweg, einer Flucht aus dem eigenen, selbst gestaltet oder eher: selbst verschuldeten Leben ist. Er gehört zu einer Generation, der alles möglich, aber nichts perfekt genug ist. Nie festlegen, immer noch ein Türchen offenhalten, weil es noch etwas Besseres geben könnte. Die Jagd nach dem Ultimativen ist letztlich der einzige Sinn des Daseins, der wenig Freude und Befriedigung gibt.

Die Straße im 11. Arrondissement wirkt als Titelgeber, die zugehörige Metro-Station gestaltet das Cover des Buchs. In engem Radius um diese spielt sich die Handlung ab, die auch thematisch kaum ausbricht. Es ist jedoch kein Treten auf der Stelle, sondern eher ein Innehalten, wie dies nach extremen Ereignissen eintritt. Ein in seinen Bildern und der Gesamtkonstruktion stimmiger Roman, der durch eine pointierte Sprache besticht und mit einem interessanten Protagonisten überzeugt.