P.B. Vauvillé – Ein kunstvoller Mord

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P.B. Vauvillé – Ein kunstvoller Mord

Die Pariser Kunstszene ist in heller Aufregung als eine der berüchtigtsten Performance Künstlerinnen heimtückisch vergiftet wird. Nicht nur der Mord an sich, sondern die Tötung während einer geheimen Inszenierung ist rätselhaft. Rosa Kontrapunkt war live dabei und die ältere Artistin ist sichtlich mitgenommen, jedoch hält das sie und ihren Sohn Quentin Belbasse nicht davon ab, selbst Ermittlungen zu tätigen. Auch Lieutenant Brossard erkennt, dass es ohne die beiden wohl schwierig werden wird, hinter die Fassaden der Kunst zu blicken und Zugang zu den eigensinnigen Menschen zu bekommen.

Der zweite Band der Reihe um das Privatdetektivgespann aus Mutter und Sohn verspricht eine interessante Kombination aus Krimi und Kunst zu werden. Der Fall hat tatsächlich auch einiges zu bieten, wenn auch die Kunst eher von der sehr speziellen Sorte ist und letztlich ganz andere Aspekte im Vordergrund der Ermittlungen stehen. Insgesamt glaubwürdig und nachvollziehbar konstruiert, aber mir fehlte es doch etwas an Spannung und die Figuren hätten etwas mehr Persönlichkeit haben können, um mit gänzlich zu überzeugen.

Für mich reiht sich der Roman in die Riege der cosy crime Storys ein: nicht die ganz große Spannung, dafür mehr Lokalkolorith. Davon hätte es mir durchaus etwas mehr sein dürfen, man liest es gerne, aber der Funke wollte nicht recht zünden. Die Künstlerszene wird immer wieder angerissen, aber ihr Protest bleibt etwas zu oberflächlich. Auch kann mich die Rolle von Quentin nicht ganz überzeugen, welcher Polizist würde sich von einem Zivilisten einfach so in die Arbeit pfuschen lassen und die Ermittlungsergebnisse teilen? So richtig erschließt sich mir nicht, wie diese Zusammenarbeit zustande kommt. Ganz klar punktet die Geschichte mit den vielen Spuren und Verwicklungen, die der Fall zu bieten hat. Hier hat das Autorenpaar sich eine sehr clevere und komplexe Konstellation ausgedacht, für die sich der Krimi die Sterne verdient.

Zelda Fitzgerald – Himbeeren mit Sahne im Ritz

Rezension, Kurzgeschichten
Die Roaring Twenties in den USA gleichermaßen wie in Frankreich. Zelda Fitzgerald hat das bewegende und bewegte Jahrzehnt in ihren Kurzgeschichten festgehalten. Jedoch gibt es eine Besonderheit: die Autorin schreibt über Frauen. Junge Frauen, denen die Männer nichts zutrauen und die sich über sie erheben, Frauen, die ihren Weg gehen und ihrem eigenen Kopf folgen, statt die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen. Sie gehen tanzen, schauspielern, verwirklichen sich beruflich, träumen von Männern und geben alles für sie auf. Auf den großen Bühnen der Welt ebenso zu Hause wie in der amerikanischen Provinz. Frauen, die bereit sind, alles zu geben, für ein Leben nach ihrem Maß. Elf Mal legen sie Zeugnis ab, was Frauen schon vor 100 Jahren für ein selbstbestimmtes Dasein gewagt haben.
Zelda Fitzgerald – oft nur als Frau des bekannten F. Scott Fitzgerald wahrgenommen – zeigt, dass das Autorenpaar auf Augenhöhe die Kunst des Schreibens beherrschte. So komplex F. Scott seine Charaktere wie den unvergessenen Great Gatsby zeichnete, so vielfältig und unterschiedlich gelingt es auch Zelda in den Kurzgeschichten das Spektrum an selbstbewussten Frauen darzubieten. Sie sind mutig, anpackend, selbstbewusst, unbeirrbar, zielstrebig und zugleich begehrenswert, attraktiv, talentiert und werden bewundert. Flapper Girls, die sich auch in Paris finden ließen, die den Männern in nichts nachstanden und das Leben in vollen Zügen zu genießen wussten.
Die Geschichten sind allesamt ein Spiegelbild der 20er Jahre und lassen den Weg verfolgen, den auch Zelda und ihr Ehemann gingen. Die Handlungsorte sind im Wesentlichen in den USA und Frankreich zu finden, wo das Paar zu Hause war.  Vieles, was wir über die Frauen in den Geschichten lesen, stammt wohl auch aus Zeldas unmittelbarem Umfeld bzw. direkt aus ihrem eigenen Leben. So hat sie, ebenso wie ihr Gatte, ihre eigenen Erfahrungen als Vorlage für das literarische Werk genutzt und kann als Dokument der 1920er Jahre gelesen werden. Sprachlich bisweilen raffiniert formuliert, mal starke Gegensätze aufbietend, mal verdächtiges Understatement, das durch die Handlung mehr als widerlegt wird. Es macht nicht nur Spaß, den Frauen zuzusehen, sondern auch zu lesen, wie Zelda Fitzgerald sie verbal in Szene setzt.

Unbedingt erwähnt werden muss das wunderschöne Cover des Buches. Im Allgemeinen für mich eine unbedeutende Nebensache, hat Manesse es hier aber geschafft, ein hochattraktives Titelbild zu schaffen, das unheimlich gut die Zeit einfängt und Freude beim Betrachten macht. Das Nachwort von Felicitas von Lovenberg sollte ebenfalls nicht vergessen werden, bringt sie die Geschichten nochmals auf einen Nenner und ordnet sie prägnant und informativ in ihren Kontext ein. 
Herzlichen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe RandomHouse.

Anne Berest – Emilienne oder die Suche nach der perfekten Frau

Rezension, Roman
Emilienne arbeitet als Fotografin und kann so mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt finanzieren. Die Teilnahme an einem großen Wettbewerb soll dies ändern, Thema ist die perfekte Frau. Sie selbst ist weit davon entfernt eine solche zu sein: aus unkonventionellem Künstlerelternhaus viel zu früh schwanger geworden, inzwischen geschieden, kein reguläres Einkommen, unsteter Lebenswandel, der ihren jugendlichen Sohn bisweilen erwachsener erscheinen lässt als sie. Ihr erstes Motiv soll ihre Nachbarin sein, Julie, erfolgreiche Karrierefrau und seit Kurzem Mutter. Doch diese offenbart sich gerade an den hohen Ansprüchen, die sie an sich selbst stellt, gnadenlos zu scheitern und nur in einer Psychiatrie Ruhe vor den Erwartungen der Welt finden zu können. Julie führt sie allerdings zu der ihrer Meinung nach perfekten Frau: Marie. Jedoch auch diese kann den gesellschaftlichen Konventionen nicht genügen. So führt Emiliennes Weg von einer Frau zur nächsten – jede auf ihre Weise perfekt, aber den eigenen Ansprüchen nicht genügend.
Anne Berest ist keine Unbekannte im literarischen Frankreich. Einem breiten Publikum ist sie mit „How to be Parisian wherever you are“ bekannt geworden, auch ihre Biographie über Françoise Sagan wurde beachtet. Frauen sind ihr Thema, nun die Suche nach der perfekten Frau – mit einem Augenzwinkern kann man nach den vorangegangenen Büchern zur Kenntnis nehmen, dass diese in Frankreich bzw. Paris gesucht wird. Auch wenn dem Buch durchaus dank der Protagonistin eine Menge Humor und Situationskomik innewohnt, hat Anne Berest einmal wieder dem Leser eine gesellschaftlich relevante Frage untergeschoben, die scheinbar nebenbei daherkommt: die Erwartungen an die Frau von heute.
Alle weiblichen Figuren im Roman negieren für sich das Adjektiv „perfekt“ aus unterschiedlichen Gründen: Julie wird ihrer Rolle als perfekte Mutter nicht gerecht (sie scheiterte schon an der natürlichen Geburt); Marie ist nicht die treusorgende Gattin, die nur Augen für ihren Mann hat, selbst als dieser tot ist; Jenanes wunderschönes Gesicht wird ihr zum Verhängnis und ihr Körper missbraucht – auch Attraktivität kann Hass auslösen; Zahia wird verurteilt für das, was andere mit ihr getan haben, nicht der Freier, sondern die Prostituierte wird verachtet. Alle Frauen haben für sich ein Bild von Perfektion entwickelt, dem sie nicht standhalten können. Keine der Erwartungen ist absurd überhöht, sondern einfach nur das, was in Zeitschriften, Fernsehen und sozialen Medien propagiert wird: Die junge, attraktive Frau, die neben der perfekten Optik auch die Intelligenz und den Biss mitbringt, beruflich erfolgreich zu sein. Daneben schmeißt sie locker den Haushalt und erzieht auch noch die Wunderkinder.
Die Frage, weshalb sich Frauen diesem Druck unterwerfen, einem unerreichbaren Ideal hinterher zu eilen, wird nebenbei thematisiert; eine Antwort findet auch Anne Berest nicht. Sie lässt eine Psychologin spekulieren, doch deren Ansätze fand ich etwas unbefriedigend: wollen Frauen wirklich wie Männer sein bzw. genau das eine im Leben sein, was ihnen durch die Natur endgültig verwehrt ist? Zumindest mag ein Aspekt daran sinnvoll sein: sich vor Augen führen, dass manches Ideal absurd und unerreichbar ist, so dass es sinnhaft sein kann, einen anderen Maßstab anzulegen und ein neues Ideal zu definieren.

Auch wenn hier ein ur-feministisches Thema aufgegriffen wird, fällt der Roman für mich nicht zwingend in diese Kategorie. Man kann ihn sicherlich so lesen, der leichte Ton nimmt jedoch etwas an Schärfe und geht das Thema eher humorvoll als ernst an. Dies ist ganz sicher die größte Stärke von Anne Berest als Autorin: Sie nähert sich leichten Fußes, um dann den Finger in die Wunde zu legen.

Herzlichen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe Random House.

Michael Uras – Aux petits mots les grands remèdes

résumé, critique, rezension

Alex a choisi un métier un peu particulier ; il aide les personnes d’une manière littéraire, c’est-à-dire il travaille comme bibliothérapeute et propose des livres pour guérir ses patients. Ces derniers sont bien divers, il y a Yann, un jeune homme avec des traits autistes qui a de grands problèmes de s’ouvrir aux autres. Il y a Robert Chapman, homme d’affaires un peu cynique. Il y a un footballeur qui ne peut pas parler des livres avec ses collègues. Alex essaie de les guérir, mais en même temps, lui aussi a besoin d’aide comme sa femme Mélanie vient de le quitter.
L’idée de la bibliothérapie m’a frappée immédiatement. Guérir quelqu’un par lire des livres et par en parler – une super idée. Il me faut admettre : je ne savais pas que cette type de thérapie existe en réalité, je pensais que c’était une idée littéraire. Je m’attendais à un livre où on parle des expériences de lecture, où on analyse un peu les caractères des livres et où les livres jouent un grand rôle. Le roman n’a pas vraiment accompli ces attentes parce qu’il s’agit plutôt des problèmes des gens et avant tout d’Alex qui se sent un peu perdu et seul après que Mélanie l’ait quitté. Pour cela, c’est beaucoup plus un roman romantique qu’un roman des livres.

En somme, je trouve l’idée de la bibliothérapie géniale et il y a vers la fin du roman une phrase que j’aime bien citer : « Les livres ne peuvent pas tout, mails ils accompagnent ceux qui ont besoin d’une dose d’imaginaire pour s’extirper du réel. » Quoique je n’aie pas lu le livre auquel je m’avais attendue, il y avait beaucoup d’imaginaire pour quelque temps de fuite de la réalité. 

Michel Bussi – Das verlorene Kind

Rezension, Krimi, Roman, Frankreich
Malone ist kein normales Kind. Nicht genug, dass behauptet, dass sein Lieblingsstofftier Gouti mit ihm sprechen kann, er vertritt gegenüber dem Schulpsychologen auch noch die Meinung, dass seine Maman gar nicht seine echte Mutter ist. Phantasien eines 5-Jährigen? Vasile bittet Commandante Marianne um Hilfe, die hin und her gerissen ist und zudem noch einen großen Fall zu lösen hat: endlich sind sie den Räubern von Deauville auf der Spur und kurz vor der Festnahme eines der Hauptverdächtigen. Marianne ahnt nicht, dass die beiden Fälle eine direkte Verbindung haben und dass sie selbst unmittelbar manipuliert wird.
Michel Bussis neuer Krimi, der einen als Leser lange Zeit im Dunkeln tappen lässt. Die seltsamen Geschichten des kleinen Malone haben lange Zeit wenig Sinn, werden dann aber ganz simpel und überzeugend aufgeklärt. Er ist für mich der große Protagonist, der lange Zeit die Handlung tragen kann – die erwachsenen Figuren sind bei weitem nicht so ausgereift und überzeugend. Marianne als Commandante ist mir insgesamt zu emotional, was der Position nicht gerecht wird, auch fehlt ihr für meinen Geschmack die entscheidende Cleverness, um als große Figur und Ermittlerin zu fungieren. Die restliche Besatzung der Polizei bleibt zu weit am Rand, um eine tragende Rolle einzunehmen, auch wenn sie entscheidende Fakten liefern. Die Bande der Verbrecher bleibt auch zu diffus – dies ist zwar einerseits der Handlung geschuldet, die mit mehr Details zu einem früheren Zeitpunkt viel an Spannung verloren hätte, lässt sie so aber in ihrer Rolle etwas zu blass wirken.
Der Plot an sich ist lange Zeit unklar, verschwommen und voller Mosaiksteinchen, die wenig Sinn ergeben. Nach und nach werden die Verbindungen ersichtlich und auch logisch motiviert begründet. Ein unglaubliches Gebilde, dass Bussi konstruiert und auch gut löst. Für das Ende wäre mir ein anderer Ausgang nicht lieber gewesen, aber logischer ganz sicher. Auch war mir hier die Polizeiarbeit zu unglaubwürdig verzögert.

Ein durchaus komplexes Konstrukt, das lange gut unterhält und fesseln kann, nur in der Figurenzeichnung und dem Ende etwas schwächelt.

Guillaume Rihs – Aujourd’hui dans le désordre

Roman, Rezension

Janvier 2018, le 23, rue de l’avenue William-Favre à Genève. L’appartement de la famille est devenu trop grand comme seulement Louise et Eudes sont restés. Les parents et leur frère aîné Anselme ont déménagé. Il est devenu beaucoup trop calme pour Louise, c’est pourquoi elle a enregistré l’appartement sur Internet et invité tout le monde à passer quelques jours avec eux. C’est d’abord l’anglaise Victoria qui arrive, en route pour Berlin où habite son petit ami. En même temps, deux filles suisses, Julie et Judith, arrivent pour connaître un peu Genève, une ville potentielle pour faire des études. La dernière à arriver est une Américaine qui va commencer son travail pour l’ONU. Il fait froid ces jours-là, mais ce qu’ils ne savent pas encore, c’est que le temps va s’aggraver, que l’appartement va se remplir de personnes et qu’ils vont passer des jours inoubliables.
Guillaume Rihs a créé un roman bien sympathique et plein de charme. L’idée est simple mais convaincante et m’a plu beaucoup. Les personnages sont dessinés aux facettes multiples, ils sont bien divers et doivent s’arranger les uns avec les autres malgré leurs points de vues disparates. Le projet Gorski qui joue un rôle mineur mais quand même devient à un point le centre de la discussion est aussi une chose bien étrange qui quand même offre quelque chose à s’arrêter dessus. Le plus compliquée la situation dans l’appartement devient – avec de plus en plus de personnes et avec le temps qui s’aggrave – de plus en plus les personnages oublient les choses qui ont d’abord dominées leurs pensées et ils se souviennent de la vie simple qui peut être tellement agréable : justement passer du temps ensemble, se connaître et ne rien manquer.

Le plus charmant du roman, c’est la manière de raconter. Le narrateur me fait penser un peu au film « Le fabuleux destin d’Amélie Poulain » comme il, d’un côté, utilise des minuscules détails pour décrire les personnages et leurs vies, d’autre côté, il parle directement au lecteur, lui parle de ce qu’on ne peut pas savoir ou de ce que les personnages ne savent pas (encore). On a l’impression de bavarder avec le narrateur, de passer du bon temps avec du thé ou du café et de se réjouir de l’histoire racontée. C’est tout à fait parfait pour un après-midi en hiver.

Delphine de Vigan – Nach einer wahren Geschichte

Roman, Rezension
Nach ihrem großen Erfolg mit dem autobiographischen Roman „Rien ne s’oppose à la nuit“, der das Leben ihrer Mutter rekonstruiert, begibt sich Delphine de Vigan auf Lesereise und absolviert zahlreiche Pressetermine. Nahezu ausgelaugt von der öffentlichen Erwartung, der sie – schon als Kind auffällig schüchtern und zurückhaltend – kaum gerecht werden kann, trifft sie zufällig auf eine Frau, L., die sie fasziniert. Ihre Selbstsicherheit und Gelassenheit, Freiheit von jeder Erwartung der Außenwelt. Sie freunden sich an und mehr und mehr rückt L. in das Leben der Autorin. Diese versinkt derweil in einer regelrechten Depression, das Leben geht weiter, aber ihre Arbeit nicht. Ihre einzige Verbindung zu anderen Menschen wird L., ansonsten zieht sie sich mehr und mehr zurück. Die Frauen kommen sich näher, diskutieren über Literatur und die Aufgabe eines Autors. Ab und ab beschleicht die Erzählerin jedoch das Gefühl, dass L. sie kopiere, ihr immer ähnlicher wird und geradezu ihr Leben, das sie nicht mehr leben kann, übernimmt.
Wer die Bücher von Delphine de Vigan kennt, weiß, dass sie einem unmittelbar packen und an den Roman fesseln kann. So ist es auch dieses Mal, die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Doch es ist nicht nur der Schreibstil, der überzeugen kann, sondern ihr Spiel mit dem Leser und das Springen zwischen Wahrheit und Fiktion. Schon der Titel legt nahe, dass sie sich wieder realer Erfahrungen bedient hat, um einen Roman zu schreiben – doch ist dem wirklich so? Kann man der Autorin bzw. Erzählerin wirklich Glauben schenken? Diese Unsicherheit fasziniert und lässt einem immer weiterlesen in der Hoffnung, eine Antwort auf diese so relevante Frage zu finden, denn wie soll man das Gelesene einordnen: Realität oder Konstruktion? Soll man Mitleid mit der Autorin haben, die auf eine solch heimtückische Betrügerin reingefallen ist oder soll man ihr applaudieren, weil sie geschickt mit dem Leser spielt?
Unabhängig von dieser die ganze Lektüre überlagernden Frage bietet der Roman jedoch auch interessante Einsichten in das Innenleben eines Autors, der seine Geschichten nicht aufs Papier respektive in den Computer bringt: Die Zweifel, die immer mehr Raum einnehmen; die Gedanken, die manisch und schließlich lähmend werden. Aber auch die Thematik zwischen öffentlichem und privaten Bild – was sehen wir von einem Menschen und was davon ist nur Fassade? Kann man immer schauspielern oder gar lernen, jemand zu sein, der man gerne sein möchte? Da es sich um eine französische Autorin handelt, die noch dazu in Paris lebt, fand ich die erste Begegnung zwischen Erzählerin und L. besonders spannend, denn L. ist genau das, was man sich unter einer erfolgreichen und attraktiven Französin vorstellt – und wird von ihresgleichen bewundert und beneidet, wo man doch immer denkt, dass ihnen Selbstbewusstsein und Attraktivität in die Wiege gelegt worden sei.

Ein durch und durch faszinierendes Buch, das zudem von Dumont in eine wunderschöne Verpackung gehüllt wurde, in diesem Falle lohnt es sich wirklich nicht zur elektronischen, sondern zur Hardcover Version zu greifen.

Saphia Azzeddine – Mein Vater ist Putzfrau

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Saphia Azzeddine – Mein Vater ist Putzfrau
Paul, genannt Polo, wird nichts geschenkt im Leben. In der Pariser Cité gelingt das Überleben mehr schlecht als recht, die Mutter liegt krankheitsbedingt nur im Bett, die Schwester träumt davon eine Misswahl zu gewinnen und sein Vater arbeitet nachts als Putzfrau. Paul hilft ihm dabei und erwirbt so ein unheimliches Wissen über die Welt, denn sie kommen ebenso in Bibliotheken wie Großraumbüros und Diskotheken der besseren Gesellschaft. Auch in der Schule ist er – zu klein, zu hässlich, zu seltsam – ein Außenseiter, nur die von ihm angehimmelte Priscilla schenkt ihm Aufmerksamkeit. Langsam wird er erwachsen und stellt sich den wesentlichen Fragen des Lebens: will er Muslim werden oder doch lieber Jude? Ist sein Penis zu klein? Wie kann er aus dem, was ihm gegeben ist, etwas machen?

Saphia Azzeddine gelingt der Spagat zwischen unterhaltsam und doch den Ernst der Lage erfassen und vermitteln. Zwar bleibt ihr Ton durch eine gewisse Naivität des zu Beginn noch jungen Erzählers leichtfüßig und unterhaltsam, aber seine Not in prekären Verhältnissen, umgeben von der bekannten Gewalt der Pariser Vorstädte und ausgegrenzt von der französischen Mittelschicht, wird deutlich und auch von der Erzählweise nicht komplett überlagert. Man gewinnt Einblick in das Innenleben eines einsamen, seine Umwelt aufmerksam beobachtenden Jungen, dessen Chancen immer überschaubar bleiben werden – was ihn aber nicht daran hindert, glücklich zu sein.