Terry Pratchett – Equal Rites

Terry Pratchett – Equal Rites

When wizard Drum Billet is about to die, he finds a newborn to follow his steps. Yet, there is a slight mistake, it is not the eighth son of an eighth son, but a girl. The midwife and witch Granny Weatherwax knows immediately what this will mean, Eskarina would become the first female wizard. Except for the fact that there is no such thing as a female wizard. Years go by but ultimately, her family cannot ignore her fate. So quite naturally, she will have to be trained, and therefore Esk and Granny make their way to the Unseen University.

“If you were a boy I’d say are you going to seek your fortune?“

„Can’t girls seek their fortune?“

„I think they’re supposed to seek a boy with a fortune.”

Terry Pratchett’s Discworld has lost nothing of its appeal after all these years. “Equal Rites” was first published in 1987 and is the third novel in the series. The title is a wordplay on equal rights of course, the main topic of the novel and – quite distressingly – not much has changed since then. Old institutions which still refuse women on the basis of the fact that they have never been allowed there, are still a reality. With impressive irony, the author puts the finger in the wound and yet, the effects seem to be weak.

“It is well known that a vital ingredient of success is not knowing that what you’re attempting can’t be done. A person ignorant of the possibility of failure can be a half-brick in the path of the bicycle of history.”

Esk is a wonderfully stubborn girl who finds her way into a male world. She possesses a natural force and cannot easily be stopped. Luckily, Granny is by her side to guide her and to make up for some foolish steps. She, too, is a great and lovable character. Even though she somehow accepts that women are witches and men wizards, she does not take male magic too seriously, she knows about the fuss they make with words and their weakness. She is a great representative of those women who have seen through the male facade and know how to work their way around big egos.

“I saved a man’s life once,“ said Granny. „Special medicine, twice a day. Boiled water with a bit of berry juice in it. Told him I’d bought it from the dwarves. That’s the biggest part of doct’rin, really. Most people’ll get over most things if they put their minds to it, you just have to give them an interest.”

It is most of all the little details that Pratchett has paid so much attention to that make the series an outstanding read. The puns are wonderful and the brilliant irony with which he caricatures the real world made me laugh out loud more than once. Reading it from a feminist point of view, the novel is as current as it might ever be.

Bernardine Evaristo – Manifesto. Warum ich niemals aufgebe.

Bernardine Evaristo – Manifesto

Mit dem Booker Prize für ihren Roman „Girl, Woman, Other“ hat sie sich auf die ganz große Bühne der Autorinnen und Autoren geschrieben. Dies war keineswegs abzusehen, denn es sind gleich zwei Dinge, die eigentlich dagegen sprachen, dass sie im Literaturbetrieb Erfolg haben würde: Bernardine Evaristo ist eine Frau – noch dazu bekennend homosexuell – und zudem Schwarze. Ihr Weg war steinig und lang und in „Manifesto“ zeichnet sie nach, wie sie immer wieder vor neuen Hürden stand, sei es Rasse, sei es Klasse, sei es Geschlecht, sei es sexuelle Orientierung oder irgendwann auch das Alter.

Im Gegensatz zu etwa Michaela Coels „Misfits“, einer lauten Abrechnung mit den Ungerechtigkeiten der britischen Gesellschaft, ist Evaristos „Manifesto“ eine durchaus auch emotionale, im Wesentlichen jedoch sachliche Analyse dessen, was sie in ihrem Leben erlebt hat. Man merkt, dass man es mit einer Professorin und reflektierten Person zu tun hat, die – trotz des Unmuts – einordnet und nachvollziehbar macht, was ihr widerfahren ist. Sicherlich ein singulärer und extrem erfolgreicher Lebensweg, der jedoch an unzähligen Stellen auch eine andere Richtung hätte nehmen können.

In sieben Kapiteln zeichnet die Autorin nach, wie aus dem Mädchen aus einer kinderreichen Familie einer weißen Mittelschichten-Mutter und eines nigerianischen Einwanderers eine der wichtigsten Stimmen Englands wurde. Aufgrund ihrer Herkunft passt sie in kein Schema, ihre gute Schulbildung widerspricht dem, was die Menschen von einer jungen Frau mit dunkler Haut erwarten, weshalb es von ihr deutlich mehr Anstrengung und Durchhaltevermögen erfordert, als von anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Von Familie über Wohnen und Partnerschaften öffnet sie den Blick für die vielen verschiedenen Formen von Diskriminierung und feinen Abstufungen in der britischen Gesellschaft.

Beruflich fand sie – interessanterweise ähnlich wie die bereits erwähnte und von ihr ebenfalls angeführte Michaela Coel – ihren Ausgangspunkt im Jugendtheater, wo sie erkennen musste, dass es für sie schlichtweg gar keine Rollen gab. Es war die Lyrik, in der sie schriftstellerisch zunächst ihre Ausdrucksform sah, erst später hat sie sich auch an Prosa getraut. Die letzten beiden Kapitel thematisieren die Schwierigkeit, dass natürlich ihre Erfahrungen einen Einfluss auf das haben, was sie schreibt, sie jedoch nicht auf ein Thema reduziert werden kann und vor allem auch nicht als Sprecherin für diverse Gruppen festgeschrieben sein möchte.

Für mich war „Girl, Woman, Other“ noch vor dem ganz großen Erfolg eines der literarischen Highlights 2019, weil es auf erzählerische Weise in vielerlei Hinsicht erhellend war und die intersektionale Diskriminierung literarisch herausarbeitet wie kaum ein anderer Roman zuvor. Ähnlich bereichernd jetzt auch ihr „Manifesto“, das ich uneingeschränkt jedem empfehlen kann, der sich für die Thematik interessiert.

Irmgard Keun – Nach Mitternacht

Irmgard Keun – Nach Mitternacht

Nachdem sie aus ihren Eifeldorf zur Tante nach Köln gezogen war und von selbiger mehr als schlecht behandelt wurde, lebt Sanna im Winter 1937 schließlich bei ihrem älteren Bruder Algin in Frankfurt. Am Nachmittag hat sie nach Monaten der Stille einen Brief von Franz erhalten, dem Cousin, den sie in Köln zurückließ und heiraten will. Am Abend werde er kommen, er müsse mit ihr reden. Bis dahin durchstreift Sanna mit ihrer Freundin Gerti Kneipen, wohnt dem Besuch des Führers bei und erlebt eine ausufernde Party bei ihrer Schwägerin. Ihre Gedanken springen zwischen Erinnerung und Gegenwart und dokumentieren das Leben in der Großstadt in der dunkelsten Zeit Deutschlands.

Anlässlich des Lesefests „Frankfurt liest ein Buch“ wurde Irmgard Keuns Exilroman „Nach Mitternacht“ neu aufgelegt. Der Erscheinungstermin fiel sicher nicht zufällig mit dem Holocaust-Gedenktag zusammen, gilt der Roman als eines der wichtigsten Dokumente des Alltags in der Naziherrschaft und gibt wie nur wenige andere literarische Werke Einblick in das bürgerliche Leben der Zeit. Keun verfasste weite Teile der Geschichte noch in Deutschland, veröffentlichen musste sie den Roman jedoch zunächst in den Niederlanden und Frankreich.

Die Handlung um Sanna, die auf die Ankunft von Franz wartet, ist dicht und tritt hinter die viel beeindruckenderen dokumentarischen Aspekte des Romans zurück. Getragen werden diese von den Figuren, die die ganze Bandbreite des Lebens repräsentieren. Sannas Freundin Gerti ist naiv und jung und nutzt das Begehren der Männer ohne etwas zu hinterfragen. Ihr loses Mundwerk ist gefährlich, doch immer wieder kommt sie damit durch. Sannas Bruder Algin spürt die Repressalien deutlich, als Autor kann er nicht mehr schreiben, was er möchte, die Zensur ist streng und von dem einst pompösen Leben nach seinen Erfolgen ist wenig geblieben. Tante Adelheid wiederum hat sich bestens mit den neuen Zeiten arrangiert und wacht in ihrem Haus wie eine Bulldogge über die Einhaltung der Nazi Ideologie.

Durch Augen des 18-jährigen Mädchens erlebt man den offenen Judenhass – man mag ja gar nicht glauben, dass die sogar ganz adrett aussehen und nett sein können – SA und SS Männer erscheinen mehr als trinkfreudige Dummköpfe, die man jedoch nicht unterschätzen sollte, wie sich im Laufe des Romans herausstellt.

Absurd geradezu die Inszenierung des Besuchs Hitlers – und dann offenbart sich, dass es eben nicht nur eine Angelegenheit von einigen wenigen Verblendeten war, die aktiv unterstützten, sondern dass sich die Ideologie mit ihrer Doktrin dessen, was gesagt und gedacht werden durfte, bis in die letzte Ecke des Privatlebens hineingeschlichen hatte. In ihren eigenen Wohnungen können sie nicht vor der Politik flüchten und auch wenn sie sich scheinbar teilen in die, die offen unterstützen, und diejenigen, die sich wegducken und wegschauen und nur ihr Leben in Frieden leben wollen, gemeinsam bleibt ihnen jedoch, dass sie sehen und genau wissen, was geschieht.

Ein beeindruckendes Zeitzeugnis, in dem unsagbare Dinge gesagt werden, die man heute plötzlich auch wieder hören kann. Hinter der Aktion „Frankfurt liest ein Buch“ steht die Idee, Literatur zum Gesprächsthema zu machen. Wenn dem Roman dieses Ansinnen auch nur ansatzweise gelingt, ist im Jahr 2022 schon sehr viel erreicht. Dass er zur Pflichtlektüre werden sollte, steht dabei völlig außer Frage.

Diadié Dembélé – Le duel des grands-mères

Diadié Dembélé – Le duel des grands-mères

Le jeune Hamet vit à Bamako avec sa mère. Son père travaille en France et comme celui-ci n‘avait pas la possibilité d‘obtenir une bonne éducation, il voulait que son fils aille à une école française pour apprendre la langue du colonisateur. Mais, l‘école est dure quoiqu‘il apprenne vite le français. Après plusieurs incidents, les parents décident d‘envoyer Hamet chez ses grands-mères qui habitent la campagne. Là, il passera l‘été non seulement à apprendre à obéir de nouveau, mais aussi à connaître l‘histoire de sa famille.

« Le duel des grands-mères » est le premier roman du Malien Diadié Dembélé. L‘auteur réussit à créer une atmosphère vivante et animée qui bien transporte les émotions du jeune Hamet qui, d‘un côte est un peu naïf comme il peut bien l‘être à son âge, mais qui, de l‘autre côté, est observant et intelligent et peut regarder derrière les façades des adultes et reconnaît que parfois, ceux-ci suivent leurs intérêts plutôt que être sincères.

J‘ai vraiment adoré la première partie du roman dans laquelle on apprend beaucoup sur la vie à Bamako, avant tout sur le rôle de la langue qui est un indice du statut social. Hamet est un caractère gentil qu‘il faut aimer immédiatement.

« Il y a des serpents venimeux, des plantes vénéneuses, mais surtout des humains venimeux. »

C‘est au village d‘où viennent ses parents qu’il apprend une leçon pour sa vie. Non seulement reconnaît-il les différences entre Bamako et la vie à la campagne qui est toujours marquée par une foi ancienne. Avant tout, il s’aperçoit des lois non écrites qu‘il faut connaître et obéir. En plus, il y a là des choses qu‘il ne sait pas, l‘histoire de sa famille, des affaires datant de décennies qui sont toujours présentes dans les têtes des habitants du village.

Un roman d‘apprentissage émouvant. Dembélé rend hommage au femmes qui vivent à l‘ombre des hommes mais qui trouvent une manière de profiter de leur place. Et, en outre, le roman montre qu‘il n‘y a non seulement l‘éducation formelle qui est importante mais qu‘il y a aussi une autre éducation qui n‘est pas enseignée dans les écoles mais dans la rue.

Yasmina Reza – Serge

Yasmina Reza – Serge

Die drei Kinder der Familie Popper könnten kaum verschiedener sein. Als die Mutter stirbt, wird dies dem Lebemann Serge, dem ewig unentschlossenen Jean und ihrer kleinen Schwester Nana bewusst. Auch ihre Wurzeln kennen sie nicht, weshalb der Vorschlag von Serges Tochter Joséphine, nach Auschwitz zu fahren und die Spuren der mütterlichen Verwandtschaft zu erkunden, aufgegriffen wird. Ein Familienausflug ins Vernichtungslager – diese absurde Konstruktion kann nur der Meisterin der zwischenmenschlichen Eskalation einfallen.

Yasmina Reza erspart ihren Figuren auch in „Serge“ nichts. Ein gänzlich unjüdische Familie, die alle Konflikte eskalieren lässt und sich auch am schlimmsten Erinnerungsort Europas nicht davon abhalten lässt. Weshalb die Autorin dem ältesten Bruder die Ehre der Titelgebung gemacht hat, bleibt für mich indes unklar, denn erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive Jeans, der immer zwischen den Geschwistern stand und so ganz natürlich die Rolle des Vermittlers und Schlichters bekommen hat, die er aber nur mäßig ausfüllen kann.

„Souviens-toi. Mais pourquoi ? Pour ne pas le refaire ? Mais tu le referas. Un savoir qui n’est pas intimement relié à soi est vain. Il n’y a rien à attendre de la mémoire. Ce fétichisme de la mémoire est un simulacre. “

Der Tod zieht sich in unterschiedlichen Facetten durch das Buch. Erst der Verlust der Mutter, dann, im Zentrum des Romans, der Besuch in Auschwitz. Bemerkenswert, wie hübsch der Bürgermeister im Übrigen die Stadt mit Blumen hergerichtet hat. Die Erinnerung an den Holocaust wird auch von der kleinen Reisegruppe in all ihrer Absurdität zelebriert. Sich an etwas erinnern, das man gar nicht erinnern kann, Menschen gedenken, die man nicht kennt. Und eigentlich sind es doch eher die weltlichen Dinge, die mehr interessieren.

Reza gelingt es einmal mehr, ähnlich wie ihrem Landsmann Michel Houellebecq, den Finger in eine Wunde – hier: die französische Erinnerungskultur, nicht nur bezogen auf den Mord an Millionen Juden, sondern auch an jüngste Opfer von Anschlägen – zu legen, sondern gleichzeitig auch den feinen Sarkasmus und Ironie französischer Komödien in derselben Geschichte unterzubringen. Sprachlich wie gewohnt ausgefeilt und ein Genuss zu lesen.

Zwar fand ich „Serge“ insgesamt etwas schwerer zugänglich als beispielsweise den „Gott des Gemetzels“ oder „Kunst“, aber vielleicht benötigt der Roman auch einfach nur etwas mehr Raum zum Wirken. Lesenswert ist er ganz ohne Frage.

Tim Dedopulos – Whodunit Puzzles

Tim Dedopulos – Whodunit Puzzles

Who doesn’t love to solve a classic murder case? Tim Dedopulos’ “Whodunit Puzzles” offers 47 whodunits on two levels. The first is a collection of 39 short stories, just a couple of pages long with a hint of what to look at to solve the case. The rest are more complex and longer cases that come with more cues. Each puzzle features one of three investigators who are at the scene of crime and conduct the interviews with the suspects.

The puzzles are a great pastime activity that I thoroughly enjoyed. They are short, so you can just integrate one while waiting e.g. for the bus or at the doctor’s. They keep the mind busy as you have to read carefully not to miss the decisive hint. The setting of the stories just like the plots are quite varied and – just like the style of writing – reminded me of books of the Golden Age of Crime. The same is true for the three investigators. Illustrations here and there support the atmosphere of the puzzles.

The lower level puzzles are quite solvable, nevertheless, I didn’t get the right figure all the time, the upper level I found quite challenging. I liked the mysteries as I am a fan of classic crime novels.

Marcial Gala – Call Me Cassandra

Marcial Gala – Call me Cassandra

Raul is nothing like the other kids. The ten-year-old boy can see dead people and he knows when those he meets will die. Of course, he cannot be understood by his peers or family and with his love for dresses and his very small body, he frequently becomes the victim of bullying and is called all sorts of names. He himself knows who he is, Cassandra, the ancient goddess who could predict the future but wasn’t believed. So is he. He grows up in his hostile Cuban surroundings and has to train for the military service which will lead him to Angola, a sister state of the Leninist-Communist era of the 1970s. His gift is a burden he cannot share with people, only with the gods he sees and whom accompany him.

Fiction that transgresses the border between fictional reality and fantasy are not necessarily my favourite genre, yet, Cuban born author Marcial Gala cleverly integrates both and thus creates a wonderful protagonist for his novel “Call me Cassandra”. Raul is gifted and cursed at the same time, not necessarily the best combination in a hostile world where he has to prepare for fighting in a war. Fantasy is a way to escape and maybe the only one to endure the world around him.

There are two fascinating aspects about the novel, first of all, Raul’s way of escaping his father’s virile expectations which he knows already as a small boy, he will never be able to fulfil. Thus, he can only find likeminded persons in the women around him, most of all his father’s Russian lover. Literature opens different ways of thinking where Raul can find alternatives to his life that he can only live behind closed doors as boys dressed in women’s clothes are nothing for the Cuban world of the 1970s.

The second, much more horrifying is what the transgender boy has to go through, first at school and later in the army. He is not only bullied but repeatedly the victim of violence and abuse. Yet, nobody seems to care, it seems as if it is ok since Raul does not fulfil the expectations and this does not belong.

Gala elegantly conveys Raul’s different realities and allows a fascinating insight in the boys unique thinking.

Percival Everett – Erschütterung

Percival Everett – Erschütterung

Zach Wells arbeitet als Paläontologe an einem kalifornischen College und kann völlig in der Welt der Gesteine versinken. Ähnlich faszinierend ist für ihn nur seine 12-jährige Tochter Sarah, die ihn regelmäßig im Schach spielen schlägt. Als Sarah Sehschwierigkeiten äußert, denken sich die Eltern nicht viel, eine Brille und das Problem ist aus der Welt. Doch dann müssen sie erfahren, dass das Mädchen an einem neurodegenerativen Syndrom leidet. Zach und seine Frau Meg können nicht gut mit der raschen Verschlimmerung umgehen, statt bei seiner Frau zu sein, flüchtet sich Zack nach New Mexico. Wenn er seiner Tochter nicht helfen kann, dann vielleicht wem anders.

Der amerikanische Autor und Professor für Englische Literatur Percival Everett veröffentlicht seit fast 40 Jahren Romane und Kurzgeschichten, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. „Erschütterung“ stand 2021 auf der Finalliste des Pulitzer Prize in der Kategorie Fiction. Bei meiner Recherche zu dem mir bis dato unbekannten Autor bin ich auf ein Kuriosum zu diesem Buch gestoßen: es wurde in den USA mit drei verschiedenen Enden der Geschichte veröffentlicht, auch die drei Cover sind dezent unterschiedlich. Man kann seine Haltung exzentrisch nennen, wenn er sagt, dass er denkt, der Leser solle die Autorität darüber haben, was ein Buch zum ihm sagt, nicht der Autor, denn jeder Leser liest etwas Anderes in einer Geschichte. Warum also nicht gleich drei verschiedene Versionen anbieten?

Im Zentrum der Handlung steht Zach und die Erschütterung, die er und seine Frau durch die Diagnose erhalten. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, sind sich nicht einige, ob sie Sarah überhaupt davon berichten sollen, immerhin scheint das Mädchen die Anfälle gar nicht selbst zu bemerken. Dem eigenen Kind beim zunehmenden Verlust von Geist und Körper zuzusehen, geht an ihre Substanz und so entfernen sich Zach und Meg immer weiter voneinander und jeder sucht seinen eigenen Umgang mit etwas, mit dem es keinen guten Umgang geben kann.

Währenddessen geht das Leben außerhalb des Nukleus der Familie jedoch weiter und Zach sieht sich mit unterschiedlichen Herausforderungen der Campus-Politik konfrontiert, mit denen er sich auch sonst schon nicht beschäftigen will. Auch die mysteriöse Nachricht, die er in einer gekauften Jacke findet, beschäftigt ihn, obwohl er den Zettel mit dem vermeintlichen Hilferuf auch einfach hätte entsorgen und vergessen können.

Ein Aspekt des Romans fand ich ungewöhnlich und doch sehr clever integriert. Nebenbei wird an einer Stelle erwähnt, dass Zach Schwarzer sei, was mich zunächst irritierte, da dies für die Handlung zu diesem Zeitpunkt gänzlich irrelevant war und ich daran keinen Gedanken verschwendet hatte. Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass diese Information in den Erlebnissen und Erfahrungen Zachs durchaus eine Rolle spielt, der Autor macht es aber nicht zu einem Problem, das gelöst werden muss, oder lässt Zach aufgrund dieser Tatsache in Selbstmitleid versinken oder sich gar radikalisieren. Völlig geräuschlos steht dieses Faktum im Raum, bis sich die Blicke zum ihm hinwenden und dann auch wieder wegrichten. Ein sehr interessanter Umgang mit einem Thema, dass literarisch in den letzten Jahren durchaus relevant und vielfach bespielt wurde, aber nicht auf diese Weise.

Ein vielschichtiger Roman, der in der Tat sehr unterschiedlichen Lesern sehr viel bietet, worauf man fokussieren kann. Sein amerikanischer Verleger sagte in einem Interview über Percival Everett, dass er ein Autor sei, der immer wieder entdeckt und jedes Mal aufs Neue die Frage gestellt werde, weshalb er nicht bekannter sei. Das frage ich mich allerdings auch.

Indyana Schneider – 28 Questions

Indyana Schneider – 28 Questions

Amalia leaves her Australian home to study music in Oxford. She has only just arrived when she meets Alex, another Australia in her third year already. They befriend immediately and spend more and more time together philosophing, questioning life and sharing everything. It is an intense but perfect friendship. Yet, things become complicated when their friendship turns into love. What was easy and carefree suddenly becomes complicated, misunderstanding after misunderstanding, unexpressed and unfulfilled expectations turn the perfect friends into the worst lovers.

“(…) every so often, I come across a new piece of music and getting to know the music kind of feels like falling in love. And the idea of spending my life falling in love over and over again… who wouldn’t want that?”

The title refers to a study by psychologist Arthur Aron which postulates that a certain set of questions can lead to more intimacy and a deeper relationship between people. The protagonist of Indyana Schneider’s novel asks “28 Questions” which actually bring her closer to her first friend, then lover but they cannot help untangle the complications they have to face. It is a kind of college novel about becoming an adult, about love and about identity in an ever more complex world.

“I just don’t get how it’s possible to be such wonderful, compatible friends and so ill suited as lover.”

This is the central question. How can two people being that close, sharing the same ideas and attitudes simply be so incompatible as lovers. They are fond of each other, there are butterflies and they even match physically – but the relationship doesn’t work out. Over years, they have an on/off relationship because they can neither live with nor without each other.

Yet, the novel is not a classic heart-breaking love story. What binds Amalia and Alex is an intellectual love, they get closer over the questions which address core human topics, from social interaction over social categories of identity and the definition of themselves. They grow with each other, reflect upon their convictions and finally enter the real world of adulthood for which they are still not quite prepared.

A wonderfully written, intense novel about love which goes far beyond just being attracted by someone.

Ronja von Rönne – Ende in Sicht

Ronja von Rönne – Ende in Sicht

Juli steht auf einer Autobahnbrücke, von der sie sich gleich stürzen möchte. Schon seit Jahren ist die 15-Jährige depressiv, doch nun hat sie für sich das Ende beschlossen. Doch statt aufzuknallen und von einem Auto überrollt zu werden, landet sie auf dem Seitenstreifen vor dem Wagen von Hella, einem ehemaligen Schlagersternchen, die in derselben Mission unterwegs ist, das allerdings bei Dignitas in der Schweiz hinter sich bringen möchte. Hella liest das Mädchen auf und hat mit 69 Jahren plötzlich zum ersten Mal im Leben Verantwortung. Es beginnt ein bizarrer Trip durch Deutschland von zwei Frauen, die verschiedener kaum sein könnten und sich doch sehr ähnlich sind.

Es sind die eigenen Erfahrungen der Autorin, die sie veranlasst haben, die psychische Erkrankung zum zentralen Thema in ihrem aktuellen Roman §Ende in Sicht“ zu machen. Ronja von Rönne gelingt es dabei zu zeigen, dass Juli nicht immer traurig ist, dass sie sogar lachen kann und doch kommen immer wieder auch die schwarzen Wolken, die alles verdunkeln. Die beiden Protagonistinnen sind herrliche Sparringspartnerinnen, die den Roman trotz seines belastenden Sujets – immerhin wollen beide ihrem Leben ein Ende setzen – locker wirken lassen und auch ein wenig Mut machen.

„Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass Teenager gerade vom Himmel fielen, wenn sie selbst auf dem Weg dorthin war.“

Die Atmosphäre schwankt zwischen ernsthaft und komisch, was vor allem an der sprachlichen Versiertheit der Autorin liegt. Sie findet die passenden Worte, um die Absurdität, in die die beiden geraten sind, ironisch zu begleiten und dennoch wird der Ernsthaftigkeit des Hintergrunds der Begegnung dadurch keinen Abbruch getan.

Hella wie auch Juli sind liebevoll gezeichnet. Sie sind beide auf ihre Weise Außenseiter, haben ihre Wege gefunden, um mit ihrem Schicksal umzugehen – auf dem Schulklo vor den Kameradinnen verstecken die eine, Sorgen in Alkohol ertränken die andere – und sind keineswegs so egozentrisch, wie es zunächst erscheinen mag. Trotz der großen Altersdifferenz verbindet sie etwas und sie geben auf einander Acht und sorgen sich um die andere. Ihre Einsamkeit führt sie zusammen, dadurch ist nicht plötzlich alles gut, aber gemeinsam ist es doch irgendwie besser.

Ein kurzweiliger Roman, der für mein Empfinden sehr behutsam mit dem Thema Depression umgeht. Weder wird überdramatisiert noch die Tränendrüse bemüht. Lesenswert vor allem durch die pointierten Formulierungen und die beiden zentralen Figuren, die Ronja von Rönne wirklich hervorragend gelungen sind.