Harriet Walker – Die Neue

Eigentlich könnte Margot den kommenden Monaten freudig entgegensehen. Statt des stressigen Redakteurinnenjobs bei einer Modezeitschrift kann sie sich ganz auf ihre Schwangerschaft und die erste Zeit mit ihrem Baby konzentrieren. Mit Maggie hat sie ihrer Chefin auch eine kompetente Vertreterin präsentieren können, so dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Doch bald schon tauchen die alten Zweifel wieder auf und beginnen an ihr zu nagen. Ist die Neue besser als sie? Beliebter? Schlanker? Trotz der wundervollen Lila kann sie nicht aufhören, sich zu vergleichen und die Social Media Kanäle, auf denen Maggie sich erfolgreich präsentiert, befeuern Margots gedankliche Abwärtsspirale. Da ist es nicht hilfreich, dass sich auch ihre beste Freundin Winnie von ihr abwendet, die selbst gerade nach dem Verlust eines Kindes in einem tiefen Loch steckt. Ihre eigenen Gedanken nagen schon genug an Margot, als jedoch ein Internettroll systematisch seinen Feldzug gegen sie startet, droht die Lage zu eskalieren.

Harriet Walker weiß genau, wovon sie schreibt, als Fashion Editor der New York Times ist ihr das Modebusiness mit all seinen Facetten bestens bekannt. Auch als Normalo kann man sich vorstellen, dass dort mit harten Bandagen gekämpft wird und jedes Outfit, jedes Kilo zu viel auf der Waage genüsslich beäugt und verächtlich kommentiert wird. Es erfordert schon sehr viel Selbstbewusstsein und ein gefestigtes Selbstkonzept, um dies tagtäglich zu ertragen und drüberzustehen. Genau darüber verfügen ihre Figuren nicht, ebenso wenige über die Fähigkeit, offen ihre Schwächen zuzugeben und sich dadurch statt Feinden Verbündete zu schaffen.

Margot hat eigentlich einen festen Platz in der Modewelt, ist anerkannt und aufgrund ihrer Kompetenz geschätzt, dies hindert sie jedoch nicht daran, in jugendliche Selbstzweifel zurück zu verfallen. Mit dem Rollenwechsel von der erfolgreichen Karrierefrau zur Mutter reißt all dies wieder auf und sie stellt alles infrage, was sie erreicht hat. Die Figur zeigt, wie fragil die Menschen bisweilen hinter den erfolgreichen und selbstsicheren Fassaden sind und dass niemand vor negativen Gedanken gefeit ist. Nicht viel anders ergeht es da Maggie, die sich einerseits über die Chance, die sich durch die Vertretung für sie eröffnet, freut, andererseits aber auch im permanenten Vergleich mit der Vorgängerin steht, sich genötigt sieht immer noch mehr leisten zu müssen und einen Konkurrenzkampf wahrnimmt, der gar nicht vorhanden ist.

Wie schnell gerade online Postings falsch gedeutet werden können, wie gefährlich der Gedankenstrudel werden kann, wenn man erst einmal in ihm gefangen ist, zeigt der Roman ganz drastisch. Jedes Wort wird in einem paranoide zusammenstrickten Weltbild so zurechtgerückt, dass es zum Narrativ passt. Sich daraus wieder zu befreien, ist in einer Zeit, in der das Leben gleichermaßen online wie offline stattfindet, schlicht unmöglich geworden. Die fatalen Folgen negativer Gedanken, die ich sehr gut nachvollziehen konnte, wurden von Harriet Walker überzeugend und glaubwürdig in der Geschichte umgesetzt. Einziger Abzug die Nebengeschichte um Margots und Winnies Jugend, die es meines Erachtens nicht gebraucht hätte und die auch für mich nur begrenzt stimmig war.

Kolja Menning – Ein Partie Monopolygamie: Die Geschichte einer wahren Heldin

kolja menning - eine partie monopolygamie
Kolja Menning – Ein Partie Monopolygamie: Die Geschichte einer wahren Heldin

Clara Nussbaum braucht einen Job. Dringend. Alleinerziehend mit drei Kindern und vom Vater selbiger keine Spur, muss sie zurück in die Arbeitswelt. Ihre Freundin berät sie bei der Bewerbung und wider Erwarten wird sie als Assistentin von Viktoria eingestellt, Marketingchefin bei dem umweltbewussten Modelable Fair^Made. Eine völlig neue Welt eröffnet sich der 40-jährigen Mutter dort: die hippe Szene der jungen und erfolgreichen Berliner, die ein gepflegtes Denglisch schwätzen, sich im Gym und für Lunches verabreden und scheinbar kein Privatleben haben. Doch Clara macht ihre Arbeit gut und plötzlich läuft ihr auch ein Traummann über den Weg, der sie offenkundig ebenfalls attraktiv findet. Das Leben nimmt Kurs auf ziemlich perfekt auf, doch Clara weiß, dass es das nicht geben kann.

Was ich mir als leichte unterhaltsame Sommerlektüre gedacht hatte, vielleicht mit einem etwas ironischen Blick auf die Berliner Öko-Yuppies, entpuppt sich leider als flacher Chick-Lit Roman, der vorhersehbar allen bekannten Schemata folgt und kein Klischee auslässt. Mustergültig arbeitet sich der Autor am Genre ab, das einzig Überraschende ist, dass es wirklich gar keine Überraschung oder Abweichung von dem absehbaren Verlauf gibt.

Clara bedient als überforderte dreifach-Mutter schon alle schlimmsten Erwartungen: unordentliche Wohnung, Alltagschaos, bei dem sie auch mal vergisst, dass es der letzte Schultag ist und ihr natürlich auch entgeht, dass der Sohn gemobbt wird. Der Zufall bringt sie in das moderne Öko-Unternehmen, wo sie einen Job bekommt, für den sie gnadenlos unterqualifiziert ist, den sie aber dennoch mustergültig meistert – auch wenn sie in Sachen Klamotte und Lifestyle nicht mithalten kann und oft nicht weiß, wovon ihre Kollegen reden. Die Chefin wird schnell von ihr abhängig und bewundert sie. Dass sie dann auch noch den gutaussehenden Mann kennenlernt, der zwar etliche Jahre jünger ist, sie aber trotzdem als Traumfrau sieht – gähn. Es folgt die notwendige Abwärtsspirale mit Intrigen, vermeintlichen Freundinnen, die sich als Rivalinnen entpuppen, Streit mit den richtigen Freundinnen und der Supertyp stellt sich natürlich als Lügner und Flop heraus. Aber tatdaaa: sie hat ja ihre Kinder und das allein macht sie schon glücklich und nebenbei kann sie als Racheakt auch noch einen großen Skandal im Unternehmen aufdecken, weil sie nämlich zufällig genau die richtigen Leute mit den notwendigen Hacker-Skills kennt.

Wo eine Bridget Jones in ihrer Tollpatschigkeit sympathisch wirkt, ist eine Clara Nussbaum einfach plump, wo das Sex and the City Quartett sich unterhaltsame verbale Schlagabtausche liefert, bleibt das Personal hier uninspiriert und banal. Die ganze Handlung ist eine Abfolge von unglaubwürdigen Begebenheiten, die nach Schema F aufgetischt werden, womit sich irgendwann die Frage stellt, ob das Ganze nicht eher ins Gruselkabinett gehört.

Anneliese Mackintosh – Verdammt perfekt und furchtbar glücklich

anneliese-mackintish-verdammt-perfekt-und-furctbar-glücklich
Anneliese Mackintosh – Verdammt perfekt und furchtbar glücklich

Ottila McGregor hat sich viel vorgenommen für 2014, sie will nicht nur vom Alkohol loskommen, sondern glücklich werden, verdammt glücklich. Doch das Leben macht es ihr nicht einfach, zum einen wird ihre Schwester in die Psychiatrie eingewiesen, wo sie hochgradig selbstmordgefährdet ist und Ottila sich fragt, inwieweit ihr Verhalten dazu geführt hat, dass Mina nicht mehr leben möchte. Zum anderen muss sie feststellen, dass sie eine Affäre mit der Schwester von Thales, ihrer aktuellen Flamme, hatte. Mit Hilfe ihres „Kleinen Buchs vom Glück“, in dem sie ihren Alkoholkonsum und ihre Gedanken notiert, und ihrer Therapeutin will sie alles auf die Reihe bekommen, aber so einfach wie gedacht ist das nicht.

Ottila McGregor erinnert zunächst stark an Bidget Jones, die ihre kleinen Sorgen und Nöte mit ihrem Tagebuch teilt und ebenfalls in einer unglücklichen Affäre mit ihrem Chef feststeckt und viel zu gerne viel zu viel Alkohol konsumiert. Noch stärker jedoch als bei Helen Fieldings Heldin gestaltet Anneliese Mackintosh ihren Debütroman jedoch als Kaleidoskop verschiedenster Textsorten – Tagebucheinträge, E-Mails zwischen Mutter und Tochter, Textnachrichten, Transkripte der Therapiesitzung etc. – aus denen sich erst die Handlung konstruiert. Und auch wenn humorvolle Passagen und urkomische Dialoge vorkommen, dominieren für mich in „Verdammt perfekt und furchtbar glücklich“ doch die ernsthaften Aspekte.

In erster Linie sind es Ottilas schwierige Beziehungen, zum einen mit ihrem Vater bzw. dem nicht verarbeiteten Tod des Vaters. Aber auch zu ihrer psychisch kranken Schwester und der Frage, ob sie etwas für sie hätte tun können oder gar die Situation durch ihr Verhalten verschlimmert hat. Vorwürfe, die sie sich selbst macht und die nur bedingt entkräftet werden können. Auch die Therapieformen, die Mina ausgesetzt wird, werden durchaus kritisch angesprochen, vor allem der Aspekt, dass die Angehörigen zwar informiert werden, aber letztlich doch passiv zuschauen müssen, hat einen etwas faden Beigeschmack. Wie viele Frauen Anfang 30 will Ottila eigentlich nur eine funktionierende Beziehung, die ihr Stabilität und Sicherheit gibt, doch den passenden Partner zu finden scheint ein Ding der Unmöglichkeit.

Die Art, wie Mackintosh den Leser in Ottilas Leben blicken lässt, gestaltet Roman authentisch und lebendig. Die Protagonistin ist sympathisch, gerade weil sie weit davon entfernt ist, perfekt zu sein und dies eigentlich auch gar nicht anstrebt. Sie hätte nur gerne ein kleines Stück vom Glück – wer würde ihr das übelnehmen wollen?

Lauren Berry – Living the Dream

lauren-berry-living-the-dream.png
Lauren Berry – Living the Dream

Two young women in their twenties, two dreams. Emma dreams of working as a writer, she blogs about her life with quite a remarkable success, but actually she is stuck in an advertising company where she has to be creative in the dullest of imaginable ways. Her best friend Clementine Twist has just returned to London from a Year in New York where she attended Columbia film school to become a screenwriter. The feedback to her work is throughout positive, but back home she has to secure her living and moves back in with her parents and accepts a job as a receptionist of a club. Only their friend Yasmin seems to get it all right: she’s got a fancy job that she exerts successfully and the wedding with Mr Right is just around the corner. The more goes right with Yasmin the more seems to go wrong for Emma and Clementine. When does the adult life they always dreamt of finally start?

Lauren Berry really managed to catch the mood of women at the end of their twenties. Emma and Clementine are full of energy and passionate about what they love, but somehow life is in their way and they are stuck between mundane everyday-life problems. Reality and dreams seem to be many miles away from each other. Even though they are good at what they want to do, the chances just do not come to really show the world what they are capable of. The necessities of the world keep them from just indulging in their creativity, bills have to be paid, food has to be bought, so the need to earn some money is overwhelming and paralysing.

What I liked about the novel is the fact that even though the girls could easily give up and despair, they somehow stick to their dream and they have a certain sense of humour not to take themselves and their lives too seriously. Many scenes are quite funny – as long as you just read them and do not have to live them through. Even though it is at times quite close to being chick lit, the author can keep some seriousness in the story and the fact that her protagonists find themselves in the same situation as masses of young women who can surely identify with them, gives the novel an actual relevance.

Anne Berest – Emilienne oder die Suche nach der perfekten Frau

Rezension, Roman
Emilienne arbeitet als Fotografin und kann so mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt finanzieren. Die Teilnahme an einem großen Wettbewerb soll dies ändern, Thema ist die perfekte Frau. Sie selbst ist weit davon entfernt eine solche zu sein: aus unkonventionellem Künstlerelternhaus viel zu früh schwanger geworden, inzwischen geschieden, kein reguläres Einkommen, unsteter Lebenswandel, der ihren jugendlichen Sohn bisweilen erwachsener erscheinen lässt als sie. Ihr erstes Motiv soll ihre Nachbarin sein, Julie, erfolgreiche Karrierefrau und seit Kurzem Mutter. Doch diese offenbart sich gerade an den hohen Ansprüchen, die sie an sich selbst stellt, gnadenlos zu scheitern und nur in einer Psychiatrie Ruhe vor den Erwartungen der Welt finden zu können. Julie führt sie allerdings zu der ihrer Meinung nach perfekten Frau: Marie. Jedoch auch diese kann den gesellschaftlichen Konventionen nicht genügen. So führt Emiliennes Weg von einer Frau zur nächsten – jede auf ihre Weise perfekt, aber den eigenen Ansprüchen nicht genügend.
Anne Berest ist keine Unbekannte im literarischen Frankreich. Einem breiten Publikum ist sie mit „How to be Parisian wherever you are“ bekannt geworden, auch ihre Biographie über Françoise Sagan wurde beachtet. Frauen sind ihr Thema, nun die Suche nach der perfekten Frau – mit einem Augenzwinkern kann man nach den vorangegangenen Büchern zur Kenntnis nehmen, dass diese in Frankreich bzw. Paris gesucht wird. Auch wenn dem Buch durchaus dank der Protagonistin eine Menge Humor und Situationskomik innewohnt, hat Anne Berest einmal wieder dem Leser eine gesellschaftlich relevante Frage untergeschoben, die scheinbar nebenbei daherkommt: die Erwartungen an die Frau von heute.
Alle weiblichen Figuren im Roman negieren für sich das Adjektiv „perfekt“ aus unterschiedlichen Gründen: Julie wird ihrer Rolle als perfekte Mutter nicht gerecht (sie scheiterte schon an der natürlichen Geburt); Marie ist nicht die treusorgende Gattin, die nur Augen für ihren Mann hat, selbst als dieser tot ist; Jenanes wunderschönes Gesicht wird ihr zum Verhängnis und ihr Körper missbraucht – auch Attraktivität kann Hass auslösen; Zahia wird verurteilt für das, was andere mit ihr getan haben, nicht der Freier, sondern die Prostituierte wird verachtet. Alle Frauen haben für sich ein Bild von Perfektion entwickelt, dem sie nicht standhalten können. Keine der Erwartungen ist absurd überhöht, sondern einfach nur das, was in Zeitschriften, Fernsehen und sozialen Medien propagiert wird: Die junge, attraktive Frau, die neben der perfekten Optik auch die Intelligenz und den Biss mitbringt, beruflich erfolgreich zu sein. Daneben schmeißt sie locker den Haushalt und erzieht auch noch die Wunderkinder.
Die Frage, weshalb sich Frauen diesem Druck unterwerfen, einem unerreichbaren Ideal hinterher zu eilen, wird nebenbei thematisiert; eine Antwort findet auch Anne Berest nicht. Sie lässt eine Psychologin spekulieren, doch deren Ansätze fand ich etwas unbefriedigend: wollen Frauen wirklich wie Männer sein bzw. genau das eine im Leben sein, was ihnen durch die Natur endgültig verwehrt ist? Zumindest mag ein Aspekt daran sinnvoll sein: sich vor Augen führen, dass manches Ideal absurd und unerreichbar ist, so dass es sinnhaft sein kann, einen anderen Maßstab anzulegen und ein neues Ideal zu definieren.

Auch wenn hier ein ur-feministisches Thema aufgegriffen wird, fällt der Roman für mich nicht zwingend in diese Kategorie. Man kann ihn sicherlich so lesen, der leichte Ton nimmt jedoch etwas an Schärfe und geht das Thema eher humorvoll als ernst an. Dies ist ganz sicher die größte Stärke von Anne Berest als Autorin: Sie nähert sich leichten Fußes, um dann den Finger in die Wunde zu legen.

Herzlichen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe Random House.