Julian Barnes – Metroland

Julian Barnes Debut führt in das London der 60er Jahre, dann nach Paris 1968 und endet schließlich wieder im Londoner Suburb Metroland im Jahre 1977. Erzählt wird die Geschichte von Christopher Lloyd, der als Jugendlicher mit seinem Freund Toni die angepassten Erwachsenen verachtet und die mit ihrem Ziel des épater la bourgeoisie ihre Tage neben dem Kultivieren vor allem französischer Literaten des fin de siècle füllen. Diese Erfahrungen bringen den Studenten Christopher zwangsweise in die Heimat dieser verehrten Autoren, doch dort gibt er sich mehr der Affäre mit der bezaubernden Französin Annick hin als sich um das Tagesgeschehen zu kümmern und so verschläft er das hochpolitische Jahr 1968. Zurück in London nimmt sein Leben auch dank Marion einen eher gemäßigten Verlauf und als er 1977 seinen ehemals besten Freund wieder trifft, erkennt er, dass er sein Häuschen, den sicheren Job, die Ehe mit Marion und damit verbundene Treue und das Töchterchen Amy tatsächlich so sehr schätzt, wie er dieses Leben als Jugendlicher verachtete.

Ein coming of age Roman, der mich restlos begeistern und überzeugen kann. Die Dialoge zwischen Christopher und Toni als Grünschnäbel, die glauben alles zu wissen und aus der Literatur ihre Lebensweisheiten ziehen sind einfach herrlich abgehoben und absurd. Auch die Entdeckung der Liebe in Paris – wo auch sonst – und die abstrusen Umstände der Trennung sind sprachlich umwerfend geschildert. Für mich insbesondere bedeutsam und gelungen die Reflexion des Ichs von 1977 und die Spiegelung der großen Erwartungen des jungen Christopher. 
Ein vor allem sprachlich herausragender Roman, der die Frage beantwortet, warum Barnes immer wieder für die großen Buchpreise nominiert wird. Für mich schon jetzt eines der absoluten Highlights 2015.

Sarah Crossan – The Weight of Water

Die 12-jährige Kasienka muss ihre polnische  Heimat verlassen und reist mit ihrer Mutter nach England. Dorthin scheint ihr Vater geflüchtet und die Mutter will ihn finden. Der Start im neuen unbekannten Land ist nicht einfach. In nur einem Zimmer sitzt das Mädchen mit der Mutter und in der Schule ist sie die Außenseiterin, die noch dazu eine Klasse zurückgestuft wird. Einzig beim Schwimmen kann sie sie selbst sein und die Welt um sich herum vergessen. Die Gemeinheiten der Mädchen, die Traurigkeit der Mutter, die ärmlichen Umstände ihres Lebens in der Fremde machen ihr zu schaffen. Aber es besteht Hoffnung, sie findet den Vater und dessen neue Familie, sie wird ins Schwimmteam der Schule aufgenommen aufgenommen und dann ist da noch William, mit dem sie ihre erste Liebe erleben darf. Aber das neue Glück wird anders sein, als ursprünglich erwartet.

Das komplizierte Leben eines Mädchens in der Fremde, wo die Sprache nicht die Ausdrucksmöglichkeiten bietet, die Erwartungen der Eltern andere sind als das, was in der neuen Heimat gelebt wird. Die Brutalität des Teenagerdaseins, des Nichtdazugehörens und Außenseiterseins und die Schwierigkeit zu erkennen, weshalb man scheinbar so anders und falsch ist. Tröstlich, dass Kasienka mit dem Schwimmen einen Halt findet, der ihr Orientierung und Trost spendet und den Weg zu einem neuen Ist als Kasienka eröffnet.

Sarah Crossan trifft die Sprache Jugendlicher und ihre Protagonistin bietet sicher auch einiges an Identifikationspotenzial, da sie unaufgeregt erzählt, sich wundert und selbst viel Projektionsfläche für weitere Gedanken liefert. Verwunderlich der Druck, denn die Geschichte kommt optisch in Versform und nicht in Prosa daher, was doch eher ungewöhnlich ist.

Andreas Eschbach – Der Nobelpreis

Das ehrwürdige Komitee muss einmal mehr über die Vergabe der Preise entscheiden. Doch es gibt Manipulationen und Bestechungsversuche. Hans-Olof Andersson bleibt standhaft und lehnt das gebotene Geld ab. Er ist geradezu empört über diese verachtungswürdigen Vorgänge. Doch als man seine Tochter Kristina entführt, muss er sich beugen, um das Leben des Mädchens nicht zu gefährden. Was kann er tun, um sein einziges Kind aus den Händen der Entführer zu retten? Sein Schwager Gunnar fällt ihm ein, ein Verbrecher, der im Gefängnis sitzt und immer beste Kontakte in die Unterwelt hatte. Es gingt ihn, ihn in Freiheit zu bekommen und beide machen sich auf, das Mädchen zu befreien und die Entführer zu stellen. Dass der Radius der Verbrecher größer ist als geahnt, zeichnet sich mehr und mehr ab.

Das Buch beginnt ungemein spannend, wie ich finde. Die Umstände der Preisvergabe werden geschildert und der etwas biedere und integere Professor Hans-Olof gerät ins Zentrum. Doch dann kommt es zum Bruch in der Handlung und der Schwager Gunnar Forsberg wird zum Ich-Erzähler. Nun ist die Welt der Wissenschaft ausgetauscht durch die schwedische Unterwelt, die der Betrüger und Verbrecher, was sich in jeder Zeile bemerkbar macht. Dies ist durchaus gelungen, spricht mich aber in keiner Weise an. Dramaturgisch nachvollziehbar, für den Handlungsverlauf auch erforderlich, doch für mich als Leser und den Erwartungen etwas enttäuschend. Gunnar ist bemüht und setzt alles daran, das Mädchen zu finden, aber er ist kein Sympathieträger und ging mir in seiner Art ziemlich auf die Nerven. Eine geschickte Wendung am Ende kann zwar einiges retten, da es zu einer verblüffenden Auflösung kommt, doch letztlich blieb ich enttäuscht, da das Buch so gar nicht das liefert, was es versprochen hatte und der Titel letztlich völlig irreführend gewählt ist.

Judith W. Taschler – Die Deutschlehrerin

Ein Projekt führt den erfolgreichen Jugendbuchautor Xaver in die Schule seiner ehemaligen Lebensgefährtin Mathilda. Die Trennung war schmerzhaft, die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit sind bisweilen völlig verschieden und gemeinsam nähern sie sich zunächst  per E-Mail und in Geschichten an eine gemeinsame Vergangenheit. Doch wessen Erinnerung entspricht der Wahrheit und welche Geschichte bleibt eine Erfindung? Wieso haben sie nie eine Familie gegründet und wer war der Kopf hinter den Erfolgsbüchern? Doch die größte Frage: was geschah mit Xavers Sohn, der vor vielen Jahren spurlos verschwunden ist? Ist die Geschichte einer verlassenen Frau, die sich so an ihrem Ex rächt nur eine erfundene Story?

Das Buch besticht zunächst durch die Erzählweise, die das aktuelle  Wiedersehen bzw. die erneute Kontaktaufnahme, die zunächst einem purem Zufall geschuldet zu sein scheint, durch Erzählungen in der Vergangenheit, seitens Xavers und Mathildas, die Geschichte ihrer Familien, die sie in Erzählungen verarbeiten, mosaikförmig zusammenführt. Trotz der unterschiedlichen  Erzählebenen und Erzählzeiten wird doch immer klarer, wie die beiden an diesem Punkt ankommen konnten. Besonders gelungen die Erzählung oder besser die Varianten der Erzählung um den verschwundenen Sohn, für den gleich mehrere Erklärungen angeboten werden und man nicht weiß, wer bzw. ob einer der beiden Protagonisten Schuld trägt. Das gemeinsame  Erzählen und Erfinden verbindet Mathilda und Xaver und bindet den Leser mit ein.

Eine Liebesgeschichte, die völlig untypisch ist und zwischen tiefer Zuneigung und der Schwierigkeit gemeinsam zu sein hin und herpendelt.  Wer zuckersüß noch tragisch, sondern einfach ehrlich.

Dorothy L. Sayers – Whose body?

Mr Thipps findet eine Leiche in seinem Badezimmer. Der Mann ist ihm völlig unbekannt und hereingebracht wurde er wohl durchs offenstehende Fenster. Noch bevor er die Polizei benachrichtigt, wendet er sich an Lord Peter Wimsey, Hobbydetektiv und Sohn einer Bekannten. Dieser untersucht den Tatort, sehr zum Missfallen von Inspektor Sugg, der den Privatmann nicht ausstehen kann. Ein zweiter Fall beschäftigt den Lord zugleich: das seltsame Verschwinden von Mr Levy, der scheinbar spurlos vom Erdboden verschluckt wurde. Besteht ein Zusammenhang zwischen beiden Fällen?

Lord Peter Wimsey ist ein Detektiv im Stile eines Sherlock Holmes, mit genauer Beobachtungsgabe und scharfem Verstand gelingt es ihm, seine Fälle zu lösen. Natürlich ist er ein Exzentriker alter Schule und weiß seinen Stand angemessen zu repräsentieren, was ihm den nötigen Charme verleiht. Was der Autorin zudem gelingt, ist einem Krimi neben den charmanten Figuren auch eine gehörige Note Witz zu verleihen, was sich in köstlichen Dialogen bisweilen aus heutiger Sicht zur Absurdität führenden Wortwechseln äußert. 

A.L. Kennedy – Paradise

Hannah Luckraft verkauft Pappkartons. Nicht unbedingt die Karriere, die ihre Familie sich ausgedacht hat, noch dazu bei einem erfolgreichen Bruder. Aber das ist nicht ihr größtes Problem, sondern der Alkohol, der ihr immer wieder Teile der Erinnerung raubt, ohne den sie aber auch nicht leben kann. Mit Robert trifft sie auf einem Gleichgesinnten und obwohl sie immer mal wieder versuchen der Suchthölle zu entfliehen, stürzen sie sich doch wieder gemeinsam hinein, in den Sog aus Droge und Liebe.

Auch wenn das Buch vielerorts hochgelobt wurde, tat ich mich doch schwer damit. Vermutlich lag es an der unsäglichen Erzählerin, deren Lebensentwurf mir so extrem fremd war wie selten in einem Buch. Ihre seltsame Auffassung vom Leben und Sterben, dann die unzähligen Halluzinationen nach dem Trinken – es scheint mir sehr realitätsnah, was man der Autorin zugutehalten kann, aber es macht daraus ein schwer erträgliches Buch, dass man eigentlich immer wieder gerne weglegen möchte.

Rosa Likson – Abteil Nr. 6

Eine Zugfahrt von Moskau nach Ulan Bator in der Mongolei. Eine junge Finnin muss sich das Abteil mit einem älteren Mann teilen. Schon von der ersten Sekunde an ist sie von ihm angewidert. Seine derben Witze, sein grober Ausdruck und noch viel mehr seine frauenverachtenden Anmachen. Doch ein Wechsel in ein anderes Abteil ist nicht möglich und so sind sie mit einander gefangen, während draußen die Weiten der Sowjetunion vorbeiziehen. Sie erzählen sich ihr Leben, teilen ihr Schicksal, gehen gemeinsam aus, wenn der Zug mal wieder eine Zwangspause in Sibirien einlegen muss. Kommen sich näher – nehmen wieder Abstand. Beobachten das Land draußen und die Enge drinnen. Erzählen von ihrem Leben und den Enttäuschungen.
Kein leichtes Buch, sondern das ganze Ausmaß menschlichen Lebens, vor allem die negativen und schweren Seiten, in ein Abteil gepackt. Die Schicksalsgemeinschaft der zwei so verschiedenen Figuren, die namenlos bleiben, die sich ineinander spiegeln und gleichzeitig angezogen und abgestoßen werden. Auch die Sprache spielt dieses Spiel – zwischen Poesie und niedrigster Gosse changiert sie locker dahin. Für mich das Spannendste die detailreichen Beschreibungen der Orte und Landschaft, aber auch die kleinen Zwischentöne über das Leben in der Sowjetunion, die Situation der Ausländer und der Frauen. Dass die Autorin das Land kennt und genau studiert hat, geht aus jeder Zeile des Romans hervor und nicht umsonst wurde er mit dem Finlandia Preis ausgezeichnet.

Ein alles andere als alltäglicher Roman.

Sadie Jones – The Uninvited Guests

Emeralds Geburtstagsparty steht an und sie ist entschlossen zu feiern, auch wenn über der Familie ein großer finanzieller Druck lastet und sie drohen das geliebte Elternhaus zu verlieren. ihr Steifvater macht sich daher auf, um ein Darlehen zu bitten. Viele Gäste sind nicht geladen. neben Mutter Charlotte und den Geschwistern Imogen, genannt Smudge, und Bruder Clovis werden Patience und ihr Bruder Ernest, die zu Kindertagen mit Emerald und Clovis eng befreundet waren, erwartet, sowie John, der Emporkömmling, der sich Hoffnungen auf eine Vermählung mit Emerald macht. Doch der Abend verläuft anders als geplant. Ein Zugunglück in der Nähe lässt das Haus plötzlich mit Menschenmassen überlaufen, denen sich keiner der kleinen Gesellschaft wirklich gewachsen sieht. Und dann taucht da noch ein vermeintliches Zugopfer auf, das jedoch ganz andere Motive für den Besuch hegt und die Familienbande bis aufs Extremste strapazieren wird.
Der Roman lebt von einer herrlich distanziert-ironischen Sprache, die ihn zu einem wahren lesevergnügen werden lässt. Die Handlung schleppt sich für meinen Geschmack bisweilen etwas dahin und kommt kaum voran. Insbesondere die Episoden um die völlig gestörte Smudge entbehren nicht einer urkomischen Groteske und das Mutter-Kinder Verhältnis ist ebenfalls ein Ausbund an Absurdität – all dies von einem Erzähler kommentiert, der die passenden Worte für die Gedanken des Lesers findet.

Eine Zeitreise 100 Jahre in die Vergangenheit, die zum echten Vergnügen wird.

Michael Frayn – Skios

Dr. Norman Wilfred soll auf der Insel Skios einen Vortrag über Scientometrics halten. Doch am Flughafen wird sein Gepäck vertauscht und auch sein Abholdienst der Gesellschaft,d ie ihn eingeladen hat, ist nirgendwo zu entdecken. Ein etwas verwirrter Taxifahrer und bringt ihn wie er vermeintlich denkt, zum Tagungsort. Oliver Fox indes nutzt die sich bietende Chance und gibt sich kurzerhand als der gesuchte Experte aus, da ihn die bezaubernde Nikki auch so herzerwärmend betreut. Gewieft wie er ist, kann er die Fassade auch gegenüber experten aufrechterhalten, obwohl sich so mancher wundert, wie jung der Forscher doch ausschaut. Da es in der illustren Gesellschaft aber noch mehr Personen gibt, die nicht sind, wer sie vorgeben oder sich nicht dort aufhalten, wo ihre Liebsten sie wähnen, deckt auch niemand das Spiel um falsche Identitäten auf.
Die Charaktere sind zugegebenermaßen wenig interessant und auch nicht besonders ausgereift. Der Roman wird nicht von ihnen getragen, sondern von dem Spiel mit dem falschen Schein, der auch die Welt der Wissenschaft ein Stück weit enttarnt, denn der Eindringling Fox kann relativ entspannt mit den werten Herrschaften fachsimpeln ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben. Ebenso erheiternd das Spiel mit den sozialen Rollen und Erwartungen, der arme – wahre – Dr. Wilfred kann so gar nicht ertragen, wie man ihn behandelt. Alles in allem eine leichte Komödie zur entspannten Unterhaltung.

Jenny Offill – Department of Speculation

Das Ende einer Ehe, einer Liebe, die einfach im Laufe der Zeit verschwunden ist. Nach der ersten Verliebtheit, der Hochzeit, der Tochter rinnen die Jahre nur so dahin und irgendwann geht in all dem Familien- und Alltagsleben etwas verloren, das sie einmal verbunden hat. Und nun müssen sie sich dem stellen, was übrig ist von ihren gemeinsamen Träumen und Erwartungen.

Gemessen an meinen Erwartungen war das Buch ein totaler Reinfall. Eine unstrukturierte Aneinanderreihung von Banalitäten, die für mich zwar durchaus das Gesamtbild einer kaputten Ehe ergeben, aber weder besonders spannend noch sonstwie interessant waren, sondern einfach belanglos und egal. Auch sprachlich konnte mich das Buch in keiner Weise packen, die versprochene Poetik hab ich nicht finden können, sondern eigentlich nur das, was man in etlichen Foren gängiger Frauenzeitschriften genau so auch finden kann. Das Klagen einer Frau, die erkennt, dass nichts mehr da ist, von den großen Erwartungen.