Agatha Christie – Der unheimliche Weg

Agatha Christie – Der unheimliche Weg

Eine Serie von Wissenschaftlern, die spurlos verschwinden, beschäftigt die Geheimdienste ebenso wie die Öffentlichkeit. Intelligente Männer, die wesentliche Erkenntnisse hervorgebracht haben, die jedoch auch militärisch gegen ihre westliche Heimat verwendet werden könnte. Unter ihnen auch Tom Betterton, Nuklearwissenschaftler, dessen Frau an der Situation verzweifelt und sich, um auf andere Gedanken zu kommen, auf eine Urlaubsreise nach Marokko begibt. Dort jedoch kommt sie nie an, sie kommt bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Da man sie allerdings im Verdacht hatte, mit ihrem Mann unter einer Decke zu stecken, engagiert der britische Agent Jessop kurzerhand Hilary Craven, die gerade überlegte, sich das Leben zu nehmen, um den Platz von Mrs Betterton einzunehmen. Was hat sie schon zu verlieren bei einem Himmelfahrtskommando, dessen Ausgang mehr als ungewiss ist?

„Der unheimliche Weg“ ist sicherlich der untypischste Agatha Christie Roman, der mir bis dato untergekommen ist. Es gibt zwar durchaus Opfer, aber es fehlt die typische Leiche, deren Ableben aufgeklärt wird. Stattdessen bekommt man eine Agentengeschichte des Kalten Krieges, wie sie im Buche steht. Spannend mit vielen verdeckten Identitäten und für den Leser ebenso ungewisse Reise wie für die Protagonistin.

Der 1954 erschienene Roman griff wohl mehr als aktuelle Themen auf. Die Welt hatte gesehen, wozu Wissenschaftler fähig waren, der Gedanke an Doppelagenten, die dem gegnerischen Block schaden wollen, war mehr als präsent. Christie greift dies überzeugend auf und strickt auf knapp 220 Seiten eine spannende Katz-und-Maus-Geschichte, bei der man sehr schnell ahnt, dass keiner Figur zu trauen ist und viele sehr verdeckte Interessen verfolgen.

Für Fans von Hercule Poirot und Miss Marple mag der Krimi eine Enttäuschung sein, mich hat er gerade weil er so unerwartet ist, begeistern können. Auch wenn der alles überragende Ermittler fehlt, der die Zeichen richtig deutet und zusammenfügt, stellt sich Hillary als clevere Agentin wider Willen heraus, die mit einem simplen, aber dadurch umso bestechenderen Trick, die Lösung herbeiführt.

David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

Nach dem Fußballspiel einer Jugendmannschaft wird der Schiedsrichter Jamal Kabir erschlag in einem benachbarten Wäldchen aufgefunden. Der Verdacht fällt schnell auf einen Vater, der schon während des Spiels ein erhitztes Gemüt gezeigt hat und im Viertel für seine Ausbrüche bekannt ist. Einzig die Beweise oder ein Geständnis fehlen der Polizei, weshalb Micaela Vargas ins Team der Mordermittlung geholt wird. Sie stammt aus demselben Viertel wie der Verdächtige und kennt diesen seit Kindheitstagen; vielleicht kann sie ihn dazu bewegen, die Tat zu gestehen. Micaela kommen jedoch schnell Zweifel, die noch verstärkt werden, nachdem die Polizei den berühmten Psychologen Hans Rekke hinzuzieht. Die junge Polizistin will den Fall aufklären, stößt aber bald auf Widerstände und wird schließlich ganz abgezogen. Scheinbar hat sie die richtigen, aber unerwünschten Fragen gestellt.

Der Journalist und Autor David Lagercrantz konnte mich mit seinen Fortsetzungen der Stieg Larsson Reihe um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist bereits begeistern. „Der Mann aus dem Schatten“ ist die Eröffnung seiner Reihe um den manisch-depressiven Psychologen Hans Rekke und die unerschrockene Ermittlerin Micaela Vargas. Auch wenn der erste Fall in sich abgeschlossen sind, sind doch schon viele Hinweise angelegt, die sogleich neugierig auf die folgenden Bände machen.

Lagercrantz lässt seine Handlung um Jahr 2003 starten, was zunächst verwundert, im Laufe der Geschichte enthüllt sich jedoch, dass sie in einem damals aktuellen politischen Kontext steht und weit über den kleinen Sportplatz in Stockholms Außenbezirk hinausgeht. Das bedauernswerte Opfer, ein aus Afghanistan Geflüchteter, hatte sich scheinbar gut in Schweden eingelebt und sich im Jugendsport engagiert. Dass ein väterlicher Ausraster zu so einer Tat führt, kann schnell verworfen werden. Nun jedoch stellt sich die Frage, ob Jamal Kabir wirklich der Mann war, wie ihn alle kannten.

Die beiden Protagonisten Micaela und Hans könnten gegensätzlicher kaum sein, was sie zu einem nicht unkomplizierten, aber sich hervorragend ergänzenden Team macht. Beide sind mit interessanten Charakterzügen ausgestattet und haben komplexe Familiengeschichten im Hintergrund, die noch viel Raum für Entwicklungen bieten. Mich konnten sie beide unmittelbar für sich gewinnen.

Der Schlüssel zur Lösung des Falls ist nicht leicht zu finden und Lagercrantz integriert geschickt psychologische Aspekte, die durch Rekke eingebracht werden, wie auch die politisch brisante Lage, die durch US-amerikanische Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan ausgelöst wurde. Micaela hingegen ist die Figur, die zwischen den unterschiedlichen Welten der verschiedenen Gesellschaftsschichten wandert und ein feines Gespür für Zwischentöne zeigt und unerschrocken für die Wahrheit kämpft.

Ein packender Politthriller, der fraglos Lust auf weitere Bände der Reihe macht.

Ein herzlicher Dank geht an das Blogger Portal und die Penguin Random House Verlagsgruppe. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Karl Eidem – Der Schwede

Karl Eidem – Der Schwede

Der schwedische Geheimdienstler Hans Edelman weiß nicht genau, was er von den Informationen seines israelischen Kollegen halten soll. Angeblich werde seit Jahrzehnten in Moskau ein Schwede festgehalten, mehr wisse man nicht. Kann das sein? Ja, es gibt Menschen, die verschwunden sind, aber welches Interesse sollten die Russen an diesen haben? Edelman will den Ball flach halten und schickt einen Späher, der tatsächlich ein Foto eines sehr alten Mannes machen kann, der sich in einem gut bewachten und elektronisch abgeschirmten Gebäude aufhält. Er beginnt die Vorbereitungen für eine heikle Mission, die heimlich vom Mossad begleitet wird, der dabei seine ganz eigenen Interessen verfolgt.

Der Autor Karl Eidem ist von Haus aus Finanzanalyst, hat in seiner Heimat jedoch schon zahlreiche Nordic Noir Romane veröffentlicht. „Der Schwede“ ist der Auftakt zu seiner Serie um Hans Edelman und David Karlén. Der Krimi ist geradlinig erzählt, ohne viele Nebenhandlungen und Extraschleifen bewegt er sich von der Kontaktaufnahme durch die Israelis hin zu der heiklen Mission in der russischen Hauptstadt. Interessant ist daran, dass der Protagonist und Namensgeber des Buchs weitgehend im Dunkeln bleibt. Mehr als seine vermutete Nationalität ist lange Zeit nicht bekannt, was neben der Spannung, die durch das wagemutige Befreiungskommando entsteht, zusätzliche Fragen aufwirft.

Ein recht typischer Polit- und Geheimdienstthriller, der die komplexen Zusammenhänge der Gegenwart verdeutlicht. Der israelische Dienst verfügt über die technischen und personellen Mittel, um weit über die Landesgrenzen hinaus Spuren zu verfolgen und die Vorgänge der Welt im Geheimen zu überwachen.

„So war Stalin verstorben und schließlich auch Lawrenti Beria, der berüchtigte KGB-Chef und Stalins Nemesis. Andere hatten die Macht übernommen, und die Frage war im Niemandsland versumpft, was mit dem Gefangenen geschehen sollte. Der Geheimdienst hatte beschlossen, ihn am Leben zu halten. Man wusste schließlich nicht, ob er irgendwann einmal wieder von Nutzen sein konnte.“

Der Nachfolgedienst des KGB wiederum spiegelt die Zerrissenheit des Landes wider. Der Bewacher des Schweden nimmt seinen Job ernst, fühlt sich ganz dem Geheimdienst und seinem Land verpflichtet ohne zu erkennen, in welche Gefahr er sich selbst bringt oder zu hinterfragen, was er tut. Seine Kollegen sind weitaus weniger engagiert und ermöglichen durch ihre Nachlässigkeit die Mission der Schweden und Israelis erst.

Hans Edelman und sein Team geraten als kleines Land zwischen die großen Mächte. Er riskiert viel für das Leben eines Landmannes, von dem er nicht einmal sicher sein kann, dass er tatsächlich einer der vermissten Schweden ist. Er allein trägt das Risiko, ohne alle Spielsteine zu kennen.

Die Handlung wird von dem Vorgehen des rationalen schwedischen Ermittlers geprägt, der unaufgeregt der Sache nachgeht und die Befreiung plant. Keine emotionale Zerreißprobe, auch keine ablenkenden Widrigkeiten, sondern eine zielgerichtet erzählte Geschichte, der es dennoch nicht an Spannung mangelt.

Hillary Rodham Clinton/Louise Penny – State of Terror

Hillary Rodham Clinton/Louise Penny – State of Terror

Unerwartet hat der neue amerikanische Präsident Williams seine schärfste Kritikerin zu seiner Außenministerin gemacht. Ellen Adams hat schnell verstanden, weshalb, indem sie für den Posten ihr Medienimperium aufgibt und an seiner Seite arbeitet, kann er sie besser kontrollieren und geschickt Fallen stellen, um sie öffentlich zu demütigen. Als eine Serie von Bombenanschlägen Europa erschüttert, sind sie jedoch gezwungen, zusammenzuarbeiten, denn im Auswärtigen Amt ging zuvor eine Warnung ein. Ausgerechnet aus dem Iran, dem verhassten Erzfeind. Schnell erkennen Williams und Adams, dass die Bedrohung vielleicht nicht unbedingt aus dem Mittleren Osten kommt, auch wenn dort mit Bashir Shah ein gewiefter Physiker sitzt, der im Verdacht steht, eine Atombombe zu bauen und meistbietend an Schurkenstaaten oder Terrororganisationen zu verhökern.  Die Zeit läuft ihnen davon und das bei einer diffusen Bedrohungslage, bei der die Grenzen zwischen Freund und Feind fließend sind.

Ebenso wie ihr Mann, der bereits zwei Politthriller auf den Markt geworfen hat, hat sich die ehemalige Außenministerin Hillary Rodham Clinton nach Ende der politischen Karriere jener der Literatur verschrieben. Dazu hat sie sich mit Louise Penny eine routinierte und erfolgreiche Autorin gesucht, mit der die Geschichte für meinen Geschmack überzeugend umgesetzt wurde. Es ist ein klassischer Thriller im Politikmilieu, der mit der Angst vor einer unbekannten Gefahr spielt und die bekannten Akteure des politischen Spiels einbindet. Dass damit auch der Mythos des einsamen amerikanischen Helden, der sich und seine Familie hinter die Interessen des Landes stellt, bedient wird, war zu erwarten und sehe ich nicht als Makel, denn die Handlung ist spannungsgeladen, wird mit hohem Tempo erzählt und schließlich schlüssig gelöst.

Ellen Adams zeichnet sich durch einen scharfen Verstand und schnelle Auffassungsgabe auf. Indem man ihren Mann zum Opfer des gesuchten Atombombenbauers macht und auch ihr Sohn bereits in den Händen islamistischer Terroristen war, hat sie auch ganz persönliche Motive, sich den Agitatoren der Krisenregion entgegenzustellen. Als Figur sicherlich in mancher Hinsicht überzeichnet – die ganze Familie einzubinden, derart hoch zu pokern und geschickt die Herrscher in ihrem Sinne zu manipulieren – andererseits sind das die meisten Helden in diesem Genre und bekanntermaßen ist auch ein James Bond halbtot in der Lage, alleine die Welt zu retten.

Die Handlung integriert geschickt die politischen Verschiebungen der letzten Jahre und wirkt dadurch glaubwürdig und durchaus real vorstellbar. Dass in geheimen Laboren Atombomben oder auch andere Waffen, egal ob atomar, biologisch oder chemisch, hergestellt werden könnten, um Rache an der westlichen Welt zu nehmen, dürfte niemand ernsthaft in Zweifel ziehen.  

Der Thriller wurde vielfach harsch kritisiert. Die Argumente sind durchaus nachvollziehbar, die Abrechnung mit dem ehemaligen Präsidenten – Parallelen zu realen Personen sind vermutlich rein zufällig – erfolgt nicht gerade subtil, letztlich ist er es sogar, der entscheidend zu dem Chaos und der Bedrohung beigetragen hat. Ich fand die Seitenhiebe oftmals köstlich und amüsant, da passte jedes Wort.

General Whitehead seufzte. „Bashir Shah ist wieder auf freiem Fuß? Das ist in der Tat ein Problem.“

„Und zwar ein größeres, als Sie glauben. Angeblich haben wir dafür unseren Segen gegeben.“

„Wir?“

„Die ehemalige Regierung.“

„Das ist unmöglich. Wer wäre denn dumm genug… Ach. Vergessen Sie, dass ich gefragt haben“

Die Außenministerin ist die überragende Figur und damit wohl eher von Wunschtraum Clintons. Aber mal ehrlich: wer greift nicht auch zu Literatur, um das zu durchleben, was man im echten Leben nicht hat oder nicht ist? Warum sollte ihr es dann nicht auch als Autorin gestattet sein, die Figur, die gewisse Ähnlichkeit zu ihr aufweist, etwas aufzuhübschen? Mich hat’s nicht gestört.

Das Wissen Clintons aus dem inneren Zirkel der Macht gepaart mit Pennys Schreibtalent – eine spannende und gelungene Kombination, die gerne fortgesetzt werden darf.

Wolfgang Kaes – Das Lemming-Projekt

Wolfgang Kaes – Das Lemming-Projekt

Die andalusische Provinz hat sich von der großen Immobilienkrise 2008 nie wirklich erholt. Die jungen Menschen ziehen entweder weg oder müssen sich mit gering bezahlten Jobs unter ihrer Qualifikation begnügen. So auch der Historiker Alejandro, der in einem IT Unternehmen online Content durchsucht und alles löscht, was unter Hass, Gewalt oder Pornografie fällt. Sie alle arbeiten dort im Akkord, doch eine seiner Kolleginnen scheint zunehmend unter der Arbeit zu leiden; sie erhält, genauso auch Alejandro, immer wieder verstörende Bilder, die sich persönlich betreffen. Bei Alejandro ist es ein Foto, das er als Kind zu Hause gesehen hat. Als Maria sich das Leben nimmt, beginnt er nachzuforschen und stößt dabei nicht nur auf ein gut gehütetes Familiengeheimnis, sondern auf die Verwicklung von staatlichen Institutionen, Kirche und einer nebulösen Untergrundorganisation, die als Reconquista 2.0 das vermeintlich von Ausländern übersäte und unter einer jüdischen Weltelite leidende Land zurückerobern möchte.

Der Journalist Wolfgang Kaes ist für seine intensiven Recherchen bekannt, mit denen er bereits mehrere ungelöste Fälle aufklären konnte. Immer wieder legt er auch mit seinen Büchern den Finger in Wunden und verbindet so spannende Unterhaltung mit journalistischer Arbeit und Aufklärung. Auch sein aktueller Thriller fügt sich in dieses Schema und greift gleich mehrere heiße Eisen an: die zweifelhafte Rolle der katholischen Kirche unter Franco, die scheinbar bis heute lieber unter den Teppich gekehrt als aufgeklärt wird; im politischen Spektrum eher rechts angesiedelte Bewegungen, die mit gezielter Propaganda nach schlichten Gemütern suchen, die auf ihre simplen Erklärungsmuster hereinfallen und sich leicht instrumentalisieren lassen; die Macht der Internet-Konzerne, die mit ihren Algorithmen steuern, was die Massen zu sehen bekommen und so nicht unwesentlich die öffentliche Stimmung beeinflussen und eine neue Macht darstellen – all dies vor dem Hintergrund der prekären Situation junger Spanier, die gerade in den provinziellen Gebieten kaum mehr Zukunftschancen haben.

„Das Geheimnis des Facebook-Erfolgs ist die Sehnsucht der Menschen nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Auch Sehnsucht kann eine Sucht sein. Weltweit erliegen ihr rund 2,7 Milliarden Nutzer, die wie die Lemminge ein paar Meinungsführern und Heilsbringern hinterherhecheln.“

Alejandro weiß wenig über die Firma, für die er arbeitet, auch seine Kollegen kennt er kaum, die Vorgaben sind strikt und der Druck ist groß. Er ist ein moderner Sklave, der sich ob mangelnder Alternativen fügen muss. Seine Arbeit wird eigentlich in dritte Welt-Ländern erledigt, wo Arbeitskräfte willig und billig sind, so weit ist es inzwischen mit Spanien auch gekommen. An wen er bei CleanContent bzw. dem Mutterkonzern ThinkContent geraten ist, ahnt er noch nicht.

Doch mindestens genauso zweifelhaft ist die „Fromme Bruderschaft der Heiligen Agatha“, die als Wohltäter in der Öffentlichkeit auftritt und sich verlorener Kinderseelen annimmt, nur um diese in ihren Erziehungsanstalten gefügig zu machen, zu quälen und zu missbrauchen. Doch wer würde die bescheidenen Kirchenmänner hinterfragen, die sich ganz in den Dienste Gottes gestellt haben?

Viel spanische Geschichte findet Eingang in den Thriller, belegt aber auch, dass sich manches strukturell immer wieder wiederholt, lediglich die Medien sind andere. Und dass es einzelne mutige Menschen braucht, die sich dem Treiben entgegenstellen, für Werte wie Gerechtigkeit einstehen und bereit sind, ihr eigenes Leben für die Wahrheit und das Ende des Schweigens zu riskieren. Einmal mehr eine perfekt orchestrierte anspruchsvolle Lektüre, die thematisch komplex und dennoch spannungsreich gestaltet ist.

Yassin Musharbash – Russische Botschaften

Yassin Musharbash – Russische Botschaften

Gerade ist die Journalistin Merle Schwalb beim „Globus“ befördert worden, ihre Recherchen haben sie zu den top Investigativjournalisten der Republik gemacht. Zufällig wird sie Zeugin eines Unfalls, wie sie vermutet, ein Mann stürzt vom Balkon und ist sofort tot. Doch der Polizeibericht spricht eine andere Sprache, was ihre Neugier weckt. Das Opfer war offenbar russischer Staatsbürger und hat geheime Informationen an deutsche Sicherheitsdienste weitergegeben. Mit einem Kollegen der Norddeutschen Zeitung, der scheinbar an derselben Geschichte nur von einem anderen Ende her arbeitet, schließt sich Merle zusammen, denn offenkundig haben sie brisantes Material in Händen: eine kryptische Liste mit Namen von Menschen, die, so scheint es, aus Russland gezielt Geld für Desinformation bekommen haben. Darunter auch die Chefs der beiden Zeitungen. Es kann Merles größte Story werden – oder ihr Untergang.

Yassin Musharbash ist Journalist der Wochenzeitung „Die Zeit“, kennt also die Arbeit seiner Protagonistin aus eigener Erfahrung. Auch das Thema Fake News und gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Steuerung der Nachrichten beschäftigt nicht erst seit Donald Trumps erstem Wahlkampf die Medien, die oftmals Täter und Opfer zugleich sind und daher auch immer wieder der Kritik ausgesetzt sind. Die Zusammenarbeit mit John Le Carré, für den der Autor als Rechercheur arbeitete, hat sicherlich auch seine Spuren in dem Politthriller hinterlassen.

Was dem Roman hervorragend gelingt, ist die journalistische Arbeit darzustellen. Wie akribisch und aufwändig Nachforschungen sein können, die manchmal dann doch im Sand verlaufen, Quellen, die mal mehr mal weniger glaubwürdig sind, Zufälle, die zu nützliche Informationen führen und auch immer der Druck durch die Konkurrenz, die eigenen Vorgesetzten und unter Umständen auch eine reale Gefahr, je nachdem, mit wem man sich gerade beschäftigt.

Man hat keine Zweifel daran, dass ein Fall wie in dem Thriller erzählt, sich so zutragen könnte. Die Verstrickungen von Politik, Wirtschaft, Medien, dazu Geheimdienste und Individualinteressen sind kaum mehr zu überblicken. das meiste finde im Verborgenen statt, nur selten erfährt die Öffentlichkeit durch aufsehenerregende Ereignisse wie der Vergiftung Skripals oder dem Tiergartenmord von diesen Vorgängen. Die Entwicklung der Geschichte, das langsame Zuspitzen und sich annähern an die Urheber der ominösen Liste folgt einem überzeugenden Spannungsbogen, auch die „Seiteneinschläge“, die die Arbeit der Journalisten behindern, sind dramaturgisch passend platziert.

Was mir etwas fehlte, war der Zugang zur Protagonistin, eigentlich ist eine junge und ehrgeizige Frau gut dafür geeignet, die Sympathien der Leser zu gewinnen, Merle blieb mir aber fremd. Dies lag womöglich daran, dass der Autor sie immer wieder mit Vor- und Nachnamen adressierte, was eine Distanz schafft. Sicherlich muss ei eine gewisse Abgebrühtheit und Nervenstärke mitbringen, um in ihrem Job zu bestehen, leider erscheint sie aber dadurch etwas emotionskalt und abgeklärt, dass ihre Recherchen mit echten Menschen zu tun hat und diese Dinge auch Auswirkungen auf diese haben – immerhin gibt es einen Toten! – lässt sie unverhältnismäßig kalt. Das jedoch der einzige Schwachpunkt für mich.

Ruth Lillegraven – Tiefer Fjord

Ruth Lillegraven – Tiefer Fjord

Als das nächste Kind in der Notaufnahme deutliche Spuren von häuslicher Gewalt aufzeigt, reißt bei dem Arzt Haavard der Geduldsfaden. Wie lange soll er noch tatenlos mitansehen, wie Kinder vor seinen Augen leiden müssen, oftmals mit dem Leben bezahlen und niemand etwas unternimmt? Auch seine Frau Clara ist schockiert ob des neuerlichen Falles, schon lange versucht sie einen Gesetzentwurf zum Schutz misshandelter Kinder durchzubringen, doch wieder einmal wird ihr Vorhaben abgeschmettert. Haavard beginnt seine Beobachtungen zu sammeln und hat bald schon eine Liste mit eindeutig verdächtigen Eltern zusammen. Doch genau diese wird ihm zu Verhängnis, denn jemand nimmt die Sache, vor der die Öffentlichkeit die Augen verschließt, in die Hand und ausgerechnet Haavard war gleich zwei Mal in unmittelbarer Nähe, als brutal Rache geübt wurde.

Die norwegische Autorin Ruth Lillegraven wurde bereits mehrfach für ihre Bücher ausgezeichnet, „Tiefer Fjord“ ist ihr erster Thriller, der nicht nur wegen der brutalen Thematik nahegeht, sondern auch clever konstruiert wurde und so unerwartete Überraschungen und Wendungen bietet. Auch die Einblicke in den Politikbetrieb sind überzeugend integriert, da sie nebenbei der Krimihandlung mit informativen Hintergründen mehr Tiefe verleihen.

Man kann die Wut der Figuren nachvollziehen. Immer wieder erleben zu müssen, wie scheinbar alle staatlichen Institutionen versagen, wenn es um den Kinderschutz geht, kann niemanden kaltlassen. Das Motiv des Mörders liegt auf der Hand, moralisch kann man ihm durchaus folgen, auch wenn das gewählte Mittel jenseits aller Legalität ist.

Haavard erscheint zunächst als liebender Vater und engagierter Arzt, doch bald schon bekommt das perfekte Image Risse und reißt ihn von dem gerade errichteten Sockel. In seiner Ehe kriselt es schon lange, weshalb er sich heimlich mit seiner Kollegin trifft, fest davon überzeugt, dass Clara davon nichts ahnt. Doch diese ist deutlich aufmerksamer und vor allem cleverer darin etwas zu verbergen. Die pflichtbewusste Beamtin des Justizministeriums erscheint zunächst etwas blass, offenbart im Laufe der Handlung jedoch unerwartete Abgründe.

Ein Psychothriller, der seinen Namen verdient. Komplexe Figuren, deren Handeln jedoch überzeugend durch ihre Erlebnisse motiviert ist und die widersprüchliche Emotionen aushalten müssen, was sie authentisch und glaubwürdig wirken lässt.

President Bill Clinton/ James Patterson – The President’s Daughter

President Bill Clinton/James Patterson – THe President’s Daughter

Matthew Keating wanted to serve a second term as POTUS, but his mission against one of the evilest terrorists went disastrously wrong and cost him the presidency. Now, he is doing more or less nothing apart from fishing and not so much enjoying himself. When his daughter Mel is abducted by IS terrorist Asim Al-Asheed who wants to revenge his wife and daughters, ex SEAL Matt takes it personal. Since the official agencies totally fail to rescue the girl, he decides to become active himself to get her back. He is still well-connected and secretly sets up a small team to do what a father has to do.

The second cooperation between former President Bill Clinton and well-known crime writer James Patterson is a fast-paced mixture of political and spy thriller which also gives deep insight in how the different national agencies work with and against each other. The thriller brilliantly shows that politics can be a nasty business where personal agendas at times conflict with national interests and ethics. Also, since the end of the Cold War, the lines between confronting enemies have become blurred and the world is a much more complex place with several stakeholders all acting and interfering simultaneously.

First and foremost, the novel lives on the protagonist Matt Keating who tries to free his daughter. Even though we first meet him in the role of the president, his former occupation as a member of the US SEALs is a much more formative aspect of his character. When he learns of is successor’s unwillingness of helping to liberate his daughter, he reactivates his knowledge and connections to rescue her on his own. Admittedly, I doubt how realistic this might be, however, it certainly makes a good action-loaded plot. The daughter, too, is a tough cookie, even though raised in a rather comfortable position, she is courageous and has a strong will to survive which gives her more power than was to be expected.

What I found most interesting, however, was not just the war between the terrorist and the USA but how China meddles and how conflicting interests endanger civilians which are nothing more than collateral damage. Ironically, it is a private affair that leads to the downfall of the current president – highly likely in our times.

Great entertainment which surely also works quite well on the screen since it incorporates the core virtues of bravery, persistence, teamwork and love.

Gustaf Skördeman – Geiger

Gustaf Sköderman – Geiger

Gerade hat sie die Töchter samt Familien verabschiedet, als bei Agneta das Telefon klingelt. Nur ein Wort wird gesagt, „Geiger“, und dann wieder aufgelegt. Agneta weiß, was zu tun ist: sie nimmt die Waffe, die sie seit Jahrzehnten versteckt hat und erschießt ihren Mann, bevor sie sich auf ihre weitere Mission begibt. Polizistin Sara Nowak kennt die Familie gut, ihre ganze Kindheit hat sie dort verbracht und war immer etwas neidisch auf die Mädchen und deren berühmter Vater. Von allen wurde er nur Onkel Stellan genannt und war in den 70ern und 80ern der größte Fernsehstar Schwedens. Jetzt ist er tot und seine Frau auf der Flucht, doch warum?

Gustaf Sköderman hat sich bereits als Regisseur und Drehbuchschreiber einen Namen in seiner schwedischen Heimat gemacht, „Geiger“ ist der Auftakt zu einer Thriller-Trilogie, auf deren historischen Hintergrund er schon vor vielen Jahren durch einen Zeitungsartikel gestoßen war. Was als Familiengeschichte beginnt, wird schnell zum Politthriller, denn der anonyme Anruf weckt die deutschen Sicherheitsbehörden, die seit Jahrzehnten auf ein Lebenszeichen gewartet haben und immer vermuteten, dass der Ost-West-Konflikt des Kalten Krieges noch lange nicht vorbei ist.

Der Markt der Nordic Noir Bücher ist inzwischen unüberschaubar, quasi täglich strömen neben den etablierten bekannten Namen auch neue Autoren auf den Markt und buhlen mit bekannten Mustern um die Gunst der Leser. Erstaunlicherweise wird man aber selten enttäuscht und auch „Geiger“ konnte mich von der ersten Seite an packen. Die Geschichte entfaltet sich im bekannt skandinavischen gemächlichen Tempo, nimmt dann aber mit zunehmender Komplexität des Falles auch an Fahrt auf bis hin zu einem filmreifen Showdown.

Der Autor macht ein inzwischen längst vergessenes Thema der europäischen Geschichte zum zentralen Punkt der Handlung. Zahlreiche Spione wurden zur Zeit des Kalten Krieges auf beiden Seiten der Mauer platziert, viele auch als Schläfer, die Jahrzehnte lang unbehelligt ein unauffälliges Leben führten. Schweden kam als neutralem Staat eine besondere Rolle zu, die letztlich jedoch nicht so unbeteiligt war, wie es schien. Auch kratzt er am Image der Politikerriege, denn diesen kommt eine mehr als zweifelhafte Rolle im Roman zu. Auch wenn ich einige Aspekte für etwas zu viel des Guten hielt und etwas weniger dick aufgetragen auch eine spannende Geschichte ergeben hätte, insgesamt doch ein Thriller, der die Erwartungen erfüllt und zur Abwechslung auch mit interessanten und widersprüchlichen Frauenfiguren aufwartet.

Marc Elsberg – Der Fall des Präsidenten

Marc Elsberg – Der Fall des Präsidenten

Kaum ist er aus dem Flieger gestiegen, wird der ehemalige US Präsident Douglas Turner in Athen verhaftet. Der Internationale Gerichtshof hat Anklage erhoben und einen Haftbefehl ausgestellt, der durch die lokalen Behörden ausgeführt werden muss. Dana Marin ist als Vertreterin des ICC vor Ort, um den Vorgang zu überwachen, gerät aber auf das Bildmaterial, das heimlich angefertigt wird und sich sogleich online verbreitet. Damit beginnt dann auch das Kräftemessen: auf der einen Seite der ICC, der die Gerechtigkeit auf seiner Seite hat, jedoch über wenig Macht verfügt, lediglich auf die öffentliche Meinung hoffen kann. Gegenüber steht die mächtigste Nation der Welt, die sogleich die ganze Maschinerie anwirft, nicht nur um das ehemalige Oberhaupt schnell aus griechischer Haft zu befreien, sondern auch um im aktuellen Wahlkampf nicht das Gesicht zu verlieren. Gerade das Land, das für Freiheit und den Kampf gegen den Terrorismus steht, soll nun dafür angeklagt werden?

Marc Elsberg hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen mit spannenden Thrillern gemacht, die insbesondere dadurch herausstechen, dass er aktuelle Themen für seine Szenarien wählt. Sei es die prekäre Stromversorgung im Notfall in „Blackout“ oder auch Gentechnik in „Helix“ – immer treibt er das Gedankenspiel bis an die aushaltbare Grenze. In „Der Fall des Präsidenten“ wirft er nun die ethisch-moralische Frage auf, wie viel den Ländern Recht und Gerechtigkeit wert sind und wie in Zeiten von Deep Fakes und Fake News die öffentliche Meinung beeinflusst und Wahrheit immer perfekter gefälscht werden kann.

Die eigentliche Handlung an der Oberfläche umfasst nur wenige Tage, in denen wiederholt das Gericht tagt, das über die Rechtmäßigkeit des ICC Haftbefehls und der damit verbundenen Auslieferung an Den Haag entscheiden soll. Spannend wird die Angelegenheit durch die Nebenschauplätze, an denen ganz verschiedene Aspekte eskalieren. Die Amerikaner nutzen ihre Vormachtstellung und drohen sogleich mit wirtschaftlichen Sanktionen, erlassen Einreisebeschränkungen und positionieren sich im Streit zwischen Griechen und Türken, um so den Druck auf das Land zu erhöhen. Von der Unabhängigkeit eines Gerichts kann kaum mehr die Rede sein, wenn eine ganze Nation in Sippenhaft genommen wird.

In der Sachfrage steht natürlich die komplexe Problematik im Fokus inwieweit ein Präsident für die Taten der Armee und einzelner Soldaten in Kriegen verantwortlich ist. An Kollateralschäden bei der Zivilbevölkerung hat man sich leider gewöhnt, der vorgebliche Zweck scheint sehr viele Mittel zu rechtfertigen, insbesondere seit 9/11. Einzig der Internationale Gerichtshof könnte hier Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erheben, aber er wirkt wie ein zahnloser Tiger und zahlreiche Ausnahmen und die Nicht-Anerkennung durch Länder wie die USA lassen vernünftige Arbeit kaum zu.

Die noch junge und wenig erfahrene Vertreterin des ICC erfährt die volle Härte der eigentlich juristischen Auseinandersetzung auf ganz anderer Ebene: sofort tauchen Bilder von ihr online auf, die in tendenziöse Zusammenhänge gepackt werden, andere werden direkt skrupellos gefälscht, um so die Öffentlichkeit zu täuschen und Meinungsmache zu betreiben. Verschwörungstheoretiker und verquere Denker lassen sich zudem ungehemmt mit ihren Theorien aus.

Ins Rollen bringt alles ein Whistleblower, der seiner Intuition folgte und sich nun größter Gefahr ausgesetzt sieht. Man weiß, wie insbesondere die USA mit in ihren Augen Vaterlandsverrätern umgeht. Schützen kann ihn kaum wer in dieser Situation, denn bei dem mächtigen Gegner ist sich jeder selbst am nächsten.

Auch wenn das Ende vielleicht durch die plötzliche Action etwas zu dick aufgetragen ist, ein spannender Thriller, dem es gelingt, die Komplexität des Konflikts und der Wirklichkeit unterhaltsam abzubilden.

Ein herzlicher Dank für das Rezensionsexemplar geht an den Blanvalet Verlag sowie das Bloggerportal. Mehr Informationen zu Autor und Titel finden sich auf der Verlagsseite.