Doireann Ní Ghríofa – Ein Geist in der Kehle

Doireann Ní Ghríofa – Ein geist in der Kehle

Eine Ausnahmesituation bringt die Essayistin und Poetin Doireann Ní Ghríofa zu einer Adligen, Eibhlín Dubh Ní Chonaill, die zwei Jahrhunderte vor ihr lebte und ihre Gedanken und Emotionen ebenfalls in Gedichtform äußerte. Als erwachsene Frau nimmt sie den Text, den sie bereits in der Schulzeit einmal lesen musste, gänzlich anders wahr und spürt eine Verbindung, der sie nachgeht, wenn sie nicht gerade den Haushalt schmeißt oder sich um ihre drei Kinder kümmert. Eine Verbindung zwischen zwei Frauen über Zeit und gesellschaftliche Veränderungen hinweg.

Die Autorin hat für das Buch „Ein Geist in der Kehle“ eine Mischform von Texten gewählt, die am besten zum Ausdruck bringt, was sie leitet und wie sehr die Texte von Eibhlín Dubh sie bewegen. Das Schwangersein und Mutterwerden lässt sie mehr denn je als Frau empfinden und schafft ein starkes Band zu jener Frau, die heute zum irischen Nationalmythos zählt.

Beide Leben werden clever miteinander verwoben. Das der Autorin ist für mich besonders intensiv im Ausdruck, als sie ihre Tochter zur Welt bringt und bange Wochen nach der Frühgeburt durchlebt. Die Erschöpfung und Zweifel werden in jeder Zeile lebendig und treffen einem auch als Leserin unmittelbar, auch wenn man eine derartige Erfahrung nicht machen musste. Vor allem das Gefühl, in ihrer ureigenen Funktion als Mutter, die das in ihr heranwachsende Kind nicht gut versorgt, versagt zu habt, trifft die Autorin hart.

Im Kontrast dazu Eibhlín Dubh, die einerseits stark wirkt und doch nach dem Tod ihres Mannes das Schicksal der Frauen ihrer Zeit erleidet: sie verschwindet. Sie wird unsichtbar, nicht mehr erwähnt, weder in offiziellen noch in privaten Dokumenten. Einzig durch ihre Söhne lebt sie weiter und sehr gelegentlich als Randfigur, die jedoch nur beim Mädchen Rufnamen genannt wird.

Die Autorin nennt ihren Text feministisch. Nicht nur die beiden Protagonistinnen, sondern das, was sie gesellschaftlich zu Frauen macht, stehen im Zentrum. Die Angst zu versagen, die gesellschaftlichen Erwartungen nicht zu erfüllen, wirken stark durch. Und auch das Verschwinden, in dem Moment, wo der Gatte nicht mehr da ist, ist wohl ein sehr weibliches Phänomen.

Ein starker Text, der sich einer Genre-Zuordnung versagt. Eine feministische Perspektive, die einerseits sehr persönlich und doch auch wieder universell ist. Sprachlich außergewöhnlich und gerade in den poetischen Passagen ein literarischer Hochgenuss.

Julian Aguon – No Country for Eight-Spot Butterflies

Julian Aguon – No COuntry for Eight-Spot Butterflies

Julian Aguon is a human rights lawyer and defender from Guam. “No Country for Eight-Spot Butterflies” is a collection of poems, essays and speeches which center around crucial topics such as colonisation, climate change and the rights of indigenous populations. In total, it forms into a manifesto for the respect of life on earth, no matter if human, animal or plant. He gives insight in his own process of growing up, of gaining insight and learning that even though we as humans should care for the same ideas and aims, the world often works with other mechanisms.

The author has formed a strong voice which immediately captures the reader. In the afterword, he states what he thinks is crucial at the moment, it is not being loud, but to listen. He does not use an accusatory tone, but a quite voice which makes you concentrate more on what is said, paying more attention and reading more closely.

Some of the essays provided new information to me, in others, it was mainly the perspective that was new and which I have ignored so far. It is beautifully written despite the seriousness of the topic and the increasing urgency for action.

An outstanding collection that definitely does leave an impact on the reader.

Leïla Slimani – Le parfum des fleurs la nuit

Leila Slimani – Le parfum des fleurs la nuit

Quand l‘écrivaine Leïla Slimani est offerte une nuit blanche au sein de la Punta della Dogana (Pointe de la Douane), musée au cœur de Venise, elle accepte comme son roman actuel ne veut pas avancer. Mais, non seulement la possibilité de se trouver seul avec des chef-d’œuvre d‘art la séduit, mais l‘idée d‘être enfermée. Pour elle, c‘est dans les petites pièces renfermées que l‘inspiration vienne. Loin du monde avec soi-même, les personnages lui parlent et l‘histoire naît. Les heures avec des sculptures et des tableaux lui entraînent avant tout à une réflexion de son travail comme écrivaine, de l‘art en général et de sa propre histoire entre deux cultures.

« Les musées continuent de m‘apparaître comme des lieux écrasants, des forteresses dédiées à l‘art, à la beauté, au génie et où je me sens toute petite. »

Le roman de Leïla Slimani est avant tout la documentation de son flux de conscience pendant cette nuit qui coule d‘un sujet à l‘autre. D‘abord, elle se trouve face à des œuvres d‘art extraordinaires, mais elle se sent inférieure comme elle n‘a jamais développé une attitude détendue envers eux. Elle avait toujours l‘idée qu‘il fallait sentir quelque chose de singulier et de voir le génie du créateur immédiatement.

« Je suis sans doute bête. Ou bien c‘est l‘escalope milanaise qui me pèse sur l‘estomac et m‘empêche de faire le moindre effort de réflexion. »

Mais, la peinture comme la littérature est plutôt une interaction entre l‘œuvre et la personne qui le regarde ou lit et qui s‘ouvre pour avoir un échange. Ainsi, tout interprétation est correcte. La littérature comme une partie intégrale de sa vie mène nécessairement à son enfance, ses parents et son enfance entre le Maroc et la France.

« Mes parents voulaient que nous soyons des femmes libres, indépendantes, capables d‘exprimer des choix et des opinions. »

Le livre n‘est ni roman ni essai mais une réflexion continue, Slimani nous laisse participer à sa nuit au musée et ainsi partage aussi son processus créatif. J’ai bien aimé suivre ses pensées très personnelles qui montrent aussi un côté vulnérable de l’écrivaine.

Édouard Louis – Wer hat meinen Vater umgebracht

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Édouard Louis – Wer hat meinen Vater umgebracht

Wer die Bücher „En finir avec Eddy Belleguele“ (Das Ende von Eddy) oder „Histoire de la violence“ (Im Herzen der Gewalt) gelesen hat, weiß, dass Édouard Louis aus schwierigen Verhältnissen stammt und insbesondere die Beziehung zu seinem Vater nicht einfach war. In seinem kurzen Buch analysiert er nun genau jene von Verachtung und Ringen um Anerkennung und Liebe geprägte Beziehung.

Als Kind buhlt er um die Beachtung durch seinen Vater, will so sein, wie der Vater sich seinen Sohn wünscht, dessen Ideale und Werte erfüllen. Doch früh schon scheitert er. Eddy ist unverkennbar anders und kann dieses Anderssein nicht ablegen. Von den Eltern schlägt ihm dafür bestenfalls Verachtung und Ignoranz entgegen, bisweilen auch offener Hass:

 „(…) sie hatte das schon oft gesagt, aber noch nie so hart und so direkt, bislang noch nicht –, sie sagte: Warum bist du nur so? Warum führst du dich die ganze Zeit so auf, als ob du ein Mädchen wärst? Das ganze Dorf sagt schon, du bist eine Schwuchtel, was glaubst du, wie wir uns schämen, alle lachen über dich.”

So wenig die Eltern ihn verstehen, so schwer fällt ihm als Kind und Jugendlicher die Vorbilder, die für ihn keine sein können, zu verstehen. Erst als Erwachsener versteht er die Mechanismen, die in seinem Elternhaus griffen. Der Vater, der früh die Schule verlies und erwachsen sein musste, um Geld zu verdienen und der Gewalt im eigenen Elternhaus entfliehen zu können, der gar nicht erst die Chance bekam, Träume zu entwickeln.

„Du warst ebenso das Opfer der Gewalt, die du ausübtest, wie derjenigen, der du ausgesetzt warst.”

Die Gewaltspirale reproduziert sich in den Kindern und so kann der Vater gar nicht anders als das zu leben, was er selbst kennengelernt hat.

„Als ich neulich einem Freund von dir erzählte, sagte er: »Dein Vater wollte nicht von seiner Vergangenheit erzählen, weil diese Vergangenheit ihn daran erinnert, dass er jemand anderes hätte werden können und nicht geworden ist.« Vielleicht hat er recht.”

Mit dem Verständnis wächst aber auch die Wut, dies sich nun nicht gegen den Erzeuger, sondern gegen den französischen Staat richtet, der Menschen wie sein Vater im Stich lässt. Nach einem Arbeitsunfall nun sehr eingeschränkt, sieht er sich dem System gnadenlos ausgeliefert und muss sich als Sozialschmarotzer beschimpfen lassen.

Wieder sind es starke Emotionen, die den Text von Édouard Louis prägen, doch im Gegensatz zu seinen zwei belletristischen Büchern fällt es mir in diesem Essay deutlich schwerer, Mitgefühl zu empfinden. Zu plakativ erfolgt die Anklage am Ende. Es ist erfreulich zu sehen, dass es ihm gelingt, sich mit seinem Vater zu versöhnen, indem er erkennt, dass dieser nicht aus seiner Haut heraus kann und in einem Leben feststeckt, dass vielleicht auch nicht seins ist. Die Tirade auf der Herrschenden mag sachlich bezogen auf die Argumente richtig sein, aber Édouard Louis hat bessere Möglichkeiten, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren – und zu verändern! – als dieses fast reißerische Pamphlet.

Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

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Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

Deborah flieht aus Südafrika nach Mallorca, Mitten im Winter, um zu schreiben. Doch schon das Ankommen ist so beschwerlich, dass sie keinen richtigen Anfang findet. Mit einem chinesischen Ladenbesitzer kommt sie ins Gespräch. Er genau wie sie fern der Heimat, der Landessprache nicht mächtig, fremd. Sie erzählt ihm von ihrer Kindheit in Südafrika, zur Zeit der Apartheit, als man ihren Vater wegen seiner Aktivitäten für den ANC verhaftete und sie zu einer entfernten Tante schicke, wo sie als jüdischen Mädchen bei Nonnen unterrichtet wurde. Sprach sie zuvor schon nicht viel, verstummt sie nun fast gänzlich. Nach Jahren des Wartens wird der Vater freigelassen und die Familie flieht nach England. Zwar spricht man dieselbe Sprache, aber das Mädchen findet immer noch keine Worte, um sich auszudrücken. Erst durch das Schreiben kann sie das, was in ihr vorgeht, nach außen dringen lassen.

Deborah Levys literarischer Durchbruch gelang ihr 2012 mit Heim Schwimmen, für das sie auf der Shortlist des Man Booker Prize 2012 stand. Dasselbe konnte sie im vergangenen Jahr mit Hot Milk wiederholen. Als Südafrikanerin hat sie die Rassentrennung miterlebt, die auch zentral für „Was ich nicht wissen will“ ist. Der Untertitel, der leider bei der deutschen Ausgabe fehlt, unterstreicht die realen Bezüge, dass es ihre Gedanken sind und ihre Erklärung dafür ist, weshalb sie zur Schriftstellerin wurde: A reponse to George Orwell’s 1946 essay ‚Why I write‘.

Es sind zwei Phasen in ihrem Buch, die mich besonders beeindruckt haben. Die erste zu ihrer Kindheit in Johannesburg, wo sie mit der den Kindern eigenen Naivität die Welt beobachtet und erfasst, ohne zu verstehen, was sie sieht und was dies bedeutet:

Der Koffer, den mein Vater packt, ist sehr klein. Bedeutet das, er kommt bald wieder? Die Männer haben ihm ihre breiten Hände auf die Schultern gelegt. (…) Und jetzt wird er zügig abgeführt von Männern, von denen ich aus mitgehörten Gesprächen zwischen Mom und Dad weiß, dass sie andere Menschen foltern und dass sie manchmal am Handgelenk ein Hakenkreuz eintätowiert haben.

Vor allem die innige Beziehung zu ihrem Kindermädchen Maria und deren Tochter Thandiwe und das nur langsame Begreifen, dass sie zwar im selben Haus, aber nicht in derselben Welt leben, wird durch ihren kindlichen Blick nicht verwässert, sondern geschärft:

Thandiwe durfte eigentlich nicht bei uns zu Hause sein, denn sie war schwarz, und ich hatte versprechen müssen, es keiner Menschenseele zu sagen. Ich nannte Thandiwe manchmal Doreen, aber nur hin und wieder. Doreen weinte auch noch, als Maria mit ihr den Bungalow verließ und sie zur Bushaltestelle »Nur für Schwarze« brachte, von der aus sie in die »Township« zurückfahren sollte, in der sie lebte.

Zum anderen ihre Zeit in England, wo sie sich wie im Exil fühlt, zwangsverfrachtet, da in der alten Heimat kein Leben mehr möglich ist. Auch nach Jahren ist sie in der neuen Heimat nicht angekommen und vermisst das, was sie aufgeben musste:

Seit sechs Jahren lebte ich jetzt in England und war fast so englisch wie eine eingefleischte Engländerin. Trotzdem war ich von anderswo. Mir fehlten der Geruch der Pflanzen, für die ich keine Namen hatte, die Stimmen der Vögel, für die ich keine Namen hatte, das Gemurmel in Sprachen, für die ich keine Namen hatte.

Gerne erinnert sie sich zurück, doch als Erwachsene muss sie erkenne, dass ihre Erinnerungen sich womöglich nicht mit den Eindrücken der anderen Menschen decken:

Nur eine Erinnerung möchte ich behalten: Maria, die auch Zama ist, wie sie abends auf den Verandastufen sitzt und Büchsenmilch trinkt. Die afrikanischen Nächte waren warm. Die Sterne leuchteten hell. Ich liebte Maria, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich ebenfalls liebte. Politik und Armut hatten sie von ihren leiblichen Kindern getrennt, und sie war ausgelaugt von den weißen Kindern in ihrer Obhut.

Auch wenn der Verlag ihn als Roman führt, ist es doch eher ein Essay über das Dasein als Schriftsteller, in dem Deborah Levy genau wie auch Orwell autobiographisch begründet darlegt, weshalb sie gar nichts anderes tun kann, als schreiben. Orwells vier Motive gelten meines Erachtens gleichermaßen für Levy: Egoismus, da man gerne auch über sich schreibt; ästhetischer Enthusiasmus, ein historischer Impuls und die politische Absicht – all dies findet sich hier uns in anderen ihrer Werke wieder.

Yiyun Li – Dear Friend, From My Life I Write To You In Your Life

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Yiyun Li – Dear Friend, From My Life I Write To You In Your Life

Yiyun Li has spent two years writing her essay which appeared in the collection I write to you in your life. Topics which affected her as a writer as well as her as a Chinese woman living and working in America. Yet, it is not only theoretical essays on different subjects such as suicide, the role of writers, connection between language and identity etc., it is much more a kind of biography, a very personal insight into Yiyun Li’s thoughts and feelings.

Some of her thoughts I found not only remarkable, but they gave me a lot of food for thought. E.g. when she writes that she does not trust her past since her memory could be tainted. It is true, we cannot have something like a neutral remembrance, it is all within. The co text of what was before and what came after. At times, big catastrophes which seem to destroy our lives are considered just minor events a couple of months or years later. So we do not keep the memory of that specific moment but the classification made afterwards.

She also explains the title which is actually a quote from Katherine Mansfield‘ notebooks. At first, I was wondering about the idea, but slowly I could understand what she was referring to. Of course, as a writer, you aim at entering somebody’s life, at being important and relevant for a reader. You also might write to express yourself, but what worth does it have to write something which neither read by anybody nor relevant for anybody?

Her analysis of suicide comes to a convincing conclusion: one never kills oneself from knowledge or understanding, but always out of feelings.“ (Position480). Since those feelings can never be fully felt by somebody else, so who are we to judge suicide? No matter the individual explanation, it is the person’s decision which has to be accepted.

When she reads in other writers‘ notes, she has the feeling of entering into conversation with them. She enters into others‘ lives, follows their train of thoughts and in this ways advances herself. Since you can never trust what somebody writes, you can at least build a broader picture of the writer since you can never write without also offering something of yourself

Her most interesting aspect for me, however, was the thoughts on the impact of the language. Yiyun Li writes in English which is not her mother tongue. Yet, this is quite natural for her, she rejects writing in Chinese and does not feel limited by her capacities in English. It is also her relationship with China that forbids her writing in Chinese.

All in all, I have the impression of a very personal book which wants to enter into conversation with the reader. It does not provide definite answers to anything, it raises many questions and thus enters into conversation with you.

 

Gila Lustiger – Erschütterung

Rezension, Essay, Sachbuch
Schon im Januar 2015 wurde Paris mit den Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo und den Hyper Cacher schwer getroffen. Aber die Attentate am 13. November gingen viel stärker noch in das Bewusstsein der Franzosen ein, denn dieses Mal traf es die normale Bevölkerung, Menschen, die sich am Freitagabend amüsieren wollten, die ein Konzert besuchten und in Bars saßen, Menschen, die keine Schuld auf sich geladen und doch den Zorn von Terroristen auf sich gezogen hatten. Die deutsche Autorin Gila Lustiger hat diesen Abend und die folgenden Tage miterlebt und ihre Erschütterung in einem Essay festgehalten. Dabei spielen auch die Jugendkrawalle aus dem Jahr 2005 eine wesentliche Rolle, waren diese doch Vorläufer dieser Attentate, ebenso wie die zunehmende Anzahl an antisemitisch motivierten Einzeltaten.
Auf das Buch wurde ich durch eine Veranstaltung mit der Autorin aufmerksam, in der sie zum einen auszugsweise vorlas, zum anderen aber auch noch einmal spontan in Worte fasste, weshalb sie dieser Abend so sehr persönlich getroffen hat. Gewalt und Bedrohung im Alltag sind ihr nicht fremd, immerhin hat sie einige Zeit in Jerusalem gelebt und als Jüdin ist sie insbesondere mit den Facetten sublimer und offener Feindseligkeit vertraut. Man merkte ihr sowohl bei der Lesung wie auch im Buch an, dass die Tage im November sie persönlich stark berührt haben. Dieser sehr persönliche Ton, wie auch die offenen Beschreibungen ihrer Gefühle zwischen Verzweiflung, Unverständnis und Aktionswille, machen ganz wesentlich den Essay aus. Der Versuch als Außenstehende die französische Gesellschaft und die Problematik der Cités zu analysieren gelingt ihr meines Erachtens ebenfalls sehr gut, unter anderem weil sie auch eigene Erfahrungen mit der Frage von Assimilation und dem Recht der Bewahrung von Herkunftssprache und -kultur gemacht hat.
Es ist nicht die große gesellschaftlich-politische Analyse, die umfassend alle Frage beantwortet, sondern ein sehr persönlicher Bericht und Blick auf die aktuelle Situation Frankreichs. Am Ende schafft sie auch einen ganz wesentlichen Schritt: nicht mehr viel über die Täter reden, sondern auch die Opfer in den Fokus rücken, diejenigen, die für die Fehler anderer bezahlen mussten.