Matthias Politycki – Das kann uns keiner nehmen

Matthias Politycki das kann uns keiner nehmen
Matthias Politycki – Das kann uns keiner nehmen

Endlich hat er das vollendet, was er 25 Jahre zuvor begonnen hat: Hans, zurückhaltender Hamburger, steht vor dem Kilimandscharo. Doch die Reise, die zu einem Abschluss mit seiner Vergangenheit gedacht war, wird schon beim Aufbruch empfindlich gestört als er auf dem urbayerischen Tscharli trifft, der mit seinem lauten und losen Mundwerk das genaue Gegenteil von Hans verkörpert. Nicht nur die Art, sondern auch das, was er von sich gibt, stoßen Hans sofort ab. Die Naturgewalten jedoch zwingen die beiden zusammen und im Laufe der folgenden Tage lernt Hans seinen Weggefährten nicht nur besser kennen, sondern muss auch sein anfängliches Urteil revidieren.

Matthias Politycki hat in seinem Roman eine Reihe von eigenen Erfahrungen verarbeitet, ohne die vermutlich die Intensität der Erfahrungen nie so überzeugend beim Leser ankommen könnte. Es ist eine Mischung aus Reisereportage, humorvoller Erzählung und philosophischem Sinnieren über das Dasein und die Lage der Welt geworden, die jedoch für mich auch einige großen Hürden aufbot. Erzählerisch und dramaturgisch ist der Roman überzeigend gestaltet, leider fand ich den Ich-Erzähler wie auch die Figur des Tscharli ganz furchtbar und unerträglich, was das Durchhalten bis zum Ende einer Bergbesteigung ähnlich machte.

Nein, mit diesem Tscharlie konnte ich mich nicht anfreunden. Nicht nur seine pauschalisierenden und immer knapp am guten Geschmack vorbeigehenden Parolen waren eine Herausforderung, auch auf die detaillierte Schilderung seines Durchfalls hätte ich gerne verzichtet. Auch wenn er sich gegen Ende als Linker outet und jeden Rassismus von sich weist – das Denken in Dimensionen von DIE Afrikaner und DIE Europäer ist mir zu undifferenziert und platt gewesen. Sein Charakter mag komplexer sein als dies zunächst scheint, sympathisch wurde er jedoch nie.

Hans hat mich mit seiner weinerlich-passiven Art ebenso genervt. Hierzu passt hervorragend, dass er eigentlich eine tolle und interessante Geschichte zu erzählen hat – nämlich die Begründung, was er noch abschließen muss und weshalb die Besteigung des Kilimandscharo für ihn so essentiell wichtig ist – doch diese kommt erst ganz am Ende (zum Glück habe ich durchgehalten!) und wird dann leider mehr pflichtbewusst runtergeleiert. DAS wäre die Geschichte gewesen, die ich gerne gelesen hätte, die spannend und emotional war, aber durch die knappe Präsentation der Fakten leider auch nicht mehr viel retten konnte.

Es steckt viel in diesem Buch, wenn das Lesen jedoch zu einem Marathon wird, bei dem man sich mit Durchhalteparolen selbst anfeuern muss, hat irgendwas nicht funktioniert.

Christian Torkler – Der Platz an der Sonne

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Christian Torkler – Der Platz an der Sonne

Josua Brenner wird Ende der 1970er Jahre in eine schwierige Lage Berlins hineingeboren. Seine alleinerziehende Mutter weiß kaum die Kinder zu ernähren und so muss der aufgeweckte Junge schon früh mithelfen, Geld zu verdienen. An eine langjährige Schulbildung ist in der Neuen Preußischen Republik auch nicht zu denken, es geht um das Überleben. Aber mit Cleverness und Mut schafft er es als junger Vater für sich und seine kleine Familie ein verhältnismäßig ordentliches Leben aufzubauen, trotz aller Widrigkeiten. Immer wieder hört er von Bekannten, die dem Land den Rücken kehren und ihr Glück im Süden versuchen, in Afrika, wo stabile politische Verhältnisse herrschen, die Staaten nicht von korrupten Politikern geführt werden, die sich und ihren Familien die Taschen vollstopfen und zugleich das Volk ausbluten lassen. Doch der Weg dorthin ist weit und gefährlich. Nach zwei harten Schicksalsschlagen beschließt auch Josua, dass er nicht mehr zu verlieren hat und es das aktuelle Leben auch nicht wert ist, gelebt zu werden. Also bricht er auf.

Christian Torkler verkehrt die Welt in seinem Roman „Der Platz an der Sonne“: Europa hat sich vom Zweiten Weltkrieg nicht erholt, ist politisch und wirtschaftlich instabil und in unzählige Kleinstaaten zersplittert. Afrika ist der reiche Kontinent, der zum Sehnsuchtsort wird, wo sich die Träume vom guten Leben realisieren lassen. Doch die Grenzen sind dicht, scharfe Kontrollen überall verhindern den unkontrollierten Exodus gen Süden, was jedoch viele Lebensmüde und Mutige nicht davon abhält, die weite und riskante Reise zu wagen.

Im ersten Teil des Buchs erleben wir die schwierige Lage in Berlin. Dass es auch so hätte kommen können, ist durchaus vorstellbar. Das Leid der Leute, die korrupten Beamten, die Verschwendung und Veruntreuung von Aufbaugeldern reicher Staaten, die wiederholten Rückschläge, die Josua auf dem Weg zu seiner eigenen Kneipe erlebt – Torkler zeichnet ein glaubwürdiges Bild, das durchaus angelehnt an das ist, was für viele Menschen heute Alltag ist, wenn auch nicht in Mitteleuropa. Es braucht diese lange Vorgeschichte, um nachvollziehen zu können, weshalb Josua nichts mehr zu verlieren hat und die Flucht ergreift.

Der Weg ist geprägt von allerlei Beschwerlichkeiten durch Witterung, Grenzzäune oder auch Polizisten, schnell schon lassen die ersten Weggefährten ihr Leben. Die Brutalität und Sinnlosigkeit, mit der auf die Geflüchteten eingeschlagen wird, lässt einem manchmal an der Menschheit zweifeln. Umgekehrt schildert Torkler aber auch Episoden von Hilfsbereitschaft und Unterstützung, subversivem Unterwandern der Gesetze und dem gemeinsamen Bewältigen der unmöglichen Situation. Es gab und gibt eben immer beides auf der Welt. Die finale Überquerung des Mittelmeers wird zum Höhepunkt, ein unberechenbares Glücksspiel, das man überlebt oder nicht und das selbst im ersten Fall kein Garant für eine glückliche Zukunft ist.

Eine ungewöhnliche Geschichte von Flucht und Hoffnung auf ein besseres Leben. Das Buch ist ohne Frage politisch, stärker wiegt jedoch der menschliche Appel an das Verständnis für die Lage derjenigen, die ihre Heimat verlassen, weil es dort nichts mehr gibt, das sie hält. Niemand wird Zweifel daran hegen, weshalb Josua Brenner Berlin den Rücken kehrt. Warum kann man dieses Verständnis nicht auch in der Wirklichkeit aufbringen? Der ungehinderte Zugang zu wirtschaftlich und politisch stabilen Ländern kann nicht die Lösung sein, das geht auch aus „Der Platz an der Sonne“ hervor, denn eigentlich will niemand seine Heimat verlassen, sondern nur ein bescheidenes, aber sicheres Leben führen.

Gauz – Camarade Papa

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Gauz – Camarade Papa

„Camarade Papa“ offre une vue particulière sur la colonisation française. C’est cela qui m’a avant tout attiré. L’histoire se passe vers la fin du 19e siècle au milieu du combat entre la France et l’Angleterre pour la prédominance en Afrique. Qui sera le premier, qui aura plus de terre gagnée à la fin ? La perspective des Africains n’intéresse pas, c’est l’Europe qui domine et qui décide. Un siècle plus tard, un descendant des Africains qui ont vu leur terre être emparée par les Français, se met à la recherche de son histoire à Amsterdam et en Afrique.

L’intrigue et le point de vue particulier sont deux forts arguments pour lire ce roman. C’est dommage que j’avais de grands problèmes à vraiment y retrouver ce que j’attendais, je me sentais parfois plutôt perdue. Quoique je sois parvenue à le terminer, j’ai l’impression de ne pas vraiment avoir compris le contenu.

Gaël Faye – Petit Pays

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Gaël Faye – Petit Pays

Anfang der 1990er Jahre, Burundi. Gabriel lebt mit seiner kleinen Schwester Ana und den Eltern in einer großen Villa. Sein Vater ist Exilfranzose aus dem Jura, seine Mutter kommt ursprünglich aus Ruanda. Das fröhliche Kinderleben wird durch die Trennung der Eltern jäh unterbrochen. Warum genau die Ehe in die Brüche ging, hat er damals nicht verstanden. Vielleicht haben sie einfach über ihre Verliebtheit übersehen, welches Erbe sie mit sich bringen und die Unterschiede ignoriert. An einem Tag plötzlich ändert sich das Leben schlagartig: die Präsidenten von Burundi und Ruanda werden ermordet, im Nachbarland Ruanda bricht der Bürgerkrieg aus und die Frage, zu welcher Ethnie man gehört wird ein entscheidender Faktor in einem multiethnischen Land.

Gaël Faye erzählt die Geschichte seines Landes, nicht seine Geschichte, wie der französische Musiker und Autor stets betont, aber eine, die von seinen eigenen Erfahrungen beeinflusst wurde. Als Sohn eines französischen Vaters und einer ruandischen Mutter musste er 1995 vor dem Krieg nach Frankreich fliehen.

Es sind diese Themen, die einem in den Nachrichten oftmals drohen überdrüssig zu werden, ein Bürgerkrieg weit entfernt in Afrika. Über Tage, Wochen, gar Monate scheint immer wieder dieselbe Meldung durchzukommen. Die Schicksale der Menschen dahinter bleiben oftmals verborgen oder gar vergessen. Gaël Faye gibt einen Einblick in das Leben in Burundi, das uns doch sehr fremd ist. Durch die Augen eines Kindes erleben wir den Konflikt. Diese Perspektive ermöglicht es, die großen politischen Fragen auszuklammern, dafür ist Gabriel zu klein, sie sind auch nicht interessant, das alltägliche Leben ist viel (be)greifbarer. Nichtsdestotrotz werden die wichtigen Fragen angerissen, schon im Prolog entfaltet sich ein Dialog, der – wenn die Geschichte nicht so traurig wäre – geradezu herrlich ist: der Vater erklärt den Kinder das Prinzip der Ethnien und sie stellen fest, dass Tutsi und Hutu im selben Land leben, dieselbe Sprache sprechen, denselben Gott anbeten und sich doch bekriegen. Warum? Na weil sie unterschiedliche Nasen haben, sieht man doch. Auch der Briefwechsel mit der französischen Brieffreundin lässt die Kinder in ihrer unverblümten Naivität schreiben, aus Erwachsenensicht kann man darüber sehr schmunzeln.

So wie die ganze Region durch den Ausbruch der Kämpfe erschüttert wird, ist es auch die Familie, die am Zerbrechen ist. Die Unterschiede zwischen dem französischen Vater, der sich in Afrika wohl fühlt und immer wieder betont, dass auch Frankreich nicht das Paradies ist, unterdessen aber völlig verkennt, dass er kein wirklich afrikanisches Leben lebt und der Mutter, die unter dem Exil leidet, den Wohlstand nicht genießen kann, weil sie – genau wie ihre Mutter – die Verbundenheit zu den Ahnen spürt und in der Fremde nie eine Heimat finden wird. Für die Kinder sind diese widersprüchlichen Gefühle und Aussagen oft unbegreifbar, erst später selbst in der Fremde, wird auch Gabriel bewusst, wie stark ihn und seine Gedanken das Leben in Afrika geprägt hat.

Sowohl der Erzählton wie auch die Umsetzung des Themas sind außergewöhnlich gelungen. Nicht umsonst war der Roman in der Endrunde des Prix Goncourt 2016 und wurde mit dem Goncourt des Lycéens, dem Prix du premier roman und des Prix des étudiants France Culture geehrt. Ein Stück afrikanische Geschichte, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Die deutsche Übersetzung wird im Oktober bei Piper erscheinen.

Fiston Mwanza Mujila – Tram 83

Roman, Rezension, Afrika, Kongo
Äquatorialafrika, es könnte Kongo sein, es könnte überall sein. Ein Ort namens Stadtland bildet die Kulisse für ein unglaubliches Schauspiel. Im „Tram 83“, eine Mischung aus Bar, Bordell und lokalem Handelsplatz für quasi alles, nahe des Bahnhofs gelegen, treffen sich allabendlich die Bewohner und die Touristen. Junge Mädchen, genannt Küken und kaum die Pubertät erreicht, bieten ihre Körper ebenso an wie erwachsene Frauen. Die Arbeiter der nahegelegenen Minen betrinken sich ebenso wie die Studenten. Ex-Kindersoldaten versuchen zu vergessen, ebenso wie die Verlierer des korrupten Staates. Unter ihnen auch Requiem, der sich mit Erpressung und zwielichtigen Geschäften ganz gut positionieren konnte. Lucien wiederum, erfolgloser Schriftsteller und Träumer, hat weniger Glück und die Tatsache, dass Requiem noch eine Rechnung mit ihm offen hat, wird es nicht leichter machen. Alle versuchen zu überleben in einem Land, das von regelmäßigen Stromausfällen, unsicherer politischer Lage und ausländischen Kräften geprägt wurde. Im Tram 83 verschwinden die Unterschiede jedoch manchmal, denn die Kellnerinnen schnauzen alle gleichermaßen an.
„Am Anfang war der Stein, und der Stein schuf den Besitz und der Besitz den Rausch“ – man sagt guter Literatur nach, dass sie im ersten Satz schon alles unterzubringen mag, was die danach folgenden Seiten beinhalten. Fiston Mwanza Mujila hat sehr viel seines Romans hineingepackt in diesen ersten Satz: die Steine der Diamantminen, eine schier unerschöpfliche Geldquelle – für wenige. Ursache von Korruption und Verderbtheit. Schuld nicht nur an unsäglicher Armut, sondern auch der Suche nach dem Rausch und der Flucht vor der Realität. Der Alltag in Afrika, den uns der Autor präsentiert und den er nicht an einen Ort oder ein Land bindet, ist für uns Europäer verschreckend. Nichts lässt mich jedoch daran zweifeln, dass das Leben vielerorts genauso ist, wie wir es in „Tram 83“ kennenlernen. Was sonst hören wir aus Afrika außer Korruption, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Prostitution schon von Minderjährigen, kriegswilde Generäle, tödliche Minen etc. Viel Hoffnung auf Besserung gibt uns auch dieses Buch nicht.
Was fasziniert jedoch so an diesem Roman, der dem Autor zahlreiche Preise eingebracht hat und in vielen Ländern von der Presse bejubelt wird? Wir haben keine Erzählung und Handlung, der ein Erzähler stringent folgt. Viel mehr folgt das Geschehen dem afrikanischen Rhythmus, wird unterbrochen, hat Wiederholungen, bestimmte Segmente tauchen regelmäßig auf. Wie im Jazz wird mal scheinbar improvisiert, dann geben wieder klare Regeln den Takt vor. Der Ton ist manchmal brutal laut, dann in einem fast heiteren Allegro bis hin zu einem leisen Piano, kulminierend in einem immer mehr Fahrt aufnehmenden Crescendo. Man muss sich in den ungewohnten Rhythmus einlesen, findet aber zunehmend Gefallen daran.

Ein afrikanischer Roman also – jein. Man merkt, dass Fiston Mwanza Mujila Europa und seine Kultur kennt. Die oben bereits zitierte Stelle, die jedem Christen sofort das Johannesevangelium in Gedächtnis ruft, deutet an, dass hier auch mit der Frage des Kolonialismus gespielt wird. Es kam kein Erlöser nach Afrika; die Europäer, denen man im Roman begegnet, sind reiche Touristen oder Nachfahren der Kolonialzeit, die in abgeschotteten Stadtvierteln unter sich bleiben. Nur zum Vergnügen kehren sie ins „Tram 83“ ein und mischen sich unter die Einheimischen. Abgelöst werden sie nach und nach von den Chinesen, die möglicherweise ein neues Zeitalter einläuten werden. Das muss auch Lucien merken, der seine Literatur nach Europa verkaufen will – aber dort hat man schon kein Interesse mehr an Afrika. Zu wenig exotisch ist es mittlerweile. Bleibt am Ende nur noch, sich ins Getümmel des Tram zu stürzen und sich zu vergnügen, denn der Morgen hat wenig zu bieten.