Leïla Slimani – Le parfum des fleurs la nuit

Leila Slimani – Le parfum des fleurs la nuit

Quand l‘écrivaine Leïla Slimani est offerte une nuit blanche au sein de la Punta della Dogana (Pointe de la Douane), musée au cœur de Venise, elle accepte comme son roman actuel ne veut pas avancer. Mais, non seulement la possibilité de se trouver seul avec des chef-d’œuvre d‘art la séduit, mais l‘idée d‘être enfermée. Pour elle, c‘est dans les petites pièces renfermées que l‘inspiration vienne. Loin du monde avec soi-même, les personnages lui parlent et l‘histoire naît. Les heures avec des sculptures et des tableaux lui entraînent avant tout à une réflexion de son travail comme écrivaine, de l‘art en général et de sa propre histoire entre deux cultures.

« Les musées continuent de m‘apparaître comme des lieux écrasants, des forteresses dédiées à l‘art, à la beauté, au génie et où je me sens toute petite. »

Le roman de Leïla Slimani est avant tout la documentation de son flux de conscience pendant cette nuit qui coule d‘un sujet à l‘autre. D‘abord, elle se trouve face à des œuvres d‘art extraordinaires, mais elle se sent inférieure comme elle n‘a jamais développé une attitude détendue envers eux. Elle avait toujours l‘idée qu‘il fallait sentir quelque chose de singulier et de voir le génie du créateur immédiatement.

« Je suis sans doute bête. Ou bien c‘est l‘escalope milanaise qui me pèse sur l‘estomac et m‘empêche de faire le moindre effort de réflexion. »

Mais, la peinture comme la littérature est plutôt une interaction entre l‘œuvre et la personne qui le regarde ou lit et qui s‘ouvre pour avoir un échange. Ainsi, tout interprétation est correcte. La littérature comme une partie intégrale de sa vie mène nécessairement à son enfance, ses parents et son enfance entre le Maroc et la France.

« Mes parents voulaient que nous soyons des femmes libres, indépendantes, capables d‘exprimer des choix et des opinions. »

Le livre n‘est ni roman ni essai mais une réflexion continue, Slimani nous laisse participer à sa nuit au musée et ainsi partage aussi son processus créatif. J’ai bien aimé suivre ses pensées très personnelles qui montrent aussi un côté vulnérable de l’écrivaine.

Leïla Slimani – Warum so viel Hass?

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Leïla Slimani – Warum so viel Hass?

Nur sechs kurze Texte enthält der Sammelband „Warum so viel Hass?“ der französisch-marokkanischen Schriftstellerin und Journalistin Leïla Slimani. Alle sind in der Wochenzeitschrift „Le 1“ erschienen, in der gesellschaftspolitische Fragen unserer Zeit diskutiert werden. Entsprechend thematisiert sie Rassismus, Hass, das Aufwachsen in einer fremden Kultur, die Rolle von Literatur in der Gesellschaft und immer wieder sind Religion und Fundamentalismus Dinge, die sie bewegen und wütend machen. In einem muslimischen Land aufgewachsen hat sie in Frankreich eine völlig neue Art von Freiheit entdeckt, die man ihr aus ihrer fernen Heimat heute zum Vorwurf macht und für die man sie verurteilt. Ganz persönlich ist sie oftmals betroffen und das merkt man auch ihren Essays an, die voller Emotionen stecken und dennoch scharfsinnig reflektiert sind.

Vor allem die Anschläge auf Charlie Hebdo und das Bataclan haben bei Leïla Slimani Spuren hinterlassen. Sie als Wandlerin und Vermittlerin zwischen den Kulturen ist betroffen und getroffen als wenn sie selbst unmittelbar zum Opfer geworden wäre. Scharf verurteilt sie die Anschläge, sucht aber auch nach Erklärungen und Ursachen. Eine liegt ganz sicher in patriarchalen Unterdrückungssystemen:

„Alle arabischen Diktatoren wissen es nur zu gut: Wer den Menschen Zugang zu Bildung verschafft, riskiert, dass sie ihn stürzen. Und dass sie eines Tages, mit einem Stift in der Hand, aufmarschieren.”

Die Welt ist aber nicht einfach schwarz und weiß oder gut und böse. Die westlichen Freiheiten werden erkauft durch Zugeständnisse an diejenigen, die diese auch bedrohen und damit wird Unterdrückung in diesen Ländern wiederum gefördert und toleriert. Diesen Widerspruch muss man aushalten oder bekämpfen.

Doch wer ist es, der offen den Finger erheben und das Wort ergreifen kann? Für die Autorin ist dies ganz eindeutig die Aufgabe der Literatur.

„Autoren wird bald die Aufgabe zufallen, ein paar Schritte zurückzutreten, Abstand zu nehmen, um beurteilen zu können, was hier geschieht. Weil die Literatur ein grenzenloser freier Raum ist, in dem man alles sagen kann, in dem man mit dem Bösen liebäugeln, das Grauen erzählen, die Regeln der Ethik und des Anstands missachten kann, ist sie wichtiger denn je. Sie zeigt die Welt in all ihrer unliebsamen Komplexität und Mehrdeutigkeit.”

Sie weiß, dass noch kein einziger Roman den Lauf der Welt verändert hat – aber Leser können dies und es ist daher die Pflicht von Autoren, die Dinge zu benennen, Denkanstöße zu geben und die Menschen in ihrem Kampf für Toleranz zu ermutigen und zu unterstützen. An ihrem Kollegen Michel Houellebecq hat sich in Frankreich so manche Debatte entzündet, da er wenig Rücksicht auf Empfindlichkeiten nimmt und sich gerne als Enfant terrible und Provocateur bezeichnen lässt. Natürlich ruft er entsprechende Reaktionen bei Andersdenkenden hervor, die auch drastisch ausfallen können, aber sollte er daher aufhören zu sagen, was er für wichtig hält? Slimani beantwortet dies für sich:

„Dabei kam eine Frage auf: Welche Verantwortung trägt Literatur? Ist ein Schriftsteller mitverantwortlich für die politische Situation in einem Land, für das, was dort passiert? Muss er sich selbst zensieren, wenn er weiß, dass seine Aussagen in einer ohnehin gereizten Gesellschaft wie ein Brandsatz wirken könnten? Ich glaube nicht.”

Nicht nur als Autorin schätze ich Leïla Slimani, sondern gerade auch als Journalistin, die mutig aufsteht und sich positioniert, schätze ich sie und vor allem, weil sie kluge Gedanken äußert, mit denen man sich immer wieder auseinandersetzen sollte.

Leïla Slimani – All das zu verlieren

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Leïla Slimani – All das zu verlieren

Adèle hat eigentlich alles, was man sich wünschen kann. Verheiratet mit ihrem erfolgreichen Arzt lebt sie in Paris, hat einen bezaubernden kleinen Sohn und arbeitet mehr zum Zeitvertreib als Journalistin. Nach außen ist das Familienleben perfekt, aber in Adèle tobt ein Krieg, sie lebt ein Leben, das sie nicht will. Geheiratet hat sie nur, weil es günstig war, um aus den bescheidenen Familienverhältnissen zu entfliehen, aber ihr Mann kann ihr nicht geben, was sie braucht. Schon lange ist ihr Liebesleben nicht mehr existent und sie such tagtäglich den Kick. Mal mit fremden Männern, mal mit Bekannten. Sie will begehrt werden, sonst hat sie den Eindruck nicht zu existieren. Ihren Alltag bekommt sie immer weniger in den Griff und zu ihrem Sohn konnte sie nie eine Verbindung aufbauen, denn ihr ganzes Denken dreht sich nur um eines: den nächsten Mann finden, der ihr verfällt.

Leïla Slimanis erster Roman erscheint jetzt erst in Deutschland, interessanterweise nach „Sex und Lügen“, das als direkte Reaktion darauf entstanden ist, denn in ihrer marokkanischen Heimat hat man nur wenig begeistert auf das Buch reagiert, das ein Verhalten einer Frau beschreibt, das gegen alle Konventionen ist und scharf verurteilt wurde.

Die Geschichte ist eigentlich nur eine Momentaufnahme aus Adèles Leben, denn die Handlung ist recht reduziert. Es reiht sich ein Abenteuer an das nächste, ohne dass es hier eine tatsächliche Entwicklung gäbe. Zwar ahnt man, dass sich der Konflikt zwischen den Ehepartnern zuspitzen muss, was auch geschieht, vor allem nachdem Adèles Mann hinter das Doppelleben kommt und sich gezwungen sieht, darauf zu reagieren, was ihn zunächst einigermaßen überfordert.

Die Figur der Adèle ist leider etwas begrenzt in ihrer Komplexität. Ihre Sexsucht steht im Zentrum der Handlung und ihrer Persönlichkeit und alles andere wird diesem untergeordnet. Woher dies kommt, bleibt offen, auch scheint sie wenig reflektiert in Bezug darauf, was die Sucht mit ihr und ihrer Familie macht. Sie wird beherrscht durch das Verlangen und schaltet dabei alle anderen Gedanken aus, was unweigerlich in der Katastrophe enden muss. Psychologisch jedoch in sich stimmig und nachvollziehbar, wie ein Leben durch eine Abhängigkeit egal welcher Art völlig dominiert wird und sich nur noch darum dreht.

Leïla Slimani – Sex und Lügen

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Leïla Slimani – Sex und Lügen

Die französisch-marokkanische Schriftstellerin Leïla Slimani begibt sich auf Spurensuche in ihrem Heimatland, das sie bereits vor vielen Jahren verlassen hat. Der Erfolg ihres Buchs „Dans le jardin de l’ogre“ hat vielfältige Reaktionen in Marokko ausgelöst, nicht nur positive, da es von einer Frau handelt, die verheiratet ist und dennoch zahlreiche Männer zum Sex trifft. Als Gefährderin der Moral hat man sie angeklagt, verurteilt für ihr literarisches Werk. Das hat sie neugierig gemacht, auf das Geschlechterverhältnis ihrer Heimat.

Völlig verschieden sind die Frauen, mit denen sie ins Gespräch kommt, jung und alt, gebildet und bildungsfern, modern und konservativ. Sie alle geben ihr jedoch Einblick in ihre Gedankenwelt und das Leben, das sie in einer extrem patriarchalen Welt, die Frauen nicht nur einschränkt, sondern massiv unterdrückt, führen. Schnell erkennt Slimani, dass die Ursachen für die Lage der Frauen nicht eindimensional sind und entsprechend auch nicht auf die Schnelle verändert werden können.

„Wenn meine Gespräche mit marokkanischen Frauen eines bestätigt haben, so ist es in jedem Fall die Tatsache, dass das »sexuelle Elend« nicht nur der Dominanz bestimmter moralischer Werte oder dem Einfluss der Religion geschuldet ist. Es hat politische, ökonomische und soziale Wurzeln und Auswirkungen, die uns offenkundig erscheinen.”

Die Frauen haben sich arrangiert, führen ein Leben zwischen moralischer Erwartungserfüllung und dem Versuch Freiheit zu leben. Der Druck, dem sie ausgesetzt sind, ist enorm, denn über allem schwebt das Damoklesschwert des Jungfernhäutchens, das über die gesellschaftliche Anerkennung und Status entscheidet. Die Auswüchse dieses Kultes klingen für uns absurd: lieber Analverkehr, um es nicht zu beschädigen oder gar die aufwändige Rekonstruktion, um eine Reinheit vorzutäuschen, von der jeder weiß, dass sie ohnehin nicht existiert. Auch in Ramita Navais Buch „City of Lies: Love, Sex, Death and the Search for Truth in Tehran“ wird ähnliches über Frauen in Teheran geschildert, die sich gleichermaßen der Unterdrückung ausgesetzt sehen und im Verborgenen versuchen, sich mit der gesellschaftlichen Situation zu arrangieren.

Jedes einzelne Kapitel schildert eine andere Facette der sexuellen Selbst- oder Fremdbestimmung marokkanischer Frauen und wirft ein zweifelhaftes Bild auf die Männer. Selbst wenn diese noch so bemüht sind, eine moderne Sichtweise einzunehmen und sich für eine Gleichberechtigung einzusetzen, so gelingt dies dennoch nicht. Über einen männlichen Gesprächspartner zieht Slimani folgendes Fazit:

„Durch die Gespräche mit mir hat er viele Dinge infrage gestellt. Jetzt sagt er, ihm sei bewusst geworden, dass Jungfräulichkeit nichts bedeutet. Aber ich glaube, das sind nur Lippenbekenntnisse. Der Einfluss der Gesellschaft, der Eltern, der Religion ist so groß, dass marokkanische Männer noch so sehr versichern können, offen und verständnisvoll zu sein, sobald sie ans Heiraten denken, muss eine Jungfrau her.”

Ein Buch, das die vor der Öffentlichkeit verborgene Sexualität öffentlich macht und den Rahmen zeigt, in dem sie erlebt wird. Informativ und niemals voyeuristisch liest es sich auch hervorragend. Man kann sich als Leser nur vor seinem eigenen Hintergrund und den eigenen Überzeugungen eine Meinung zu den geschilderten Vorfällen bilden. Für mich waren es bisweilen erschreckende Geschichten und geradezu abstrus anmutende gesellschaftlich tolerierte Verhaltensweisen, die gemessen an unseren Werten und Einstellungen, einen dringenden Aufschrei erfordern. Zu erwarten, dass sich zeitnah grundlegendes ändert, wäre aber utopisch.

Buchmesse Frankfurt 2017 – Tag 1

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Heut ganz im Zeichen von interessanten Interviews. Nachdem ich ein wenig über die Messe geschlendert war und den riesigen Asterix

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bewundert hatte, ging es schon zu einem großen Highlight der Messe: der Bekanntgabe der 2e Sélection du Prix Goncourt 2017.

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Bernard Pivot hat das Publikum nicht lange warten lassen und recht flott die Finalisten verkündet, die danach folgenden Interviews vor allem zu den Fragen, was der Gewinn des Preises verändert hat, waren sehr interessant und vor allem Leïla Slimani kam unheimlich sympathisch rüber. Auf dem Foto schlecht zu erkenne sind die ganzen Berühmtheiten, unter anderem Philippe Claudel, Tahar Ben Jelloun, Jérôme Ferrari, Leïla Slimani, Eric-Emmanuel Schmitt, Virginie Despentes u.a.

Danach ging es zum blauen Sofa, auf dem Ayelet Gundar-Goshen interviewt wurde. Sie sprach über die Hintergründe zu ihrem aktuellen Buch „Lügnerin“, ihre Erfahrungen als Therapeutin mit dem Thema Lügen und über den leider in Israel sehr verbreiteten Machismo, der es Männern erlaubt, im Falle der Beschuldigung eines sexuellen Übergriffes einfach die Frau als Lügnerin abzustempeln, was ihnen auch geglaubt wird.

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Direkt im Anschluss folgte Emmanuel Carrère, der ebenfalls über die Entstehung seinen aktuellen Romans „Brief an eine Zoowärterin aus Calais“ berichtete. Er nimmt dort einen ganz anderen Blick auf die Flüchtlingskrise, indem er den Bürgern von Calais, die über Jahre den Jungle vor ihrer Haustür ertragen mussten, eine Stimme verleiht. Er selbst schien schwer beeindruckt von seinem Besuch in dem illegalen Lager.

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Auf Édouard Louis war ich besonders gespannt. Das kurze, nicht einmal 20 Minuten dauernde Gespräch mit ihm, war viel zu kurz für all das, was der junge Autor zu sagen hatte. Beeindruckend seine offene Kritik am Literaturzirkus, der sich für besonders offen und progressiv hält und dennoch weite Teile der Bevölkerung gar nicht wahrnimmt. Erschreckend auch seine Erlebnisse mit der Presse nach dem Erfolg seines ersten Buches, ein Emporkömmling, den es so nicht hätte geben dürfen. Aus diesem Grund sind viele seiner Romane auch gar nicht fiktiv, sondern autobiografisch – in den Medien wird genug erfunden, sagt er, da kann wenigsten die Literatur die Wahrheit liefern.

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Zum Abschluss des Tages eine ähnlich starke und drastische Stimme Frankreichs: Virginie Despentes. Erwartungsgemäß deutliche Worte findet sie für die französische Gesellschaft und ihren offenen Rassismus und Ausgrenzung gegenüber nicht nur Fremden und zunehmend auch wieder Juden, sondern auch Homo- und Transsexuellen. Mit ihrem Protagonisten Vernon Subutex hat sie bewusst einen weißen Mittelschichtenmann gewählt, da sie diesen in der Krise sieht und in der Rezeption in Frankreich wurde auch ihre Vermutung bestätigt, dass das Publikum gegenüber einem maskulinen Protagonisten deutlich gnädiger ist als bei Frauen, die ein vergleichbares Schicksal erleben.

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Bevor es mich wieder in die Bahn nach Hause trieb hätte ich gerne noch die Container-Wohnung des Kein & Aber Verlags besucht, aber da hatten leider nur geladene Gäste Zugang. Freitag geht es nochmals hin, ich bin gespannt, was mich dann erwartet.

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Leïla Slimani – Chanson douce

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Leïla Slimani – Chanson douce

„Le bébé est mort. Il a suffi de quelques secondes. “ – Mit der Ankündigung des Todes des Babys beginnt Leïla Slimanis Roman „Chanson douce“. Doch wie kam es dazu? Myriam und Paul Massé sind jung, erfolgreich und die perfekte Familie mit der kleinen Mila und Baby Adam. Doch Myriam fühlt sich zunehmend falsch in der Rolle als Hausfrau und Mutter und als sie einen ehemaligen Studienkollegen trifft, der sie an ihre Karriere Anwältin erinnert, ist die Entscheidung schnell getroffen: eine Nanny muss her. Nach einem langen Casting entscheiden sie sich für Louise, die sofort die Herzen der ganzen Familie erobert. Sie kann nicht nur die trotzige Mila bändigen, sondern geht auch ganz in der Haushaltsarbeit auf und bald schon erstrahlt die Pariser Wohnung in ungeahntem Glanz. Immer abhängiger werden die vier von der resoluten und gutmütigen Frau; Myriam arbeitete mehr und mehr und auch Paul sehnt sich nach dem Leben vor den Kindern zurück und verbringt zunehmend mehr Zeit in seinem Tonstudio. Aber Louise hatte auch ein Leben vor den Massés und obwohl sie immer mehr in die Familie hineinwächst und dort praktisch einzieht, holt sie dieses Leben langsam wieder ein.

Leïla Slimanis Roman wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, unter anderem dem Prix Goncourt 2016. Auch wenn ein Mord geschieht, handelt es sich nicht um einen Krimi, wirkliche Spannung wird auch nicht aufgebaut, eher ungute Ahnung. In Form der Analepse erzählt – immerhin weiß man vom ersten Satz an, dass die Kinder die Erzählung nicht überleben werden – nähert man sich langsam diesem Ereignis. Während die Handlung um den Haushalt Massé chronologisch voranschreitet, erfährt über Rückblenden von Louises Leben vor der Anstellung dort: ihr Mann, ein Taugenichts, der sein Leben mit Klagen verbrachte; ihre Tochter Stéphanie, die viel zu früh kam und unter den unsäglichen Verhältnissen stumm litt; die Vermieter und Arbeitgeber, die Louise systematisch schikanierten.

Der Roman lebt von den Figuren, vor allem die zwei Protagonistinnen symbolisieren hervorragend die Tragik der modernen Frau: Myriam, zerrissen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen dem Wunsch eine gute Mutter zu sein und dem Verlangen nach beruflicher Selbstverwirklichung und Anerkennung. Das schlechte Gewissen als ständiger Begleiter, sowohl gegenüber den Kindern wie auch gegenüber ihrer Arbeit und den Klienten. Es scheint keinen wirklichen Zwischenweg zu geben und trotz aller Emanzipation bleibt der Ehemann und Vater bei dieser Problematik außen vor. Louise hingegen ist gefangen in den typischen Geringverdienerjobs als Pflegerin oder Kindermädchen, die ihr nie einen finanziellen Ausstieg aus der Misere ermöglichen. Dazu die Abhängigkeit von einem Mann, der nichts zum Haushalt beiträgt und sie in sein Unglück mit hineinzieht. Für kurze Zeit können die beiden Frauen sich der Illusion hingeben, ihrem Schicksal zu entkommen und die ausgelassene Freiheit von Bürden zu leben, doch dann werden sie von der Realität eingeholt, die brutal zuschlägt und den Moment der Glückseligkeit zerschlägt.

„Chanson douce“ ist erst der zweite Roman der Franco-Marokkanerin und lässt die Erwartungen für weitere Bücher der Autorin hoch steigen.