Leïla Slimani – Warum so viel Hass?

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Leïla Slimani – Warum so viel Hass?

Nur sechs kurze Texte enthält der Sammelband „Warum so viel Hass?“ der französisch-marokkanischen Schriftstellerin und Journalistin Leïla Slimani. Alle sind in der Wochenzeitschrift „Le 1“ erschienen, in der gesellschaftspolitische Fragen unserer Zeit diskutiert werden. Entsprechend thematisiert sie Rassismus, Hass, das Aufwachsen in einer fremden Kultur, die Rolle von Literatur in der Gesellschaft und immer wieder sind Religion und Fundamentalismus Dinge, die sie bewegen und wütend machen. In einem muslimischen Land aufgewachsen hat sie in Frankreich eine völlig neue Art von Freiheit entdeckt, die man ihr aus ihrer fernen Heimat heute zum Vorwurf macht und für die man sie verurteilt. Ganz persönlich ist sie oftmals betroffen und das merkt man auch ihren Essays an, die voller Emotionen stecken und dennoch scharfsinnig reflektiert sind.

Vor allem die Anschläge auf Charlie Hebdo und das Bataclan haben bei Leïla Slimani Spuren hinterlassen. Sie als Wandlerin und Vermittlerin zwischen den Kulturen ist betroffen und getroffen als wenn sie selbst unmittelbar zum Opfer geworden wäre. Scharf verurteilt sie die Anschläge, sucht aber auch nach Erklärungen und Ursachen. Eine liegt ganz sicher in patriarchalen Unterdrückungssystemen:

„Alle arabischen Diktatoren wissen es nur zu gut: Wer den Menschen Zugang zu Bildung verschafft, riskiert, dass sie ihn stürzen. Und dass sie eines Tages, mit einem Stift in der Hand, aufmarschieren.”

Die Welt ist aber nicht einfach schwarz und weiß oder gut und böse. Die westlichen Freiheiten werden erkauft durch Zugeständnisse an diejenigen, die diese auch bedrohen und damit wird Unterdrückung in diesen Ländern wiederum gefördert und toleriert. Diesen Widerspruch muss man aushalten oder bekämpfen.

Doch wer ist es, der offen den Finger erheben und das Wort ergreifen kann? Für die Autorin ist dies ganz eindeutig die Aufgabe der Literatur.

„Autoren wird bald die Aufgabe zufallen, ein paar Schritte zurückzutreten, Abstand zu nehmen, um beurteilen zu können, was hier geschieht. Weil die Literatur ein grenzenloser freier Raum ist, in dem man alles sagen kann, in dem man mit dem Bösen liebäugeln, das Grauen erzählen, die Regeln der Ethik und des Anstands missachten kann, ist sie wichtiger denn je. Sie zeigt die Welt in all ihrer unliebsamen Komplexität und Mehrdeutigkeit.”

Sie weiß, dass noch kein einziger Roman den Lauf der Welt verändert hat – aber Leser können dies und es ist daher die Pflicht von Autoren, die Dinge zu benennen, Denkanstöße zu geben und die Menschen in ihrem Kampf für Toleranz zu ermutigen und zu unterstützen. An ihrem Kollegen Michel Houellebecq hat sich in Frankreich so manche Debatte entzündet, da er wenig Rücksicht auf Empfindlichkeiten nimmt und sich gerne als Enfant terrible und Provocateur bezeichnen lässt. Natürlich ruft er entsprechende Reaktionen bei Andersdenkenden hervor, die auch drastisch ausfallen können, aber sollte er daher aufhören zu sagen, was er für wichtig hält? Slimani beantwortet dies für sich:

„Dabei kam eine Frage auf: Welche Verantwortung trägt Literatur? Ist ein Schriftsteller mitverantwortlich für die politische Situation in einem Land, für das, was dort passiert? Muss er sich selbst zensieren, wenn er weiß, dass seine Aussagen in einer ohnehin gereizten Gesellschaft wie ein Brandsatz wirken könnten? Ich glaube nicht.”

Nicht nur als Autorin schätze ich Leïla Slimani, sondern gerade auch als Journalistin, die mutig aufsteht und sich positioniert, schätze ich sie und vor allem, weil sie kluge Gedanken äußert, mit denen man sich immer wieder auseinandersetzen sollte.

Marina Keegan – Das Gegenteil von Einsamkeit

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Marina Keegan – Das Gegenteil von Einsamkeit

Wenn ein junger Mensch bei einem Autounfall stirbt, ist das immer tragisch. Wenn es sich dabei um ein Ausnahmetalent handelt, das eine große Zukunft vor sich hatte, ist dies umso bedauerlicher. Nur wenige Tage nach ihrem Abschluss in Yale starb Marina Keegan, eine junge Frau, die bereits in vielen Bereichen Aufmerksamkeit erregt hatte und sicher eine global bedeutsame Stimme geworden wäre. Egal ob Schreiben, Schauspielern oder auch als politische Aktivistin in der Occupy Yale Bewegung und im Wahlkampfteam von Obama – Marina hat Spuren hinterlassen. „Das Gegenteil von Einsamkeit“ ist eine posthum erschienene Sammlung von Essays und Kurzgeschichten, die ihre Eltern und Professoren als ihr Erbe veröffentlichten.

„Marina war geistreich, freundlich und idealistisch; ich hoffe, ich vergesse nie, dass sie auch wütend, gereizt und provokant war. Ein bisschen wild. Mehr als ein bisschen nonkonformistisch. Wenn man es geruhsam haben wollte, war Marina nicht die Richtige.“

Das schreibt ihre Anne Fadiman, eine US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin, bei der Marina Keegan in Yale einen Kurs im Schreiben besuchte und die das Vorwort der Sammlung verfasste. So gegensätzlich wie die Beschreibung der jungen Autorin sind auch die Texte. Es beginnt mit „Das Gegenteil von Einsamkeit“, ihrer Abschlussrede für den Jahrgang 2012 in Yale, in der sie sowohl die Zeit an der Elite-Universität Revue passieren lässt wie auch über die ungewisse aber vielversprechende Zukunft sinniert. Ganz verschiedene Themen reißt sie an, von Soldaten im Einsatz, über Adoption und erste Liebe, von der Kunst und der Karriereplanung spricht sie, fiktive Geschichten und reale Begebenheiten teilt sie mit dem Leser.

Es ist die Stimme einer Studentin, die klingt wie eine Studentin. Lebensdurst und Unsicherheit sprechen gleichermaßen aus ihr, große Träume und reflektierte Introspektion – Marina Keegan wollte schreiben und obwohl sie wusste, oder vielleicht gerade weil sie wusste, dass dies ein harter Weg werden würde, hat sie es getan und immer an sich gearbeitet und doch gezweifelt, ob ihr Talent reichen würde. Wissend um ihren Unfall, erscheint folgende Passage in einem anderen Licht als dies vielleicht gewesen wäre, würde sie noch leben:

„Ich bin so neidisch. Lachhaft neidisch. Neidisch auf jeden, der vielleicht die Gelegenheit hat, aus dem Grab zu sprechen. Ich habe meine Chronik bis über die Apokalypse hinaus verlängert, und ungläubig, wie ich bin, schätze ich die Möglichkeit, dass etwas Handfestes von mir bleibt. Wie vermessen! Überhaupt davon auszugehen, jemand könnte besonders sein.“

Es ist etwas von ihr geblieben und man kann nur bedauern, dass wir nicht mehr von ihr haben, denn man liest die Studentin aus ihren Zeilen, aber die Stimme der erwachsenen Marina haben wir nie zu hören bekommen, dabei hätte auch die uns sicher sehr viel sagen und erzählen können.