Arnaldur Indriðason – Tiefe Schluchten

Arnaldur Indridason – Tiefe Schluchten

Der ehemalige Mordermittler Konráð will eigentlich nur noch seinen Ruhestand genießen, weshalb er die dringliche Bitte von Valborg ablehnt, ihr Kind zu finden, das sie fast fünfzig Jahre zuvor direkt nach der Geburt weggegeben hatte. Doch dann wird Valborg ermordet und er fühlt sich schuldig, der totkranken Frau den letzten Wunsch nicht erfüllt zu haben. Während die Polizei nach dem Mörder sucht, forscht Konráð in der Vergangenheit der unauffälligen Frau. Bald schon stößt er auf eine Hebammenschülerin, die damals scheinbar Schwangere überredete, keinen Abbruch vornehmen zu lassen, sondern die Kinder auf die Welt zu bringen und dann zur Adoption freizugeben. Doch auch sie ist bereits seit langer Zeit verstorben. Aufgeben kommt für den Pensionär jedoch nicht infrage, auch wenn er zugleich noch ein anderes Mysterium lösen muss: der Mord an seinem eigenen Vater.

Dem isländischen Autor Arnaldur Indriðason gelingt es immer wieder, spannende Romane zu schaffen, die weitgehend ohne ausführliche Darstellung von brutaler Gewalt auskommen, sondern sich auf das alltägliche Grauen fokussieren. Es sind keine außergewöhnlichen Figuren, sondern die Tatsache, dass sie so ausgesprochen normal sind, die einem als Leser berühren. Hinter jeder Tür kann sich ein dramatisches Schicksal verbergen, hinter jeder Tür vermag eine Lage zu eskalieren und den schlimmstmöglichen Ausgang zu nehmen. Auch in „Tiefe Schluchten“ ist es das tagtägliche Verbrechen, das den Ausgangspunkt für eine Kette von Tragödien bildet.

Das Schicksal Valborgs skizziert sich schnell: eine Vergewaltigung führte dazu, dass sie noch jung ungewollt schwanger wurde. Auch wenn es ihr damals richtig erschien, dem Kind bei liebenden Eltern eine Zukunft zu schenken, ließen sie das ungewisse Schicksal und die Gewissensbisse nie los. Sie konnte es nicht ahnen, aber dem Jungen wurde keine unbeschwerte Kindheit zuteil und sie hat letztlich nicht nur ihr eigenes, sondern auch sein Leid verlängert.

Auch wenn die Suche nach dem Kind im Vordergrund steht, präsentiert der Roman eine Reihe von Nebenfiguren, die traurige Geschichten zu erzählen haben. Unzählige Frauen werden gestreift, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, jedoch lieber die blauen Flecken überschminken und den Mann entschuldigen, als sich aus der gefährlichen Lage zu befreien. In ganz verschiedenen Facetten zeigt sich die alltägliche Gewalt, so nebensächlich geschildert, dass sie fast den Eindruck erweckt, quasi normaler Bestandteil des Lebens zu sein, dem man nur noch mit Schulternzucken begegnet.

Jedoch nicht nur die blanke physische Gewalt zeigt sich, vielleicht sogar noch perfider ist die psychische, die beispielsweise Konráðs Vater geschickt nutzte, um seine Opfer auszunehmen oder die Anhänger der Religionsgemeinschaften, die ebenfalls eher subtil denn offen Druck auf ihre Mitglieder ausübten.

Dramaturgisch geschickt aufgebaut liefert Arnaldur Indriðason wieder einen erwartungsgemäß tiefgründigen Krimi, der sich nicht nur mit Spannung und viel Blut zufriedengibt, sondern durch das zutiefst Menschliche nachwirkt.

Thora Hjorleifsdottir – Magma


Thora Hjorleifsdottir – Magma

After some time in Denmark and a long trip to South America, Lilja returns to her home town Reykjavik where she falls for a well-read student. She only works in a café and thus always feels a bit inferior to the intelligent young man. Nevertheless, she quickly moves in with him, knowing that she is not really his girlfriend but rather the person he shares the bed with. She calls him very private as he does not invite her to his family or friends and accepts his conditions in return for his love. Yet, this toxic relationship leaves its scars on her – figuratively on her soul, feeling not good enough for him and therefore accepting other women besides her, and very visibly on her skin when she discovers that cutting can release some stress.

Told by a first person narrator, the reader is quite close to Lilja and her thoughts. At first, she seems to be quite some tough and modern young woman who lives her life according to her own ideals and standards. Gradually, however, the downwards spiral is set in motion turning her into a vulnerable and dependent woman who is caught in the negative view of herself. Thora Hjorleifsdottir’s novel “Magma” tackles a complex and difficult issue but makes it easy to understand how some women end up in unhealthy relationships and do not find – or even want – a way out.

Lilja, on the one hand, can clearly name how she is being treated. How recklessly he chats with other women online while she is in the same room or even meets them the same day they have a date. She falls for him and accepts being treated like some second rate being, listens to him praising his ex-girlfriends in front of her and even gives in when he asks for things which clearly transgress her boundaries.

She believes she deserves being treated like this, she is not pretty enough, not good enough, not clever enough, too sensitive, behaving horribly – simply crazy, a failure. If only she could be the girl he expects her to be, then he could also love her. The narrator does not sound foolish or naive at all, even though it is obvious that this thinking isn’t healthy, we all know these kinds of toxic thoughts which are hard to get rid of even if you are standing with both feet on the ground and having a healthy self-image.

At the end of the day, it is simply how women end up being abused and ill-treated by men they believe – despite everything they go through – love them. It starts with small signs until the chain of events once set in motion cannot be stopped anymore and ultimately heads towards a complete disaster.

Wonderfully written in a reduced, direct style which makes it easy to follow the line of thoughts and go down with the narrator. More than once, you want to shout at her or take her in your arms, so heart-wrenching it is to see what’s happening without any possibility of interfering.

Lilja Sigurðardóttir – Das Netz

Lilja Sigurðardóttir Das Netz
Lilja Sigurðardóttir – Das Netz

Ihre Liebe wird ihr zum Verhängnis. Als ihr Mann Adam sie mit Agla zusammen erwischt, ist es ganz aus zwischen ihm und Sonja. Die Ehe war da schon längst gescheitert, aber für ihren Sohn Tómas war sie geblieben. Ein neues Leben ohne ihren Mann und sein Einkommen aufzubauen, ist nicht einfach und bald schon gerät Sonja in arge Schwierigkeiten, aus denen ein Freund ihr anbietet zu helfen. Nur einen Botendienst soll sie erledigen, doch der hat es in sich. Sie soll Kokain nach Island schmuggeln. Unerwarteterweise ist Sonja gut darin, völlig unauffällig bewegt sie sich als Businessfrau auf den Flughäfen und akribisch bereitet sie den Transport vor. Doch genau das wird ihr zum Verhängnis: ihr attraktives unscheinbares Auftreten fällt Bragi Smith auf. Der Zollbeamte hat viele Jahre Erfahrung und erkennt die Schmuggler. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihm Sonja ins Netz geht.

„Das Netz“ ist Band 1 der Reykjavík Noir Trilogie von Lilja Sigurðardóttir. Mit Sonja Gunnarsdóttir hat die isländische Autorin eine ungewöhnliche Protagonistin geschaffen. Eine Mutter, die nach der Trennung in eine schwierige Lage gerät, die von mächtigen Männern gnadenlos ausgenutzt wird, sich aber dann zunehmend ihrer Stärken bewusst wird und diese für sich einzusetzen weiß. Sie kennt ihre Gegner nicht wirklich, zu unbedarft ist sie noch, doch als sie erkennt, in welchem Netz sie gefangen ist, weckt dies ihre Kämpfernatur.

Die Spannung des Krimis wird gleich durch zwei parallel verlaufende Bedrohungen aufrechterhalten: zum einen ist Sonja den Drogenbossen wehrlos ausgeliefert; sie lebt zwar noch in der Illusion, sich irgendwann freikaufen zu können, dass dies aber eher einem Wunschdenken geschuldet ist, kann man sich als Leser ausrechnen. Auf der anderen Seite ist ihr der Zollbeamte Bragi auf die Spur gekommen, der sie gleichermaßen zu Fall bringen kann und die Aussicht, das Sorgerecht für ihren Sohn zu erhalten damit bedroht. Emotional sitzt sie ebenfalls zwischen den Stühlen. Der nicht enden wollende Kampf mit ihrem Ex-Mann ist genauso zermürbend wie die Beziehung zu Agla, die sich nicht wirklich zu der Beziehung mit einer Frau bekennen kann und will.

Bei all den Sorgen fehlt Sonja der Kopf, um die Ermittlungen, die gegen die Bankmitarbeiterin Agla eingeleitet wurden, ernsthaft zu verfolgen. Diese hat offenbar nicht unwesentlich daran Anteil, dass der kleine Inselstaat in eine finanzielle Katastrophe geraten ist, doch nun soll sie für ihre Spekulationen und Geldwäsche bezahlen.

Man muss den Krimi sicher als Teil einer Serie sehen, denn so ganz glücklich lässt er mich nicht zurück. Viele Fragen bleiben offen und der Cliffhanger zum Ende ist ohnehin etwas, das ich nicht wirklich schätze. Die kurzen Kapitel tragen zu dem schnellen Erzähltempo bei, im Laufe der Handlung nimmt diese auch deutlich an Spannung und Komplexität zu, bevor gleich mehrere Enthüllungen so manches in einem völlig anderen, aber nicht minder interessanten Licht erscheinen lassen. Die Autorin hat eine komplexe Geschichte erschaffen, die von der außergewöhnlichen Protagonistin lebt und mit einigen Überraschungen aufwartet.

Ragnar Jónasson – DUNKEL

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Ragnar Jónasson – DUNKEL

Sie hat nicht mehr lange bis zu ihrer Pensionierung, aber die letzten Monate wollte die Kommissarin Hulda Hermannsdóttir noch mit gewohntem Elan ihrer Arbeit nachgehen, doch dann eröffnet ihr Chef ihr, dass ein jüngerer Kollege sie schon in zwei Wochen ersetzten wird. Sie erbittet sich so lange noch einen Fall und greift zu einer scheinbar erledigten Sache, die ihr komisch vorkommt. Die russische Asylbewerberin Elena wurde tot am Strand aufgefunden, die Verletzungen waren nicht eindeutig einer Straftat zuzuordnen und so wurde der Fall als Suizid abgelegt. Doch weshalb sollte sich die junge Frau das Leben nehmen, gerade nachdem ihrem Asylantrag stattgegeben wurde? Hulda beginnt nachzuforschen und stößt schon bald auf weitere Details, offenbar wurde in dem Fall sehr schlampig ermittelt und ihre These von einem Mordfall nimmt immer konkretere Formen an. Je tiefer Hulda sich in die Sache vergräbt, desto weniger merkt sie jedoch, was um sie herum geschieht und dass sie selbst gerade ins Fadenkreuz gleich mehrere Menschen gerät.

„Dunkel“ ist der Auftakt zu einer offenbar eher düsteren Trilogie. Isländische Krimis leben häufig von einer melancholisch-dunklen Atmosphäre, die zu der monatelangen Dunkelheit im Land passt. Der Thriller überzeugt jedoch vor allem durch eine interessante Protagonistin, die einerseits als clevere Kommissarin punktet, jedoch auch eine zweite, verletzliche Seite hat, die bisweilen ihr Urteils- und Rechtsvermögen herausfordert. Nach und nach wird ihre Lebensgeschichte enthüllt, die wenig Erquickliches zu bieten hat und schließlich mit einem großen und vor allem unerwarteten Knall aufwartet.

Der Kriminalfall um die tote Elena bietet einige vielversprechende Spuren ohne zu schnell gelöst zu werden. Parallel erzählt werden die scheinbar letzten und verhängnisvollen Stunden der jungen Frau, so dass man sich der Auflösung von zwei Seiten annähert, bis man feststellt, dass man geschickt in die Falle gelenkt wurde und so manches scheinbar klare Faktum doch ganz anders zu deuten ist. Die größte Überraschung indes gelingt dem Autor mit dem Ende, von dem ich noch nicht weiß, wie ich es einordnen soll, unerwartet war es auf jeden Fall.

Ein gelungener Auftakt, der große Erwartungen an die Folgebände weckt. Passende Stimmung für eine außergewöhnliche Protagonistin.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor, der Serie und dem Buch selbst finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe Random House.

Arnaldur Indriðason – Verborgen im Gletscher

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Arnaldur Indriðason – Verborgen im Gletscher

Nicht nur Gletscher, sondern auch Menschen können Geheimnisse über sehr lange Zeit bewahren. Doch irgendwann kommt der Tag der Wahrheit. Als eine deutsche Touristengruppe einen Toten auf dem Langjökull-Gletscher findet, muss Kommissar Konráð aus dem Ruhestand zurückkehren, denn dieser Fall aus den 1980ern ist bis heute nicht gelöst. Nach so vielen Jahren scheint es keine Hoffnung auf neue Erkenntnisse zu geben, doch plötzlich sprechen die Menschen. Einige wollen sich kurz vor dem Tod das Herz erleichtern, andere denken es ist nun an der Zeit, ihr Wissen zu teilen und plötzlich erscheint der Fall in einem ganz anderen Licht.

Arnaldur Indriðason ist mir als erstes mit seinen Erlendur Romanen begegnet, die später um Bände mit dem jungen Ermittler ergänzt wurden. Auch seine Reihe um Flovent und Thorson, die während der Kriegszeit und Besatzung Islands spielen, konnten mich überzeugen. Nun also Konráð, der in „Verborgen im Gletscher“ sein Debut gibt. Ein ungewöhnlicher Charakter für einen Mordermittler, zum einen, da er schon längst im Ruhestand ist und daher kein offizielles Mandat hat, zum anderen weil er sich als Ein-Mann-Team ganz auf seine Menschenkenntnis verlassen muss, um seinen Fall zu lösen.

Leser, die an nervenzerreißenden Krimis mit grausamen Szenen Spaß haben, werden mit diesem Krimi vermutlich eher hadern. „Verborgen im Gletscher“ geht in eher gemäßigtem Tempo voran, was ganz hervorragend zum Protagonisten passt, der keinerlei Zeit- oder Öffentlichkeitsdruck unterliegt und daher auch nicht in Hektik und wilde Agitation verfällt. Die Weisheit des Alters hält ihn auch davon ab, gleich auf neue Ansätze zu springen. Die Figur trägt die Handlung ganz maßgeblich und ist damit auch der entscheidende Faktor in der Frage, ob man mit der Geschichte etwas anfangen kann. Mir persönlich hätte es bisweilen gerne etwas schneller gehen können, so mancher Dialog war absolut realistisch dargestellt, forderte dadurch aber auch die Geduld des Lesers heraus. Daneben muss Konráð auch mit seinen Dämonen, vorrangig seiner verstorbenen Frau, kämpfen, die ihn nicht loslässt und immer wieder das Denken bestimmt.

Der Kriminalfall selbst ist wieder einmal und erwartungsgemäß komplex und lange Zeit nicht durchschaubar. So unberechenbar die Menschen agieren, so unvorhersehbar entwickelt sich die Ermittlung, die jedoch zu einem sauberen und überzeugenden Ende gebracht wird.

Indriðason konnte schon immer mit starken Figuren punkten, sein aktueller Protagonist hat hier einiges zu bieten, was jedoch leider etwas zu Lasten der Spannung geht. Daher ein Krimi, der eher auf anderen Ebenen punkten kann.

Yrsa Sigurðardóttir – SOG

SOG von Yrsa Sigurdardottir
Yrsa Sigurðardóttir – SOG

Die achtjährige Vaka wird vergewaltigt und ermordet. Der Täter ist offenkundig und wird zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Zwölf Jahre später kommt es zu einer unheimlichen Mordserie, in deren Zentrum der Sohn des einstigen Mörders steht: er hatte bereits damals eine solche Serie mit den Initialen der Opfer angekündigt, was erst jetzt durch das Ausgraben einer Zeitkapsel entdeckt wird. Aber wieso wird er nach so vielen Jahren zum Mörder? War er es überhaupt oder steckt etwas ganz Anderes dahinter? Die Ermittlungen gestalten sich nicht einfach, was auch durch die privaten Verwicklungen der Polizisten bedingt ist.

Yrsa Sigurðardóttir ist unangefochtene Meisterin des isländischen Crime. Die Romane, die ich bislang von ihr gelesen habe, fielen vor allem durch eine düstere Atmosphäre auf, die insbesondere durch die langen Winter mit Eiseskälte und viel Dunkelheit gekennzeichnet sind. In „SOG“ fand ich die Atmosphäre nicht ganz so gruselig, dafür kann der Thriller durch eine clevere und komplexe Handlung Punkten.

Die Mordserie ist nur schwer zu durchschauen, dass die beiden scheinbar voneinander unabhängigen Fälle überhaupt in Zusammenhang stehen, ahnt man als Leser zwar, bestätigt sich aber erst langsam. Mordmotiv und Vorgehen sind glaubwürdig geschildert und sauber gelöst. Auffällig bei diesem Roman sind die Figuren und wie deren Charakter und vor allem ihr Interagieren maßgeblich den Fortgang bestimmen. Bisweilen war es mir fast zu viel Privatleben, das den Fokus immer wieder verrückte, letztlich ist es aber völlig authentisch in einem so überschaubar kleinen Umfeld immer wieder auch durch Ereignisse außerhalb des Arbeitsplatzes beeinflusst zu werden.

Kommissar Huldar und die Psychologin Freyja sind ein gutes, wenn auch sehr ungleiches Team. Dass sie nicht über ihren Schatten springen können und wider besseres Wissen bisweilen sogar gegen ihren eigenen Willen handeln, macht sie sympathisch und glaubwürdig. Sie sind bodenständig und keine Superhelden, machen aber engagiert ihren Job, was sich letztlich auch auszahlt.

Arnaldur Indriðason – Der Reisende

 

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Arnaldur Indriðason – Der Reisende

Ein Mann wird erschossen in seiner Wohnung aufgefunden. Doch schnell muss der Ermittler Flóvent erkennen, dass es sich gar nicht um Felix Lunden, den Mieter der Wohnung handelt, sondern um einen Kollegen, der wie Felix als Handelsreisender in ganz Island unterwegs war. Die Art der Hinrichtung weist darauf hin, dass ein Soldat der Täter sin könnte, weshalb Flóvent den Kanadier Thorson an seine Seite bekommt. Gemeinsam ermitteln sie in dem kleinen Land, das während der Kriegsjahre unter gleich mehrfacher Spannung steht und dessen Bewohner nicht nur gegenüber Fremden, sondern auch gegenüber der Polizei skeptisch sind.

Arnaldur Indriðason setzt mit „Der Reisende“ seine Kriegszeit Reihe fort, die sich doch sehr von den bekannten Bänden um Inspektor Erlendur unterscheidet. Der für mich größte Unterschied ist auch das, was ich als deutlichsten Mangel beim Lesen empfunden habe: mir fehlte die typisch isländische Atmosphäre. Die Insel, die so sehr von ihrem außergewöhnlichen Klima geprägt ist, deren insbesondere kalte Jahreszeit sich tief in die Eigenart der Menschen eingräbt, kommt in diesem Roman gar nicht durch. Fast könnte er überall spielen, denn nur wenig macht das typisch Isländische aus.

Der Mordfall an sich ist vielschichtig und komplex und lässt die beiden Ermittler gleich in mehrere Richtungen nach Hintergründen der Tat suchen. Obwohl hier auch die politische Lage und insbesondere die Zeit des Zweiten Weltkrieges eine wesentliche Rolle spielt, sind es doch wieder einmal die Menschen selbst, die die Handlung befeuern und mit ihren ganz persönlichen Motiven Angst und Schrecken verbreiten. Indriðason verwebt die einzelnen Stränge geschickt und lässt den Leser so lange im Unklaren, worin nun das tatsächliche Motiv lag und wer der Täter ist. Dass er einer der besten aktuellen Krimiautoren ist, stellt er hier einmal mehr unter Beweis.