Jo Nesbø – Eifersucht

Jo Nesbo — Eifersucht

Der norwegische Krimiautor Jo Nesbø macht sich in seinem aktuellen Buch auf, unterschiedliche Formen von Eifersucht zu ergründen, die – man ahnt es – für die Beteiligten nicht immer gut ausgehen. In sieben Geschichten, die sich in Setting und Länge völlig unterscheiden, lässt er den Leser daran teilhaben, wie die Figuren in den emotionalen Ausnahmezustand geraten. Der Profikiller, der eigentlich nur seinen Job machen will und dann an eine für ihn bezaubernde Kundin gerät; das Brüderpaar, das um die Gunst derselben Frau buhlt; die Migrantin, die sich als Kassiererin den ganzen Tag den Unverschämtheiten ihrer Kunden aussetzen muss oder auch der Autor, bei dem sich Realität und Fiktion vermischen, sie und weitere erleben wir im Grenzbereich des Menschlichen und Unmenschlichen.

Ich bin zugegebenermaßen kein ausgewiesener Freund von Kurzgeschichten, die Figurenentwicklung kommt mir dabei oft zu kurz und das Zuspitzen der Handlung auf einen einzigen Kulminationspunkt lässt mir zu viel von dem Fehlen, was davor geschah und dahin geführt hat. Daher ist es für mich nicht weiter verwunderlich, dass die längeren Geschichten mich deutlich mehr angesprochen haben, insbesondere „Eifersucht“ um die beiden Kletterer und den Athener Ermittler, der ihren ungewöhnlichen Fall untersucht, mit rund 120 Seiten auch schon eher eine Novelle innerhalb der Sammlung.

Über allen Geschichten schwebt die Frage, was einen Menschen dazu treiben kann, einem anderen das Leben zu nehmen. Es sind ganz unterschiedliche Beweggründe, die meist nachvollziehbar motiviert sind und so die Frage beim Leser aufreißen, ob man selbst auch in dieser Situation enden könnte. Natürlich würde niemand bei klarem Verstand so weit gehen und doch: Jo Nesbø präsentiert ganz normale Figuren, die einem tagtäglich über den Weg laufen könnten und bei denen schlicht ein einziger Tropfen zu viel wurde und das Fass zum Überlaufen brachte. Kann man nicht selbst auch an diesen Punkt gelangen? Würde man so weit gehen? Und hat man nicht sogar sehr viel Verständnis für sie? Eine moralische Herausforderung, die dabei bestens unterhält.

Katrine Engberg – Glasflügel

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Katrine Engberg – Glasflügel

Kurz nach der Geburt ihrer Tochter ist Anette Werner im Erziehungsurlaub und so muss Jeppe Kørner allein in einem schwierigen Fall ermitteln. In einem Kopenhagener Brunnen wird eine Leiche gefunden, an den Armen seltsame Schnittverletzungen, die zum Ausbluten geführt hatten. Schon am nächsten Morgen die zweite Leiche, anderer Fundort, dieselbe Vorgehensweise. Die Kripo ermittelt auf Hochtouren, bald schon scheint sich auch eine Verbindung zwischen den Opfern aufzutun, doch am dritten Tag schon müssen sie die dritte Leiche bergen. Wenn der Mörder in diesem Tempo weitermacht, wird dies das grausamste Szenario, das Dänemark je gesehen hat. Alle Anzeichen weisen auf ein inzwischen geschlossenes Heim für psychisch kranke Jugendliche hin. Es scheint als wolle sich jemand an den ehemaligen Mitarbeitern rächen – aber wer und vor allem warum?

Der dritte Teil von Katrine Engbergs Serie um das dänische Ermittlerduo Werner/Kørner hat mir bislang am besten gefallen. Die beiden Protagonisten blieben mir immer etwas zu wenig greifbar, in diesem Roman nun werden sowohl Jeppe wie auch Anette von ihrer menschlich-verletzlichen Seite gezeigt, was ihnen deutlich mehr Profil und Authentizität verleiht. Der Fall überzeugt ebenfalls, bis kurz vor der Enthüllung des Täters hatte ich eine ganz andere Figur im Verdacht, noch eine zweite als weitere Option und bei beiden lag ich völlig daneben. Was zu den Vorgängerromanen auffällt, ist das Fehlen eines ganz spezifischen Ortes Kopenhagens, an den die Handlung geknüpft wird, dafür greift sie nun ein gesellschaftskritisches Thema auf, das überzeugend in den Krimi integriert wird.

Einmal mehr sind die Figuren, die völlig normalen Menschen der dänischen Hauptstadt, der eigentliche Star und verleihen dem Buch die typisch dänische Bodenständigkeit und Glaubwürdigkeit. Anette Werner kämpft mit ihrer neuen Rolle als Mutter, die sich emotional an ihre Grenzen bringt. Das Stillen des Kindes allein lastet sie gedanklich nicht aus und zunehmend unruhiger wird sie ob der spannenden Ermittlungen der Kollegen. Jeppe hingegen leidet ebenfalls unter seiner privaten Lebenssituation, notgedrungen nach der Trennung bei seiner Mutter untergeschlüpft, drängt diese ihn wieder in die Rolle eines Kindes, das auf Schritt und Tritt überwacht werden muss. Auch ihre Freundin, die Autorin und ehemalige Professorin Esther de Laurenti wird mit ihren Unzulänglichkeiten konfrontiert als der neue Nachbar ihr schöne Augen macht und sie seinem Charme sofort erliegt.

Die Handlung rund um Sommerfuglen, das Heim für psychisch kranke Jugendliche weist auf einige diskussionswürdige Fakten hin: die chronische Unterfinanzierung des Gesundheitssektors, die die überlasteten und teilweise überforderten Mitarbeiter zu fragwürdigen bis illegalen Handlungen verleitet, die keineswegs im Sinne einer Besserung der Kranken sind, sondern lediglich der Versuch, mit den vorhandenen Rahmenbedingungen irgendwie zurechtzukommen. Rücksichtsloses Personal, das sich auf Kosten derjenigen, die sich nicht wehren können, entweder finanziell bereichert oder gar die Karriere aufbaut. Junge Menschen in schwierigen Situationen, denen man kein Gehör schenkt und keine adäquate Hilfe zukommen lässt. Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen, die keine eine fundierte Basis haben, aber erklären, weshalb eine Rückkehr in die Gesellschaft nach einem längeren stationären Aufenthalt quasi unmöglich wird.

All dies wird in eine spannende Handlung zusammengeführt und überzeugt restlos. Die Reihe war als Trilogie angekündigt, was ausgesprochen bedauerlich wäre, denn dann hätte sie mit „Glasflügel“ bereits den Abschluss erreicht. Für mich dürften noch zahlreiche weitere Bände folgen.

Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Titel und Autorin finden sich auf der Verlagsseite.

Anne Nørdby – Kalter Strand

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Anne Nørdby – Kalter Strand

Eine Frauenleiche wird am Strand von Ringkøbing angespült. Alles deutet darauf hin, dass die Unbekannte eine Deutsche war, weshalb die Dänen Jette Vestergaard und Tom Skagen von Skanpol in Hamburg zur Unterstützung anfordern. Vor Ort bestätigt sich die Annahme bald, das Opfer Elena lebte seit einiger Zeit in Dänemark und arbeitete in einem Supermarkt. Weshalb sie Drogen bei sich hatte, bleibt jedoch unklar und bald schon zeigt sich, dass die Würgemale an ihrem Hals nicht die Todesursache waren. Während Jette und Tom mit den Kollegen ermitteln, geschehen in der nahegelegenen Ferienhaussiedlung seltsame Dinge. Das Ehepaar Wagner erhält verdächtige Pakete, dann verschwindet Hoffmanns Hund, bevor dann auch noch die Ehefrau von Markus Schneider und Mutter der beiden Kinder entführt wird. Kann das alles Zufall sein? Die Dänen wollen eine schnelle Aufklärung des Todes der Wasserleiche, doch Tom setzt auf sein Bauchgefühl, das ihn nicht im Stich lassen wird.

Teil eins der Serie um den Ermittler Tom Skagen verbreitet das bekannte skandinavische Flair düsterer Thriller. Die Autorin Anne Nørdby, Pseudonym der deutschen Anette Strohmeyer, die in Dänemark lebt und arbeitet, hat mit ihrem Protagonisten eine interessante Figur geschaffen, die durchaus das Potenzial für eine starke Reihe hat, denn nicht nur ist er ein scharfer Beobachter, der die klassische Polizeiarbeit akribisch verfolgt, sondern er hat auch eine Vorgeschichte, die im ersten Band nur angerissen wird, aber für seinen Charakter ganz entscheidend zu sein scheint.

Der Thriller kombiniert zwei unterschiedliche Fälle, die zunächst nur durch die räumliche Nähe in Zusammenhang zu stehen scheinen. Der Fall um die tote Elena geht dabei nur langsam voran, bietet aber den roten Faden und die Begründung für die binationale Zusammenarbeit. Spannender ist der zweite Handlungsstrang, der sich parallel entfaltet und die Mieter der Ferienwohnungen betrifft. Ein unheimlicher Erpresser setzt die Familien unter Druck und ist offenbar bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Man hadert mit den Opfern und fragt sich unweigerlich, wie weit man selbst gehen würde. Beide Fälle werden am Ende sauber gelöst und sind überzeugend motiviert. Je näher man der Auflösung kommt, desto mehr steigert sich auch der Thrill und somit bleibt nur das Fazit: gerne mehr davon.

Arnaldur Indriðason – Verborgen im Gletscher

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Arnaldur Indriðason – Verborgen im Gletscher

Nicht nur Gletscher, sondern auch Menschen können Geheimnisse über sehr lange Zeit bewahren. Doch irgendwann kommt der Tag der Wahrheit. Als eine deutsche Touristengruppe einen Toten auf dem Langjökull-Gletscher findet, muss Kommissar Konráð aus dem Ruhestand zurückkehren, denn dieser Fall aus den 1980ern ist bis heute nicht gelöst. Nach so vielen Jahren scheint es keine Hoffnung auf neue Erkenntnisse zu geben, doch plötzlich sprechen die Menschen. Einige wollen sich kurz vor dem Tod das Herz erleichtern, andere denken es ist nun an der Zeit, ihr Wissen zu teilen und plötzlich erscheint der Fall in einem ganz anderen Licht.

Arnaldur Indriðason ist mir als erstes mit seinen Erlendur Romanen begegnet, die später um Bände mit dem jungen Ermittler ergänzt wurden. Auch seine Reihe um Flovent und Thorson, die während der Kriegszeit und Besatzung Islands spielen, konnten mich überzeugen. Nun also Konráð, der in „Verborgen im Gletscher“ sein Debut gibt. Ein ungewöhnlicher Charakter für einen Mordermittler, zum einen, da er schon längst im Ruhestand ist und daher kein offizielles Mandat hat, zum anderen weil er sich als Ein-Mann-Team ganz auf seine Menschenkenntnis verlassen muss, um seinen Fall zu lösen.

Leser, die an nervenzerreißenden Krimis mit grausamen Szenen Spaß haben, werden mit diesem Krimi vermutlich eher hadern. „Verborgen im Gletscher“ geht in eher gemäßigtem Tempo voran, was ganz hervorragend zum Protagonisten passt, der keinerlei Zeit- oder Öffentlichkeitsdruck unterliegt und daher auch nicht in Hektik und wilde Agitation verfällt. Die Weisheit des Alters hält ihn auch davon ab, gleich auf neue Ansätze zu springen. Die Figur trägt die Handlung ganz maßgeblich und ist damit auch der entscheidende Faktor in der Frage, ob man mit der Geschichte etwas anfangen kann. Mir persönlich hätte es bisweilen gerne etwas schneller gehen können, so mancher Dialog war absolut realistisch dargestellt, forderte dadurch aber auch die Geduld des Lesers heraus. Daneben muss Konráð auch mit seinen Dämonen, vorrangig seiner verstorbenen Frau, kämpfen, die ihn nicht loslässt und immer wieder das Denken bestimmt.

Der Kriminalfall selbst ist wieder einmal und erwartungsgemäß komplex und lange Zeit nicht durchschaubar. So unberechenbar die Menschen agieren, so unvorhersehbar entwickelt sich die Ermittlung, die jedoch zu einem sauberen und überzeugenden Ende gebracht wird.

Indriðason konnte schon immer mit starken Figuren punkten, sein aktueller Protagonist hat hier einiges zu bieten, was jedoch leider etwas zu Lasten der Spannung geht. Daher ein Krimi, der eher auf anderen Ebenen punkten kann.

Claire Douglas – Missing

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Claire Douglas – Missing

Eine unheimliche Entdeckung führt Francesca, genannt Frankie, aus London zurück in ihre Heimatstadt Oldcliffe-on-Sea in Cornwall: offenbar wurden die Reste einer Frauenleiche an Land gespült und Daniel vermutet, dass es seine Schwester Sophie war, Frankie ehemals beste Freundin, die 18 Jahre zuvor spurlos verschwunden ist. Er bittet Frankie zurückzukehren und mit ihm gemeinsam die Leiche zu identifizieren. Widerwillig reist sie zurück, keine guten Erinnerungen hat sie an die Stadt und das trübe kalte Wetter empfängt sie passend zu ihrer Stimmung. Der Aufenthalt wird nicht einfach werden, mit jeder Begegnung alter Bekannter kommen mehr Dinge in Frankies Bewusstsein zurück, die sie fast zwei Jahrzehnte verdrängt hatte. Aber sie und Daniel müssen endlich herausfinden, was damals mit Sophie geschah und dafür auch unangenehme Gespräche führen. Doch schon kurz nach der Ankunft beschleicht Frankie das ungute Gefühlt, dass irgendetwas nicht stimmt und sie verfolgt und bedrängt wird.

Claire Douglas Thriller spielt mit dem Leser, indem wesentliche Informationslücken erst nach und nach geschlossen werden. „Niemand sagt die ganze Wahrheit“ lautet der deutsche Untertitel, der sehr passend gewählt wurde. Das verzögernde Moment ist es, das die Spannung aufrechterhält. Passend dazu wird abwechselnd zur Handlung um Frankie eine zweite Geschichte erzählt: die von Sophie, 18 Jahre zuvor.

Zunächst hat es den Anschein, als wenn man die typische Protagonistin hätte, der jemand Böses will. Man fühlt mit Frankie, die in einer anonymen Ferienwohnung unterkommt, in der seltsame Dinge vor sich gehen, die sie mehr und mehr verängstigen. Komische Geräusche werden ergänzt durch direkte Drohungen, eine seltsame Nachbarin tut ihr Weiteres, um den Aufenthalt möglichst unangenehm zu gestalten. Allerdings zeigen sich auch bald Risse in der glatten Fassade. Das darunterliegende Bild setzt sich aus immer weiteren Mosaiksteinchen zusammen, bis es am Ende etwas gänzlich anderes präsentiert, als man erwartet hatte.

Die Grundidee des Thrillers ist recht gelungen, auch die Anlage der Protagonistin kann überzeugen. Allerdings fand ich die Handlung ab einem gewissen Punkt doch leider sehr vorhersehbar, was die Spannung etwas hat leiden lassen. Auch das Ende oder der eigentliche Ausgangspunkt konnte mich nur bedingt überzeugen. Der Schreibstil und die Konstruktion des Romans erzeugen jedoch den notwendigen Reiz, dass man als Leser das Buch nicht aus der Hand legen mag, da man unbedingt herausfinden möchte, was genau mit den Mädchen geschah.

Ein Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autorin und Titel finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe Random House.