Victoria Jones ist gerade mal wieder ihren Job als Stenotypistin losgeworden, als sie in einem Park Edward kennenlernt und sich sofort in ihn verliebt. Doch dieser wird nur wenige Tage später nach beruflich nach Bagdad reisen müssen, Rückkehr nach London ungewiss. Da sie in der Heimat ohnehin nichts mehr hält, beschließt auch Victoria ebenfalls in den Orient zu reisen, als Begleiterin einer kranken Dame ergibt sich auch direkt eine Chance. Unerschrocken stürzt sie sich in das Abenteuer, nicht ahnend, dass sie bald schon zwischen die Räder von geheimen Untergrundorganisationen, Mördern und undurchsichtigen Staatsdienern geraten wird.
Agatha Christies 41. Roman „Sie kamen nach Bagdad“ gehört zu den wenigen, die nie verfilmt wurden und ist meiner Einschätzung nach auch eher ein unbekanntes Werk. Wie auch „N oder M?“ ist es eher ein Spionageroman denn klassischer Krimi, auch wenn recht schnell die ersten Leichen auftauchen und die mysteriösen Umstände ihres Ablebens zentral für die Handlung sind.
Im Fokus steht die einerseits naive und sorglose Victoria, die schneller handelt als sie denkt und zudem einen Hang zum Lügen hat. Bisweilen möchte man sich die Haare raufen ob ihrer Unbedachtheit, dann wiederum zeigt sich jedoch, dass sie über eine Alltagsschläue und Cleverness verfügt, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind und weshalb sie schnell abgestempelt und unterschätzt wird. Dass ein komplexer Komplott von dem Fräuleinwunder gelöst wird, ist schon etwas abenteuerlich, Glück und Zufall helfen auch nach, aber wohlwollend kann man durchaus konstatieren, dass Christie hier eine sehr moderne junge Frau geschaffen hat, die sich behauptet und wenn es drauf ankommt, all ihre Stärken ausspielt – und vor allem die Vorurteile, die man ihr entgegenbringt, zu nutzen weiß.
Ein amüsanter und gänzlich Christie-untypischer Roman mit einer außergewöhnlichen Protagonistin.
Tommy und Tuppence Beresford langweilen sich 1940 im vom Krieg bedrohten England fürchterlich. Im 1. Weltkrieg waren sie für den Geheimdienst mittendrin, doch jetzt schiebt man sie zum alten Eisen ab. Als Tommy ehemaliger Vorgesetzter mit einer Geheimmission an ihn herantritt, schleicht sich seine Frau ebenfalls in die Küstenstadt Leahampton, wo sie als Mr Meadowes und Mrs Blenkensop im Gästehaus Sans Souci von Mrs Perenna unterkommen. Ihr Auftrag besteht darin, einen Maulwurf in den britischen Reihen zu finden, der zu der sogenannten Fünften Kolonne gehört, einer Nazi Organisation. Doch sie erkennen schnell, dass ihr Job nicht einfach ist, denn die Gäste sind alle gleichermaßen unverdächtig, was sie alle wiederum hochgradig verdächtig macht.
Kein klassischer Krimi, wie man ihn von Agatha Christie kennt, sondern eher ein typischer Spionagethriller mit Agenten und Doppelagenten. Der Titel „N oder M?“ spielt auf die vermuteten Identitäten eines deutschen Agentenpärchens an, statt ursprünglich aus dem Katechismus des Book of Common Prayer, wo es die Antwort auf die Frage nach dem Namen war. Der Roman brachte Christie selbst ins Visier des MI5, da eine der Figuren, Major Bletchley, mit dubioser Beziehung zu Deutschland zufälligerweise denselben Namen wie das top-secret Dekodierungszentrum des Geheimdienstes heißt.
Auch wenn „N oder M?“ nicht dem bekannten Muster Christies folgt, gibt es doch einige charakteristische Wiedererkennungsmerkmale: eine abgeschlossene Gruppe von Fremden, die sich in der Pension zusammenfinden. Ein Querschnitt durch die britische Bevölkerung, der unauffälliger kaum sein könnte, mit Ausnahme des Deutschen, der natürlich sofort verdächtig ist, was aber zu offenkundig wäre. Eine geheimnisvolle Fremde, durchsuchte Zimmer, kleine Geheimnisse hier und da, die nach und nach an die Oberfläche kommen.
Ein besonderes Hoch geht an Tuppence, die wie eine naive Gattin wirkt und der scheinbar banale Fehler passieren, die sich jedoch als echte weibliche Heldin entpuppt. Wie gewohnt liebenswerte Figuren, ein durchaus kniffliger Fall, der jedoch ausgesprochen clever gelöst wird.
Julian Lawndsley hat seinen stressigen Job in London aufgegeben, um in einem kleinen englischen Küstenort eine Buchhandlung zu eröffnen, auch wenn er bislang nur wenig Erfahrung in diesem Bereich hat. Eines Abends kommt ein ungewöhnlicher Kunde in seinen Laden, der auf dem nahegelegenen Herrschaftssitz Silverview wohnt und sich als Jugendfreund von Julians Vater vorstellt. Mit Ratschlägen will er den Neubuchhändler unterstützen, der nicht sicher ist, was er von Edward Avon halten soll. Sein Vater hatte ihn nie erwähnt, aber er scheint bestens informiert über Julians Familie und da Edwards Frau schwerkrank ist, will er den älteren Herren auch nicht gleich der Lüge bezichtigen. Zur selben Zeit klingeln bei den Geheimdiensten alle Alarmglocken, eine undichte Stelle weist auf den kleinen Küstenort und setzt eine Maschinerie von Agenten in Gang.
„Silverview“ ist der letzte Roman des großen britischen Krimiautors, der selbst für die Geheimdienste gearbeitet hat und immer wieder sein Insiderwissen geschickt für seine Romane einsetzte. John le Carré bleibt auch in diesem Krimi dem Stil treu, den man von seinen letzten Geschichten kennt. Es ist nicht mehr der Agent in Action, der zwischen die Fronten gerät und selbst den eigenen Leuten nicht trauen kann, sondern eine komplexe Hintergrundgeschichte, die sich erst langsam enthüllt und vor allem von dem erzählerischen Geschickt des Autors lebt.
Julian ist offenkundig ein unschuldiger Zivilist, der die Bitten des älteren Herren nicht wirklich abschlagen kann und so in die Handlungen verstrickt wird, die er nicht mehr abschätzen oder gar stoppen kann. Dass er sich in Edwards Tochter verliebt, ist geradezu klassisch und geschieht dezent nebenbei. Man hat es mit distinguierten und höchst zivilisierten Menschen zu tun, deren kriminelles Potenzial woanders liegt.
Als geübter le Carré Leser weiß man, dass man den harmlosen Figuren genauso wenig trauen darf wie den offenkundig verdächtigen. Mit feinem Humor präsentiert der Brite dann auch eine Spionagegeschichte in Reinform, die sich vor aller Augen und doch im Verborgenen abspielt und aus dem netten, freundlichen Nachbarn plötzlich einen ganz großen Player im globalen Spiel der Mächte macht. All das geschieht ohne moderne Technik auf herrlich klassische Weise mit Briefen, die heimlich überbracht werden, und konspirativen Verabredungen an öffentlichen Orten.
Mit dem Roman taucht man ein wenig ab in eine längst vergangene Zeit und kann noch einmal einen großen Autor erleben. Und wieder einmal reißt dieser die großen Fragen auf, nämlich danach, wo letztlich die Loyalitäten liegen, wie weit Integrität geht und wo schlicht Menschlichkeit über strategische Überlegungen siegt. Vielleicht nicht der größte Roman le Carrés, aber auf jeden Fall ein würdiger Abschied.
Viele Jahrzehnte hat Nat für seinen Dienst wertvolle Arbeit im Ausland geleistet, Quellen geführt und dazu beigetragen, dass die Lage zwischen Ost und West nicht eskaliert. Seine Frau Prue hat derweil in England die Stellung gehalten, die gemeinsame Tochter großgezogen und sich eine Karriere als Anwältin aufgebaut. Nach seiner Heimkehr ins Mutterland hat Nat auf einen renommierten Posten in der Russlandabteilung gesetzt, aber man schiebt ihn in die schon aufgegebene Unterabteilung „Oase“ ab, ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht. Dort trifft er auf Florence, eine etwas spröde aber ausgesprochen begabte junge Agentin, die bald auch schon mit einer herausragenden Operation ankommt, die jedoch abgebügelt wird. So sehr ihn seine berufliche Situation anödet, so gut läuft es privat, in Ed hat er auch unerwartet einen ebenbürtigen Badmintongegner gefunden. Auch wenn der junge Mann bisweilen seltsame Züge aufweist, fühlt Nat sich doch auch geschmeichelt, ihm auf dem Court noch immer das Wasser reichen zu können. Der Gedanke, dass dies seine Sinne etwas trügen mag, kommt ihm derweil jedoch fatalerweise nicht.
John le Carré schreibt einmal mehr über das, was er am besten kann: Geheimagent, Doppelagenten, Quellen Anwerbung und Aufrechterhaltung, geheime Treffen mit anderen Diensten und dabei einmal mehr ein Protagonist, der zwar treu der Krone gegenüber ist, aber nicht unbedingt jede Vorschrift seines Dienstes billigt und befolgt. Der Roman ist von Beginn an als beichtender Rückblick konzipiert, so dass einem als Leser schnell klar ist, welche Figuren nicht so harmlos sind, wie sie zunächst erscheinen mögen, es bleibt jedoch die spannende Frage, was sie tun werden und vor allem wie sie die Welt der Agenten aufmischen.
Auch im inzwischen sehr fortgeschrittenen Alter hat le Carré kein bisschen nachgelassen und einen spannenden Spionageroman nach recht klassischen Muster, aber mit brandaktueller Thematik vorgelegt. Das globale Mächtegleichgewicht hat sich verschoben und sein Heimatland ist dank des Brexit in eine durchaus prekäre Sicherheitslage geraten. Der Austritt aus der Europäischen Union und damit verbunden die Abkehr von den kontinentalen Freunden stellt das Land vor die Aufgabe, neue Allianzen einzugehen bzw. alte festzuzurren. Unter einem Präsident Trumpf durch aus ein zweischneidiges Vorhaben, das nicht von allen mit Begeisterung aufgenommen wird, schon gar nicht von einem ehemaligen Agenten, der den Kalten Krieg erlebt hat und bekennender Europäer ist.
Vor diesem Hintergrund lässt er seinen alternden Agenten Nat eine neue Aufgabe übernehmen, deutlich unter dem Spektrum, das er bis dato auszufüllen hatte. Man kann ihm Befugnisse wegnehmen, aber sein Spürsinn ist gut wie eh und je und so kann er auch dank alter Kontakte die unglaublichen Pläne aufdecken, die ihm keine Alternative lassen, als selbst aktiv zu handeln und beherzt das zu tun, was für seine Heimat am besten ist.
Kein besonders charmantes Bild seiner Heimat und seines ehemaligen Arbeitgebers zeichnet le Carré, aber wieder einmal hat man keine Zweifel daran, dass all das, was er als Fiktion verpackt genauso auch morgen in den Zeitungen stehen könnte: korrupte Beamte, die zweifelhafte Allianzen eingehen und denen die eigenen Schäfchen näher sind als das Wohl des Landes. Vielleicht nicht ganz so stark wie seine Romane um George Smiley, aber dennoch restlos überzeugend.
Dass sein Leben ihn nach Costa Rica führen würde, hatte Josef Klein nicht erwartet, als er fünfundzwanzig Jahre zuvor aus Neuss nach New York auswanderte. Der Anfang ist hart, doch nachdem er den Hilfsjob in der Druckerei gefunden hat, kommt sein Leben in geregelte Bahnen. In seiner Freizeit sitzt er vor seinem Empfänger, mit er Kontakt überall auf der Welt aufnehmen kann, so lernt er auch Lauren kennen, die junge Frau, die sich ihren Eltern widersetzt und ihre eigenen beruflichen Pläne verfolgt. Doch auch im Kreis seiner deutschen Bekannten regt sein Hobby Interesse und bald schon wird er gebeten, Nachrichten zu senden, verschlüsselte Zahlenreihen, alles nur zum Wohle des langsam erstarkenden Vaterlands. Lange verschließt Joe, wie er sich in den USA nennt, die Augen, doch die Anzeichen des drohenden Krieges werden immer deutlicher und bald muss auch er sich fragen, auf welcher Seite er steht.
Aus heutiger Sicht scheint vieles bezogen auf historische Ereignisse klar, die Fronten geklärt und die Grenze zwischen schwarz und weiß unverkennbar. Ulla Lenze indes zeichnet ein komplexes Bild des kleinen Mannes, der vielleicht mehr hätte wissen und sehen können, vielleicht naiv war, aber auch Jahre nach dem Krieg noch nicht sicher ist, ob er vorsätzlich missbraucht und geopfert wurde oder ob der Verlauf der Dinge einfach unglücklich war. Vor allem aber erkennt man in ihrem Protagonisten, wie schwer es für die Generation jener Auswanderer war, die in den 1920ern in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft in die Welt aufgebrochen waren und dann durch das Nazi-Regime und den zweiten Weltkrieg plötzlich zwischen den Stühlen saßen und Partei für eine Seite ergreifen sollten, ohne zu wissen, wo sie eigentlich standen.
Auf mehreren Ebenen lässt die Autorin durch Rückblenden die Geschehnisse aufleben. Man beginnt am Ende in Costa Rica, davor standen Josefs harte Monate bei seinem Bruder in Neuss, zu dem er nach der Ausweisung aus den USA flüchtete. So interessant der Handlungsstrang in New York ist, fand ich die Entwicklung des Verhältnisses der beiden Brüder am spannendsten. Es ist eine Geschichte voller Missverständnisse, Nicht-Gesagtem, Enttäuschungen und unterschiedlichen Lebensentscheidungen. Erst bewegen sie sich langsam und vorsichtig umeinander, doch es ist klar, dass der große Eklat kommen muss. Nicht nur weil sie so verschieden sind, sondern weil es ihnen schwer fällt, die Perspektive des anderen einzunehmen und ihn wirklich zu verstehen.
Die Geschichte basiert auf wahren Erlebnissen des Onkels der Autorin und sie macht damit einen Teil der Spionagegeschichte zugänglich, der oftmals vergessen, dank der mitreißenden Erzählweise und dem cleveren Handlungsaufbau durch diesen Roman lebendig wird.
Ruth Gilmartin, alleinerziehende Mutter, die ihr Lebensunterhalt als Fremdsprachenlehrerin für Privatschüler in Oxford verdient, macht sich zunehmend Sorgen um ihre Mutter. Diese verhält sich seltsam und fühlt sich offenbar verfolgt. Ruth nimmt das nicht ernst, bis ihre Mutter ihr Tagebücher zum Lesen gibt, in denen sie eine unglaubliche Geschichte niedergeschrieben hat: Sally Gilmartin ist nicht immer die brave britische Hausfrau und Mutter gewesen, als geborene Eva Delectorskaya wurde sie 1939 von den Briten als Spionin engagiert und hat gleich mehrere Anschläge überlebt. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges gelang es ihr unterzutauchen und sich eine neue Identität zu verschaffen, diese, befürchtet sie, ist nun aufgeflogen und mit ihrem ehemaligen Liebhaber Lucas Romer ist noch eine Rechnung offen. Um diese zu begleichen, benötigt sie die Hilfe ihrer Tochter.
William Boyds neunter Roman gewann 2006 den renommierten Costa Book Award, der eher die populären Romane und weniger die hohe Literatur honoriert. Nichtsdestotrotz reiht er sich damit in eine beachtliche Anzahl bekannter Autoren wie Ali Smith, Hilary Mantel, Kate Atkinson, Colm Tóibin, A.L. Kennedy, Ian McEwan oder Salman Rushdie ein. Mit der Spionagegeschichte erfüllt er auch wieder genau das, was ich von ihm erwartet hatte: eine spannende Geschichte mit interessanten Figuren und einer Hintergrundstory, die durchaus einiges zum Nachdenken liefert.
Sally/Evas Spionagevergangenheit wird in Rückblenden durch die Tagebücher erzählt, die die Handlung der Gegenwart unterbrechen, diese aber unweigerlich in einem gewissen Licht erscheinen lassen. Ihre Tochter Ruth hatte eine Affäre mit einem Deutschen, aus der ihr Sohn Jochen hervorgegangen ist. Unerwartet nistet sich ein anderer Deutscher bei ihr ein, vorgeblicher Onkel des Jungen, und kurz danach sucht auch noch eine zwielichtige junge Frau Unterschlupf. Im Oxford des Jahres 1976 sind die Ereignisse der RAF in Deutschland durchaus bekannt und je tiefer sich Ruth in die schmutzigen Angelegenheiten der Agenten vertieft, desto naheliegender ist es auch, dass ihre beiden ungebetenen Gäste nicht ohne Grund nach England geflüchtet sind. Das Auftauchen der Polizei und deren vage Fragen schüren nur noch ihren Verdacht.
Das Spiel mit Identitäten und Wahrheiten gelingt Boyd meisterhaft. Die Spannung – die gleich in beiden Handlungssträngen vorhanden ist – dosiert er wohlüberlegt bis zum Höhepunkt und der unausweichlichen Konfrontation. Dem großen Erzähler von Spionageromanen John Le Carré steht er meines Erachtens in nichts nach. Auch wenn der Plot durchaus gewisse Ähnlichkeiten zu anderen Romanen wie Jennie Rooneys „Red Joan“ [dt. Geheimnis eines Lebens] oder Kate Atkinsons „Transcription“ [dt. Deckname Flamingo] aufweist – wobei Boyd seinen bereits 2006 verfasste und damit vor den anderen genannten lag – kann mich das Setting immer wieder faszinieren, vor allem wissend, dass es zahlreiche dieser Geschichten real gab und gibt und viele Spione des Zweiten Weltkrieges später ein unbehelligtes Leben mitten unter uns führten.
Dass er einmal in der Politik landen würde, hatte sich Jonatan Stark nicht vorstellen können. Neue Technologien entwickeln, um umweltfreundlich die erforderliche Energie herzustellen, war sein großer Traum. Doch als ein ehemaliger Studienkollege ihm den Job offerierte, schlug er zu. Nun aber läuft die Sache aus dem Ruder, der Ministerpräsident persönlich bittet ihn als Experten um einen Gefallen, er soll bei der Beraterfirma Lionshare spionieren und deren revolutionäre Technik auskundschaften. Alles zum Wohl des schwedischen Volkes – und um die Haut des Politikers zu retten, dessen Umfragewerte eine deutliche Sprache sprechen. Jonatan spielt notgedrungen mit und gerät in ein unglaubliches Geflecht von rücksichtslosen Politikern, geldbesessenen Interessen von Wirtschaftsbossen und brutalen russischen Oligarchen.
Mark Johnson bedient sich in seinem Debutroman „Die schlichet Wahrheit“ gängiger Versatzstücke guter Politthriller: eine aufgeheizte politische Stimmung; ehrgeizige Individuen, die bereit sind über Leichen zu gehen; Journalisten, die noch an höhere Ideale glauben und für diese viel riskieren; russische Oligarchen, die sich über den heimlichen Besitz an Energieunternehmen nicht nur ein Einkommen sichern, sondern westliche Staaten von sich abhängig und erpressbar machen. Dazu noch ein paar Mordanschläge und vor allem ein unbescholtener, sympathischer Bürger, der zwischen die Fronten gerät. Das kann in einem spannenden und rasanten Thriller münden – oder eben sensationell danebengehen. So wie hier.
Das ganze Konstrukt ist so aberwitzig, dass es jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. Die beiden Politiker versuchen sich mit absurdesten Spielchen, die zu nicht mehr als Kopfschütteln taugen, gegenseitig reinzulegen. Die ganze Handlung wird auf wenige Stunden komprimiert, was allein schon große Fragen nach dem Realitätsgehalt aufreißt. Es gibt quasi kein Klischee, das Johnson auslässt, im Gegenteil, alle werden maximal bedient, großes Highlight: der folternde russische Oligarch – platter geht es kaum. Freund und Feind sind irgendwie einerlei und dem guten Jonatan können Folter, Verfolgungsjagden und brenzligste Situationen nichts anhaben. „Die schlichte Wahrheit“ ist schlicht ganz großer Unfug, der maximal als fürs Actionkino taugt, wo auf glaubwürdige und logische Handlung nicht viel Wert gelegt wird.
Eric Ambler – Journey into Fear [dt: Die Angst reist mit]
An seinem letzten Abend in Istanbul vergnügt sich der englische Ingenieur Graham gerade mit Freunden, als ihn die Cabaret Tänzerin Josette auf einen Mann aufmerksam macht, der ihn scheinbar beobachtet. Graham kümmert sich nicht weiter darum und wird in seinem Hotelzimmer böse überrascht, da jemand direkt nach seinem Eintreten das Feuer eröffnet. Von der Polizei erfährt er, dass bereits ein Anschlag auf ihn vereitelt wurde und nun müssen seine Pläne zur Rückkehr nach England kurzerhand umdisponiert werden. Nicht mit dem Orientexpress, sondern mit einem Schiff wird er die Heimreise antreten. Es ist 1939, der Krieg steht kurz bevor und als Entwickler für Kriegswaffen stellt er ein interessantes und gefährliches Ziel für die Nazis dar. Wider Willen bewaffnet geht Graham an Board, hoffend, dass die Gefahr gebannt ist.
Eric Ambler schrieb „Journey into Fear“ 1940 unter dem Eindruck des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts, der den erklärten Antifaschisten nachhaltig schockierte. Wie auch in anderen seiner Spionageromanen ist sein Protagonist ein Durchschnittsbürger, kein Polizist, kein Spion und schon gar kein ausgefeilter Agent. Zufällig gerät er zwischen die Fronten und muss sich selbst retten, da auf Ordnungsbehörden in den Wirren Zeiten kein Verlass ist.
Typisch für Romane aus dieser Zeit folgt der Krimi einem klassischen Muster und erfüllt damit voll die Erwartungen. Die Handlung spielt sich überwiegend auf dem Schiff von Istanbul nach Genua mit kurzem Zwischenstopp in Athen ab. Graham trifft unerwartet wieder auf Josette und ihren Mann, die hoffen in Paris ein neues Engagement zu erhalten. Daneben macht er mit einem französischen Ehepaar Bekanntschaft, die den deutschen Archäologen an Bord verabscheuen. Ein türkischer Handelsreisender für Zigaretten komplettiert das Figurenensemble. Man weiß, dass mindestens einer von ihnen sicher lügen wird und unter falscher Identität reist, es dauert auch nicht lange, bis sie sich gegenseitig der Spionage und übler Absichten verdächtigen.
Es ist vermutlich seiner Zeit geschuldet, dass die einzige weibliche Figur eindimensional dumm ist, davon abgesehen liefert Ambler aber genau das, was man von einem Spionagekrimi der 1930/40er Jahre erwarten würde: fokussiert auf den Fall, klare Fronten und keine hochdramatische Action mit unnötig brutalen und langwierigen Ballerszenen, das bisschen Schießerei ist glaubwürdig motiviert und wohl dosiert.
Fünfzig Jahre ist es her seit der Aufdeckung und Verurteilung seiner Eltern. Doch nun tritt man an Martin Schmidt heran, um ihn für ein Berliner Museum zu deren Spionagetätigkeit für den Westen zu befragen. Von seiner Mutter ist kein Beitrag zu erwarten, Hedda Schmidt ist auch mit über 90 noch eine eiserne Frau mit festen Grundsätzen. Viele Jahrzehnte hat er verdrängt, was damals geschah, doch nun stellt sich der inzwischen 68-Jährige seiner Vergangenheit und erhält auch Einsicht in die Akten von BND und Stasi. Er will verstehen, weshalb seine Eltern zu Spionen wurden, wie sie gearbeitet haben und wer sie letztlich verraten hat. Dabei taucht auch seine alte Liebe Angelika wieder auf, die er damals nach der Ausreise im Osten zurücklassen musste und die er seit diesen Tagen nicht mehr gesehen oder gesprochen hat. Vieles wird ihm klar bei seinen Nachforschungen, doch mit den Antworten treten auch die unangenehmen Gewissheiten zu Tage.
Dirk Brauns verarbeitet in seinem Roman die Geschichte seiner Familie; seine Großeltern waren es, die als Westagenten enttarnt und verurteilt wurden, seinen Vater und seinen Onkel lässt er in seiner Geschichte zu dem Einzelkind werden, das plötzlich alleine mit der ungeheuerlichen Situation fertigwerden muss. Die Grenze von Fakt und Fiktion verschwimmt und was letztlich Erfindung des Autors ist und was real in den Unterlagen der Geheimdienste existiert, weiß wohl nur Brauns selbst.
„Großmutter und er aber fühlten sich wie Schiffbrüchige nach einem Orkan. Sie fanden sich auf einer Insel wieder, die nur sie selbst als Insel erlebten. Nach logischen Kriterien beurteilt, war es auch keine Insel. Als hätte man ihnen, den Angehörigen von Staatsverbrechern, so etwas wie Robinson-Crusoe-Tabletten verabreicht, Psychopharmaka aus den Laboren der Abwehr. Die Wahrnehmung verzerrte sich. Sie waren wie durch Glaswände von den anderen getrennt.”
Neben den alles überlagernden Fragen, wie die Agenten in der DDR agierten, wie sie angeworben wurden und wie sie den Schein der Normalität aufrechterhalten konnten und selbst vor den Familienmitgliedern ihre Tätigkeiten verheimlichten, bietet der Roman noch eine ganze Reihe von anderen interessanten Aspekten. In erster Linie natürlich die Frage, was das Aufdecken einer so ungeheuerlichen Tat mit den Beziehungen anstellt; fassungslos betrachtet Schmidt das Verhalten seiner Eltern, denen vergleichbare Fälle bekannt gewesen sein müssen, bei denen die Agenten hingerichtet wurden. Für Kaffee und Strumpfhosen haben sie ihr eigenes und auch sein Leben riskiert?
Da er durch den Krebs bereits seit Jahren tot ist, kann der Vater keine relevante Rolle mehr einnehmen und die Mutter rückt umso stärker in den Mittelpunkt. Sie ist sicherlich auch die interessantere der Figuren:
„Sie sitzen am Tisch, warten gemeinsam auf Angelika. Die Zimmertemperatur fällt. Wie bei jedem seiner Besuche fällt die Zimmertemperatur. Sie fällt ins Bodenlose, in den Urgrund, den Frostboden der Schmidt-Familie, zu den dort gelagerten Pflichtgefühlen.”
Herzlichkeit und Zuneigung kannte sie nie gegenüber ihrem Sohn. Mehr als Pflichtgefühl konnte zwischen beiden nie entstehen. Schmidt erkennt, dass sie die treibende Kraft hinter der Spionage gewesen sein muss, doch als er hinter ihre Motive kommt, ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch etwas in ihrem Leben, das der Sohn nicht weiß, das aber nun endlich als Licht kommt und das wahre Ich hinter der nach außen unauffälligen braven Bürgerin zeigt.
Die Spurensuche ist sich trotz der psychischen Belastung für den Protagonisten leichtfüßig geschildert und gibt durchaus spannende Einblicke in einen wichtigen Teil der deutsch-deutschen Geschichte. Einzig die aufgewärmte Liebesgeschichte zwischen Schmidt und Angelika stört hier etwas, hier wäre für mich mehr von der Vater-Tochter-Beziehung, deren Komplexität erst am Ende offenkundig wird, deutlich interessanter gewesen.
Schon wieder ein Anschlag des IS auf britischem Boden, hunderte Tote und Verletzte, das Westend in Schutt und Asche. Drahtzieher ist offenkundig Saladin, der Islamist, den es nicht gelungen war zu eliminieren nach dem Angriff auf das Weinberg Center in Paris. Gabriel Allon, inzwischen Chef des israelischen Geheimdienstes, will ihn endlich unschädlich machen und stellt eine nie gesehene internationale Koalition zusammen: MI5 und MI6 aus England, der französische Geheimdienst und sogar die USA, selbst Opfer Saladins geworden, erklären sich zur Zusammenarbeit bereit, um dem größten Feind des Westens mit vereinten Kräften zu begegnen. Die Spuren führen nach Marseille, Einfallsort für die Drogenversorgung Europas. Als Lockvögel werden der beste Spion der Briten und alter Bekannter Allons, sowie Natalie, die Saladin bereits schon einmal sehr nah kam und ihm damals das Leben rettete, auf den Kontaktmann angesetzt. Dann ist Warten angesagt, bis sich die Chance ergeben wird.
Band 17 der Gabriel Allon Reihe setzt nahtlos da an, wo der Vorgänger aufhörte. Immer noch ist der Islamist Saladin das Ziel des Israelis. Auslöser für alle Aktivität ist wieder einmal ein Attentat in Europa, dem die westlichen Sicherheitskräfte nichts entgegensetzen konnten.
Insgesamt legt „Der Drahtzieher“ über weite Strecken ein recht gemächliches Tempo an den Tag. Der Fokus liegt dieses Mal ganz entschieden auf der Arbeit der Geheimdienste, was jedoch kein bisschen an Spannung einbüßt. Anwerbung, Ausbildung, Kontrolle im Hintergrund – detailliert schildert Silva, wie eine große Operation geplant und umgesetzt wird, was dazu erforderlich ist und was offenkundig so alles bewegt werden kann. Ebenso interessant sind natürlich die Befindlichkeiten der einzelnen Länder, wie jeder den großen Sieg einfahren möchte, wie alte Animositäten fast die ganze Aktion gefährden. Hier bewegt sich Silva tatsächlich im klassischen Spionage-Milieu und kann an einen John LeCarré heranreichen.
So interessant dies alles ist, führt es jedoch unweigerlich auch dazu, dass die Handlung langsamer verläuft als man das von Silva gewöhnt ist. So manche Länge bleibt ebenfalls nicht aus. Auch Gabriel Allon bleibt dieses Mal im Hintergrund, die tragenden Figuren sind die Agenten und ihre Zielpersonen. Diese sind überzeugend gezeichnet und auch lebendig in ihrem Handeln. Allerdings habe ich mich doch gefragt, ob sich zwielichtige Personen tatsächlich so leicht anwerben lassen und uneigennützig kooperieren würden. Auch der finale Showdown in Marokko war zwar rasant und einem Thriller würdig, aber hatte doch mehr Hollywood Potential als Überzeugungskraft.
Insgesamt eine solide Fortsetzung mit großem Unterhaltungswert, die die Erwartungen an die Reihe voll erfüllt.