Ragnar Jónasson – Insel

Ragnar Jónasson – Insel

Hulda Hermannsdóttir muss von der isländischen Hauptstadt auf die zerklüftete Insel Elliðaey reisen, denn dort wirft der Tod einer jungen Frau Fragen auf. Gemeinsam mit drei Freunden verbrachte sie einige Tage in einem Sommerhaus. Nachts scheint Klara alleine die Hütte verlassen zu haben und an einem steilen Felsen abgestürzt zu sein. Doch die Obduktion legt anderes nahe. Bei der Befragung der Freunde zeigt sich auch schnell, dass Alexandra, Benedikt und Dagur etwas verheimlichen und dass sie schon einmal mit einem Todesfall verbunden wurden: Katla, Dagurs ältere Schwester und ebenfalls mit der Clique befreundet, wurde genau 10 Jahre zuvor ermordet aufgefunden. Ihr Vater wurde der Tat beschuldigt und beging im Gefängnis Selbstmord, ein klares Schuldeingeständnis wie Huldas Vorgesetzter erkannte. Je näher die Kommissarin der Wahrheit kommt, desto offenkundiger wird ihr auch, dass es auch in dem alten Fall noch Fragen gibt. Doch diese zu stellen wird dramatische Folgen haben.

„Insel“ ist der zweite Band von Ragnar Jónassons Hulda Trilogie, die chronologisch rückwärts erzählt wird und nun die Kommissarin auf den Höhepunkt ihrer Karriere zeigt. Der Autor arbeitet auch wieder mit der Überlagerung verschiedener Zeitebenen und konstruiert so eine spannende und undurchschaubare Geschichte, in der alle Figuren ihre Geheimnisse und Motive haben. Besonders stark wirkt wieder einmal die Natur, die einerseits als geradezu berauschend schön dargestellt wird, aber auch ihre rauen und abweisenden Seiten hat. Wie schon in „Dunkel“ herrscht eine düstere Atmosphäre, die perfekt zu dem Fall und den gleich bei mehreren Personen vorhandenen Schuldgefühlen passt.

Eigentlich wollen die vier Freunde sich nur nach vielen Jahren wiedersehen und gemeinsam der verstorbenen Katla gedenken. Doch die Stimmung ist von Beginn an vergiftet, es hängt etwas in der Luft und Karlas Alpträume in der Hütte führen auch nicht unbedingt zu einer Verbesserung. Man wundert sich, weshalb sie den Anlass ihres Aufenthalts nicht preisgeben wollen, als Leser hat man aber jedoch recht schnell einen Wissensvorsprung und beobachtet gebannt, ob es Hulda gelingen wird, hinter die Fassade zu blicken und für Gerechtigkeit zu sorgen.

Ein überzeugender Krimi, der jedoch nicht ganz an den ersten Band heranreicht, der mit ungeahnten Wendungen und noch stärkerem Fokus auf Hulda wirklich überraschen konnte.

Max Bronski – Halder

Kurt Halder, Präsident des Verfassungsschutzes und sein Fahrer sind auf dem Weg nach München, wo bei einem offenkundig linksradikalen Anschlag ein Kommissar ums Leben kam. Die SoKo Nordring ermittelt und es scheint, als stehe ein weiteres Attentat auf eine Kaserne bevor. Das erste Opfer schien die Gruppe jedoch erst durch sein Verhalten getriggert zu haben und so sind die ehemaligen RAF Sympathisanten nach Jahrzehnten wieder aktiv geworden. Halder hat jedoch noch eine zweite, private Mission, die er mit dem Aufenthalt in Bayern verbinden will. Eine ehemalige Klassenkameradin hat ihn eingeladen und so die Chance eröffnet, eine seit vier Jahrzehnten an ihm nagende Frage zu beantworten: ist er der Vater ihrer Tochter? Während Halder auf der Autobahn gen Süden rollt, droht in seiner Behörde jedoch ein Angriff auf ihn, endlich hat sein langjähriger Widersacher die Chance, sich zu rächen.

Max Bronski ist nicht erst seit seiner Auszeichnung mit dem Friedrich Glauser Preis eine feste Größe in der deutschsprachigen Krimiwelt. Sein aktueller Roman „Halder“ ist im Milieu der Sicherheitsdienste angesiedelt und greift hochpolitische und ebenso brisante Strömungen auf, vor denen man gerne die Augen verschließt: ein Attentat und dessen Verursacher, die schnell im linksradikalen Milieu gefunden werden. Andere Lesarten wie Rechtsextremisten werden vernachlässigt, mögliche Beteiligungen von Polizisten ignoriert und nur eine einzige Spur mit aller Kraft verfolgt. Das Narrativ ist ebenso einseitig wie voreilig.

Die Geschichte ist vielschichtig und entwickelt aus einem einzigen roten Faden – Halder auf dem Weg zum letzten Schlag gegen die identifizierten Täter – und lässt ein Geflecht von sich immer wieder knotenden und verwickelnden Handlungssträngen entstehen.

„Aber nun war die Zersetzung in vollem Gange, weil der Bürger selbst hervortrat, aber nicht zum Dialog, sondern um abzurechnen. Er kübelte die Repräsentanten des Staats und alle, die er nicht auf seiner Linie wähnte, mit unflätiger Wut zu.“

Was bringt eine Gruppe von Senioren dazu, nach so langer Zeit wieder aktiv zu werden? Weshalb hatte der ermordete Polizist sie überhaupt auf dem Schirm und hat sie scheinbar bedroht? Sind sie in ihrem Vorgehen naiv leichtsinnig – die Ermittler können leicht jeden Schritt verfolgen – oder doch unglaublich gerissen, so dass sie ihre Verfolger in die Irre führen?

Halders Gegenspieler hingegen merkt, wie er schachmatt gesetzt wurde und sucht nach einem effektiven Mittel gegen den verhassten Vorgesetzten. Zu tief gehen die Wunden inzwischen als dass er sich die tägliche Demütigung weiter gefallen lassen würde. Und da fällt ihm etwas auf, er findet eine andere Spur, kann ein Gegenszenario entwerfen, das Halder zu Fall bringen wird.

Dieser sinniert derweil nicht nur über den aktuellen Fall und seine private Mission. Erinnerungen an seine Familie, den strengen Vater, der sich nie wirklich gegen das Gedankengut der Nationalsozialisten stellte und die Erziehung des Sohnes mit ebensolcher Härte verfolgte, wie er selbst einst dem Führer diente. Die Mutter, die vom Leben enttäuscht den Rückzug in die Küche antrat, ein Muster, das sich bei Halders eigener Gattin wiederholte.

„Wer war Freund, wer Feind? Für eine Behörde, die zwar auf abgewogenen, aber letztlich klaren Einschätzungen fußen musste, war der Versuch, Orientierung zu finden, so aussichtsreich, wie Pfannkuchen an die Wand zu nageln.“

All dies steht in einem Kontext der scharfen Analyse der Lage der Nation. Halder entwirft ein düsteres Bild der Gesellschaft und des Staates. Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte passen nicht mehr zu dem Gebildet, das nach dem zweiten Weltkrieg entworfen wurde. Ein nachdenklich stimmender Politkrimi, der gleichermaßen Spannung wie Tiefgang bietet.

Arnaldur Indriðason – Tiefe Schluchten

Arnaldur Indridason – Tiefe Schluchten

Der ehemalige Mordermittler Konráð will eigentlich nur noch seinen Ruhestand genießen, weshalb er die dringliche Bitte von Valborg ablehnt, ihr Kind zu finden, das sie fast fünfzig Jahre zuvor direkt nach der Geburt weggegeben hatte. Doch dann wird Valborg ermordet und er fühlt sich schuldig, der totkranken Frau den letzten Wunsch nicht erfüllt zu haben. Während die Polizei nach dem Mörder sucht, forscht Konráð in der Vergangenheit der unauffälligen Frau. Bald schon stößt er auf eine Hebammenschülerin, die damals scheinbar Schwangere überredete, keinen Abbruch vornehmen zu lassen, sondern die Kinder auf die Welt zu bringen und dann zur Adoption freizugeben. Doch auch sie ist bereits seit langer Zeit verstorben. Aufgeben kommt für den Pensionär jedoch nicht infrage, auch wenn er zugleich noch ein anderes Mysterium lösen muss: der Mord an seinem eigenen Vater.

Dem isländischen Autor Arnaldur Indriðason gelingt es immer wieder, spannende Romane zu schaffen, die weitgehend ohne ausführliche Darstellung von brutaler Gewalt auskommen, sondern sich auf das alltägliche Grauen fokussieren. Es sind keine außergewöhnlichen Figuren, sondern die Tatsache, dass sie so ausgesprochen normal sind, die einem als Leser berühren. Hinter jeder Tür kann sich ein dramatisches Schicksal verbergen, hinter jeder Tür vermag eine Lage zu eskalieren und den schlimmstmöglichen Ausgang zu nehmen. Auch in „Tiefe Schluchten“ ist es das tagtägliche Verbrechen, das den Ausgangspunkt für eine Kette von Tragödien bildet.

Das Schicksal Valborgs skizziert sich schnell: eine Vergewaltigung führte dazu, dass sie noch jung ungewollt schwanger wurde. Auch wenn es ihr damals richtig erschien, dem Kind bei liebenden Eltern eine Zukunft zu schenken, ließen sie das ungewisse Schicksal und die Gewissensbisse nie los. Sie konnte es nicht ahnen, aber dem Jungen wurde keine unbeschwerte Kindheit zuteil und sie hat letztlich nicht nur ihr eigenes, sondern auch sein Leid verlängert.

Auch wenn die Suche nach dem Kind im Vordergrund steht, präsentiert der Roman eine Reihe von Nebenfiguren, die traurige Geschichten zu erzählen haben. Unzählige Frauen werden gestreift, die Opfer von häuslicher Gewalt werden, jedoch lieber die blauen Flecken überschminken und den Mann entschuldigen, als sich aus der gefährlichen Lage zu befreien. In ganz verschiedenen Facetten zeigt sich die alltägliche Gewalt, so nebensächlich geschildert, dass sie fast den Eindruck erweckt, quasi normaler Bestandteil des Lebens zu sein, dem man nur noch mit Schulternzucken begegnet.

Jedoch nicht nur die blanke physische Gewalt zeigt sich, vielleicht sogar noch perfider ist die psychische, die beispielsweise Konráðs Vater geschickt nutzte, um seine Opfer auszunehmen oder die Anhänger der Religionsgemeinschaften, die ebenfalls eher subtil denn offen Druck auf ihre Mitglieder ausübten.

Dramaturgisch geschickt aufgebaut liefert Arnaldur Indriðason wieder einen erwartungsgemäß tiefgründigen Krimi, der sich nicht nur mit Spannung und viel Blut zufriedengibt, sondern durch das zutiefst Menschliche nachwirkt.

Petros Markaris – Das Lied des Geldes

Petros Markaris – Das Lied des Geldes

Lambros Sissis, bester Freund von Kommissar Charitos, kann das Elend im Obdachlosenheim nicht mehr mitansehen. Seine politischen Ideale sind gestorben, es bleibt nur noch die Linke, die seiner Ansicht nach auf ganzer Breite versagt hat, zu Grabe zu tragen. Er organisiert einen Trauerzug samt Sarg durch Athen, was ihm entsprechende Aufmerksamkeit einbringt. Die Armen verbünden sich, nicht mehr nur die Obdachlosen am unteren Rand der Gesellschaft, auch die Flüchtlinge und die ehemalige Mittelschicht leiden und schließen sich der neuen Protestbewegung an. Zu Charitos‘ Schrecken sind auch seine Frau Adriani und Tochter Katerina aktiv im Kampf gegen die Kapitalisten. Und diese müssen sich auch ganz konkret fürchten, denn ein Mörder scheint es gezielt auf ausländische Investoren abgesehen haben. Erst ein saudi-arabischer Bauunternehmer, dann ein chinesischer Unternehmer werden heimtückisch in eine Falle gelockt und erstochen. Der Beginn einer Serie? Offenkundig, denn stets wird am Tatort auch ein Lied vernommen, ein Lied, das von Geld und Gier erzählt.

Immer wieder hat Petros Markaris in seiner Reihe um den Athener Kommissar Kostas Charitos gesellschaftliche Entwicklungen aufgegriffen und sich deutlich positioniert. Wurde im vorausgehenden Band die Heuchelei der griechischen Elite kritisiert, greift er nun in „Das Lied des Geldes“ sowohl die drängende Armut, die nach der Finanzkrise weite Teile der Bevölkerung erfasst hat, auf und thematisiert, wie die Not von geschäftstüchtigen, ausländischen Investoren ausgenutzt und dadurch noch weiter verschlimmert wird.

Es braucht nicht viel, um Lambros Sissis‘ Resignation nachvollziehen zu können. Das Leid unmittelbar vor Augen, ohne jede Hoffnung auf Besserung, kann man nur noch mit einem gewissen Zynismus reagieren, wenn man nicht vollends verzweifeln möchte. Dass er schnell aus allerlei Richtungen Unterstützer findet, ist nicht verwunderlich, sondern verstärkt eher das Gefühl von Machtlosigkeit ob der schon seit Jahren andauernden Krise. Der friedliche Protest glückt und gewinnt die Sympathien. Dass dies einigen jedoch vielleicht zu wenig ist, kann man menschlich nachvollziehen.

Geschickt wird so der Bogen zur eigentlichen Krimihandlung geschlagen, deren Opfer zu der Riege der Profiteure der Notlage gehören und die sich auf Kosten der Schwächsten bereichern. Auch wenn Charitos im Sinne der juristischen Gerechtigkeit unterwegs ist, bleibt die moralische eine gänzlich andere Frage.

Markaris erzählt nicht die nervenzerreißenden Geschichten, sondern jene zutiefst menschlich motivierten, die mit langsamerem Tempo jedoch deutlich mehr Tiefgang erreichen und die Finger in die Wunden legen, wo es weh tut. Seine authentischen Figuren sind die einfachen Menschen, die trotz mancher Widrigkeit versuchen, den Alltag zu meistern und ein rechtschaffenes Leben zu führen, bis ihnen das jedoch nicht mehr gelingt. Die Täter sind oft die eigentlichen Opfer und so zeigt auch „Das Lied des Geldes“, dass die Realität komplexer ist als nur schwarz und weiß und dass die Frage nach dem, was richtig und was falsch ist, durchaus moralisch herausfordernd werden kann.

Einmal mehr ein aufrüttelnder Roman, der Spannung mit Sozialkritik verbindet.

Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Kate Atkinson – Weiter Himmel

Kate Atkinson – Weiter Himmel

Die Gattinnen und Kinder von Tommy, Andy und Steve führen ein Dasein im Luxus, wirklich hinterfragt, wo das ganze Geld herkommt, vor allem das Bargeld, haben sie nie. Die Männer gehen halt Geschäften und dem Golfen nach und sind offenbar erfolgreich dabei. Aber es gibt eine alte Verbindung zu zwei Kriminellen, deren Netzwerk schon vor Jahren aufgedeckt wurde und das jetzt durch Ronnie Debicki und Reggie Chase, zwei junge Detectives, nochmals untersucht wird. Just in diesen Ermittlungen fällt ihnen die Leiche von Wendy vor die Füße, deren Gatte Vince so etwas wie der vierte Mann im Bunde ist. Das erfolgreiche Geschäftsmodell droht nun doch aufzufliegen während Crystal, Tommys Frau, sich verfolgt und bedroht fühlt, weshalb sie den Privatermittler Jackson Brodie engagiert. Es muss im Zusammenhang mit ihrem früheren Leben stehen, das ist der biederen Hausfrau Crystal klar, jenem Leben, von dem niemand etwas wissen soll und das sie selbst auch lieber vergessen würde.

Bereits zum fünften Mal lässt Kate Atkinson den melancholischen Privatdetektiv Jackson Brodie im der Grafschaft Yorkshire ermitteln. Wie auch zuvor schon beginnt „Weiter Himmel“ gänzlich unspektakulär für ihn, bis er sich in einer hochkomplizierten Angelegenheit wiederfindet. Der Leser ist ihm durch die Eingangsszene und das Wissen um Atkinsons herausragende Fähigkeit zu zirkulärer Erzählweise, die sich erst im Laufe der Handlung offenbart, einen Schritt voraus und ahnt, dass es einmal mehr ein großartiges Vergnügen werden wird, die unzähligen losen Enden und Figuren miteinander zu verknüpfen.

Das beschauliche Leben in der Provinz ist vieles, jedoch nicht so friedvoll wie es scheint. Die idyllische Kulisse bietet vor den Augen aller die optimalen Bedingungen für grausame, menschenverachtende Geschäfte. Jedoch sind Tommy, Andy und Steve nicht die kaltblütigen Verbrecher, die schonungslos ein Kartell führen. Atkinson zeichnet sie liebevoll auch als Familienmenschen mit ihren Schwächen und Enttäuschungen im Leben. Vince noch mehr als das Trio ist gebeutelt von der Scheidung, in der er gerade steckt, als sich das Problem durch das Ableben seiner Frau von alleine löst – wenn er jetzt nicht gerade der Hauptverdächtige wäre, was ganz neue Komplikationen mit sich bringt.

Jackson Brodies Arbeit ist auch weit davon entfernt spektakulär gefährlich und spannend zu sein, viel zu oft steht er vor banalen Alltagsherausforderungen. Eine absurde Gemengelage, in der mir insbesondere die beiden Detectives unglaublich gut gefallen haben. Mit trockenem Humor und messerscharfem Verstand verfolgen sie ihre Ermittlungen und haben mich mehr als einmal auflachen lassen. Es ist genau dieser Ton zwischen abgeklärtem Sarkasmus, pragmatischer Menschlichkeit und Bodenständigkeit, der grausame Themen wie Menschenhandel und Mord – auch dank unglaublicher Zufälle – in bemerkenswerter Leichtigkeit präsentiert.

Aus unzähligen Puzzleteilen entsteht langsam ein komplexes Geflecht an Figuren und ein cleverer Plot, den aufzudecken schlicht große Unterhaltung ist.

Theresa Prammer – Lockvogel

Theresa Prammer – Lockvogel

Schauspielschülerin Toni hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr das passiert. Ihr Freund Felix ist auf und davon und hat ihre ganzen Ersparnisse sowie den Schmuck ihrer Oma mitgenommen. Zur Polizei will sie nicht gehen, da sie dann der Oma beichten müsste, was geschehen ist. Aus diesem Grund sucht sie Hilfe bei Edgar Brehm, seines Zeichens Privatdetektiv. Dieser ist nicht nur gesundheitlich angeschlagen, sondern auch finanziell in einer Notlage, weshalb ihm sein neuer Auftrag gerade Recht kommt: Sybille Steiner, Frau eines erfolgreichen Regisseurs, engagiert ihn, um Anschuldigungen gegen ihren Mann prüfen zu lassen. Dieser soll jahrelang die Situation junger, ambitionierter Schauspielerinnen ausgenutzt haben. Da kommt Toni ins Spiel: sie hat zwar kein Geld, um den Detektiv zu bezahlen, aber als Lockvogel kann sie die Kosten quasi abarbeiten.

Theresa Prammers Krimi ist eine unterhaltsame Mischung aus klassischem Mordfall, immer wieder humorvollen Einschüben und der immer noch aktuellen #metoo Debatte. Die liebevoll gezeichneten Figuren tragen dabei ganz entscheidend zu Gelingen bei: sowohl die bisweilen naive und chaotische Toni wie auch der angeschlagene Detektiv Brehm wirken wie aus dem Leben gesprungen: sie sind keine Superhelden, im Gegenteil, nicht wenig geht bei ihren Ermittlungen auch schief, aber die kleinen und großen Schwächen machen sie schlicht sympathisch und menschlich.

So richtig scheinen in dem Fall die Puzzleteile nicht zusammenzupassen: bei schillernden einer Party im Haus der Steiners wird ein Aushilfskellner getötet. War das Drehbuch, das der verhinderte Autor dem Starregisseur zustecken hat wollen der Anlass? Doch wie brisant sollte dessen Inhalt gewesen sein? Da ist das anonyme Tagebuch, dass man Sybille Steiner zugespielt hat deutlich aufschlussreicher. Das ungleiche Team stürzt sich in die Ermittlungen, wobei Toni bald merkt, dass sie zwar über Schauspieltalent verfügt, aber die Improvisation, die undercover Einsätze erfordern, auch geübt sein will, weshalb sie ein uns andere Mal in durchaus kritische Situationen gerät. So wie Brehm sie aus diesen retten muss, kommt auch sie ihm zu Hilfe, denn mehr als einmal drohen sie gnadenlos aufzufliegen und zu scheitern.

Obwohl es sich um einen Krimi handelt, war die Spannung eher moderat, was für mich aber durch den lockeren Erzählton und die wirklich herausragenden Figuren locker wettgemacht wurde. Die verschiedenen Handlungsstränge wurden überzeugend miteinander verbunden und letztlich auch sauber gelöst. Eine runde und unterhaltsame Angelegenheit.

Pascal Engman – Rattenkönig

Pascal Engman – Rattenkönig

Der Mord an einer jungen Frau führt direkt zu ihrem Ex-Freund. Dieser sitzt zwar noch in der JVA, hatte am fraglichen Abend jedoch Ausgang und die Spuren liefern den eindeutigen Beleg für seine Schuld. Doch die Ermittlerin Vanessa Frank muss bald sehen, dass sie offenbar auf eine falsche Fährte gelockt wurden, denn der vermeintliche Mörder hat ein felsenfestes Alibi. Ein weiterer Mord an einer jungen Frau und wieder wird schnell ein Täter identifiziert, dieses Mal ein berühmter Moderator, der seine Affäre getötet haben soll. Doch auch in diesem Fall wurden Spuren für die Polizei platziert. Es scheint, als sei ein Serientäter am Werk, der geschickt Opfer und scheinbare Täter aussucht, um so die Polizei zu narren. Es dauert, bis Vanessa Frank erkennt, dass das Motiv ganz anders gelagert ist und sie ein völlig verqueres Weltbild verstehen muss, um den Täter dingfest machen zu können.

„Verschwundene Frauen brachten starke Auflagen. Nicht ganz so hohe wie zerstückelte oder zersägte Frauen, aber fast.“

Der zweite Band um Vanessa Frank setzt die Reihe um die eigenwillige Ermittlerin überzeugend fort. An ihrer Seite einmal mehr der Ex-Elitesoldat Nicolas, der nicht nur an ihrer Seite steht, wenn unkonventionelle Hilfe erforderlich ist, sondern in dem sie auch einen Seelenverwandten gefunden hat. Im Zentrum jedoch steht ein ganz anderer Typ Mann, jener, den man heute als „Incel“ bezeichnet: ein unfreiwilliger Single, der Frauen hasst, weil sie ihm nicht die Aufmerksamkeit entgegenbringen, die er glaubt verdient zu haben und sich mit Gleichgesinnten in ein irres Verschwörungsbild von männerhassenden Frauen gesteigert hat, dessen Ausweg nur in der brutalsten Art von Gewalt gegenüber dem anderen Geschlecht bestehen kann.

„Hatte geglaubt, der Fehler läge bei ihm. Aber jetzt hatte er begriffen. Der Fehler lag bei der westlichen Welt.- Er gehörte zu den Verlierern. Er war einer der wertlosen weißen Männer, die Tag für Tag von Journalistinnen in Zeitungen verspottet und verfolgt wurden.“

Ähnlich wie ein Rattenkönig – mehrere an den Schwänzen fest miteinander verbundene Ratten, die sich nicht mehr einzeln bewegen können – sind auch die Incels miteinander verbunden und können nur gemeinsam ihren Wahn leben und zelebrieren. Dem Mythos zufolge bedeutet die Existent eines Rattenkönigs ein böses Omen und so ist es auch in Engmans Roman. Es ist jedoch nicht ein einzelner Verirrter, der sich völlig verrannt hat, auch viele der anderen Männerfiguren weisen zweifelhafte Züge auf, die eindeutig einem toxischen Männlichkeitsbild mit überzeugtem Überlegenheitsglauben zuzuordnen sind. Der Autor stellt ihnen nicht die nur guten Frauen gegenüber, er verzichtet auf eine einseitige Schwarz-Weiß-Malerei und greift geschickt eine bislang meines Erachtens viel zu sehr vernachlässigte oder belächelte Bewegung auf, von der womöglich viel mehr Gefahr ausgeht, als man bislang wahrhaben wollte.

Auch der dritte Roman Engmans konnte mich restlos überzeugen: wieder eine komplexe Handlung, die maßgeblich von den interessanten und vielschichtigen Figuren getragen wird, so abwegig auch ihre Gedankengänge sein mögen.

Peter Mohlin/Peter Nyström – Der andere Sohn

Peter Mohlin/Peter Nyström – Der andere Sohn

Nach einem gefährlichen Einsatz gegen ein Drogenkartell muss John Adderley durch das FBI-Zeugenschutzprogramm eine neue Identität erhalten. Er bittet darum, nach Schweden versetzt zu werden, das Land, in dem er die ersten 12 Jahre seines Lebens verbracht hat. Widerstrebend stimmen seine Vorgesetzten zu, da sonst der Prozess platzen würde. Es ist jedoch keine Nostalgie, die ihn zurücktreibt, seine Mutter bittet um seine Hilfe. 10 Jahre zuvor wurde sein Halbbruder des Mordes an der Erbin eines Klamottenimperiums beschuldigt, aus Mangel an Beweisen jedoch wieder freigelassen. Nun wird der Fall erneut aufgerollt und die Mutter fürchtet, dass es wieder keine fairen Ermittlungen gibt. John wird in das Ermittlungsteam eingeschleust und kann bald nicht nur die Leiche finden, sondern auch nachweisen, dass es Manipulationen bei den Ermittlungen gab. Offenbar sitzt der Täter in den Reihen der Polizisten.

Das Autorenteam Mohlin/Nyström kennt sich bereits seit Kindheitstagen und hat mit „Der andere Sohn“ nun zum ersten Mal gemeinsam einen Kriminalroman verfasst, den Auftakt einer Reihe, die in der schwedischen Stadt Karlstad angesiedelt ist. Die Geschichte liefert genau das, was man von skandinavischer Spannungsliteratur gewohnt ist: eine sauber gestrickte, komplexe Handlung, die jedoch auch Raum lässt, um einen Blick in die Gesellschaft und kulturellen Eigenheiten zu gewähren.  Der Protagonist John nimmt dabei eine interessante Zwischenposition ein: weitgehend in den USA sozialisiert und beruflich durch die Arbeit beim FBI geprägt, spricht er zwar die Sprache seiner neuen Kollegen, hadert jedoch mit so mancher Eigentümlichkeit, an die er sich nur schwer gewöhnen kann.

Was geschah mit Emelie in der Nacht vor 10 Jahren? Und wo ist die Leiche der jungen Frau? Nach einer Party wollte sie noch einen mysteriösen Mann treffen, doch ihre Spur verliert sich, das letzte Lebenszeichen ist eine große Menge Blut an einem Felsen, ganz in der Nähe finden sich Spermaspuren, die zu Johns Halbbruder führen. Doch dieser leugnet die Tat und auch die junge Frau gekannt zu haben. Sobald John sich näher mit ihr befasst, zeigt sich, dass die Studentin zwei ganz unterschiedliche Seiten hatte, die offenbar zu ihrem Verhängnis wurden. Als John die Manipulationen am Beweismaterial entdeckt, nimmt die Handlung nicht nur eine Wende, sondern auch das Tempo ordentlich Fahrt auf. Und immer muss der Ermittler auch damit rechnen, dass seine wahre Identität entdeckt wird, was ihn das Leben kosten könnte.

Ein überzeugender Auftakt, auch wenn der Anfang mit John Vorgeschichte in Baltimore etwas ausführlich war und nicht in unmittelbarem Zusammenhang zum Cold Case steht. Jedoch scheint dies in den Folgebänden wieder relevant zu werden. Der Fall bietet einige überraschende Wendungen, die durch akribische Polizeiarbeit und nicht durch bloßen Zufall ausgelöst werden. Die Spannung wird gelegentlich durch kleine interkulturelle Missverständnisse – Gott bewahre: Küchendienst für den ehemaligen FBI–Ermittler und viel zu kleine Autos mit Gangschaltung– unterbrochen, die zur Abwechslung auch zum Schmunzeln einladen.

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Berthet soll getötet werden, von seinen eigenen Leuten, die wie er Mitglied der Unité sind, jeder Einheit, die im Verborgenen die Schmutzwäsche des Staates beseitigt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Berthet ist Agent, Auftragsmörder, der nicht viele Fragen stellt, sondern sauber die Befehle ausführt. Nebenbei hat er seit Jahren jedoch auch seine eigene Agenda, diese hat auch einen Namen: Kardiatou Diop. Als er ihr zum ersten Mal begegnete, war sie eine 14-jährige Göre aus der Vorstadt mit schlechter Zukunftsprognose, doch im Geheimen hat er immer wieder die Weichen gestellt und eine schützende Hand über das Mädchen gehalten, das inzwischen zur populären Politikerin aufgestiegen ist. Doch bevor seine Kollegen ihren ultimativen Anschlag durchführen, muss Berthet noch etwas erledigen: seine Geschichte erzählen.

„Das ist das Alter, denkt Berthet erneut. Oder die Wehmut. Berthet ist ein Nostalgiker. Das weiß er. Dabei gibt es eigentlich nicht viel, dem er nachtrauern kann. Er hat sich sein Leben lang mit nichts anderem als Mord, Folter, Erpressung, Destabilisierung, Manipulation, Vergewaltigung, Verstümmelung, Attentaten und Entführungen beschäftigt. Trotzdem ist Berthet ein Nostalgiker.“

Schon Jérôme Leroys Krimi „Der Block“ über die extremen Rechten in Frankreich konnte mich sehr begeistern, weshalb die Erwartungen an „Der Schutzengel“ hoch waren. Wieder einmal greift er in einem Roman politische Ereignisse und gesellschaftliche Strömungen auf, die maßgeblich für die Handlung sind. Der aktuelle Krimi ist jedoch in seiner Konstruktion etwas sperrig, was das Lesen nicht ganz einfach macht, wenn dies auch literarisch experimentell und interessant gestaltet ist. So kommt es für mich nach extrem starkem Beginn im ersten Teil zu einem langsamen Nachlassen, Teil drei ist mit Abstand der schwächste, was ich einzig der Perspektivwahl zuschreiben würde.

Der Krimi beginnt damit, dass Man Berthet in Lissabon in voller Aktion erlebt. Nein, eigentlich hat er dort keinen Auftrag, sondern genießt nur die Stadt unter einer seiner vielen Identitäten, als er auf ein ziemlich dilettantisch agierendes Trio aufmerksam wird. Es endet nicht nur im Blutbad, sondern im völligen Chaos. In Teil zwei will er den Autor Joubert davon überzeugen, seine Memoiren zu schreiben. Joubert ist gerade verlassen worden und ziemlich abgebrannt, aber ein dreiteiliges, ziemlich totes Mordkommando in seinem Wohnzimmer überzeugt ihn dann doch recht schnell.

»Wenn ich jedes Mal geheult hätte, wenn mein Leben im Umbruch war und ich Zeuge eines Blutbads wurde … Diese linken Intellektuellen sind die reinsten Waschlappen. Verdammt noch mal.« »Und dann wird er bald auch noch fünfzig«, fügt Berthet hinzu, während er Joubert die Schulter tätschelt. »Und er hat nicht viel Geld und auch keine Rolex.«

Berthet ist ohne Frage die interessanteste Figur. Zahlreiche Brüche – kaltblütiger Mörder hier, Poesie liebender Schutzengel dort – zeigen immer wieder neue Seiten. Daneben verliert man beinahe die politischen Implikationen seines Daseins aus den Augen. Der Aufstieg der extremen Rechten, die verzweifelten Versuche diese im Zaum zu halten und das Mächtegleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen, man kann sich problemlos das Dasein der Unité vorstellen. Mit dem SAC (service d’action civique) gab es ja durchaus schon eine reale Vorlage.

Neben den kritischen Anspielungen begeistert der Roman jedoch vor allem durch die lakonische Erzählweise. Berthet fackelt nicht lange rum, er nennt die Dinge beim Namen, er hat zu viel gesehen, um noch irgendwas zu beschönigen. Außer in der Poesie, da darf es schon mal etwas verspielter für ihn werden.

Steintór Rasmussen – Rache aus der Tiefe des Meeres

Steintór Rasmussen – Rache aus der Tiefe des Meeres

Schon seit Wochen haben sich die sechs Freundinnen des Strickclubs darauf gefreut ein gemeinsames Sommerwochenende in Gjógvará an der Nordostküste der färöischen Insel Eysuroy zu verbringen. Sie kennen sich bereits seit Schultagen und haben inzwischen alle Familie und Karriere. Der erste Abend beginnt feuchtfröhlich als sich zu später Stunde Bjørg entschließt, noch einen Spaziergang zu machen. Kurze Zeit später erreicht den Rest der Gruppe die Information, dass in der Nähe ein Haus in Feuer aufgegangen und darin der pensionierte Lehrer Tummas Pól  ums Leben gekommen sei. Schnell ist klar, dass dies kein Unfall und kein Suizid sein kann und von Bjørg fehlt jede Spur. Ihr Spaziergang sollte sie unmittelbar zur Unglücksstelle führen – ist sie dort dem Täter begegnet?

Steintór Rasmussen ist färöischer Sänger und Autor, „Rache aus der Tiefe des Meeres“ ist der zweite Roman der Serie um die Strickclub-Freundinnen, der zwar gelegentlich Bezug auf die vorausgegangenen Ereignisse nimmt, jedoch auch ohne Kenntnis des ersten Bandes problemlos gelesen werden kann. Gereizt hat mich an der Geschichte vor allem der Handlungsort, sind Island-Romane, insbesondere Krimis, seit vielen Jahren in großer Fülle vorhanden und erfolgreich, waren mir die Färöer-Inseln bislang literarisch unbekannt. Meine Erwartung wurde diesbezüglich auch voll erfüllt: die Landschaft und die Eigenart der Bewohner spielen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Falles und liefern so neben der spannenden Mordermittlung Einblick in eine fremde Welt.

Als Leser hat man gegenüber den beiden Ermittlern Jákup und Birita einen gewissen Vorsprung, da man neben der aktuellen Handlung in der Gegenwart parallel immer wieder Erinnerungen einer Figur präsentiert bekommt, die nach und nach das Motiv für die Tat enthüllen und das Schicksal eines gebeutelten und immer wieder gedemütigten Menschen schildern. Zunächst ist dies nicht ganz in Zusammenhang zu bringen, so einfach ist dann Handlung dann nämlich doch nicht gestrickt.

Als man jedoch die Verbindung herstellen kann und nur noch die Frage bleibt, wann der Täter gefasst wird, aber nicht mehr, wer es war, verschiebt sich auch der Fokus von der Ermittlung hin zu den psychologischen Faktoren, die einen Menschen an den Rand der Existenz und in einen emotionalen und gedanklichen Ausnahmezustand bringen können. Dies nimmt zwar etwas Tempo und Spannung raus, hat mir jedoch ausgesprochen gut gefallen, weil die Entwicklung der Figuren nicht nur glaubwürdig ist, sondern auch ihr Handeln so überzeugend motiviert. Vieles dabei ist unmittelbar an die Bedingungen auf den Atlantikinseln geknüpft und kann sich nur dort zu abspielen, was der Geschichte ein besonderes Flair verleiht und sie von der Krimimasse abhebt.

Ein psychologischer Krimi in außergewöhnlicher Umgebung, der hauptsächlich von der Atmosphäre lebt. Bisweilen erscheint er sprachlich etwas ruppig, was jedoch zum Charakter der Figuren passt, die durchaus den Anschein erwecken, ein eigener Menschenschlag zu sein.