Philipp Stadelmaier – QUEEN JULY

Philipp Stadelmaier – QUEEN JULY

Gluthitze, ein Pariser Badezimmer, eine Badewanne, zwei Frauen und ausreichend Wein. Das war es im Prinzip. Aber nur im Prinzip, denn das ist lediglich der Rahmen für einen Roman voller Energie, Leidenschaft, Liebeskummer und Wein. Und Gin. Und Martinis. Seit Jahren schon lebt Aziza in Dschibuti, nach Abitur und Medizinstudium hat es sie in die pulsierende ostafrikanische Metropole verschlagen. Nach Paris kehrt sie regelmäßig zur Familie zurück und zu ihrer Freundin Jeannine, die sie im Moment des schlimmsten Liebeskummers als Jugendliche begleitet hatte und seither beste Freundin ist. Da diese gerade Mutter wurde, hat sie Aziza bei July einquartiert, die die ungewohnte Hitze nur in der kühlen Badewanne ertragen kann. Dort lässt sich Aziza neben ihr nieder und berichtet von den letzten 18 Jahren und Anselm Strehler, ihrer großen Liebe, den sie nur wenige Tage später wieder treffen wird.

„»Der Teppich. Ich kapier nicht, wie so ein alter Berberteppich nicht schön sein kann. Er war doch sicher schön, oder?« »Ich hab ihn mir nicht angesehen. Ich hab nur drauf gekotzt.«“

Mit dem alten Berberteppich, auf den Aziza kurz nach dem Abitur auf einer Party ihren Mageninhalt entleert, beginnt ihre Freundschaft mit Jeannine und endet ihre Beziehung zu Strehler. Es sind diese beiden Eckpunkte, die Azizas Leben zusammenhalten. Dschibuti ist mehr eine Flucht, die Arbeit im Krankenhaus ist anstrengend, der Feierabend im internationalen Hotel mit reichlich Alkohol wechselnden Bekanntschaften beiderlei Geschlechts ebenso. Aber nichts kann sie letztlich vor dieser immer noch unbeantworteten Frage retten: warum hatte er sie damals verlassen?

„Typen, Frauen, Körper, whatever – alles gewann zunehmend an Flow und Leichtigkeit. Strehlers Phantom, das so lange nicht aus ihrem Leben gewichen war, hatte sich tatsächlich verpisst, (…). Bis sie eines Morgens vor drei Jahren aufwachte, schlaftrunken Facebook öffnete und dort eine Freundschaftsanfrage von Anselm Strehler auf sie wartete.“

Philipp Stadelmaier lässt Aziza Revue passieren, wie sie immer wieder versucht hat, nach vorne zu blicken, doch dann kam jedes Mal Strehler wieder dazwischen. Eine vage, unbestimmte Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft, die sie nie aufgeben wollte oder konnte. Der fremden July schüttet sie ihr Herz aus, diese hört sich das Leid an, nippt dabei an ihrem Wein – »Nippen würde ich das nicht nennen, Honey. Das kann man schon als ehrliches Trinken bezeichnen. « – und analysiert knallhart die Fakten.

So traurig diese Liebesgeschichte eigentlich ist, so herrlich verpackt der Autor sie in Worte. Man kann sich die beiden bildlich vorstellen, zwei Mitt-30erinnen schwitzend in einem Badezimmer, gutem Alkohol und Essen zusprechend und das vermaledeite Liebesleben beklagend. Es ist herrlich ihnen zu folgen, pointiert bringt Stadelmaier ihre Gedanken auf den Punkt und erweckt vor allem bei Azizas Schilderungen aus Dschibuti den Eindruck eines lebendigen, bunten, energiegeladenen Landes, wo sich die unterschiedlichsten Menschen ansammeln und vor Ort sind, bis ihre Reise eben weitergeht.

Ein kurzer Roman, der von der ersten Seite an begeistert und genau an der richtigen Stelle auch den Schluss findet. Hier stimmt für mich schlichtweg alles, ich hätte stundenlang weiterlesen können, aber Azizas Geschichte war erzählt. Kurz vor Jahresende nochmals ein absolutes literarisches Highlight.

Allie Reynolds – Frostgrab

Allie Reynolds – Frostgrab

Zehn Jahre ist es her, dass Milla den Winter in den französischen Alpen verbracht hat, um sich auf einen wichtigen Snowboard Wettkampf vorzubereiten. Jetzt erhält sie eine Einladung zum Wiedersehen mit der alten Clique. Sie ist sich nicht sicher, ob sie das wirklich möchte, das Ende ihrer Zeit dort war alles andere als erfreulich. Die Neugier ist jedoch stärker, weshalb sie sich mit Curtis, Heather, Brent und Dale auf eine einsame Hütte begibt, denn die Saison hat noch nicht begonnen. Doch bald schon geschehen seltsame Dinge, die sich die fünf nicht erklären können. Doch nicht nur das ungute Gefühl, dass sie nicht alleine sind, drückt auf die Stimmung, sondern auch die Frage, was damals mit Saskia, Curtis‘ Schwester, geschah, die seither spurlos verschwunden ist.

Allie Reynolds Thriller erzählt parallel die Ereignisse der Gegenwart und Millas Erinnerungen an den Winter ein Jahrzehnt zuvor. Vieles, was die Figuren zunächst von sich geben, bleibt vorerst kryptisch und unverständlich, erst als sich mehr und mehr Puzzlesteinchen in das Bild einfügen, ergibt ihr Verhalten einen Sinn. Doch dies beantwortet noch nicht die Frage, wer hinter der ganzen Aktion steckt und ihnen offenbar Böses will. Der Autorin gelingt es so, die Spannung bis zuletzt hoch zu halten und dann eine saubere und glaubwürdige Lösung zu präsentieren.

Es ist nicht ganz einfach, Sympathien für die Figuren zu entwickeln. Die junge Milla ist zerfressen vom Ehrgeiz und steht ihrer Konkurrentin Saskia damit in nichts nach. Gegenseitig bekämpfen sie sich mit allerlei fieser Tricks, nur um als Siegerin auf dem Podest zu stehen. Auch auf Gefühle jenseits der Ski-Bretter nehmen sie dabei keinerlei Rücksicht. Die bunt gemischte Gemeinschaft lebt das sorglose Dasein der Jugend mit viel Alkohol, Party und wechselnden Bettpartnern. Die Tage werden auf der Piste verbracht und so richtige Sorgen scheinen sie alle nicht zu haben, deshalb machen sie sich selbst welche.

Auch zehn Jahre später werden sie nicht wirklich sympathischer, alle haben offenbar Geheimnisse im Gepäck und sind unfähig einander offen und freundschaftlich zu begegnen. All dies tut der Spannung und Unterhaltung jedoch keinen Abbruch, im Gegenteil, fast ein wenig schadenfroh sieht man mit an, wie einem nach dem anderen böse mitgespielt wird. Die verzögerte Erzählweise durch die Rückblicke nehmen immer wieder Tempo raus, liefern dafür aber immer weitere Deutungspunkte über den augenscheinlich vorhandenen geheimen Gegenspieler.

Es wird sehr viel über Snowboarden und irgendwelche Sprünge gesprochen, die mir leider gar nichts sagten und deren Schwierigkeit und Raffinesse ich auch nicht im Geringsten einschätzen könnte. Über diese Passagen lässt sich jedoch locker hinweglesen. Insgesamt eine fesselnde Angelegenheit, die wunderbar zum feucht-kalten Herbst oder Winter passt und bestens unterhält.