Marianne Cedervall – Schwedische Familienbande

Marianne Cedervall – Schwedische Familienbande

Samuel Williams muss die Großstadt verlassen, um in dem Dörfchen Klockarvik seine neue Stelle als Pfarrer anzutreten. Doch kaum ist er angekommen, ist es mit der beschaulichen Dorfruhe auch schon vorbei als er auf dem Friedhof die grausam zugerichtete Leiche von Finn Mats Hansson findet. Der Hotelbesitzer war gut bekannt und hat sich mit seinen Geschäften nicht wenige Feinde gemacht. Aber auch seine Ex-Frau, gerade durch eine Jüngere ersetzt, hätte durchaus ein Motiv, sich ihres Mannes zu erledigen. Ebenso sein Sohn, der um das Erbe fürchten muss. Statt sich auf das Seelenheil seiner neuen Schäfchen zu konzentrieren beginnt Samuel zu ermitteln, sehr zum Missfallen von Maja-Sofia Rantatalo, der zuständigen Kommissarin.

Marianne Cedervall hat ihren cosy crime Fall zu Beginn der Adventszeit angesiedelt, in der die Menschen eigentlich in besinnlicher Stimmung sein sollten, das schwedische Dorf jedoch durch den Mord aufgerüttelt wird. „Schwedische Familienbande“ greift mit dem in Eigenregie ermittelnden Geistlichen ein bekanntes Thema auf und unterscheidet sich damit stark von den typischen schwedischen Psychothrillern, die in nervenzerreißender Weise grausame Brutalität schildern. Hier geht es eher beschaulich und gemächlich zu, in guter Tradition eines Father Brown oder Brother Cadfael.

In seinem ersten Fall muss der Neuankömmling sich erst mit den Bewohnern und den Traditionen seines neuen Wirkkreises vertraut machen, womit auch dem Leser der Einstieg leicht gelingt. Das fehlende Wissen um Verbindungen und alte Fehden muss dich der Pfarrer erst mühsam erfragen, ist dabei aber erfolgreicher als die Polizei. Mit Maja-Sofia hat er eine würdige Gegenspielerin, die so gar nicht von seinem Tun begeistert ist, aber erkennen muss, dass der Kirchenmann durchaus clever kombiniert und seinen eigenen Zugang zu den Menschen findet.

Als Protagonist ist Samuel mit einigen Eigentümlichkeiten ausgestattet: geschieden mit Freundin passt er nur bedingt in das Bild des gottesfürchtigen braven Bürgers. Mit seinem Boss, also dem ganz oben, führt er Zwiegespräche, vor allem dann, wenn ihm die attraktive Kommissarin wieder einmal droht seine eigentliche Freundin vergessen zu lassen.

Leider funktioniert nicht alles in der Übersetzung. Der Running Gag bezüglich der Namen hat sich mir schlichtweg nicht erschlossen und wurde dadurch irgendwann etwas müßig, ebenso die Dialektfrage, die aber wohl scheinbar auf eine Erfindung der Autorin zurückgeht. Handlung und Figuren sind etwas schematisch und lassen leicht die bekannten Vorbilder erkennen, hier hätte etwa mehr Originalität gutgetan.

Adeline Dieudonné – Bonobo Moussaka

Adeline Dieudonné – Bonobo Moussaka

Das alljährliche Weihnachtsessen verbringen die Erzählerin und ihre beiden Kinder wie immer mit ihrem Cousin Martin, dessen Frau Françoise und deren drei Töchtern, sowie dem befreundeten Paar Philippe und Muriel, die mit ihren drei Söhnen ebenfalls in das Vorstadtreihenhäuschen kommen. Es dauert nicht lange, bis sich die eklatanten Differenzen zeigen und der Kampf um die verbale Vorherrschaft beginnt. Jedoch nicht nur zwischen den Männern, sondern auch die Paare selbst treten in einen subtilen Abrechnungskampf miteinander, der über die großen gesellschaftlichen Themen geführt wird und der bei der Erzählerin auch alte Wunden wieder aufreißt. Ein Weihnachtsfest im Kreis der Liebsten, bei dem man sich fragt: wenn die Liebsten schon so miteinander umgehen, wozu wären die ärgsten Feinde dann fähig?

Die belgische Autorin Adeline Dieudonné ist in Deutschland im vergangenen Jahr mit ihrem Roman „Das wirkliche Leben“ der Durchbruch geglückt, auch ihr Roman „Kérozène“ konnte mich restlos überzeugen. „Bonobo Moussaka“ ist unschwer erkennbar als Theaterstück konzipiert und bereits 2018, noch vor ihrem großen, vielfach ausgezeichneten Debutroman, erschienen. Tatsächlich fällt es auch viel leichter, sich die Handlung auf einer Bühne um eine gedeckte Tafel vorzustellen als den Text in Buchform zu genießen. Nichtsdestotrotz kommt auch beim Lesen die pointierte Zuspitzung der zivilisierten Runde, die hinter verschlossener Tür so manche Maske fallen lässt, gut zu tragen.

Kein großes Thema lassen die Gäste aus. Der unweigerliche Vergleich, wer das schönere Haus hat, mehr im Beruf erreicht hat, wessen Kinder wohlgeratener sind – man kennt die und die gönnerhafte Verachtung, überspielt mit nonchalanter Lässigkeit der vorgeblichen Irrelevanz, für diejenigen, die eben nur Platz 2 oder 3 im internen Ranking belegen. Die Frage nach dem Alphatier ist schnell geklärt, wenn auch noch nicht abschließend abgerechnet.

Das Gespräch dreht sich um den Platz von Frauen in der Gesellschaft, oder eher: am Herd, Umweltschutz, Migration, die politischen Ansichten – die politisch korrekten Antworten auf die großen Fragen kennt jeder, aber im intimen Kreis wird man ja wohl mal sagen können… Aber man erfährt auch einiges über die Familie der Erzählerin, deren Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen, was durch das schlechte Verhältnis eher eine Randnotiz wird, die durch eine ganz andere Enthüllung um Längen getoppt wird.

Die Autorin führt etwas vor Augen, was doch jeder kennt: das zwanghafte Zusammentreffen mit Verwandten und vermeintlichen Freunden, zu einem gesellschaftlich diktierten Anlass, zu dem niemand Lust hat und doch jeder den Schein wart und das Spiel mitspielt. Den Ausbruch wagt keiner, nur gelegentliche Risse offenbaren die Wahrheit hinter der Fassade des freundlichen Miteinanders.

Anna Karolina – Auf Tod komm raus

Anna Karolina – Auf Tod komm raus

Nicolas Moretti und seine Zwillingsschwester Jasmine wollen eigentlich nur gemeinsam Weihnachten fern der Familie feiern. In einer Kneipe kommt es jedoch zu einer Auseinandersetzung, als sie sich auf der Toilette Kokain ziehen. Die Geschwister fliehen, der Angreifer verfolgt sie jedoch. In Jasmines Wohnung fühlen sie sich sicher und werfen auch gleich noch weitere Tabletten ein. Am nächsten Morgen erwacht Nicolas, neben ihm seine blutverschmierte Schwester, die in der Nacht brutal ermordet wurde – und er hat nichts davon mitbekommen. Oder ist er gar der Täter? Erinnern kann er sich an nichts. Seine Strafverteidigerin Angela Köhler beauftragt die ehemalige Polizistin Ebba Tapper damit, Beweise für Nicolas‘ Unschuld zu finden, denn die Polizei hat sich sofort auf ihn eingeschossen und ermittelt gar nicht mehr erst in andere Richtungen. Ebba ist eine außergewöhnliche Ermittlerin, allerdings wird ihr Verstand durch den hohen Alkoholkonsum immer wieder böse getrübt.

Die schwedische Autorin Anna Karolina ist mir bereits aus einer Zusammenarbeit mit Mons Kallentoft in der Zack Herry Reihe bekannt, weshalb ich neugierig auf ihren neuen Krimi wurde. Die ehemalige Polizistin eröffnet mit „Auf Tod komm raus“ die Reihe um Ebba Tapper, im Original ist bereits ein zweiter Teil gefolgt. Der Krimi ist von der ersten Seite an spannend konstruiert und bietet zahlreiche unerwartete Wendungen, die die Figuren immer wieder in neuem Licht erscheinen lassen und den Leser auf mehr als eine falsche Fährte schicken. Nordic Crime in Bestform.

Die Handlung spielt sich zwischen dem Verdächtigen Nicolas, der Anwältin Angela und der Privatermittlerin Ebba ab. Alle drei Figuren haben eine Vergangenheit und alle drei haben Geheimnisse, die sie lieber nicht preisgeben wollen. Der ehemals erfolgreiche Fußballer ist nicht ehrlich zu seinen Verteidigerinnen und verheimlicht etwas, das im Zusammenhang mit seiner und Jasmines Familie stehen muss. Sein unkontrollierter Drogenkonsum könnte jedoch auch dazu geführt haben, dass er tatsächlich im Wahn zum Mörder wurde, schließlich war die Wohnungstür verschlossen und andere Spuren finden sich in der Wohnung nicht.

Dass Ebbas frühere Kollegen nicht gut auf sie zu sprechen sind, offenbart sich recht schnell, doch der Grund hierfür bleibt zunächst im Dunkeln. Dass sie ihren Alkoholkonsum nicht im Griff hat und dies zu so manchem Ausfall und Erinnerungslücken führt, ist auch der Sache nicht immer dienlich. Doch sie hat ein untrügliches Gespür und ist hartnäckig und bisweilen auch einfach dreist, um ihr Ziel zu erreichen. Als Sympathieträgerin taugt sie nur bedingt, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und sucht nach der Wahrheit und Gerechtigkeit.

Angela Köhler taucht immer wieder am Rande auf, sie beauftragt Ebba und man fragt sich mehr als einmal, weshalb sie sich so bedingungslos vor sie stellt. Ihre dunkle Seite versteckt sie lange Zeit, doch sie hätte damit rechnen können, dass Ebba hinter ihre Fassade blicken wird und die Abgründe erkennt, die dort versteckt sind.

Eine souverän konstruierte Geschichte, die überraschen kann und von den sehr eigenen Figuren lebt, die Lust auf weitere Bände der Reihe machen.

Judith Merchant – Schweig!

Judith Merchant – Schweig!

Heiligabend, ein Tag, den man eigentlich entspannt mit der Familie verbringen sollte. Auch bei Esther laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, damit sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern einen Abend wie im Bilderbuch verbringen kann. Das ist ihr Anspruch, weniger ist nicht akzeptabel. Aber sie muss vorher noch etwas erledigen, einen Besuch, vor dem sie sich fürchtet. Bei ihrer Schwester, die in einem einsamen Haus knapp eineinhalb Stunden entfernt lebt. Sie weiß, dass es ihr nach der Trennung von ihrem Mann schlecht geht, umso wichtiger ist es, dass sie als ältere Schwester sie besucht und sich kümmert. Sie hat sich immer schon um Schnecke gekümmert, wie sie sie liebevoll seit Kindheitstagen nennt. Sie weiß aber auch, dass sie wieder in Streit geraten werden. Und so kommt es auch, doch es bleibt nicht beim Streit, die Lage wird völlig eskalieren.

Judith Merchant lässt ihre beiden Protagonistinnen frei aufeinander losgehen. Es ist der Kampf zwischen zwei Schwestern, die geübt sind im Kämpfen. Von klein auf haben sie nichts Anderes getan. Für den Leser scheint die Lage klar, obwohl abwechselnd die beiden Perspektiven präsentiert werden, nimmt man schnell Position ein und hofft, dass die Lage vielleicht doch nicht völlig aus dem Ruder läuft, auch wenn von der ersten Seite an klar ist, dass das der Fall sein wird.

Bald schon bekommt die Klarheit jedoch Risse, das Verhältnis der Schwestern differenziert sich und die Fronten sind bei weitem nicht mehr so eindeutig, wie sie vorher schienen. Wie so oft gibt es zwei Wahrheiten, zwei Sichtweisen und Kategorien wie richtig und falsch greifen nicht mehr. Man beginnt zu zögern, zu hadern: wem will man mehr glauben, welche Sichtweise ist überzeugender? Als Leser gerät man zwischen die beiden, versucht sich für eine Seite zu entscheiden und weiß doch nicht, was richtig ist.

Perfekt orchestriert die Autorin die Eskalation, immer, wenn man denkt, gerade die Lage zu fassen zu bekommen, präsentiert sie ein neues Puzzleteilchen, das nur zu einer weiteren Eskalationsstufe führt und die Beziehung der beiden Frauen komplexer gestaltet. Ein Drama in zig Akten, das in einer Tragödie endet, bei der alle irgendwie schuldig und unschuldig zugleich sind, aber auf jeden Fall alle zum Verlierer werden.

Ein Psychothriller, der unter die Haut geht. Mit minimaler Ausstattung – zwei Frauen, ein Haus, ein Wintertag – ein Maximum an Emotion und psychologischer Kriegsführung.

Alexa Hennig von Lange – Die Weihnachstgeschwister

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Alexa Hennig von Lange – Die Weihnachstgeschwister

Wie jedes Jahr zieht es die drei Schwedthelm-Geschwister zu Weihnachten zu den Eltern nach Hause. Tamara, Elisabeth und Ingmar sind inzwischen erwachsen und haben eigene Familien, die sie mitbringen, um die Feiertage gemeinsam zu verbringen. In den letzten Jahren war jedoch nicht viel mit Besinnlichkeit, zu sehr haben sie sich zerstritten und aneinander herumkritisiert. Auch dieses Jahr steht unter keinem guten Stern und schon beim gemeinsamen Mittagessen am Vortag des Heiligabends sinkt die Stimmung auf den Nullpunkt. Doch dieses Jahr werden sich nicht alle der Feindseligkeiten der Geschwister ergeben.

Alexa Hennig von Lange fängt den für viele Familien kritischen Moment des Jahres auf den Punkt genau ein: die großen Erwartungen, die mit dem Fest verbunden sind, alles soll perfekt sein, endlich mal raus aus dem Alltagshamsterrad und dann passiert genau das, was niemand möchte: es bricht aus allen heraus und die Fassaden bröckeln und hemmungslos stürzen sich alle in den offenen Krieg.

Trotz der Kürze des Romans werden die verschiedenen Charaktere der drei erwachsenen Kinder und ihrer Partner deutlich, vor allem jedoch immer noch die Beziehungsstrukturen, Rivalitäten, die sie auch mit rund 40 Jahren immer noch mit sich herumtragen und von denen sie sich nicht lösen können. Die Konfrontation mit der Familie ist auch eine Konfrontation mit dem eigenen Ich: was hätte werden können, wie das eigene Leben hätte anders, besser verlaufen können, die schonungslose Frage nach dem „was hast du aus dir gemacht?“ im Vergleich zu den anderen. Es braucht nicht viel, um wieder in kindliche Muster zu verfallen und sich zurück in die Kindheit zu katapultieren.

Einziger Abzug gibt es für das Ende, das mir doch etwas zu kitschig war, wenn auch durchaus passend für ein Weihnachtsbuch.

Alain Claude Sulzer – Unhaltbare Zustände

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Alain Claude Sulzer – Unhaltbare Zustände

Alles ist schon immer seinen geregelten Gang gegangen, doch im Jahre 1968 ist plötzliches vieles nicht mehr so eindeutig und die Jugend rebelliert gegen die Verhältnisse. Der Schaufensterdekorateur Stettler kann das alles nicht nachvollziehen, aber was hat es denn schon mit ihm zu tun? Sehr viel als plötzlich die Leitung des Berner Kaufhauses „Quatre Saisons“ entscheidet einem Jüngeren die Dekoration des wichtigen Weihnachtsfensters zu übergeben. Statt des erhofften Scheiterns muss Stettler den großen Erfolg des Konkurrenten miterleben und heimlich dessen überzeugende Wirkung anerkennen. Auch in der Liebe läuft es nicht, hatte er sich auf den Auftritt und ein anschließendes Treffen mit der Pianistin Lotte Zerbst gefreut, wird diese plötzlich aus politischen Gründen ausgeladen. Alles scheint aus den Fugen geraten in seinem bis dato so klar geordneten Leben. Doch Stettler gibt so schnell nicht auf.

Damit, einen Schaufensterdekorateur ins Zentrum einer Geschichte zu stellen ist Alain Claude Sulzer ein wahrlich außergewöhnlicher Coup gelungen. Die Tatsache, dass es nicht nur bei der Nennung des Berufs bleibt, sondern die Profession mit ihren Facetten tatsächlich zentral für die Handlung wird, hat mich zunächst stutzen und zögern lassen. Aber hierin zeigt sich der wahrlich brillante Autor: er hat das Auge für das Besondere im nahezu Banalen und kann im Alltäglichen etwas Außergewöhnliches entdecken und dies zu einer ganz überragenden Erzählung machen.

Bemerkenswert gelungen ist Sulzer die Verbindung des globalen Großereignisses „1968“ mit dem Leben des kleinen Schaufensterdekorateurs in der Schweizer Großstadt, die ja aber doch eher als provinziell und wenig bedeutend auf dem internationalen Parkett anzusehen ist. Sahen sich Regierungen und ganze Länder von der aufmüpfigen Jugend bedroht, wird auch Stettler in seiner Rolle als erster Dekorateur am Ort plötzlich von einem Jüngeren bedroht. Seine ästhetischen Vorstellungen sind ebenso wenig mehr gefragt wie die Werte und Ansichten seiner Generation. Das schlimmste jedoch ist, dass er alldem nichts entgegenzusetzen hat. Er muss einem Untergang beiwohnen bis hin zur völligen Demütigung.

Man kann dem Protagonisten leicht nachempfinden, hat einerseits Mitleid mit ihm und doch möchte man sich von dem alten, konservativen und gestrigen Mann lieber distanzieren. Er kann nicht aus seiner Haut, die neue Welt überfordert ihn und hat auch augenscheinlich keinen Platz für ihn mehr. Niemand wird ihn vermissen, wenn er nicht mehr zur Arbeit kommt, zu Hause wartet ebenfalls keiner.

Bildlich verdeutlicht Stettler und somit Sulzer, wie es den Menschen mit diesem Gefühl geht und wie sie keinen Ausweg mehr für sich sehen. Konkurrenzdruck, wandelnde Ansichten – entweder der Mensch passt sich an oder er muss weichen. Ein Roman, der bisweilen zum Schmunzeln einlädt, aber doch von einer wenn auch leichten Ernsthaftigkeit im Sujet getragen wird. Der Verlegung der Handlung 50 Jahre in die Vergangenheit suggeriert ein längst überholtes Problem, dabei ist es aber heute aktueller denn je. Vielleicht ermöglicht aber gerade die historische Distanz den Beginn des Nachdenkens über die Zeit, in der wir leben. Für mich einer der stärksten und gesellschaftlich relevantesten Romane bislang in 2019.

Ein herzlicher Dank geht an den Verlag Galiani für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Gabriella Ullberg Westin – Der Schmetterling

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Gabriella Ullberg Westin – Der Schmetterling

Nach zwanzig Jahren in der Hauptstadt kehrt Kriminalinspektor Johan Rokka in die nordschwedische Provinz zurück. Doch Zeit zum Ankommen bleibt ihm nicht, denn am Heiligabend geschieht ein brutaler Mord: die Ehefrau eines bekannten Fußballers und Schulfreundes von Rokka wird von einem verkleideten Weihnachtsmann brutal vor den Augen der beiden Kinder ermordet. Das Ziel scheint klar gewesen zu sein: der Gatte. Doch dann wird im Blut der Frau eine tödliche Menge Rohypnol gefunden und auch ein nur kurze Zeit zurückliegender Schwangerschaftsabbruch wird festgestellt. Hatte die unscheinbare Frau etwas zu verbergen? Ein zweiter Mord an der Trabrennbahn wirft jedoch noch ganz andere Fragen auf und das kleine Team sieht schweren Feiertagen entgegen.

Gabriella Ullberg Westins Debut um den Ermittler Rokka konnte mich recht schnell überzeugen. Die Handlung hat ein hohes Tempo und verliert sich nicht lange in Nebensächlichkeiten. Recht typisch für viele skandinavische Krimis sind die Morde rücksichtslos und brutal und die Figuren sind keineswegs die unschuldigen Bilderbuchmenschen im schwedischen Idyll, die keiner Fliege was zuleide tun können.

Der Fall ist recht komplex und die Zusammenhänge werden erst nach und nach aufgelöst. Insgesamt vielleicht ein wenig zu viel Verstrickungen und nicht unbedingt erwartbare Bekanntschaften, aber der Krimi ist spannend und lässt einem über kleine Schwächen leicht hinwegsehen. Das Setting ist ebenfalls überzeugend eingebaut, der schwedische Winter bringt seine eigenen Tücken mit viel Schnee, der die Ermittlungen auch nicht gerade leichter gestaltet. Im Zentrum steht Johan Rokka, der bei mir als Protagonist nicht unbedingt Sympathiepunkte sammeln konnte, aber facettenreich gestaltet ist und durchweg überzeugt. Seine enge Verbindung zu einer ganzen Reihe von Verdächtigen und die vielen Andeutungen nebenbei, dass auch er Geheimnisse mit sich trägt, bieten auf jeden Fall genügend Raum für weitere Fälle, die die Figur sicher noch interessanter werden lassen. Ein solider Krimi, der von der Autorin noch einiges erwarten lässt.