Takis Würger – Unschuld

Takis Würger - Unschuld

Takis Würger – Unschuld

Vaters zu beweisen. Dieser sitzt im Todestrakt und soll hingerichtet werden. Für einen Mord, den er nicht begangen hat, da ist sich Molly sicher. Ihr bleibt nur eine einzige Chance: sie muss nach Rosendale, wo sie als kleines Kind lebte und direkt in das Auge des Orkans: in die Familie, die dem Ort den Namen gab und deren Sohn Casper zehn Jahre zuvor erschossen wurde. Nur bei der Familie selbst kann die Wahrheit liegen. Ihre Tarnung als Hausmädchen und Journalistin fliegt sofort auf, doch wundersamer Weise sie darf bleiben.

Takis Würgers Roman „Unschuld“ ist eigentlich nach sehr schematischen, vorhersehbaren Strukturen klassisch als Krimi aufgebaut: der angenommenen Unschuld eines unheilbar kranken Mannes, der hingerichtet werden soll; seine Tochter, die in letzter Minute versucht die Wahrheit herauszufinden, um ihn zu retten; eine verquere Familie voller Geheimnisse, bei denen offenkundig der Schlüssel zu den Geschehnissen zehn Jahre zuvor liegt. Und doch liest sich die Geschichte, in der man sofort weiß, wer gut und wer böse ist, nicht wie ein klassischer Krimi.

Man ahnt vom Beginn an, wie alles ausgehen wird. Man erkennt die Motive, kann vorhersehen, welche Wendungen die Figuren erst noch für sich aufdecken müssen. Nichts überrascht wirklich, der Spannungsbogen ist schön gestrickt, wie man es erwarten würde. All das und doch packt einem Takis Würger, entfaltet die Geschichte einen Sog, liest man einfach weiter, will man nicht aufhören, bis die Unschuld endlich bewiesen ist.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, nur 300 Seiten Unterhaltung in dem Roman zu sehen. Das verhindert der Autor zudem mit dem Nachwort, wenn es dem Leser nicht schon vorher als fader Beigeschmack bewusst geworden ist. Molly und ihr Vater bilden das untere Ende der amerikanischen Gesellschaft, Aufstieg ist eine Illusion, es kann nur noch weiter bergab gehen. Der Todestrakt und die unheilbare Huntington Krankheit scheinen das natürliche Schicksal des Vaters zu sein.

Im Kontrast dazu die Rosendales, einst in einer Liga mit den Rockefellers können sie sich alles erlauben. Sich freikaufen. Die Regeln bestimmen, die nur zu ihren Gunsten aufgestellt werden. Dass sie ihr eigenes Leben nicht leben, sondern nur mit Medikamenten und esoterischen Retreats aushalten, passt ebenso ins Bild, wie die Vernarrtheit in Waffen und die großzügige Unterstützung der NRA. Doch auch sie sind vom Schicksal verdammt, können vermeintlich den finalen Todesstoß hinausschieben, dabei sind sie schon lange innerlich tot.

Takis Würger zeichnet ein dunkles Bild der gegenwärtigen USA. Es ist nicht mehr das Land der Träume, in dem jeder alles erreichen kann. Es ist ein Sumpf, in dem schon lange moralische Orientierung und Werte versunken sind. So moralinsauer das klingen mag, kommt es aber in der Handlung nicht daher. Beiläufig lässt der Autor die großen Probleme der amerikanischen Gesellschaft aufblitzen, die jedoch zu Ursache und Treiber der Handlung werden.

Ein Roman, dessen Relevanz sich aus der Nähe zu einer brutalen und schonungslosen Realität ergibt.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Seite der Penguin Random House Verlagsgruppe.

Robert Hültner- Lazare und die Spuren des Todes

Robert Hültner – Lazare und die Spuren des Todes

Kommissar Lazare wird einmal mehr von Montpellier ins beschauliche Sète abgeordnet, um dort das Verschwinden einer jungen Frau aufzuklären. Eigentlich ein Fall für die lokale Polizei, weshalb er sich darum kümmern muss, kann der Ermittler nicht nachvollziehen. Doch er muss sich nicht lange um den vermeintlich simplen Fall kümmern, denn schnell schon wird er bei seinen Ermittlungen Opfer eines heimtückischen Überfalls, der ihn beinahe das Leben kostet. Frisch aus der Klinik entlassen beschließt er, sich in seiner Hütte in den Bergen zu erholen und alte Freunde zu besuchen. Doch auch in den abgelegenen Dörfern hat das Verbrechen Einzug gehalten und bald schon sieht er sich mit allerlei kriminellen Machenschaften konfrontiert.

Der zweite Fall für den südfranzösischen Ermittler ist ein komplexer Politkrimi, bei dem sich mehrere zunächst scheinbar isolierte Handlungsstränge erst spät zu einem Gesamtbild fügen. Auch wenn Robert Hültner die malerische Szenerie Südfrankreichs als Kulisse für die Geschichte wählt, hat diese nur wenig mit den typischen cosy crime Romanen zu tun, in denen hauptsächlich viel gegessen und getrunken und die Zeit dazwischen mit Landschaftsbewunderung gefüllt wird. Die Natur ist nicht unwesentlich für die Geschehnisse, der Autor baut diese jedoch überzeugend und sinnhaft ein, so dass sie nicht nur austauschbares Requisit bleibt, sondern ganz entscheidend zu dem Fall und dessen Lösung beiträgt.

Gleich mehrere parallel verlaufende Geschichten stehen zunächst lose nebeneinander. Zum einen das Verschwinden des muslimischen Mädchens Nadia, auf das sich niemand einen Reim machen kann und das erst nach dem Übergriff auf Lazare eine gewisse Brisanz erhält. Zum anderen der alte Siset, der schon seit Jahrzehnten eine abgelegene Hütte der Lazares bewohnt, nachdem er als spanischer Widerstandskämpfer nach Frankeich fliehen musste und nun plötzlich Besuch von einem alten Weggefährten erhält. Und dann ist da noch der Aussteiger Corentin Arnal, der ein bescheidenes Leben als Ökobauer abseits des Dorfes führen wollte und gegen den sich die ganze Welt verschworen zu haben scheint, obwohl die drohende Umweltkatastrophe für alle dramatische Folgen haben würde. Auch die ermittelnden Polizisten scheinen ihre eigene Agenda zu haben und weichen nicht mehr von den schnell festgelegten Tatvorgängen ab – warum bloß?

Robert Hültner wurde mir vor allem als Hörspielautor für die Radio-Tatort Folgen aus dem fiktiven bayerischen Bruck am Inn ein Begriff. Mit viel Liebe für Details hat er dort sympathische Charaktere geschaffen, die einem im Laufe der Jahre ans Herz gewachsen sind. Gleichermaßen präsentiert er in seiner Lazare Reihe ebenfalls eigenwillige Figuren, die den komplexen Fall um heitere Momente ergänzen und so auflockern. Alles in allem die perfekte Sommerlektüre im Krimigenre.

Jennifer Clement – Gun Love

jennifer clement gun love
Jennifer Clement – Gun Love

Pearl weiß nicht, wie es sich anfühlt, in einem Haus zu leben. Seit ihrer Geburt wohnt sie mit ihrer Mutter auf dem Parkplatz eines Trailerparks in Florida in einem alten Auto. Viel zu früh war Margot schwanger geworden und ist dann mit ihrem Kind verschwunden. Die kleine Welt ist gut geordnet, Pearls beste Freundin April May lebt mit ihren Eltern dort, einen Kriegsveteranen, der für Ordnung sorgt und ihrer Mutter, die ihm selben Krankenhaus wie Pearls Mutter arbeitet. Daneben gibt es noch die verrückte Noelle mit ihrer Mutter und das mexikanische Pärchen Corazón und Ray. Pastor Rex sorgt sich um das Seelenheil der kleinen Gemeinschaft am Rande einer verseuchten Mülldeponie, zu deren gewohnten Gefahren die Alligatoren des nahen Flusses und die allgegenwärtigen Schusswaffen gehören. Als Eli Redmond auftaucht, gerät das fein austarierte Gleichgewicht ins Wanken, denn Margot verliebt sich in ihn und binnen kürzester Zeit hat der Unbekannte sie in seiner Hand.

Jennifer Clement greift in ihrem Roman gleich zwei ganz heiße Eisen der USA an: Obdachlosigkeit und Waffenbesitz. Beides wird in der Geschichte jedoch als so völlig normal dargestellt, dass es von den Figuren gar nicht hinterfragt wird. Dass Kinder zwischen giftigem Müll aufwachsen und den Umgang mit Waffen erlernen, scheint niemanden zu wundern. Sie haben ihr eigenes Konzept von Normalität entwickelt, aus dem sie weder versuchen zu fliehen noch es beklagen. Die Erzählperspektive durch die Augen des Mädchens, das nie etwas anderes gesehen hat, unterstützt diesen Eindruck nachhaltig.

Wenn man die letzten Seiten gelesen hat, bleibt man ratlos zurück. Die Ereignisse, die in die Katastrophe führen, hat man kommen sehen, nicht ernsthaft erwartet man, dass es anders ausgehen könnte. Es ist die Emotionslosigkeit, mit der alles hingenommen wird, die einem verzweifeln lässt. So ist der Lauf der Dinge nun einmal und hin und wieder kostet es eben auch ein Leben oder zwei. Aus westeuropäischer Sicht ist vieles, was geschildert wird, schier unglaublich, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hingegen ist eben auch ein solches Leben möglich.

Besonders herausfordernd bleibt dabei, dass es Zuneigung und Fürsorge zwischen den Menschen gibt und man gar nicht mal den Eindruck hat, dass die kleine Pearl wirklich vernachlässigt ist, auch wenn die Rahmenbedingungen ihres Lebens kaum ärger sein könnten.

Die Autorin erlaubt den Blick in eine Welt von Außenseitern, die am Rande der Gesellschaft stehen und die man gerne verdrängt. Sie schildert ihre Existenz aus der Innensicht und schafft es so, ganz gemischte Emotionen beim Leser hervorzurufen ohne auch nur die geringste Wertung vorzunehmen. Ein außergewöhnliches Buch, das hart in der Thematik, aber geradezu poetisch in der Sprache ist.