Hanna Bervoets – Dieser Beitrag wurde entfernt

Hanna Bervoets – Dieser Beitrag wurde entfernt

Kayleigh braucht einen neuen Job, da klingt das, was sie bei HEXA tun muss, geradezu verlockend: Internetbeiträge anschauen und unangemessene Inhalte löschen. Kann so schwer ja nicht sein. Doch die Rahmenbedingungen sind hart und das, was die Mitarbeiter zu sehen bekommen, geht oftmals über das Ertragbare hinaus. Schnell wird eine verschworene Gemeinschaft aus der neuen Gruppe. Doch der Druck, das auszuhalten, was man Minute für Minute, Stunde für Stunde an Abgründen zu sehen bekommt, wird bald zur Belastung. Schließlich verklagen einige HEXA, Kayleigh jedoch nicht, einem Anwalt, der sie immer wieder mit Fragen bombardiert, erläutert sie, weshalb sie sich nicht anschließen möchte.

Hanna Bervoets Roman ist mir in den letzten Wochen mehrfach begegnet, weshalb ich neugierig auf das Buch wurde.  „Dieser Beitrag wurde entfernt“ klang nach einem ähnlichen Thema wie Dave Eggers „The Circle“ und ich erwartete aufgrund des Klappentextes, meine Sensationslust mit einem Blick hinter die Kulissen eines Internetkonzerns stillen zu können. Leider musste ich schnell feststellen, dass das eigentliche Thema des Romans ein ganz anderes ist und es vorrangig um enttäuschte Liebe geht und die Arbeit bei HEXA nur den Hintergrund für diese liefert.

Bei Kayleighs Training bekommt man zwar Einblicke in die Regeln, nach welchen Beiträge gelöscht werden oder online bleiben, auch werden immer wieder Beispiele für unangemessene Inhalte eingefügt, aber dies bleibt nebensächlich. Die Figuren durchlaufen eine gewisse Entwicklung, denn so ganz spurlos kann diese Arbeit an niemandem vorbeigehen, mit Kayleigh als Erzählerin bleibt dies jedoch auch flüchtig und nur von außen sichtbar, sie selbst scheint kaum belastet durch das kritische Material. Ihr Thema ist Sigrid, eine Kollegin, in die sie sich verliebt und mit der sie eine Beziehung beginnt. Bald schon treten die ersten Schwierigkeiten auf, die sich noch kitten lassen, aufgrund ihrer bestimmenden und manipulativen Art, ist jedoch der große Knall mit Sigrid vorprogrammiert.

Aufgrund der Kürze mit nur knapp über 100 Seiten kann man sicherlich keine tiefgreifende Psychologisierung erwarten, vieles bleibt an der Oberfläche und wird nur angerissen. Da, wo es endlich spannend und interessant wird – wie gehen die Figuren mit den Verschwörungstheorien um, wer kann ihnen standhalten und warum, wie erträgt man brutale Gewaltexzesse ohne selbst aggressiv zu werden, welche Verantwortung tragen die Mitarbeiter, die von Straftaten erfahren – reißt die Handlung immer wieder ab, dabei wäre es das Motiv wert gewesen, tiefer beleuchtet zu werden. Thematisch hatte ich leider auch gänzlich andere Erwartungen, eine Frau, die einer toxischen Beziehung nachweint, ist schlichtweg nicht mein Thema und so konnte ich auch nur wenig Sympathie für die Erzählerin aufbringen.

Gute Ansätze, aus denen sich was hätte entwickeln können, die jedoch ohne Tiefgang bleiben und eine etwas irreführende Beschreibung – leider nicht mein Roman.

Wolfgang Schorlau – Kreuzberg Blues

Wolfgang Schorlau – Kreuzberg Blues

Eine Freundin von Denglers Partnerin Olga ruft aus Berlin um Hilfe. Immobilienhaie haben die Stadt fest im Griff und die Mieter der letzten bezahlbaren Wohnungen sollen nun auch noch vertrieben werden, um nach einer Sanierung mit Luxusapartments mehr Geld aus den Gebäuden zu holen. Silke kann sich das nicht leisten, doch jetzt geht sie mit den Nachbarn auf die Barrikaden, nachdem offenbar aggressive Ratten in ihrem Haus ausgesetzt und ihre kleine Tochter gebissen wurde, ist die rote Linie auch wahrlich überschritten. Dengler begibt sich undercover auf die Spuren der Kröger Immobilien AG, einem der großen Player, muss aber schnell erkennen, dass die Lage deutlich vielschichtiger ist, als zunächst angenommen.

Wolfgang Schorlaus Reihe um den ehemaligen BKA Ermittler Georg Dengler gehört schon seit vielen Jahren zu meinen Highlights im Krimigenre. Nicht nur sind die Fälle spannend und komplex, vor allem überzeugen sie durch ihre politische und gesellschaftliche Brisanz und Relevanz. Im zehnten Auftritt des Stuttgarter Privatermittlers steht der Berliner Wohnungsmarkt im Fokus der Handlung, wird jedoch zum Ende hin überrollt von der Pandemie, die global das Leben 2020 nachhaltig erschüttert hat und welche als kurzen Nebenkriegsschauplatz noch die Welt der Verschwörungstheoretiker streift.

Der zentrale Handlungsstrang um die „Entmietung“ – dass dieses Wort überhaupt existiert, war mir bis dato gar nicht bekannt – von Wohnblöcken wird recht zielgerichtet verfolgt. Das hinter der vordergründigen Neuvermietung zu höherem Preis stehende Geschäftsmodell wird nebenbei gut verständlich erläutert und sorgt so für ein glaubwürdiges Konstrukt der Handlung. Es sind vor allem kleine Nebenhandlungen, die die besondere Würze ausmachen. Beispielsweise die Figur Michael Bertram, CEO der „Deutsche Eigentum“, dessen rücksichtsloser, geradezu menschenverachtender Charakter interessant herausgearbeitet wird. Ein besonderes Highlight ist natürlich Rentner Arthur, der alles sieht, aber nicht über alles spricht, ebenso wie die beiden prollig-doofen Aktivisten Roman und Eddy.

Ein großes Fragezeichen bleibt hinter der „Organisation Fuhrmann“, was geschickt Teile des Romans ad absurdum führt, wird am Ende doch sehr deutlich Position gegen die Verschwörungstheoretiker im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie bezogen. Ein reales Pendant gibt es – zumindest meines Wissens nach – nicht, was stutzig macht bei der Serie, die regelmäßig auf echte Ereignisse und Institutionen bzw. Personen zurückgreift. Ein geschickter Schachzug, um Zweifel zu säen oder ein perfides Spiel mit dem Leser, dem der Mythos einer Geheimorganisation untergeschoben wird, die aus dem Untergrund und doch vor aller Augen das große Schiff Deutschland lenkt?

Fazit: Erwartungen voll erfüllt. Spannend mit hohem Tempo, komplex und mehr als aktuell.

Leon de Winter – Geronimo

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Leon de Winter – Geronimo

Mai 2011, die ganze Welt starrt auf die Bildschirme, die die Festnahme von Osama bin Laden zeigen. „Kill or capture“ war der Auftrag an das Seals Team 6, das den Auftrag pflichtgemäß erledigte. Aber ist wirklich alles so verlaufen, wie es uns die Nachrichtensender glauben machen? Oder gab es eine kleine Chance für einen anderen Ausgang, bei dem bin Laden überlebte? Leon de Winter konstruiert rund um das Großereignis eine Story über Freundschaft, einen tollkühnen Plan, Lügen und Vertrauen, konkurrierende Geheimdienste und ein junges afghanisches Mädchen, das sich in Bachs Goldberg-Variationen verliebt.

Leon de Winter hat nicht nur basierend auf realen Ereignissen einen rasanten Verschwörungsthriller geschrieben, sondern die Handlung auch geschickt konstruiert als zeitlich versetzte, sich immer wieder unterbrechende Einzelstränge, die nach und nach zusammengeführt werden und immer wieder neue Überraschungen zu bieten haben.

Wir haben die private Geschichte des Ex-CIA Agenten Tom Johnson, der jedes Jahr zum Geburtstag der verstorbenen Tochter bei seiner Ex-Frau anruft. Hat der Tod des Mädchens die beiden auseinandergebracht? Tom ist auch befreundet mit dem Team, das den wichtigsten Auftrag nach 9/11 ausführen soll und hält deren im Spaß entwickelten Plan zunächst für einen Scherz. Stationiert in Afghanistan lernt er Apana kennen, deren Vater für die Amerikaner arbeitet und die bei ihm zum ersten Mal die Goldberg-Variationen hört, die sie verzaubert. Nach dem Tod des Vaters fühlt er sich ihr gegenüber verpflichtet und begibt sich Jahre später auf eine gefährliche Suche nach ihr. Und ein pakistanischer Junge ahnt nicht, dass er im Besitz der wohl global wichtigsten Daten ist und dass dies zu einer realen Bedrohung werden wird.

„Geronimo“ ist beim Diogenes Verlag erschienen und zumindest in deutscher Ausgabe nicht als Hörbuch erhältlich. Umso erfreulicher, dass der NDR ein vierteiliges Hörspiel auf Basis des Romans entwickelt hat, das lebendig wirkt und trotz der komplexen Handlung ein auditiver Genuss ist und in jeder Hinsicht überzeugen kann.