
Yona Ko arbeitet bereits seit vielen Jahren als Agentin in einer Reiseagentur, die Touren zu Katastrophenorten anbietet. Dort, wo die Natur Chaos angerichtet hat, Vulkane ausgebrochen sind, Tsunamis ganze Länder zerstört haben oder Erdbeben alles dem Erdboden niedermachten, wollen moderne Koreaner ihre Sensationslust stillen. Als sie sich über die sexuelle Belästigung ihres Vorgesetzten beschwert, will man sie loswerden und macht ihr das Angebot, einmal selbst eine solche Reise mitzumachen. Ziel ist die entlegene Insel Mui, die durch riesige Erdlöcher bekannt wurde. Yona wird jedoch nicht nur Desaster in Augenschein nehmen können, sondern erlebt ihren ganz persönlichen Horrortrip.
Koreanische Literatur ist genau wie die Musik aus dem Land seit einigen Jahren extrem populär und erfolgreich. Das Land im fernen Osten, dass zwischen hochmodern und überkommenen gesellschaftlichen Konventionen oszilliert, fasziniert durch die Fremdartigkeit und vor allem das Makabere, dass die Geschichten oftmals auszeichnet. Han Kang hat mit „Die Vegetarierin“ den Anfang gemacht, Kanae Minato, Un-Su Kim oder Nam-joo Cho folgen ihr mit ähnlichem Erfolg. Yun Ko-eun ist durch den Gewinn des Crime Fiction in Translation Dagger Awards im letzten Jahr der Durchbruch im Westen mit „The Disaster Tourist“ gelungen, obwohl die Autorin in ihrer Heimat schon seit fast zwei Jahrzehnten eine vielfach ausgezeichnete und bekannte Größe ist.
Man hat schon einmal von den Katastrophentouristen gehört, die nach Tschernobyl fahren, um sich die Reste des Reaktors anzuschauen oder auch sonst schnell auf der Matte stehen, wenn es irgendwo etwas zu bestaunen gibt. Dass es eine ganze Industrie gibt, die darauf aufbaut, ist eher befremdlich, aber im fernen Korea durchaus vorstellbar. Yonas berufliche Situation macht zunächst wütend, da ihr deutlich suggeriert wird, dass Beschwerden über Belästigungen nicht gewünscht sind und sie nur ein kleines und jeder Zeit austauschbares Rädchen ist. Das Unmenschliche, was sich hier andeutet, wird dann jedoch auf Mui um Welten gesteigert.
Die menschen- und naturverachtenden Auswüchse auf der Insel sind himmelschreiend. Was vorher durch die Absurdität noch irgendwie komisch und schräg war, nimmt nun eine ganz andere Dimension an. Der Hauch von feministischer Kritik wird abgelöst durch die Schrecken eines kapitalistischen Systems, in dem wirklich vor gar nichts zurückgeschreckt wird. Das Cover, das den Eindruck eines heiteren Romans perfekt für den Strandurlaub vermittelt, könnte kaum mehr in die Irre leiten. Die Lust auf Urlaub vergeht einem schlagartig, je weiter die Handlung voranschreitet.
Wenn man den einen oder anderen koreanischen Roman gelesen hat, hat man auch schon die Erfahrung hinter sich, dass die Idee von Happy-End eine sehr westliche ist, auf die man nicht unbedingt setzen sollte.
Makaber, morbide und doch irgendwie faszinierend – ein Öko-Thriller, der nachwirkt.