Marcial Gala – Call Me Cassandra

Marcial Gala – Call me Cassandra

Raul is nothing like the other kids. The ten-year-old boy can see dead people and he knows when those he meets will die. Of course, he cannot be understood by his peers or family and with his love for dresses and his very small body, he frequently becomes the victim of bullying and is called all sorts of names. He himself knows who he is, Cassandra, the ancient goddess who could predict the future but wasn’t believed. So is he. He grows up in his hostile Cuban surroundings and has to train for the military service which will lead him to Angola, a sister state of the Leninist-Communist era of the 1970s. His gift is a burden he cannot share with people, only with the gods he sees and whom accompany him.

Fiction that transgresses the border between fictional reality and fantasy are not necessarily my favourite genre, yet, Cuban born author Marcial Gala cleverly integrates both and thus creates a wonderful protagonist for his novel “Call me Cassandra”. Raul is gifted and cursed at the same time, not necessarily the best combination in a hostile world where he has to prepare for fighting in a war. Fantasy is a way to escape and maybe the only one to endure the world around him.

There are two fascinating aspects about the novel, first of all, Raul’s way of escaping his father’s virile expectations which he knows already as a small boy, he will never be able to fulfil. Thus, he can only find likeminded persons in the women around him, most of all his father’s Russian lover. Literature opens different ways of thinking where Raul can find alternatives to his life that he can only live behind closed doors as boys dressed in women’s clothes are nothing for the Cuban world of the 1970s.

The second, much more horrifying is what the transgender boy has to go through, first at school and later in the army. He is not only bullied but repeatedly the victim of violence and abuse. Yet, nobody seems to care, it seems as if it is ok since Raul does not fulfil the expectations and this does not belong.

Gala elegantly conveys Raul’s different realities and allows a fascinating insight in the boys unique thinking.

Arianna Farinelli – Aufbrüche

Arianna Farinelli – Aufbrüche

Bruna, Professorin für Globalisation Studies in New York, ist erschüttert, als sie mit ansehen muss, wie ihre amerikanische Wahlheimat 2016 ins Chaos taumelt und der unsäglich und ungenannte Immobilienhai zum Präsident gewählt wird. Sie kennt als Expertin die Strukturen von Hass, weiß, wie Menschen reagieren, wenn sie unzufrieden sind mit ihren Regierungen und welche Folgen das haben kann, droht das nun auch den USA? Doch nicht nur die politische Lage ist prekär, auch ihr Familienleben liegt in Trümmern: seit einigen Wochen schon hat sie eine Affäre mit Yunus, einem ihrer Studenten. Nun steht die Polizei in ihrem Büro und fragt nach dessen Verbleib, denn es scheint, als hätte sich der junge Mann radikalisiert und dem IS angeschlossen. Dass sie von ihm schwanger ist, macht die Lage mit ihrem erzkonservativen Mann und den beiden Kindern nicht leichter.

Arianna Farinelli ist selbst, genauso wie ihre Protagonistin, italienischer Abstammung und lehrt Politikwissenschaften in New York. „Aufbrüche“ ist ihr vielbeachtetes Debüt, das im Originaltitel „Gotico Americano“ auf ein Bild von Grant Wood anspielt („American Gothic“), einem Nationalheiligtum, das den amerikanischen Pioniergeist und das ländliche Leben preist. Genau jene ländliche Bevölkerung war es auch, die mit ihrem rückwärtsgewandten Blick, den das Bild illustriert, den politischen Erdrutsch verursachte. Die politische Ebene wird durch jene der Familie gespiegelt, in der die beiden Ehepartner ebenfalls auseinandertriften: Tom aus konservativer Familie mit ebensolchen Ansichten, der den progressiven Ansichten seiner Frau kaum mehr folgen kann.

Der Roman wird in vielen Rückblenden erzählt und kommt immer wieder in die Gegenwart, die sich bereits in einem desaströsen Zustand befindet, zurück. Dabei wechseln sich die großen Blickwinkel der weltpolitischen Lage und ihrer wissenschaftlichen Analyse zunächst mit den Disruptionen im Nukleus der Familie ab. Besonders interessant hier, wie differenziert es der Autorin gelingt, die Situation der italienischen Einwanderer, die je nach Einwanderungszeitpunkt gänzlich unterschiedlich in die amerikanische Gesellschaft aufgenommen wurden, mit zu integrieren. Bruna bleibt formal genauso ein „Alien“ wie sie sich Toms Familie immer fremd fühlt.

Einen Nebenkriegsschauplatz ist die Situation ihres Sohnes, der schon als kleines Kind lieber mit Puppen spielt und Kleider tragen will als den gesellschaftlichen Vorstellungen eines Jungen zu entsprechen und mit den anderen wilde Spiele zu verfolgen. Mario benötigt zunächst keine Bezeichnung für das, was er ist oder wie er sich fühlt, nur wäre er lieber eigentlich Maria als Mario – dass er damit für seinen Vater und dessen Familie Enttäuschung darstellt, ist keine Frage. Der Großvater hat auch keine Hemmungen, den noch kleinen Jungen übel abzuqualifizieren. Mit einer unsichtbaren Freundin und seiner cleveren und mental starken Schwester jedoch kann er seinen Platz finden.

Ein vielschichtiger Roman, der gleich mehrere große Themen anreißt, alles zentriert um eine interessante und ebenso vielschichtige Protagonistin, deren Leben an einem Scheidepunkt steht, bei dem nicht klar ist, welcher Weg für sie am Ende wartet.

Dashka Slater – The 57 Bus

Dashka Slater – The 57 Bus

Oakland, Kalifornien, ist die Heimatstadt zweier sehr verschiedener Jugendlicher. Richard wächst als African-American unter schwierigen Verhältnissen auf und besucht eine Schule, die für Gewalt und geringe Abschlussquoten bekannt ist. Früh schon kommt er in Konflikt mit dem Gesetz, erlebt wie Freunde getötet werden und muss selbst in Jugendarrest. Sasha hingegen besucht eine tolerante Privatschule, wo man seine Identität als transqueer oder agender genauso problemlos akzeptiert wie sein Faible für Röcke und das präferierte Personalpronomen „they“ anstatt die binären „he“/“she“. Eigentlich haben die beiden kaum eine Chance sich zu begegnen, nur kurz teilen die Kinder der beiden Schule den Schulbus und dort geschieht es: Richard und seine Freunde albern rum während Sasha schläft. Was als Spaß beginnt, endet in einer Tragödie: das Spiel mit dem Feuer wird ernst, als Sashas Rock in Flammen aufgeht und der Teenager mit ihm.

Dashak Slaters Buch basiert auf einer wahren Begebenheit, die sie ursprünglich nur für einen Artikel der New York Times niedergeschrieben hatte. Es ist die Geschichte eines schrecklichen Verbrechens, ein Drama, aber auch einer Stadt, in der Chancen ungleich verteilt sind, wo das Leben diesen oder jenen Weg nehmen kann, je nachdem, in welchem Stadtteil man lebt und welche Schule man besucht. Auch wenn der zentrale Aspekt des Buchs der Anschlag auf Sasha ist, werden doch viel mehr Fragen aufgerissen, allen voran die Geschlechtsidentität und das Hadern mit den gängigen Definitionen und Erwartungen, die Gang-Kultur und der Umgang mit kriminellen Jugendlichen, nicht zuletzt die Frage, ob man Vergeben kann und über genügen Empathie verfügt, auch die andere Seite zu verstehen.

Der Roman passt nicht so richtig in ein Genre, basierend auf Tatsachen merkt man den journalistischen Hintergrund, der mit zahlreichen Daten und Fakten immer wieder die Ereignisse untermauert. Es wird nicht die große Emotionalität geweckt, was bei der Thematik sicherlich auch denkbar gewesen wäre, stattdessen wählt die Autorin den Weg beiden Seiten gleichermaßen eine Stimme zu verleihen, was ihr hervorragend gelingt und womit sie zeigt, dass auch der Dualismus von gut/böse oftmals der Realität nicht gerecht wird.

Es ist ein Jugendbuch – die Übersetzung ist für den diesjährigen Jugendliteraturbuchpreis nominiert –bietet aber auch für Erwachsene nicht nur Unterhaltung, sondern mit der Elternperspektive, die immer wieder auch präsentiert wird, ebenso interessante Aspekte, vor allem im Umgang mit einem autistischen Kind, das sich zudem als genderfluid sieht. Ein großartiger Roman, der vielschichtig eine komplexe Situation in Literatur umsetzt.