Noa Yedlin – Leute wie wir

Noa Yedlin – Leute wie wir

In Tel Aviv eine bezahlbare Wohnung zu finden, gleicht inzwischen einem Sechser im Lotto, ein ganzes Haus zu vertretbarem Preis kaufen zu können, einem Wunder. Osnat und Dror entscheiden sich daher für ein nicht ganz so tolles Viertel, die Erfahrung der letzten Jahre zeigte, dass der Wohnungsmarkt sehr aktiv ist und auch vormals unattraktive Quartiere plötzlich zu trendigen Hotspots werden können. Schon vor dem Kauf hatten sie sich vergewissert, dass es dort normale Familie gibt, wie ihre mit den beiden Töchtern Hamutal und Hannah, und nicht nur seltsame Figuren wie ihr Nachbar, mit dem die erste Begegnung schon zu Streit führte. Doch auch nach dem Einzug bleibt immer ein seltsames Gefühl: sind sie wirklich sicher dort in der Gegend, war die Entscheidung richtig oder haben sie sich und die Mädchen direkt in die Katastrophe geführt?

Noa Yedlin ist in ihrem Heimatland eine erfolgreiche und bekannte Schriftstellerin, deren Romane auch regelmäßig verfilmt werden. In „Leute wie wir“ greift sie ein seit vielen Jahres hochaktuelles Thema der israelischen Hauptstadt auf: die Preise auf dem Immobilienmarkt sind explodiert und drängen gerade Familien immer mehr an den Rand der Stadt. Die Situation zehrt unweigerlich an den Nerven und selbst nachdem die Osnat und Dror ein passendes Haus gefunden haben, sind sie noch lange nicht wieder in ruhigen Gewässern, ganz im Gegenteil, das Drei-Fünf-Viertel mit seinen Bewohnern bringt auch ihre Beziehung an ihre Grenzen.

My home is my castle – was aber, wenn der ältere Nachbar von nebenan immer im Garten sitzt und alles Tun kritisch beäugt und kommentiert? Es dauert nicht lange, bis er zum roten Tuch wird und Osnat und Dror in ihm den Hauptverdächtigen bei allerlei seltsamen Vorkommnissen (Kakerlaken, der zerstörte Briefkasten, ein möglicher Einbruch) sehen. Doch er ist nicht der einzige, der bei ihnen gemischte Gefühle hervorruft. Michal und Jorge machten eigentlich einen sympathischen Eindruck, als sie sie bei ihrer Stadtteilerkundung kennenlernten. Doch ihre Ansichten und Vorurteile sind zweifelhaft, vor allen Dingen passt ihr Handeln und das, was sie sagen, so gar nicht zueinander. Auch Shani und Lior sind nicht die Freunde, die sie sich ausgesucht hätten, aber irgendwie werden sie sie nicht mehr los, vor allem, da die Töchter Freundschaft geschlossen haben. Ihre Kampfhunde und die zweifelhafte Einstellung gegenüber Behörden lassen bei Osnat immer wieder alle Alarmglocken läuten.

Sie wollen eigentlich mit ihrer kleinen Familie nur in Ruhe auf ausreichend Raum leben, aber nicht unbedingt mit Menschen aus dem falschen Milieu oder da, wo die Schulen nicht den besten Ruf haben. Als sie zum ersten Mal mit Gewalt konfrontiert werden, müssen sie akzeptieren, dass sich nicht alle Wünsche vereinbaren lassen. Aber die Alternative, ein kleines Appartement in einer besseren Gegend, ist auch nur bedingt attraktiv. Sie wollen sich abgrenzen von den Menschen, die in ihrem neuen Viertel leben und doch müssen sie immer wieder erkennen, dass sie eigentlich gar nicht so anders sind. Das, was ihnen an ihrem Nachbar und den beiden befreundeten Paaren missfällt, ist oft genau das, was sie sich selbst auch zuschreiben müssen.

Bei allen sozio-politischen Facetten, die angesprochen werden, ist für mich jedoch ganz klar die Beziehung zwischen Osnat und Dror und das, was der Dauerstress mit ihnen macht, der stärkste Aspekt des Romans. Sie raufen sich zusammen, prallen voneinander ab, bewegen sich wieder auf einander zu, kollidieren und finden keine wirkliche gemeinsame Richtung. Sie leben einen Alltag, wie viele, der sie gefangen hält und nur manchmal ein klein wenig eine Tür zu einem anderen Leben aufstößt.

Ein außergewöhnlicher Roman, der einerseits humorvoll bis absurd, zugleich aber auch verstörend wirkt.

Ein herzlicher Dank geht an den Verlag KEIN & ABER für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autorin und Roman finden sich auf der Verlagsseite.

Mirna Funk – Zwischen Du und Ich

Mirna Funk – Zwischen Du und Ich

Eine böse Erinnerung und plötzlich die Chance zur Flucht: Nike kann für ein Jahr ihre Arbeit beim DAAD statt in Berlin von Tel Aviv aus erledigen. Dort plant die Judaistin eine Konferenz und da sie die Voraussetzungen zur Alija erfüllt, kann sie auch problemlos in das Land am Mittelmeer übersiedeln. Die ersten Tage sind hart, doch dann lernt sie Noam kennen, der ebenso wie sie gerade einen beruflichen Schlussstrich gezogen hat. Doch sie haben noch mehr gemeinsam: Erfahrungen von Gewalt und Vertrauensmissbrauch haben sie geprägt und machen funktionierende Beziehungen nahezu zu einem Ding der Unmöglichkeit. Zwei verwandte Seelen, die wissen, wie man mit Verletzungen umgehen muss und an welchem Punkt man lieber keine weiteren Fragen stellen sollte. Aber können die beiden so einfach überwinden, was sie seit Jahren verfolgt?

Die Journalistin Mirna Funk lässt den Leser lange im Dunkeln, was es genau ist, das die beiden Protagonisten so hat werden lassen, wie man sie kennenlernt. Damit einher geht die Illusion, dass es ein Happy-End geben könnte, dass ein Neuanfang ohne Ballast möglich sei und man schlimme Erlebnisse überwinden und hinter sich lassen könnte. Doch der Rahmen, den die Autorin in ihrem zweiten Roman setzt, ist noch viel größer: nicht nur die Erlebnisse von Nike und Noam haben Spuren bei diesen hinterlassen, sie tragen auch noch den Ballast der älteren Generationen mit sich, als Enkelkinder von Holocaust-Überlebenden lastet zusätzlich die Geschichte auf ihren Schultern.

Nike und Noam werden zunächst nacheinander vorgestellt und könnten eigentlich verschiedener kaum sein: die Berliner Mitt-30erin, die beruflich mit beiden Beinen auf der Erde steht, aber emotional ins Wanken gerät, als sie zufällig ihrem Ex-Freund begegnet und sich dann entscheidet, einen Neuanfang zu wagen. Einfach so in ein Land zu ziehen, das sie noch nie besucht hat, erfordert Mut und Tatendrang – doch schon kurz nach ihrer Ankunft werden alte Wunden wieder aufgerissen und man erfährt, was sie eigentlich gedanklich zurück in Deutschland lassen wollte.

So sympathisch Nike erscheint, so unsympathisch wirkt Noam von Beginn an auf mich. Ein völlig überhöhtes Ego, sein rücksichtloser Umgang mit Frauen und eine Art Jagdinstinkt, der ihn auf Nikes Spur leitet, lässt Schlimmes befürchten. Doch die Begegnung scheint in ihm etwas Anderes auszulösen, er kann sich zu dem Partner entwickeln, der er eigentlich immer sein wollte:  verständnisvoll, das Positive sehend und die eigenen Bedürfnisse zurückstellen.

Wird jedoch der Mechanismus erst einmal in Gang gesetzt, lässt sich das Unglück nicht mehr aufhalten. Als Leser ahnt man, was geschehen wird, welches Ende es nehmen wird und hofft doch, dass irgendein Hindernis alles aufhalten könnte. Die Spirale der Gewalt dreht sich und es bleibt letztlich nur noch die Frage, wie schlimm die Verwüstung sein wird, die diese anrichtet.

Kein Wohlfühlroman, eher einer, der eine Triggerwarnung verdient hätte, da so manch ein Leser mit ähnlichen Erfahrungen hier an eigene Erlebnisse erinnert werden könnte. Nichtsdestotrotz eine lesenswerte Geschichte, da es der Autorin hervorragend gelingt, zum einen Dynamiken in der Interaktion aufzuzeigen, die unweigerlich zu einer Eskalation führen und sie ebenso ein toxisches Männlichkeitsbild mit seinen ganz eigenen Regeln vorführt, das jedoch auch seine Gründe hat – die jedoch zum keinem Zeitpunkt als Entschuldigung herangezogen werden. Spannend fand ich die im Roman aufgerissene Frage, inwieweit Kinder die Erlebnisse der Eltern ebenso verinnerlichen und diese auch ihr Leben bestimmen. Erzählerisch überzeugend und thematisch ganz sicher einer DER Romane der Gegenwart.

Yishai Sarid – Siegerin

Yishai Sarid – Siegerin

Schon als kleines Mädchen war Abigail nicht nur zielstrebig, sondern intellektuell ihren Altersgenossen weit voraus. Als Tochter eines der renommiertesten Psychologen des Landes, zu dem sie stets bewundern aufgeschaut hat, führt ihr Weg sie unweigerlich in dieselbe Richtung. Anders jedoch als der Vater, der geplagte Seelen therapiert, findet Abigail ihre berufliche Heimat bei der israelischen Armee und berät dort die Befehlshaber, wie sie ihre Untergebenen am besten motivieren können, wie sie erkennen, wer den Biss hat, alles für sein Land zu geben, und wer mental stark genug ist, die anspruchsvollsten Aufgaben im Nahkampf zu erfüllen. Ihr Vater hat für diese militärische Nutzung seiner Profession nur Verachtung übrig, doch Abigail geht ganz in ihrer Arbeit auf. Bis ihr Sohn Schauli einberufen wird und sie plötzlich die Armee auch aus dem Blick einer Mutter betrachten muss.

Wie immer in Yishai Sarids Romanen herrscht eine thematische Vielschichtigkeit und Multiperspektivität, die zeigt, dass es in der Realität, in der wir leben und die der Autor literarisch einfängt, keine einfachen Lösungen für komplexe Fragen gibt. Bewusst führt er seine Figuren in den emotionalen Ausnahmezustand, der es ihnen kaum mehr erlaubt, einen klaren Kopf zu behalten und die gut zurechtgelegten Argumentationsstrategien anzuwenden, die kurz zuvor noch funktionierten. Ähnlich wie auch in „Limassol“ stehen wieder die Armee und ihr Verteidigungsauftrag im Zentrum der Handlung, eine Institution, die schon historisch bedingt und tief im Bewusstsein der Bewohner verwurzelt – durch den obligatorischen Wehrdienst für alle zudem für jeden persönlich erfahrbar – eine besondere Stellung im Land innehat und per se nicht infrage gestellt werden darf, auch wenn dies aus rein menschlicher Sicht mehr als gerechtfertigt wäre.

Eines der großen Themen des Romans ist das Verhältnis der Generationen. Der Vater als überhöhte Figur, die bewundert wird und der sich das Familienleben unterordnet, vor allem auch Abigails Mutter, die scheinbar ein bedeutungsloses Dasein führt. Zu spät erkennt Abigail, dass sie deren Lebenskonzept grundlegend nicht verstanden und ihr tiefes Unrecht getan hat. Für ihren Sohn entscheidet sie sich ebenfalls für einen starken Vater, der jedoch fern und geheim bleiben muss, als Ergebnis einer Affäre wächst Schauli ohne männliches Vorbild auf; die Mutter mit ihrer Nähe zu den Kampfeinheiten und zahlreichen Einsätzen auch an der Front, liefert ihm jedoch ein klares Bild davon, wie ein israelischer Soldat zu sein hat. Nur dass Schauli das nicht ist. Er ist zu jung, um dies zu erkennen, die Mutter mit zu verstelltem Blick, um ihn retten zu können. Projektionen und hohe Erwartungen prägen die Entscheidungen, die die Kinder treffen – die schlechtesten aller Motivationen.

Nicht wenige Leser werden mit der Geschichte hadern, bietet sie statt Handlung über weite Strecken Exkurse in die komplexen psychologischen Auswirkungen des Kampfeinsatzes. Dies ist Abigails Thema, ihr ganzes berufliches Dasein dreht sich um gezieltes Töten und den Umgang damit, getötet zu haben. Dies ist erforderlich, um ihre Faszination nachvollziehen zu können und auch um die Nebenfiguren besser einordnen zu können. Keine Materie, der ich üblicherweise viel Interesse entgegenbringe, die jedoch in dem Roman-Setting und vor dem Hintergrund von Israels real gegebener Bedrohungslage, durchaus einen Blick wert ist und ungeahnte Sichtweisen ermöglicht.

So wird auch das unlösbare Dilemma aufgebaut, mit dem sich Abigail schließlich konfrontiert sieht: die Expertin mit der klaren Vorstellung davon, wie man mit jungen Männern und Frauen sprechen muss, um diese von der Sinnhaftigkeit ihres Tuns in der Armee zu überzeugen, soll selbiges bei ihrem eigenen Sohn tun. Doch die Gewissheit, dass er dabei Sterben kann und womöglich das, was er erlebt, nicht so erfolgreich verarbeitet wie erforderlich, lassen plötzlich ungeahnte Zweifel wachsen.

Der Autor kann die hohen Erwartungen einmal mehr vollends erfüllen. Geschickt verbindet er Realwelt mit Fiktion und lässt es zur Eskalation kommen, der man sich auch als Leser stellen muss.

Ein herzlicher Dank geht an den Kein & Aber Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Buch und Autor finden sich auf der Verlagsseite.

Yishai Sarid – Limassol

yishai-sarid-limassol
Yishai Sarid – Limassol

Die Lage ist ernst, ein Anschlag steht Israel unmittelbar bevor, aber der Geheimdienst kommt dem Täter nicht wirklich nahe. Identifiziert hat man ihn, nur wo er sich rumtreibt, liegt noch im Dunkeln. Beim Verhör seines Bruders rastet der befragende Agent aus und prügelt ihn zu Tode. Statt weiterhin Informationen aus Gefangenen herauszupressen, wird er nun auf einen anderen Fall angesetzt. Über die Schriftstellerin Daphna soll er zu dem Araber Hani Kontakt herstellen, dessen Sohn ebenfalls im Verdacht steht, ein Attentat vorzubereiten. Während er langsam das Vertrauen der beiden gewinnt und sich mit ihnen in der Literatur- und Kunstszene bewegt, schreitet seine Ehe dem Ende entgegen. Den Grausamkeiten seines Berufs steht der Wunsch nach Nähe und Geborgenheit in der Familie entgegen. Beides scheint nicht mehr vereinbar. Und je näher er Daphna und Hani kommt, desto mehr muss er die Sinnhaftigkeit und Menschlichkeit seines Tuns hinterfragen.

Yishai Sarids Roman „Limassol“ erlaubt einen Blick in die angespannte Lage eines Landes, das sich im Dauer-Krisenzustand befindet. Dass die Realität die Fiktion wieder einmal überholen kann, zeigt sich aktuell im November 2019. Man kann nach der Lektüre die andauernde maximale Anspannung der Bewohner noch besser nachvollziehen und vor allem wird die ganz individuelle Zerreißprobe offenkundig: der Wunsch nach einem Leben in Sicherheit und der Schutz des Staates Israel stehen den persönlichen Begegnungen der Juden mit den Arabern gegenüber, ebenso die Infragestellung der Methoden von Polizei und Geheimdienst vor dem Hintergrund der Gewaltbereitschaft und Diskriminierung. In Yishai Sarids Protagonist vereint sich all dies zu einem hochexplosiven Gemisch.

Der Autor kennt als Israeli und ehemaliger Offizier im Nachrichtendienst die weitgehend verborgene Seite des israelischen Sicherheitsapparats. Dass er in den drastischen Schilderungen der Verhöre allzu viel Phantasie hat walten lassen, ist nicht anzunehmen. Die Figuren werden zu Beginn auch getrieben von der extremen Hitze, die selbst durch dickste Wände kriecht und sich nachhaltig auf den Gemütszustand auswirkt. Eine Entschuldigung für das Handeln ist dies jedoch nicht. Nur halbherzig wird auf den Tod des arabischen Verdächtigen reagiert, so ist es leicht die Wut der Gegenseite nachzuvollziehen. Von diesem unnachgiebigen und gefühlskalten Geheimdienstler ist jedoch am Ende nicht mehr viel übrig. Das Scheitern seiner Ehe, der Verlust von Frau und Kind haben auf ihn jedoch nur geringen Einfluss. Es sind ausgerechnet die Feinde, denen er sich verdeckt nähern muss, die den Wandel befördern. Fließend und geradezu unbemerkt schleicht sich etwas heran, das in ihm immer größer wird.

Während zunehmend Emotionen Einfluss auf sein Denken nehmen, die er als professioneller Spion gegenüber den Zielobjekten – die immer mehr zu Subjekten werden – nicht haben darf, nähert sich der Moment des Anschlags auf Hanis Sohn, den er angebahnt hat. Hier wird der Roman, der von einer ausgefeilten Figurenzeichnung des Protagonisten lebt, tatsächlich zum nervenaufreibenden und spannenden Politthriller. Man weiß nicht, wie er sich entscheiden wird, wie er sich entscheiden soll. Als Leser wird man in seinen Konflikt hineingezogen, ein Konflikt, für den es keine Lösung geben kann. Der Terrorismus hat die Figuren fest in der Hand, er diktiert die Logik im Kampf, eine Logik, die es nicht mehr gibt.

Sarid findet trotz der Gewalt und Brutalität, die er schildert, eine poetische Sprache, um seine Geschichte zu erzählen. So findet man sich in diesem absurden und paradoxen Gemisch wieder, gleichzeitig den Roman zu genießen und ihn eigentlich nicht lesen zu wollen. Aber genau so stellt sich ja die reale Lage in Israel dar – absurd und paradox.

Ein herzlicher Dank geht an den Verlag Kein & Aber für das Rezensionsexemplar. mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Dror Mishani – Drei

dror-mishani-drei
Dror Mishani – Drei

Drei Frauen, drei Schicksale. Orna ist von ihrem Mann verlassen worden und nun mit dem Sohn Eran, der wegen seiner multiplen Auffälligkeiten permanent in psychologischer Behandlung ist, alleine. Über eine Dating-App lernt sie einen Mann kennen, der in einer ähnlichen Trennungssituation zu stecken scheint und der in ihr die Hoffnung weckt, dass auch sie wieder einen Partner finden könnte, mit dem sie glücklich sein kann. Emilia sucht weniger nach dem Glück, nachdem der Mann, den sie mehrere Jahre lang gepflegt hat, verstorben ist. Die gebürtige Lettin benötigt dringend eine neue Arbeit, um in Israel bleiben zu können. Doch die Familie ihres neuen Pflegefalles ist ihr nicht wohlgesonnen. Auch Ellas Leben schenkt ihr gerade wenig Freude, die drei Kinder stressen sie und mit Mitte 30 hat sie immer noch nicht ihr Studium abgeschlossen. Eine zufällige Begegnung in einem Café bringt wenigstens wieder etwas Reiz in den Alltag.

Mir ist Dror Mishani bereits als Autor der Avi Avraham Reihe bekannt, die mich mit jedem Band begeistern konnte. In seinem aktuellen Roman „Drei“ kommt der Ermittler nicht vor, insgesamt erweckt der Roman zunächst ohnehin nicht den Anschein, überhaupt ein spannendes Element zu enthalten. Doch dann lässt Mishani sein ganzes Können zum Vorschein kommen und bietet dem Leser eine unglaublich clever konstruierte Geschichte, die einem immer wieder auf falsche Fährten schickt und die alle scheinbar losen Teile perfekt zusammenlaufen lässt.

Es ist nicht einfach zu diesem Roman eine Rezension zu schreiben ohne zu viel von der Handlung zu verraten und die wirklich gelungenen Überraschungsmomente für potenzielle Leser kaputtzumachen. Mishani brilliert auf allen Ebenen: der geniale Handlungsverlauf, der auf einer ausgeklügelten Figurenzeichnung basiert, wird durch den ruhigen, bisweilen fast monotonen Erzählton unterstützt, der vor sich hinplätschert, bis der Autor den Leser brutal aus der Lethargie reißt. Glaubt man ein Schema zu erkennen, hat man sich geirrt, so leicht lässt er einem nicht davonkommen.

Ein außergewöhnlicher Roman, der durchaus auch gesellschaftskritische Züge aufweist und so Spannung mit Anspruch gekonnt kombiniert und nur unterstreicht, weshalb Mishani aktuell als einer der besten israelischen Krimiautoren gilt.

Michael Molsner – Die verbrannte Quelle

michael-molsner-die-verbrannte-quelle
Michael Molsner – Die verbrannte Quelle

Auf den deutschen Außenminister wird kurz nach der Wende ein Anschlag verübt, der erstaunliche Ähnlichkeiten zum Entführungsfall von Hanns Martin Schleyer hat. Doch das Ziel war tatsächlich nicht der Minister, sondern Paul Purr, Handelsattachée in Tel Aviv, der bei ihm im Auto saß. Aus Sicherheitsgründen darf dieser nun eine Reise nach Israel mit dem Abgeordneten Dr. Schwenkert nicht antreten, dieser wird daher von dem Regisseur und Journalisten Jan Ziel begleitet, dessen Vater als einer der obersten Chefs im BKA den Fall um Purr untersucht. Dank Ziels Beobachtungen und zwei weiteren Anschlägen auf Attachées, die mit Purr an einem Treffen zur Vorbereitung von Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien teilgenommen hatten, ergibt sich bald eine konkrete Spur, in die die lokalen Geheimdienste unmittelbar verwickelt sind.

Michael Molsners Polit-Thriller klingt nach einer spannenden Lektüre, die auch trotz der fast 30 Jahre seit der Erstveröffentlichung noch brisant und aktuell erscheint. Die Konflikte im Nahen Osten haben sich verschoben, die Bündnisse sind andere, aber nach wie vor ist die Lage fragil. Doch der Roman ist ein herrliches Beispiel für ein grandios auf ganzer Linie gescheitertes Buch, bei dem der einzige Reiz darin besteht, wie bei einem schlimmen Unfall nicht hinschauen zu wollen, aber durch eine unbestimmte Macht doch fasziniert von dem Grauen zu sein und den Blick nicht abwenden zu können.

Zunächst gibt es einige Mysterien, die sich für mich nie gelöst haben: wieso haben Vater und Sohn unterschiedliche Namen? Das war zur damaligen Zeit eher ungewöhnlich. Bei dem jungen Journalisten wird stets betont, dass er im polnischen Krakau aufgewachsen sei und daher Leid und Armut kennt. Und wie kann sein Vater da unmittelbar nach der Wende als oberster Personenschützer im BKA arbeiten? Die Zentrale des BKA wurde auch kurzerhand von Wiesbaden nach Bonn verlegt und die Mitarbeiter dort ermitteln ganz entspannt auch mal im Ausland. Ziels Vater bekommt auch direkt einen Termin in der Knesset beim israelischen Außenminister und plaudert entspannt mit diesem – warum auch nicht, in dieser Position hat der Israeli für einen deutschen Beamten, der eigentlich auch nichts weiter von ihm will, natürlich immer Zeit. Dazu passt auch, dass sie dann bei Eilat ins Tote Meer steigen wollen. Israel ist ja nicht groß, dass wird allerdings sportlich.

Wahrscheinlich soll das dem Leser aber gar nicht auffallen, denn der Autor hat einen Ton, der einem schnell vermittelt, dass er einem für völlig bescheuert und noch dazu ungebildet hält. Quasi jeder Handlungsfortschitt wird mit einer belehrenden Erläuterung versehen: in Israel sprechen zwei Frauen eine fremde Sprache: das ist Ivrit, Neuhebräisch. Im Radio laufen im Dezember keine Weihnachtslieder: Die Israelis sind Juden oder Moslems und feiern deshalb die Geburt Jesu nicht. Bei einer Hausdurchsuchung erklären die Polizisten: „Wir suchen Abhörgeräte, sogenannte Wanzen“. Seite um Seite fragt man sich: meint er das ernst oder will er nur die Sendung mit der Maus kopieren?

Ein besonderes Highlight auch die Frauenfiguren. Hier treten zwei besonders in den Vordergrund, zum einen eine Ermittlerin des BKA, zum anderen eine ehemalige deutsche Nonne, die mit einem saudischen Prinzen verheiratete ist und vor diesem mit Hilfe des Attachées flieht. Die BKA Frau tritt zum ersten Mal bei einem Verhör auf, wo sie nur geifert und rumschreit und keine einzige sinnvolle Frage zustande bringt. Als sie den Raum verlässt, können die Herren endlich ordentlich die Arbeit machen. Beim Feldeinsatz in Israel ist sie es dann auch, die mit dem Dietrich die Tür nicht aufbekommt und etwas belämmert den Einsatz verpasst:

»Also, ich weiß nicht, wie ihr das immer mit euern Dietrichen macht. Meiner hat überhaupt nicht gegriffen!«

Viel unglaubwürdiger kann jemand in dieser Position kaum sein, es sei denn man wollte bewusst erkennen lassen, dass Frauen grundsätzlich hierfür nicht geeignet sind. Dass die endlich erlöste Ehefrau sich weiterhin in Palästina aufhält und wild mit allen ermittelt und sich in keiner Weise vor dem ach so brutalen Ehemann und seiner Kavallerie schützt, erscheint auch nur wenig plausibel.

Bei der Begegnung Jan Ziels mit einer Gruppe von Nonnen fällt dann auch ein sprachliches Highlight, bei dem sich der Mageninhalt sehr drängend in die falsche Richtung bewegt:

„Gleich zu Beginn verliebte er sich in die Regionaloberin, Schwester Candida. Es entzückte ihn, daß sie so hübsch war!“

Der Klappentext war ansprechend. Viel mehr Positives findet sich leider nicht. Allerdings bot es viel Gesprächsstoff, da ich beim Lesen meinem Mann immer wieder vom neuesten Knaller berichtete, wobei er die entscheidende Frage wiederholt aufgeworfen hat: warum liest du das überhaupt?

Dov Alfon – A Long Night in Paris

dov-alfon-a-long-night-in-paris
Dov Alfon – A Long Night in Paris

When an Israeli IT specialist is abducted at Charles de Gaulle airport, this is not given too much attention at first. But since it can serve as a great story to redirect public interest from the latest of the Prime Minister’s misconducts, suddenly this incident turns into the top issue. And as it turns out, the case of the abducted Israeli becomes one of the most complicated and deadly warfares on French ground. While the newly appointed head of the Israel Special Section 8200 Abadi is fighting Chinese killers with a clear and uncompromising mission in the French capital, his deputy Oriana Talmor is struggling in Tel Aviv with their own people who appear to be much more interested in their personal agendas than in the country’s security. A long day and an even longer night lies in front of this seemingly mismatched pair.

Dov Alfon certainly knows what he is writing about and there are some interesting parallels between his own life and his protagonist Abadi. Both grew up in France which their parents left when they were still school boys. He did his military service in the IDF’s technological intelligence unit before becoming an awarded journalist. To sum up, “A Long Night in Paris” is a fast-paced spy novel which is highly complex in its plot and gives a lot of insight in what is going on behind the closed doors of one of the world’s most famous and most secretive services.

The story is simply addictive. Once you’ve started you can’t put the book down since you’re hooked and you want to know how all the different dots connect. What I liked most about it was the fact that it is not by surprising coincidences that the plot advances but by the doing of very intelligent characters. They are not only well-trained soldiers, but also the elite which is demonstrated breath-takingly. Even under the highest pressure, they keep calm and can control the situation.

Oriana Talmor is certainly a very interesting character. It is rare to have a female protagonist in a spy novel (who is not just the seductive sidekick of the big enemy), and in my impression she is well-balanced between the intelligent soldier and the human being who is sensitive and to whom also self-doubts aren’t unknown. This was especially shown in the scene where she motivates her female duty sergeant Rachel to continue her career as an officer.

The 2017 book sensation from Israel luckily now also available in other languages and without a doubt a novel that can compete with John Le Carré’s or Daniel Silva’s novels.

Assaf Gavron – Achtzehn Hiebe

Achtzehn Hiebe von Assaf Gavron
Assaf Gavron – Achtzehn Hiebe

Eitan Einoch verdient seinen Unterhalt als Taxifahrer in Tel Aviv. So hat er noch genügend Zeit für seine Tochter Noga, die zwischen ihm und seiner Exfrau pendelt. Eine charmante ältere Dame, die er zu einer Beerdigung fährt, ist von seinem Fahrstil und der netten Unterhaltung im Auto so angetan, dass sie ihn als regelmäßigen Fahrer engagiert, denn täglich macht sie sich auf zum Grab des jüngst Verstorbenen. Eitan ist neugierig, was es mit Lotta Perl und dem Briten, der gerade erst nach Israel kam und dennoch dort beerdigt werden wollte, auf sich hat. Lotta erzählt ihre Lebensgeschichte, die Liebe zwischen ihr und dem Soldaten zu Zeiten des britischen Mandats und wie diese unheilvoll auseinanderbrach. Aber Lotta erzählt nur einen Teil der Geschichte, den Rest müssen Eitan und sein Freund ermitteln, schnell zeigt sich nämlich, dass der betagte Ex-Soldat keines natürlichen Todes gestorben ist und dass es bald noch weitere Leichen geben wird.

Assaf Gavron vermischt in seinem aktuellen Roman eine spannende Kriminalgeschichte mit der Geschichte der Gründungszeit Israels. Er wechselt durch die Erzählungen der Figuren zwischen der Gegenwart und den Ereignissen mehr als sechs Dekaden zuvor. So entsteht eine lebendige Erzählung, die jedoch hauptsächlich von ihren Figuren lebt. Der Protagonist Eitan liebt das Leben und weiß es sich gutgehen zu lassen. Sein Privatleben leidet jedoch unter der Trennung und eine neue Partnerin zu finden ist gar nicht so einfach, obwohl die Frauen ihm sehr deutliche Avancen machen. Interessanter ist jedoch Lotta Perl, eine Frau mit Geschichte, die clever die Geschehnisse lenkt und nur preisgibt, was ihr sinnvoll und nützlich scheint. Einerseits sympathisch, ist sie doch auch gerissen und so schwankt man als Leser, ob man sie mögen soll und Verständnis für ihr Handeln hat oder sie wegen ihres Egoismus doch eher verachtet. Ihr Gegenspieler aus alten Zeiten steht ihr dabei in nichts nach.

„Achtzehn Hiebe“ greift nicht nur eine schwierige Episode in der israelischen Geschichte auf, es ist auch eine Hommage an Gavrons Heimat. Sein Protagonist kurvt durch sein geliebtes Tel Aviv und lässt den Leser an der Geschichte und der Schönheit der Stadt teilhaben. Der unverwechselbare jüdische Humor, auch die Fähigkeit über sich selbst zu Schmunzeln, darf natürlich nicht fehlen und verleiht dem Roman eine eigene Note. So erscheint der Roman trotz der ernsthaften Thematik leichtfüßig und unterhaltsam. Assaf Gavron konnte mich leicht als Leserin gewinnen und neugierig auf seine weiteren Bücher machen.

Ein Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen Titel und Autor finden sich auf der Seite der Verlagsgruppe Random House.

Julian Fuhrman – This is How We Talk

julian-fuhrman-this-is-how-we-talk.png
Julian Fuhrman – This is how we talk

An evening in Tel Aviv, Yonatan finds himself outside his home without money and no idea where to go. He thinks deep into the city’s nightlife, with alcohol, women and drugs. How could he end here in the streets between party-goers and protesters? He once had a plan, for the time after his gap year after the IDF, a career as a photographer, a loving wife and a son. But also Lia, his wife, has to find her place and has to cope not only with the demons of her past, but also with the picture she had of her brother. Just like her sister Sharon who tries to forget and not confront all the negative events that happen in her life by filling her day with work.

I struggled a bit with the novel at first. The narrative structure which always alternates between the present and different points in the past was not very easy to sort out at first. However, this gave it a lot more dynamics and made it actually livelier. I found Yonatan’s and Lia’s story quite interesting, especially having two opposite characters approaching the same point of culmination. I can see what the other two characters contributed to the story, but I could have done without them.

What I appreciated most was the fact how Julian Fuhrman caught the atmosphere of Israel. On the one hand, the carefree and light-hearted nightlife in which you can indulge and forget. On the other hand, being threatened by war and confronted with actual bombings is also a part of their life. Likewise, the question if, as an Israeli, you can befriend an Arab – to which extend do political implications limit your personal sphere? The necessary and mandatory service in the army and the need to flee from this time after having completed the IDF – a constant crucial test of the love for your country. The protesters and their fight for affordable housing and food, it was reported worldwide about this movement and Fuhrman thus integrated very mundane aspects in the novel which rendered the characters and the plot authentic. In the centre, of course, the basic conflict between Lia and Yonatan. How can you love joyfully in those circumstances and make you love last?

A novel which traps the attitude towards life of a whole generation.

Christiane Wirtz – Ein Jahr in Tel Aviv

christiane-wirtz-ein-jahr-in-tel-aviv.jpg
Christiane Wirtz – Ein Jahr in Tel Aviv

Unzufrieden mit ihrem Job als Anwältin beschließt die Autorin ihr Leben in Deutschland an den Nagel zu hängen und für ein Jahr nach Israel zu ziehen. Unterschlupf findet sie bei ihrem ehemaligen  Mitbewohner und schon taucht sie ein in den israelischen Wahnsinn. Zunächst steht das Erlernen der hebräischen Sprache auf dem Programm, was sich als deutlich schwerer erweist als gedacht. Aber auch der Alltag zwischen jüdischen Traditionen und fremden Kulturen, gepaart mit einer latenten Sicherheitssorge machen das Eingewöhnen nicht einfach. Und über allem schwebt auch die Frage, wie es nach den 12 Monaten weitergehen soll.

Ein sehr persönlicher und kaleidoskopischer Einblick in die Lebenswelt Israels, die eine sehr eigene Prägung zu haben scheint. Neben den Erfahrungen mit und in der fremden Kultur ist auch die persönliche Entwicklung und die Selbstfindung der Autorin ein wesentlicher Bestandteil des Berichts. Viele ihrer Gedanken konnte ich gut nachvollziehen – diese Enge, die man nach ein paar Jahren im Beruf spürt und die Frage, ob das schon alles gewesen sein soll. Alles in allem, durchaus interessant zu lesen, einige Einblicke in Land und Kultur, wen auch sicher kein Ersatz für einen klassischen Reiseführer.