Sandra Cisneros – Das Haus in der Mango Street

Sandra Cisneros – Das Haus in der Mango Street

Esperanza wohnt in der Mango Street in Chicago. Es ist nicht das, was sie als ihr „Zuhause“ betrachten würde, aber das Haus, in dem sie wohnt, befindet sich nun einmal dort. Die Mango Street ist ein wildes Sammelsurium an Menschen, die dort alle gestrandet sind und auf bessere Zeiten hoffen. Esperanza wächst zwischen ihnen und den unterschiedlichen Lebensentwürfen auf, schon früh mit der Absicht, irgendwann einmal als Schriftstellerin mit ihrem eigenen Haus erfolgreich zu sein.

Wie die mexikanisch-amerikanische Autorin Sandra Cisneros bereits im Vorwort ankündigt, handelt es sich nicht um einen Roman im eigentlichen Sinne. Zur Entstehungszeit Anfang der 80er Jahre waren kurze Texte angesagt und so finden sich in „Das Haus in der Mango Street“ 44 kurze Episoden aus dem Lebensalltag Esperanzas, die den realen Erfahrungen der Autorin entlehnt sind. Sie ermöglicht durch ihre Augen einen kurzen Blick in die Leben der Bewohner der Straße, wirft durchaus auch brisante Fragen auf, führt die Geschichten jedoch nie so ganz zu einem Ende.

„Leute, die keine Ahnung haben, kommen ganz verschreckt in unser Viertel. Sie glauben, wir sind gefährlich. Sie glauben, wir gehen mit blitzenden Messern auf sie los. Sie sind Dummköpfe, die sich verirrt haben und nur versehentlich hier gelandet sind. Wir aber haben keine Angst.“

„Das Haus in der Mango Street“ wird vielfach als wichtiges Werk sowohl der Chicano-Literatur wie auch aus feministischer Sicht interpretiert. Cisneros schildert vor allem das Leben der mexikanischen Einwanderer bzw. ihrer Nachfahren, so werden Ehefrauen aus Mexico importiert, die kein Englisch sprechen und dadurch ans Haus gebunden sind, andere hoffen mit dem Umzug in die reichen USA auf ein besseres Leben. Alte Familienstrukturen und vor allem das Verhältnis von Männern und Frauen zueinander wird nicht an die neuen, offeneren gesellschaftlichen Lebensrealitäten angepasst, sondern so wie schon immer fortgesetzt. Man kennt sich im Viertel und weiß, wann etwas zu kommentieren ist und wann auch einfach nicht.

Esperanza ist am Beginn der Pubertät, interessiert sich zunehmend für das Verhältnis zwischen Mädchen und Jungs, sucht selbst aber noch keinen Kontakt. Es steht jedoch außer Frage, dass sie irgendwann einen Freund und dann auch Mann braucht, wenn das nicht einfach so klappt, kann man immer noch zur Zauberhexe gehen, die dann Abhilfe weiß.

Die kurzen Episoden lassen durchscheinen, dass das Leben in der Mango Street nicht einfach, vielfach auch von Gewalt geprägt ist und doch alle ihre Träume von einem besseren Leben hegen – oder sie hoffen dies zumindest für ihre Kinder. Insbesondere für die Frauen wird es aber beim Traum bleiben, denn ihre Lebenswege sind vorgezeichnet und sehr begrenzt. So sehr sich auch Esperanza wünscht ausbrechen zu können, ist ihr schon als Mädchen bewusst, dass sie nicht alles einfach wird hinter sich lassen können, sondern dass sie auch davon geprägt wird, in dem, wie sie die Welt sieht.

Durch die Stimme des jungen Mädchens kann Cisneros die sozialkritischen Themen etwas abmildern, da sie mit einer gewissen Naivität und Unwissenheit präsentiert werden. Präsent sind sie dennoch und machen den Roman dadurch durchaus auch zu einer Anklage. Dies wird allein dadurch deutlich, dass er zu den Jugendromanen zählt, die regelmäßig auf den Verbannungslisten erscheinen, die Mitglieder der weißen Oberschicht an die US-amerikanischen Schulen und Bibliotheken herantragen.

Dave Eggers – Die Parade

dave eggers die parade
Dave Eggers – Die Parade

Ein unbenanntes Land, kurz nach dem Krieg, der den Norden und Süden verfeindet hatte. Nun soll eine Straße die beiden Landesteile verbinden und wieder vereinen. Zwei Arbeiter einer ausländischen Firma werden eingeflogen, um mit modernsten Maschinen innerhalb nur weniger Tage den Weg zu ebnen, was anschließend mit einer großen Parade gefeiert werden soll. Die beiden Straßenbauer kennen sich nicht und sollen nach Willen ihres Arbeitgebers auch weder miteinander und schon gar nicht mit der lokalen Bevölkerung engeren Kontakt aufnehmen, so wählen sie zwei Ziffern als Namen. Vier ist dies gewohnt, schon viele Einsätze hat er pflichtbewusst hinter sich gebracht, die strengen Regeln sind ihm ins Blut übergegangen. Für Neun ist es der erste Auftrag und er saugt die fremden Eindrücke von der ersten Minute an förmlich auf – weshalb er immer mehr seine Pflichten vernachlässigt und seinen Kollegen gegen sich aufbringt. So ungleich sie sind, bilden sie doch eine Schicksalsgemeinschaft und müssen miteinander die Aufgabe bewältigen, egal wie groß die Hürden sind, die sich vor ihnen auftun.

Dave Eggers bekanntester Roman ist sicherlich „The Circle“, in welchem er vor den Auswüchsen der großen Internetkonzerne warnt. „Die Parade“ ist ganz anders gelagert und erinnerte mich viel mehr an „Ein Hologramm für den König“, da auch dort in einem Infrastruktur-armen Land fern der Zivilisation der technische Fortschritt kommen soll und die ausländischen Arbeiter sich in einer absurden Situation gefangen sehen. Im Fokus des Romans stehen jedoch hier ganz eindeutig die beiden Straßenbauer, die verschiedener kaum sein könnten und das, obwohl sie ebenso wie ihre Umgebung zunächst kaum mit Charakteristika ausgestattet werden, nicht einmal Namen erhalten sie.

Die Konfrontation der beiden ist von der ersten Sekunde an abzusehen, es ist nur eine Frage der Zeit, bis bei Vier die Hutschnur reißt und er das Treiben seines Kollegen nicht länger mitansehen will. Doch der unerwartete Schicksalsschlag, der sie beide letztlich trifft, zwingt Vier dazu, von seinem üblichen Verhalten abzuweichen und so etwas wie Menschlichkeit über das starre Befolgen von Regeln zu stellen. Ab diesem Moment ist er auch nicht mehr allein, er sieht die Bewohner des Landes mit anderen Augen, fasst Vertrauen und wird auch nicht enttäuscht. Zum ersten Mal kann er echte Erfahrungen machen und arbeitet sich nicht nur wie ein Roboter an der Straße ab. Das permanente Abwägen zwischen Mitgefühl und Pragmatismus, Großzügigkeit und Vorsicht lässt den Menschen hinter der Nummer zum Vorschein kommen.

Der Krieg als Hintergrund, vor dem die Geschichte ihren Anfang nimmt, taucht immer wieder am Rande auf, Bedrohungen kommen und gehen, aber nie sind Vier und Neun ernsthaft in Gefahr. Doch gerade als man denkt, dass offenbar durch menschliches Handeln, ein gewisses Maß an Offenheit und Mut auch Versöhnung und Miteinander möglich sind, packt Eggers die Keule aus. Nein, die Welt ist kein Ponyhof und wer sich zufrieden dieser Illusion hingibt, wird eine böse Überraschung erleben. Der große Fortschritt, der erzielt wurde, schlägt brutal zurück und lässt so den faden Beigeschmack, dass alles seinen Preis hat und selten ein Geschenk vom Himmel fällt.

Der Roman ist ganz sicher als Parabel zu lesen, die Fragen nach Moral, Ethik und Menschlichkeit aufreißt. So schnell man das kleine Buch auch gelesen hat, es wirkt nach und stimmt nachdenklich in vielerlei Hinsicht.