Rasha Abbas – Die Erfindung der deutschen Grammatik

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Rasha Abbas – Die Erfindung der deutschen Grammatik

Schon in ihrer syrischen Heimat hat sie sich für allerlei fremde Sprachen interessiert, dass es ausgerechnet das Deutsche werden sollte, dass sie mal irgendwann brauchen würde, ahnte Rasha Abbas damals, als die Welt noch in Ordnung war, nicht. Nach der Flucht über den Libanon landet sie letztlich in Neukölln, das irgendwie gar nicht so fremd ist, vor allem wundert es sie, dass sie quasi nie Deutsche trifft, sondern Türken, Italiener und sonstige Einwanderer. Aller Anfang ist schwer im neuen Land und mag man auch noch so integrierwillig sein, der Neustart hat seine Tücken: der Asylantrag, Weihnachten, der Sprachkurs – man ahnt ja gar nicht, woran man so alles scheitern kann.

Rasha Abbas ist syrische Journalistin und Autorin. Seit 2015 lebt sie in Deutschland, 2016 hat sie „Die Erfindung der deutschen Grammatik“ veröffentlicht, in dem sie humorvoll ihr Ankommen in Deutschland beschreibt. Es ist aber auch eine Auseinandersetzung der Autorin mit sich selbst, ihren Erwartungen an sich und dem Umgang mit Niederlagen. Sie gibt Einblick in die andere Seite der Asyldebatte ohne politische Position zu beziehen und zu werten. Mit Ironie – auch einer gehörigen Portion Selbstironie – erlaubt sie uns einen Blick in ihre Welt.

Wie der Titel schon sagt, spielt natürlich das Erlernen der deutschen Sprache eine Rolle und diese bietet so Manches, worüber man sich wundern kann:

„Wir befinden uns nun einmal in einer Zeit, in der das feministische Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt ist. Deshalb muss ich mich so verhalten. Lass mich noch eins draufsetzen, das verwirrt die Lernenden noch mehr: Das Wort Mädchen machen wir jetzt neutral und nicht weiblich.“

„Neutral? Werden wir jetzt etwa ein drittes Geschlecht einführen? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir uns auf so etwas geeinigt hätten. Wozu soll das bitte gut sein?“

Aber nicht nur unsere Sprache, sondern auch unsere Kultur bieten Raum für Mutmaßungen und Verwirrung: Rasha Abbas beobachtet Hamsterkäufe, Menschenmengen, die in die Städte drängen und die Läden regelrecht leerkaufen. Und plötzlich: niemand mehr, alles ist wie ausgestorben. Was sie zunächst als Vorbereitungen auf einen Krieg deutet, sind die alljährlichen Besorgungen für das Weihnachtsfest und Silvester, die traditionell zu Hause gefeiert werden und die Innenstädte vereinsamen lassen.

Es gibt aber auch Aspekte, die mir völlig neu waren, wie etwa den Status als Asylbewerber innerhalb der Community der Landsleute zu verbergen und auf Studentenvisa u.ä. zu verweisen.

Es entstand ein neues Phänomen, eine Art Wettstreit nach dem Motto: „Wer ist weniger Flüchtling als der andere?“

Zugegebenermaßen habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, ob der Status als Flüchtling als Makel angesehen werden könnte, vor allem unter Landsleuten. Es mutet eigentlich fast absurd an, aber letztlich ist es doch nachvollziehbar, dass man dieses Etikett nicht zur Schau tragen möchte.

Die Autorin versucht schließlich auch in der neuen Heimat einen Text zu veröffentlichen, was an einem etwas wenig feinfühligen Lektor scheitert:

„Aber um Himmels Willen, natürlich, meine Liebe! Das Letzte, was ich Ihnen vermitteln wollte, ist, dass, gottbewahre, der Roman nichts als eine große Scheiße ist. Es gibt eine Sache, die ich persönlich äußerst inspirierend und anziehend fand: Ihren Mut. Sie haben einen wirklich bemerkenswerten Mut.“ (…) Ach, Sie sind mir aber auch ein putziges Mädchen. Ich meine Ihren Mut, ein dermaßen miserables Werk zu schreiben und es dann auch noch veröffentlichen zu wollen. Das ist sehr mutig.“

Ein Glück hat sie doch noch jemanden gefunden, der sie veröffentlicht, denn sonst wäre uns dieser kleine Schatz entgangen.

Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

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Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

Deborah flieht aus Südafrika nach Mallorca, Mitten im Winter, um zu schreiben. Doch schon das Ankommen ist so beschwerlich, dass sie keinen richtigen Anfang findet. Mit einem chinesischen Ladenbesitzer kommt sie ins Gespräch. Er genau wie sie fern der Heimat, der Landessprache nicht mächtig, fremd. Sie erzählt ihm von ihrer Kindheit in Südafrika, zur Zeit der Apartheit, als man ihren Vater wegen seiner Aktivitäten für den ANC verhaftete und sie zu einer entfernten Tante schicke, wo sie als jüdischen Mädchen bei Nonnen unterrichtet wurde. Sprach sie zuvor schon nicht viel, verstummt sie nun fast gänzlich. Nach Jahren des Wartens wird der Vater freigelassen und die Familie flieht nach England. Zwar spricht man dieselbe Sprache, aber das Mädchen findet immer noch keine Worte, um sich auszudrücken. Erst durch das Schreiben kann sie das, was in ihr vorgeht, nach außen dringen lassen.

Deborah Levys literarischer Durchbruch gelang ihr 2012 mit Heim Schwimmen, für das sie auf der Shortlist des Man Booker Prize 2012 stand. Dasselbe konnte sie im vergangenen Jahr mit Hot Milk wiederholen. Als Südafrikanerin hat sie die Rassentrennung miterlebt, die auch zentral für „Was ich nicht wissen will“ ist. Der Untertitel, der leider bei der deutschen Ausgabe fehlt, unterstreicht die realen Bezüge, dass es ihre Gedanken sind und ihre Erklärung dafür ist, weshalb sie zur Schriftstellerin wurde: A reponse to George Orwell’s 1946 essay ‚Why I write‘.

Es sind zwei Phasen in ihrem Buch, die mich besonders beeindruckt haben. Die erste zu ihrer Kindheit in Johannesburg, wo sie mit der den Kindern eigenen Naivität die Welt beobachtet und erfasst, ohne zu verstehen, was sie sieht und was dies bedeutet:

Der Koffer, den mein Vater packt, ist sehr klein. Bedeutet das, er kommt bald wieder? Die Männer haben ihm ihre breiten Hände auf die Schultern gelegt. (…) Und jetzt wird er zügig abgeführt von Männern, von denen ich aus mitgehörten Gesprächen zwischen Mom und Dad weiß, dass sie andere Menschen foltern und dass sie manchmal am Handgelenk ein Hakenkreuz eintätowiert haben.

Vor allem die innige Beziehung zu ihrem Kindermädchen Maria und deren Tochter Thandiwe und das nur langsame Begreifen, dass sie zwar im selben Haus, aber nicht in derselben Welt leben, wird durch ihren kindlichen Blick nicht verwässert, sondern geschärft:

Thandiwe durfte eigentlich nicht bei uns zu Hause sein, denn sie war schwarz, und ich hatte versprechen müssen, es keiner Menschenseele zu sagen. Ich nannte Thandiwe manchmal Doreen, aber nur hin und wieder. Doreen weinte auch noch, als Maria mit ihr den Bungalow verließ und sie zur Bushaltestelle »Nur für Schwarze« brachte, von der aus sie in die »Township« zurückfahren sollte, in der sie lebte.

Zum anderen ihre Zeit in England, wo sie sich wie im Exil fühlt, zwangsverfrachtet, da in der alten Heimat kein Leben mehr möglich ist. Auch nach Jahren ist sie in der neuen Heimat nicht angekommen und vermisst das, was sie aufgeben musste:

Seit sechs Jahren lebte ich jetzt in England und war fast so englisch wie eine eingefleischte Engländerin. Trotzdem war ich von anderswo. Mir fehlten der Geruch der Pflanzen, für die ich keine Namen hatte, die Stimmen der Vögel, für die ich keine Namen hatte, das Gemurmel in Sprachen, für die ich keine Namen hatte.

Gerne erinnert sie sich zurück, doch als Erwachsene muss sie erkenne, dass ihre Erinnerungen sich womöglich nicht mit den Eindrücken der anderen Menschen decken:

Nur eine Erinnerung möchte ich behalten: Maria, die auch Zama ist, wie sie abends auf den Verandastufen sitzt und Büchsenmilch trinkt. Die afrikanischen Nächte waren warm. Die Sterne leuchteten hell. Ich liebte Maria, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich ebenfalls liebte. Politik und Armut hatten sie von ihren leiblichen Kindern getrennt, und sie war ausgelaugt von den weißen Kindern in ihrer Obhut.

Auch wenn der Verlag ihn als Roman führt, ist es doch eher ein Essay über das Dasein als Schriftsteller, in dem Deborah Levy genau wie auch Orwell autobiographisch begründet darlegt, weshalb sie gar nichts anderes tun kann, als schreiben. Orwells vier Motive gelten meines Erachtens gleichermaßen für Levy: Egoismus, da man gerne auch über sich schreibt; ästhetischer Enthusiasmus, ein historischer Impuls und die politische Absicht – all dies findet sich hier uns in anderen ihrer Werke wieder.

Tom Wolfe – Das Königreich der Sprache

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Tom Wolfe – Das Königreich der Sprache

Ein Artikel über „Das Mysterium der Entstehung der Sprache“ und die Unterschrift mehrerer namhafter Professoren und Experten ihres Fachgebietes, die erklären, dass sie auch im Jahr 2016 noch nicht sagen können, wie sich die menschliche Sprache entwickelt hat, sind der Ausgangspunkt für Tom Wolfes Nachforschungen. Sehr weit holt er aus und fängt bei keinem geringeren als Charles Darwin an. Nicht so sehr die Erkenntnisse, die der Forscher auf der Beagle gewonnen und in seinem Traktat „The Origin of Species“ niederschrieb, stehen hier jedoch im Vordergrund, sondern der Kampf um das schnellere Publizieren zwischen Darwin und einem unbekannten Forscher, Alfred R. Wallace, der zeitgleich in Asien ähnliche Entdeckungen macht wie Darwin und diese zu Papier brachte. Zeitlebens haderte Darwin mit der immerwährenden Gefahr, dass man ihm seinen Rang aberkennen könnte, wenn Wallace die verdiente Anerkennung zuteilwürde. Mehr als hundert Jahre später wird eine andere Koryphäe in ähnlicher Weise hadern: Noam Chomsky, Begründer der Universal Grammar und modernen Linguistik beherrschte ein halbes Jahrhundert die Disziplin, bis seine Grundsatzüberlegung in Frage gestellt und widerlegt wird. Ein Umstand, mit dem der Forscher nicht umgehen kann.

„Das Königreich der Sprache“ ist kein wissenschaftliches Buch, für mein Empfinden steht noch nicht einmal so sehr die Entwicklung der Sprache im Zentrum – wie Eingangs des Buchs angekündigt, weiß man darüber eh nichts zu sagen, weshalb auch der Leser am Ende nicht mehr weiß als zuvor. Vielmehr geht es um gekränkte Eitelkeiten, sehr menschliches Verhalten in Wissenschaftskreise und das Aufzeigen, wie diese funktionieren und wie dort Stars geboren werden. Das Ganze wird in einem höchst unterhaltsamen Plauderton erzählt, dem man gerne folgt. Es sind gerade die urmenschlichen Geschichten und Einwürfe, die die Wissenschaftler von ihrem Thron holen und sie (be)greifbar machen.

Interessant die für mich zunächst seltsam anmutende Parallele zwischen Darwin und Chomsky. Beide haben ihre Theorien letztlich am Schreibtisch entwickelt ohne sie wissenschaftlich zu belegen. Es sind gedankliche Konstrukte, die jedoch zur Grundlage ihres jeweiligen Feldes wurden. Bei Darwin bedurfte es Mendel, der die Nachweise der Vererbung erbrachte, Chomskys Theorie der Universal Grammar hingegen wurde von Dan Everett widerlegt, der sich ins Feld begab und an echten Menschen forschte. Es waren Charisma und die gute Vernetzung, die sowohl Charles Darwin wie auch Noam Chomsky den Aufsteigt auf den wissenschaftlichen Olymp ermöglichten, von dem sie nicht freiwillig abtreten wollten.

Das Buch lieferte mir so gar nicht das, was ich erwartet hatte. Nichtsdestotrotz fand ich vieles sehr interessant zu lesen, insbesondere Everetts Forschungen bei den Pirahã und deren Sprachsystem. Der anekdotische und humorvolle Stil Wolfes erlaubt dem Sachbuch an keiner Stelle langatmig oder gar tröge zu werden, so dass sich die Suche nach dem Ursprung der Sprache zu einer unterhaltsamen Lektüre, die immer mal wieder kleine Umwege nimmt, entwickelt. Ob Wörter letztlich nur Artefakte und Sprache lediglich ein Kulturgut sind, aber nichts, was die Natur zwingend herausentwickelt, bleibt am Ende unbeantwortet – ist aber vielleicht sinnvoller als eine neue Theorie, die schon bald wieder in die Mottenkiste gepackt werden muss.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Titel finden sich auf der Internetseite der Verlagsgruppe Random House.