Wolfgang Schorlau/Claudio Caiolo – Der freie Hund

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Wolfgang Schorlau/Claudio Caiolo – Der freie Hund

Nachdem er sich mit der sizilianischen Mafia angelegt hat, wird Commissario Antonio Morello zu seiner eigenen Sicherheit nach Venedig versetzt. Die Stadt, die alle in Verzückung versetzt, löst bei ihm nicht ansatzweise Begeisterung aus, viel lieber würde er zu Hause seinen Kampf fortsetzen. Auch die neuen Kollegen empfangen ihn mit wenig Freude, was soll ein Süditaliener in ihrer beschaulichen Lagunenstadt? Schon gleich erwartet Morello ein Mord, der ihm die Regeln Venedigs vor Augen führt: Der Spross einer wohlhabenden Familie wird erstochen aufgefunden. Als Anführer einer Studentenbewegung gegen Kreuzfahrtschiffe hat er sich eine Reihe von Feinden gemacht, doch wer wäre ernsthaft in der Lage, ihn für seinen Kampf für die Umwelt der Heimatstadt zu ermorden? Dass nicht nur in Sizilien Politik und Verbrechen eng verbandelt sind, überrascht Morello nicht wirklich, es macht die Aufklärung des Falls aber auch nicht leichter.

Mit seinen Kriminalromanen um den Privatermittler Georg Dengler hat der Autor Wolfgang Schorlau wiederholt bewiesen, dass das vermeintlich seichte Spannungsgenre das Potenzial hat, gesellschaftliche Missstände unterhaltsam aber doch kritisch in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Nie erzählt er nur eine Geschichte, es steckt immer viel mehr dahinter. Nun ein gänzlich neues Setting mit italienischem Ermittler vor Bilderbuchkulisse und noch dazu in großer Konkurrenz zu Donna Leon, die fraglos mit ihrem Commissario Brunetti Venedig eigentlich schon fest in ihrer Hand hält. Der Auftakt hat mir insgesamt gut gefallen, er hat aber noch Luft nach oben gemessen an anderen Romanen Schorlaus.

„Der freie Hund“ greift gleich zwei umstrittene Themen auf. Seit Jahren leidet die Serenissima unter der Masse an Touristen, die sie zu erdrücken droht. Einheimische werden mehr und mehr verdrängt, Mieten sind unbezahlbar und die Geschäfte richten sich mehr an den zahlungskräftigen Besuchern denn an den Bedürfnissen der realen Bewohner aus. Mit den riesigen Kreuzfahrtschifften kommt erschwerend die Belastung Umwelt hinzu, weshalb die Wirtschaftskraft Tourismus zunehmend kritisch gesehen wird. In genau diesen Konflikt platziert Schorlau seinen Mordfall, der zunächst vor allem viel Einblick in die Gesellschaftsstruktur gibt. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr rückt jedoch Morellos ganz eigenes Thema ins Zentrum. Der Glaube, die Mafia operiere nur im Süden des Landes, kann nur einer grenzenlosen Naivität oder einem bewussten Augenverschließen geschuldet sein und so wird schon bald offenkundig, was lange Zeit nur der Commissario sieht: die Lagunenstadt wird ebenso für die Interessen der Clans genutzt, wie auch Palermo.

Die beiden Themen verknüpfen Schorlau und sein italienischer Kollege Caiolo in ihrem Krimi geschickt miteinander. Mehr noch als der eigentliche Mordfall haben mich die Figuren überzeugen können, das Personal der Questura bietet einige interessante Ermittler, die in weiteren Fällen noch spannende Aspekte liefern dürften. Vor allem Morellos kleinkrimineller Freund jedoch wird einem sofort sympathisch, was auch positiv auf den Ermittler abfärbt, der so nicht nur wie ein gesetzestreuer und ernsthafter Commissario wirkt, sondern zeigt, dass er durchaus eine gewisse Grauzone geben kann. Insgesamt eine unterhaltsame Angelegenheit, die für meinen Geschmack allerdings etwas weniger italienische Kulinarik, sondern noch mehr politische Brisanz hätte haben dürfen, das Abdriften zum etwas seichten cosy crime gelingt nämlich gerade noch so.

Eric Ambler – Journey into Fear [dt: Die Angst reist mit]

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Eric Ambler – Journey into Fear [dt: Die Angst reist mit]

An seinem letzten Abend in Istanbul vergnügt sich der englische Ingenieur Graham gerade mit Freunden, als ihn die Cabaret Tänzerin Josette auf einen Mann aufmerksam macht, der ihn scheinbar beobachtet. Graham kümmert sich nicht weiter darum und wird in seinem Hotelzimmer böse überrascht, da jemand direkt nach seinem Eintreten das Feuer eröffnet. Von der Polizei erfährt er, dass bereits ein Anschlag auf ihn vereitelt wurde und nun müssen seine Pläne zur Rückkehr nach England kurzerhand umdisponiert werden. Nicht mit dem Orientexpress, sondern mit einem Schiff wird er die Heimreise antreten. Es ist 1939, der Krieg steht kurz bevor und als Entwickler für Kriegswaffen stellt er ein interessantes und gefährliches Ziel für die Nazis dar. Wider Willen bewaffnet geht Graham an Board, hoffend, dass die Gefahr gebannt ist.

Eric Ambler schrieb „Journey into Fear“ 1940 unter dem Eindruck des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts, der den erklärten Antifaschisten nachhaltig schockierte. Wie auch in anderen seiner Spionageromanen ist sein Protagonist ein Durchschnittsbürger, kein Polizist, kein Spion und schon gar kein ausgefeilter Agent. Zufällig gerät er zwischen die Fronten und muss sich selbst retten, da auf Ordnungsbehörden in den Wirren Zeiten kein Verlass ist.

Typisch für Romane aus dieser Zeit folgt der Krimi einem klassischen Muster und erfüllt damit voll die Erwartungen. Die Handlung spielt sich überwiegend auf dem Schiff von Istanbul nach Genua mit kurzem Zwischenstopp in Athen ab. Graham trifft unerwartet wieder auf Josette und ihren Mann, die hoffen in Paris ein neues Engagement zu erhalten. Daneben macht er mit einem französischen Ehepaar Bekanntschaft, die den deutschen Archäologen an Bord verabscheuen. Ein türkischer Handelsreisender für Zigaretten komplettiert das Figurenensemble. Man weiß, dass mindestens einer von ihnen sicher lügen wird und unter falscher Identität reist, es dauert auch nicht lange, bis sie sich gegenseitig der Spionage und übler Absichten verdächtigen.

Es ist vermutlich seiner Zeit geschuldet, dass die einzige weibliche Figur eindimensional dumm ist, davon abgesehen liefert Ambler aber genau das, was man von einem Spionagekrimi der 1930/40er Jahre erwarten würde: fokussiert auf den Fall, klare Fronten und keine hochdramatische Action mit unnötig brutalen und langwierigen Ballerszenen, das bisschen Schießerei ist glaubwürdig motiviert und wohl dosiert.