
Bei dem berühmtem Autor Prétextat Tach ist das selten Elzenveiverplatz Syndrom diagnostiziert worden, das ihm nur noch wenige Wochen des Lebens lässt. Die Literaturwelt ist erschüttert und zahlreiche Journalisten machen sich zu dem zurückgezogen lebenden Schriftsteller auf. Schon bei den ersten Interviews wird klar, dass der übergewichtige Misanthrop kein erfreulicher Gesprächspartner ist. Säuerlich, intolerant, rassistisch, frauenfeindlich – es gibt eigentlich nichts, das er auslässt, um die Menschen wieder zu vergraulen. Bis sich Nina zum Gespräch traut und ihm nicht nur Paroli bietet, sondern ihn damit schockiert, sein gut gehütetes Geheimnis zu kennen.
Schon mit ihrem ersten Roman gelang Amélie Nothomb der literarische Durchbruch, dem zahlreiche weitere Auszeichnungen folgten. Wer die Autorin kennt, weiß, dass man auf alles gefasst sein muss und sie dem Leser auch drastischste Aussagen nicht erspart. In ihrem Debüt hat sie mit Prétextat Tach einen unglaublichen Widerling erschaffen, der seinesgleichen sucht und dem auch die inzwischen 28 Jahre, die seit der Erstveröffentlichung vergangen sind, nichts anhaben konnten.
Der Roman kommt mit einem minimalen Setting aus. Er spielt fast ausschließlich in der Wohnung des Autors, wo er von unterschiedlichen Journalisten besucht wird, denen jedoch vor Ninas Erscheinen nur kurze Gespräche vergönnt sind. Sie ist die erste, die ihn beeindruckt, da sie sich nicht einschüchtern lässt und auf seine hasserfüllten Tiraden angemessen reagiert.
Nothomb erhebt den Autor zu einer könig-gleichen Figur, die Hof hält und von deren Gnade die Journaille abhängig ist. Sein Literatur-Nobelpreis rechtfertigt scheinbar das Gebärden und die verbalen Entgleisungen. Allerdings hat er auch einige durchaus beachtenswerte Gedanke, wenn er beispielsweise der Leserschaft vorwirft, nur zu konsumieren und gar nicht wirklich sein Werk zu lesen, was ihm wiederum die Möglichkeit eröffnet, schlimmste Wahrheiten kundzutun, ohne dass diese irgendwelche Konsequenzen hätte. Viel wird auch über Symbolik und Metaphorik sinniert, stellt sich die Frage, ob Prétextat nun seinen Namen in Anlehnung an „prétexte“ – Vorwand/Schutzbehauptung erhalten hat oder als „pré-texte“ quasi mit seiner Autorenschaft noch vor (oder über) dem Text steht.
Eine sprachliche Meisterleistung und hochklassisches Duell liefern sich die beiden, wobei die Auseinandersetzung auch zu dem führt, was jeder Text mit seinem Leser gemäß Prétextat Tachs Theorie tun sollte: etwas verändern. Der Mensch darf nach dem Lesen nicht mehr derselbe sein, der er vorher war. Nur dann wurde richtig gelesen und das Gelesene hatte auch einen Wert.