Malin Stehn – Happy New Year

Silvester, letzter Tag des Jahres und die Chance, dass im neuen alles besser wird. Doch für die Familien von Lollo und Max und ihren Freunden Fredrik und Nina endet die Nacht im schlimmsten Horror. Ihre Töchter feiern eine Party, am Ende ist eine davon tot. Die Eltern zwischen Vorwürfen und Schuldgefühlen. Haben sie ihre Kinder nicht ausreichend beschützt? Oder tragen sie sogar Schuld? Denn plötzlich drohen alte Geheimnisse ans Licht zu kommen und Gewissheiten zu erschüttern.

Die schwedische Autorin und Übersetzerin Malin Stehn ist in ihrer Heimat vor allem durch Kinder- und Jugendbücher bekannt geworden. Mit „Happy New Year“ wagt sie sich ins Spannungsgenre und kann unmittelbar überzeugen. Aus wechselnden Perspektiven erzählt sie die Geschichte, die immer ein paar Lücken lässt und so Raum für Spekulation eröffnet und die Spannung steigert.

Happy, glücklich, ist leider keine der Figuren. Alle tragen sie ihr Päckchen, stecken fest in verfahrenen Beziehungen, haben den Kontakt zueinander verloren. Ein schreckliches Verbrechen bringt sie auch nicht wieder zusammen, sondern lässt sie noch weiter voneinander entfernen. Die Perspektivwechsel erlauben einen Einblick in die Gedanken und Zweifel der Figuren. Bald scheint alles möglich, jeder zu allem fähig, keine noch so schreckliche Tat mehr unvorstellbar.

Eine spannende Geschichte, die alle Abgründe der menschlichen Natur an die Oberfläche spült und zeigt, wozu Rache fähig.

Byeong-mo Gu – Frau mit Messer

Byeong-mo Gu - Frau mit Messer

Byeong-mo Gu – Frau mit Messer

Die Zeichen der Zeit lassen sich zunehmend nicht mehr ignorieren. Mit 65 spürt Hornclaw täglich, dass ihr Körper nicht mehr der einer jungen Frau ist und dass ihr nicht nur der Alltag, sondern vor allem ihr Beruf zunehmend schwerer fällt. Dabei ist es eigentlich ein Vorteil, denn als alte Frau wird sie in der Öffentlichkeit nicht mehr wahrgenommen, man sieht sie gar nicht erst und vergisst sofort wieder, dass sie da war. Für eine Auftragskillerin eigentlich perfekt. Doch nach 40 Jahren des Mordens entwickelt sie plötzlich auch Mitgefühl, steht anderen Menschen nicht mehr gleichgültig gegenüber. Eine Killerin mit Herz, kann es das geben? Viel drängender jedoch die Frage: bringt sie das nicht plötzlich selbst in Gefahr?

Die südkoreanische Autorin Byeong-mo Gu ist in Deutschland noch unbekannt, mit „Frau mit Messer“ ist jetzt die erste Übersetzung erschienen. Der Roman kann als eine Art feministischer Krimi beschrieben werden, denn die Protagonistin hat wenig von einer eiskalten Mörderin, obwohl sie mehrfach emotionslos zum Messer greift und ihren Auftrag erledigt. Es ist ihr Lebensweg, der sie zu dem gemacht hat, was sie jetzt ist, und dieser Weg ist sehr spezifisch weiblich. Als Leser folgt man ihr mit gemischten Gefühlen, einerseits wirkt sie einsam und sympathisch, doch dann erlebt man wieder ihre andere Seite. Ein Roman, der verstört und berührt zugleich, mit einer Protagonistin, die zugleich Täterin und Opfer ist.

Literatur aus Südkorea überschreitet oftmals die Grenzen dessen, was wir im Westen kennen. Unbequeme Wahrheiten und brutale Realitäten, vor denen man eigentlich lieber die Augen verschließen würde, werden in einer Weise geschildert, die sie als banal, alltäglich, schlichte Tatsachen erscheinen lassen und damit nochmals potenzieren.

In Byeong-mo Gus Roman erlebt man dies auch wieder. Es gibt konkurrierende Agenturen, an die sich der Normalmensch für einen Mord wendet, beinahe so als wenn man ein Maklerbüro für eine neue Wohnung beauftragt. Die Killer kommen in allen Formen daher, was sie in den Menschenmassen untergehen lassen, jeder, der neben einem im Bus steht, könnte in der nächsten Sekunde zuschlagen. Wie Hornclaw, die unscheinbare ältere Frau.

Ihren Alltag teilt sie nur mit einem alten Hund, zunehmend wird ihr Körper unbeweglicher und die Momente des Vergessens nehmen drastisch zu. Agil wird sie jedoch wieder im Kampf, bei dem sie dank ihrer Erfahrung auch starken jungen Männern so einiges entgegensetzen kann. Die Widersprüche lassen sich nicht auflösen, ergeben ein Bild mit Brüchen, das Hornclaw jedoch zu einer interessanten Figur macht, die die Handlung trägt und Fragen nach Moral und Recht schwer beantworten lässt.

Eine außergewöhnliche Geschichte, die Spannungsmomente mit sozialkritischen, feministischen Tönen verbindet.

Javier Cercas – Terra Alta

Javier Cercas – Terra Alta

Das Gefängnis kann den jungen Melchor Marín nicht läutern, erst der Tod seiner Mutter, der nie aufgeklärt wird und scheinbar niemanden interessiert, führt dazu, dass er sich der anderen Seite der Gerechtigkeit zuwendet und Polizist werden will. Mit der Hilfe seines Anwalts Vivales gelingt es ihm und in Terra Alta kann er sich ein Leben mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter aufbauen. Es passiert nicht viel in dem kleinen Ort und so richtet er sich zwischen den Diensten und der gemeinsamen Liebe zur Literatur ein. Doch dann geschieht ein grausamer Mord an dem Unternehmerpaar Adell, der auch Melchors Dasein erschüttern wird.

Javier Cercas Roman spielt mit der Frage nach Recht und Gerechtigkeit und dem intensiven Gefühl von Hass, das Menschen ob der augenscheinlichen Ungerechtigkeit in sich tragen. In „Terra Alta“ werden nie wirklich verheilte Wunden wieder aufgerissen und die Figuren herausgefordert, ihre Ideale und Werte zu prüfen. Das Ganze erzählt der spanische Autor und Dozent, der 2016 mit dem Prix du livre européen ausgezeichnet wurde, auf eine spannende Weise, die einem sogleich packt.

„Das ist ungefähr so, als würde man einen Becher Gift trinken, im Glauben, dass man den tötet, den man hasst.“

Melchor ist vom Hass auf jene, die seine Mutter getötet haben und jene, die den Mord nicht aufgeklärt haben, angetrieben. Er selbst will herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist und riskiert dafür viel. Gleichermaßen geht es ihm mit den Morden an dem Ehepaar Adell, auch hier will er sich nicht mit dem Schließen der Akte, bevor ein Täter gefunden wurde, zufriedengeben. Wieder riskiert er viel und bezahlt dieses teuer. Er sucht Gerechtigkeit, die es jedoch nicht gibt, und erkennt stattdessen, was Hass mit den Menschen anrichten kann.

Neben den spannenden Elementen um die Morde hat mich jedoch vor allem die Parallele zu Victor Hugos Roman „Die Elenden“ und die weiteren literarischen Anspielungen angesprochen, die geschickt integriert sind und herausstellen, was sich aus dem Lesen auch der alten Werke für das eigene Handeln ableiten lässt. Mit Melchor Marín hat er einen starken Charakter geschaffen, der vielschichtig gestaltet ist und mit widersprüchlichen Gefühlen zu kämpfen hat.

Ein anspruchsvoller literarischer Krimi, der in die Abgründe der Gesellschaft und der Seele führt.

Kotaro Isaka – Bullet Train

Kotaro Isaka – Bullet Train

Der berühmte Shinkansen, von Tokio unterwegs nach Morioka. An Bord gleich mehrere Mörder, alle mit unterschiedlichen Missionen: Lemon und Tangerine, die den Sohn des großen Unterweltbosses Minegishi und einen Koffer bewachen und heil ans Ziel befördern sollen. Kimura, der mental völlig durch den Wind Rache für seinen im Koma liegenden Sohn sucht. Der Prinz, eigentlich noch viel zu jung für das, was er vorhat. Und zu guter Letzt Nanao, der vom Pech verfolgt wird und diesen Auftrag auch nur widerwillig angenommen hat, obwohl es so einfach klang. Am Ende sind gleich mehrere Opfer zu beklagen, der Tatort ein heilloses Chaos, den die Ermittler beim besten Willen nicht überblicken können, denn was sich an Bord zugetragen hat, ist auch jenseits aller Vorstellungskraft.

Kotaro Isaka hat Jura studiert und als Systemingenieur gearbeitet, bevor er sich dem Schreiben zugewandt hat. Inzwischen gilt er als einer der besten Krimiautoren seiner japanischen Heimat und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. „Bullet Train“ erschien dort bereits 2010, jetzt erstmals in deutscher Übersetzung. Auch wenn hier eine ganze Horde von Mördern in schlechter Absicht unterwegs ist, ist der Roman keineswegs ein klassischer Thriller, denn das, was mich tatsächlich am meisten begeistern konnte, waren der feinsinnige Witz und die pointierten Dialoge, die mich immer wieder schmunzeln ließen.

Der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen wird im Englischen auch als „Bullet Train“ bezeichnet, was dem Titel eine doppeldeutige Bezeichnung verleiht, denn natürlich werden gleich mehrere Kugeln abgefeuert, wie man sich bei derart vielen Mördern unter den Reisenden vorstellen kann. Sie alle haben eine Mission, deren Erfüllung zunächst nicht weiter kompliziert scheint, durch die Anwesenheit der Kollegen jedoch erheblich gestört wird.

Der schwarze Humor, mit dem der Autor seine Figuren liebevoll begleitet und sie so gar nicht dem gängigen Bild eines abgebrühten Auftragskillers entsprechen lässt, ist zweifelsohne das Highlight des Romans. Die Verkettung unglücklicher Fügungen lässt die Handlung bisweilen fast absurd wirken, Kotaro Isaka fängt sie jedoch immer wieder ein und schafft es weit mehr als einmal, den Leser mit einer neuen Wendung zu überraschen.

In der Literatur findet man nicht leicht Vergleichbares, am ehesten hat mich die Handlung an einen Film von Quentin Tarantino oder der Coen Brüder erinnert, weshalb die angekündigte Verfilmung auch nicht weiter verwundert und sicherlich bei der Besetzung mit Brad Pitt, Sandra Bullock und Lady Gaga ebenfalls überzeugen dürfte.

Jérôme Leroy / Max Annas – Terminus Leipzig

Jérôme Leroy / Max Annas – Terminus Leipzig

Nach einem Alleingang mit ihrem Team, bei dem ein Kollege tödlich getroffen wird, wird die DGSE Kommissarin Christine Steiner zunächst beurlaubt. Die Zeit soll sie auch nutzen, um den Selbstmord ihrer Mutter zu verarbeiten. Obwohl privat unterwegs bittet ihr Chef sie, bei einem Einsatz in Lyon zu unterstützen. Dort wurde ein älteres deutsches Ehepaar ermordet, ehemalige Mitglieder einer linksextremen Gruppierung, auf die ein deutsch-französisches rechtes Bündnis offenbar gerade Jagd macht. Als Christine den Tatort inspiziert, findet sie etwas, das sie völlig aus der Bahn wirft: ein Foto, auf dem ihre Mutter und sie als Kleinkind zu sehen sind. Ihre Mutter hatte nie darüber gesprochen, weshalb sie 1971 alle Brücken zu ihrer deutschen Heimat abgebrochen hat. Christine benötigt nicht viele Informationen, um sich schon kurz danach auf den Weg nach Leipzig zu machen und Rache zu nehmen.

Es gibt Autoren, zu deren Büchern man greift, ohne auch nur einen kurzen Blick auf den Klappentext zu werfen. Jérôme Leroy zählt für mich zu diesen, Max Annas konnte mich bislang gleichermaßen begeistern. Eine Kooperation von beiden ist daher etwas, das ich mir kaum entgehen lassen konnte. „Terminus Leipzig“ ist im Rahmen des Krimifestivals „Quais du Polar“ zwischen den beiden Autoren und ihren Verlagen Edition Nautilus aus Deutschland und Le Point aus Frankreich entstanden. Wie auch in ihren anderen Romanen wird die Handlung von gesellschaftspolitischen Ereignissen getragen, hier der gegenwärtige Terrorismus, der mit der linksextremen Gewalt in der Bundesrepublik der 1970er geschickt verbunden wird.

Als Leiterin einer Antiterroreinheit ist Christine unerschrocken und strategisch in ihrem Vorgehen. So akribisch sie sich über ihre Zielpersonen informiert, hat sie die fehlenden Informationen über ihre eigene deutsche Herkunft immer hingenommen und die Mutter nie genötigt, etwas über ihre Zeit vor dem Umzug in die französische Provinz zu berichten. Das Foto vom Tatort lässt jedoch kaum andere Schlüsse zu als dass die unauffällige Krankenschwester offenbar eine extremistische Vergangenheit hat. In Wolfgang Sonne, der ebenfalls zu sehen ist, glaubt Christine ihren Vater zu erkennen, weshalb sie sich auf den Weg zu ihm macht, um Antworten auf die bislang nie gestellten Fragen zu erhalten. Doch dafür bleibt kaum Zeit, denn gerade in Leipzig angekommen, geraten sie in das Feuer der Rächer, die Sonne ebenfalls ausfindig gemacht haben.

Ein rasanter Kurzkrimi, der sich nicht lange mit der Figurenentwicklung aufhält, sondern unmittelbar ins Geschehen einsteigt. Eine vielversprechende Zusammenarbeit der beiden Autoren, die für mein Empfinden noch stärker hätte ausgebaut werden können, denn sie reißen nur an, was sie eigentlich können. Auch die Handlung bietet noch Entwicklungsspielraum, womöglich ist dies ja in dem Cliffhanger am Ende angelegt, wünschen würde ich mir das jedenfalls.

Ragnar Jónasson – Insel

Ragnar Jónasson – Insel

Hulda Hermannsdóttir muss von der isländischen Hauptstadt auf die zerklüftete Insel Elliðaey reisen, denn dort wirft der Tod einer jungen Frau Fragen auf. Gemeinsam mit drei Freunden verbrachte sie einige Tage in einem Sommerhaus. Nachts scheint Klara alleine die Hütte verlassen zu haben und an einem steilen Felsen abgestürzt zu sein. Doch die Obduktion legt anderes nahe. Bei der Befragung der Freunde zeigt sich auch schnell, dass Alexandra, Benedikt und Dagur etwas verheimlichen und dass sie schon einmal mit einem Todesfall verbunden wurden: Katla, Dagurs ältere Schwester und ebenfalls mit der Clique befreundet, wurde genau 10 Jahre zuvor ermordet aufgefunden. Ihr Vater wurde der Tat beschuldigt und beging im Gefängnis Selbstmord, ein klares Schuldeingeständnis wie Huldas Vorgesetzter erkannte. Je näher die Kommissarin der Wahrheit kommt, desto offenkundiger wird ihr auch, dass es auch in dem alten Fall noch Fragen gibt. Doch diese zu stellen wird dramatische Folgen haben.

„Insel“ ist der zweite Band von Ragnar Jónassons Hulda Trilogie, die chronologisch rückwärts erzählt wird und nun die Kommissarin auf den Höhepunkt ihrer Karriere zeigt. Der Autor arbeitet auch wieder mit der Überlagerung verschiedener Zeitebenen und konstruiert so eine spannende und undurchschaubare Geschichte, in der alle Figuren ihre Geheimnisse und Motive haben. Besonders stark wirkt wieder einmal die Natur, die einerseits als geradezu berauschend schön dargestellt wird, aber auch ihre rauen und abweisenden Seiten hat. Wie schon in „Dunkel“ herrscht eine düstere Atmosphäre, die perfekt zu dem Fall und den gleich bei mehreren Personen vorhandenen Schuldgefühlen passt.

Eigentlich wollen die vier Freunde sich nur nach vielen Jahren wiedersehen und gemeinsam der verstorbenen Katla gedenken. Doch die Stimmung ist von Beginn an vergiftet, es hängt etwas in der Luft und Karlas Alpträume in der Hütte führen auch nicht unbedingt zu einer Verbesserung. Man wundert sich, weshalb sie den Anlass ihres Aufenthalts nicht preisgeben wollen, als Leser hat man aber jedoch recht schnell einen Wissensvorsprung und beobachtet gebannt, ob es Hulda gelingen wird, hinter die Fassade zu blicken und für Gerechtigkeit zu sorgen.

Ein überzeugender Krimi, der jedoch nicht ganz an den ersten Band heranreicht, der mit ungeahnten Wendungen und noch stärkerem Fokus auf Hulda wirklich überraschen konnte.

Tina Frennstedt – COLD CASE – Das gebrannte Kind

Tina Frennstedt – Cold Case – Das gebrannte Kind

Tess Hjalmarsson hat eigentlich den Fall Jenny im Auge, in dem es scheinbar neue Erkenntnisse von ihren deutschen Kollegen gibt. Doch eine Serie von Bränden, bei denen auch Todesopfer zu beklagen sind, führt wieder einmal dazu, dass ihr Cold Case Team sich mit aktuellen Fällen beschäftigen muss und ihre eigentliche Aufgabe liegenbleibt. In diesem Fall jedoch scheint es Parallelen zu geben zu einer früheren Serie, in der Tess ebenfalls ermittelte und einem anderen, bislang ungelösten Fall einer jungen Mutter, die nachts in ihrem Schlafzimmer umkam, jedoch schon tot war, bevor das Feuer ausbrach. Wie immer geht Tess an ihre Grenzen, doch dieses Mal wird sie persönlich gefordert, denn bald zeigt sich, dass sie selbst ein potentielles Ziel des Täters sein könnte.

Zum dritten Mal bereits schickt die Kriminalreporterin Tina Frennstedt ihr südschwedisches Cold Case Team auf Mördersuche. „Das gebrannte Kind“ verbindet ebenfalls aktuelle Fälle mit ungelösten Morden, die seit Jahrzehnten auf Aufklärung und Ruhe für die Hinterbliebenen warten. Brisant dieses Mal: die Kommissarin ist unmittelbar involviert und kann keine emotionale Distanz wahren, was ihr den Blick für die Gefahr versperrt.

Die bisherigen Bände der Reihe haben mich dadurch überzeugt, dass bei den Figuren auf gängige Klischees verzichtet wurde und man den Eindruck gewinnt, real existierende Menschen sind am Werk, denen man auch auf der Straße begegnen könnte. Auch wenn Zeitdruck herrscht, können sie Alltagssorgen nicht ganz ausblenden, diese überlagern jedoch die Krimihandlung nicht, sondern ergänzen diese glaubwürdig. Sie sind keine Superhelden, sondern arbeiten professionell und beharrlich, wobei es auch mal menschlich wird und Fehler nicht ausgeschlossen sind.

Der Fall benötigt einige Zeit, bis das Ermittlerteam auf die richtige Spur kommt. Den deutschen Titel finde ich dabei aus Spannungsgesichtspunkten leider nicht ganz glücklich, das schwedische Original „Skärseld“, Fegefeuer, passt viel besser, auch wenn mir die biblischen Bezüge etwas zu unmotiviert erschienen. Insgesamt ein routinierter, ruhiger Krimi, der spannend ist, jedoch nicht nervenzerreißend und vor allem ohne unnötig brutale Gewaltdarstellung auskommt.

Jo Nesbø – Eifersucht

Jo Nesbo — Eifersucht

Der norwegische Krimiautor Jo Nesbø macht sich in seinem aktuellen Buch auf, unterschiedliche Formen von Eifersucht zu ergründen, die – man ahnt es – für die Beteiligten nicht immer gut ausgehen. In sieben Geschichten, die sich in Setting und Länge völlig unterscheiden, lässt er den Leser daran teilhaben, wie die Figuren in den emotionalen Ausnahmezustand geraten. Der Profikiller, der eigentlich nur seinen Job machen will und dann an eine für ihn bezaubernde Kundin gerät; das Brüderpaar, das um die Gunst derselben Frau buhlt; die Migrantin, die sich als Kassiererin den ganzen Tag den Unverschämtheiten ihrer Kunden aussetzen muss oder auch der Autor, bei dem sich Realität und Fiktion vermischen, sie und weitere erleben wir im Grenzbereich des Menschlichen und Unmenschlichen.

Ich bin zugegebenermaßen kein ausgewiesener Freund von Kurzgeschichten, die Figurenentwicklung kommt mir dabei oft zu kurz und das Zuspitzen der Handlung auf einen einzigen Kulminationspunkt lässt mir zu viel von dem Fehlen, was davor geschah und dahin geführt hat. Daher ist es für mich nicht weiter verwunderlich, dass die längeren Geschichten mich deutlich mehr angesprochen haben, insbesondere „Eifersucht“ um die beiden Kletterer und den Athener Ermittler, der ihren ungewöhnlichen Fall untersucht, mit rund 120 Seiten auch schon eher eine Novelle innerhalb der Sammlung.

Über allen Geschichten schwebt die Frage, was einen Menschen dazu treiben kann, einem anderen das Leben zu nehmen. Es sind ganz unterschiedliche Beweggründe, die meist nachvollziehbar motiviert sind und so die Frage beim Leser aufreißen, ob man selbst auch in dieser Situation enden könnte. Natürlich würde niemand bei klarem Verstand so weit gehen und doch: Jo Nesbø präsentiert ganz normale Figuren, die einem tagtäglich über den Weg laufen könnten und bei denen schlicht ein einziger Tropfen zu viel wurde und das Fass zum Überlaufen brachte. Kann man nicht selbst auch an diesen Punkt gelangen? Würde man so weit gehen? Und hat man nicht sogar sehr viel Verständnis für sie? Eine moralische Herausforderung, die dabei bestens unterhält.

Steintór Rasmussen – Poesie des Mordens

Steintór Rasmussen – Poesie des Mordens

Kommissar Jákup á Trom ist gerade auf zweiwöchiger Fortbildung in Kopenhagen, als man dort die Leiche eines Färingers findet. Die örtliche Polizei bittet ihn, seinen Aufenthalt zu verlängern und bei der Aufklärung mitzuwirken. Der Tote ist kein Unbekannter, Tóki Narvason gilt als bester Schriftsteller der Inselgruppe. Jákup hatte sich eigentlich sehr auf die Heimat gefreut, nicht nur, weil er seine Frau und die Kinder wiedersehen wollte, sondern auch weil es das Wochenende der großen Strickclubparty im Hotel Atlantis ist, die sich niemand entgehen lässt und wo alles geschehen kann. Genau das ist auch der Fall, unter anderem gibt es am Sonntagmorgen eine Tote – die Freundin des verstorbenen Poeten. Das kann kein Zufall sein.


Steintór Rasmussen entführt mit „Poesie des Mordens“ zum dritten Mal auf die Atlantikinseln, die literarisch bei weitem nicht so prominent sind wie beispielsweise Island, das zahlreichen Autoren als Krimischauplatz dient. Die außergewöhnliche Natur des Eilands spielt dieses Mal eine nachrangige Rolle, dafür wird die Handlung sehr stark durch die Traditionen – Strickclubs und deren Festivals sind mir von nirgendwo bislang untergekommen – und die spezifische Gesellschaftsstruktur getragen. 


Die beiden Mordfälle, bei denen nicht einmal eindeutig geklärt ist, ob es Morde sind, sind zwar das tragende Element, rücken für mich aber hinter die Figuren zurück. Immer wieder erlauben Einschübe Blicke in die Vergangenheit sowie in die Seele und das Gedankenwirrwarr eines enttäuschten Menschen. Doch reicht diese Enttäuschung, um gleich zwei Feinde aus dem Leben zu befördern? Viele Jahrzehnte gehütete Geheimnisse kommen plötzlich ans Licht und stellen so manchen Lebensentwurf infrage.


Neben den herausfordernden Ermittlungen fällt dieses Mal Jàkup durch seine eigenen Qualen auf. Auch er hat ein Geheimnis, sein Umgang jedoch damit und die Tatsache, wie er mit zweierlei Mass seine Schwächen und die der anderen beurteilt, kommen unerwartet. Der bis dato rechtschaffene Polizist zeigt plötzlich eine ganz neue und nicht gerade schmeichelhafte Seite. 


Rasmussen hat eigenen ganz eigenen Erzählstil gefunden, der bisweilen etwas unemotional wirkt und doch fesselt. Die Geschichte ist überzeugend konstruiert und entfaltet sich erst langsam, wobei dieses Mal die Figuren herausragend gestaltet wurden und die Handlung souverän tragen und voranbringen.

Stefan Ahnhem – Meeressarg

Stefan Ahnheim – Meeressarg

Theo ist tot, er hat sich in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Fabian Risk weiß nicht, wie er damit leben soll, immerhin war er es, Theos eigener Vater, der den Jugendlichen gedrängt hatte, sich freiwillig der Polizei zu stellen. Doch als Fabian und Sonja die Leiche sehen, kommen ihm Zweifel, war es wirklich so, wie die Kopenhagener Beamten behaupten? Unzählige Fragen nagen an dem Ermittler und blind vor Verzweiflung verfolgt er eine ganz eigene Spur, die ihn immer weiter von seiner Frau und Tochter entfernen. Für seine ehemalige Kollegin Dunja Hougard hingegen scheint endlich der Moment gekommen zu sein, auf den sie seit zwei Jahren hingearbeitet hat. So lange schon beobachtet sie Kim Sleizner, ihren ehemaligen Chef und ranghohen Polizist der dänischen Hauptstadt mit besten Connections. Jetzt endlich kann sie ihm das Handwerk legen, doch sie hat ihn einmal mehr unterschätzt.

Stefan Ahnhems aktueller Roman ist bereits der sechste der Reihe um den schwedischen Kommissar Fabian Risk. Er setzt die Geschichte des Vorgängers nahtlos fort und ist doch dieses Mal ganz anders als die vorangegangenen. Wir erleben einen gänzlich anderen Protagonisten, der durch die Trauer und Wut über sich selbst bestimmt wird, die eigentliche Kriminalhandlung spielt sich derweil rund um Dunja bzw. das Kopenhagener Polizeipräsidium ab. Die bisherige Randfigur, die zwar regelmäßig in Erscheinung trat, deren Geschichte jedoch hinter jener von Fabian zurücktreten musste, rückt nun in den Fokus und steht den bisherigen in nichts nach. Wieder einmal eine komplexe, spannende Tour de Force, in der sich die Kontrahenten nichts schenken.

Ein Quereinstieg in die Reihe mit diesem Band ist sicherlich nicht empfehlenswert. Ob er den Abschluss bildet, wird nicht eindeutig klar, jedoch werden eine ganze Reihe von Erzählsträngen zu einem Ende geführt. Zunächst jener um Theo, dem typisch jugendliche Vergehen zum Verhängnis wurden, der immer tiefer in einen Sumpf geraten ist und dann Opfer eines Krieges wurde, der eigentlich nicht seiner war. Eine tragische Figur durch und durch, ebenso wie seine Schwester Matilda. Dass sich Fabians Familie jemals von den Schicksalsschlägen erholen wird, kann bezweifelt werden. Sehr überzeugend jedoch die Emotionen, die den Vater leiten und an den Rand des Wahnsinns treiben.

Dunjas ungleicher Kampf gegen Sleizner nimmt den Hauptteil der Handlung ein. Eine clever aufgebaute Geschichte, die durch die Charaktere angetrieben und mit immer neuen Höhepunkten umgesetzt wird. Für mich genau das, was ich von einem Spannungsroman erwarte.

Auch wenn der letzte Aufschlag so ganz anders gestaltet ist als die vorherigen, überzeugt er doch restlos. Der veränderte Fokus hat mir gut gefallen, Dunja trägt locker ebenso durch die Geschichte wie Fabian.