Heidi Furre – Macht

Heidi Furre – Macht

Das schreckliche Ereignis ist bereits Jahre her. Liv war noch Studentin, als sie vergewaltigt wurde und doch verfolgt das Erlebnis sie als erwachsene Frau und Mutter immer noch. Sie wollte nie Opfer sein, hat andere für die öffentliche Zurschautragung ihres Leids verachtet, aber den schönen Schein zu wahren, kostet sie enorm viel Energie. Das Kopfkino, die rasenden Gedanken im Zaum zu halten und nicht durchzudrehen. Es war nicht nur in dieser Situation, dass der Mann Macht über sie hatte, er hat sie immer noch, ohne dabei in seinem Familienidyll etwas davon zu ahnen.

„Manchmal ist es schlimmer zu sagen, ich bin vergewaltigt worden, als tatsächlich vergewaltigt zu werden. Als würde man eine Todesnachricht überbringen.“

Die norwegische Fotografin und Autorin Hedi Furre verleiht in ihrem Roman einer Frau eine Stimme, die eigentlich keine haben will. Am Beispiel von Liv wird deutlich, wie gesellschaftliche Normen das Opfer einer Straftat nochmals strafen, indem sie Mitschuld erhält (auch selbst zugeschrieben), indem sie verdrängt, was ihr passiert ist, weil es niemand hören und sehen will und schon gar nicht mit so etwas Schrecklichem belästigt werden möchte. Es sind nicht nur die äußerlichen Wunden, die Leid verursachen, „Macht“ zeigt sehr deutlich, wie schlimm die innerlichen, nicht so leicht erkennbaren Wunden schmerzen und eben nicht verheilen.

Es sind die kleinen Einschränkungen des Alltags, an denen sich tagtäglich die Auswirkungen eines jahrelang zurückliegenden Ereignisses zeigen. Die Ängste, beispielsweise im Dunkeln nach Hause zu laufen, bestimmte Texturen, die an den Tag erinnern, die alle in sich nicht schlimm sind, in der Summe jedoch lebensbestimmend werden. Immer wieder versucht sie, die Kontrolle zurückzugewinnen, es gelingt jedoch nur mäßig.

Es ist ein Buch, das sich nicht leicht aushalten lässt, das für manche Leserinnen wie ein Trigger für böse Erinnerungen wirken könnte und doch ist es wichtig, da es etwas zum Thema macht, über das gesprochen können werden muss. Das einen öffentlichen Raum braucht, damit es Opfern von Gewalttaten eben genau nicht geht wie der Protagonistin.

Helene Flood – Die Psychologin

Helene Flood – Die Psychologin

Die 30-jährige Psychologin Sara wohnt mit ihrem Mann Sigurd am Rand von Oslo. In dem Haus, das sie gerade renovieren, hat sie auch ihre Praxis eingerichtet. Leider hat sie nicht so viele Patienten, wie sie sich wünscht, auch Sigurds Architekturbüro läuft nicht wie erwartet, weshalb die Baustelle nicht vorankommt. Als Sigurd mit seinen beiden Schulfreunden ein Wochenende auf einer Hütte verbringen möchte, richtet sich Sara auf zwei gemütliche Tage ein. Alles scheint normal, doch dann erhält sie einen verstörenden Anruf: offenbar ist Sigurd nie in der Hütte angekommen, obwohl er ihr von dort noch eine Sprachnachricht geschickt hatte. Schon kurze Zeit später wird seine Leiche entdeckt – allerdings so gar nicht in der Nähe des geplanten Ausflugsortes. Wo war Sigurd und vor allem: warum?

Der Debütroman der Psychologin Helene Flood war 2019 für den norwegischen Buchhändlerpreis nominiert und schon vor erscheinen in mehr als zwanzig Länder verkauft. „Die Psychologin“ steht in bester Tradition bekannter skandinavischer Thriller: Die Spannung wird nicht durch ausufernde Gewalt oder ein extrem hohes Tempo erschaffen. Im Gegenteil, der ruhige Erzählton lässt das Unbehagen langsam unter die Haut kriechen, mit der Protagonistin fühlt man sich zunehmend unwohl, ohne die geringste Ahnung, woher die Bedrohung kommt. Unerwartete Wendungen und neue Informationen lassen vieles immer wieder in neuem Licht erscheinen, bis man keiner Figur mehr traut – und dann feststellt, dass man doch völlig falsch lag.

Auch wenn Sara der Polizei gegenüber behauptet, dass in ihrer Ehe alles in Ordnung gewesen sei, wird schnell offenkundig, dass die glücklichen Zeiten des Paares schon länger zurücklagen und der Alltag, insbesondere die permanenten finanziellen Sorgen, an ihren Nerven zehren und sie beide zunehmend mit Mikroaggressionen auf einander reagieren. Obwohl Sara als Psychologin eigentlich Fachfrau ist, erkennt sie nicht, wie sehr sie selbst auch unter der Einsamkeit leidet, da sie kaum das Haus verlässt und zu ihren früheren Freundinnen weitgehend den Kontakt verloren hat.

Je klarer das Profil der Protagonistin wird, desto mehr fragt man sich, inwieweit sie sich schon in einer Ausnahmesituation befindet, die ihre Wahrnehmung, Erinnerungen und Einschätzung trübt – und ob sie nicht selbst etwas mit dem Mord zu tun hat. Das Verhalten der Ermittler wirft zudem Fragen auf, sie scheinen zunehmend distanziert und wenig auskunftsfreudig. Seltsame Vorgänge im Haus verstärken die beklemmenden Gefühle, die beim Lesen entstehen. Raffinierte Mörderin oder Opfer einer perfiden Tat?

Helene Flood hat ihren Thriller perfekt orchestriert, wohldosiert verschiebt sich das Bild immer weiter und es sind oft beiläufige Bemerkungen und Informationen, die jedoch entscheidend für die Auflösung werden.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autorin und Buch finden sich auf der Seite der Penguin Random House Verlagsgruppe.

Jo Nesbø – Eifersucht

Jo Nesbo — Eifersucht

Der norwegische Krimiautor Jo Nesbø macht sich in seinem aktuellen Buch auf, unterschiedliche Formen von Eifersucht zu ergründen, die – man ahnt es – für die Beteiligten nicht immer gut ausgehen. In sieben Geschichten, die sich in Setting und Länge völlig unterscheiden, lässt er den Leser daran teilhaben, wie die Figuren in den emotionalen Ausnahmezustand geraten. Der Profikiller, der eigentlich nur seinen Job machen will und dann an eine für ihn bezaubernde Kundin gerät; das Brüderpaar, das um die Gunst derselben Frau buhlt; die Migrantin, die sich als Kassiererin den ganzen Tag den Unverschämtheiten ihrer Kunden aussetzen muss oder auch der Autor, bei dem sich Realität und Fiktion vermischen, sie und weitere erleben wir im Grenzbereich des Menschlichen und Unmenschlichen.

Ich bin zugegebenermaßen kein ausgewiesener Freund von Kurzgeschichten, die Figurenentwicklung kommt mir dabei oft zu kurz und das Zuspitzen der Handlung auf einen einzigen Kulminationspunkt lässt mir zu viel von dem Fehlen, was davor geschah und dahin geführt hat. Daher ist es für mich nicht weiter verwunderlich, dass die längeren Geschichten mich deutlich mehr angesprochen haben, insbesondere „Eifersucht“ um die beiden Kletterer und den Athener Ermittler, der ihren ungewöhnlichen Fall untersucht, mit rund 120 Seiten auch schon eher eine Novelle innerhalb der Sammlung.

Über allen Geschichten schwebt die Frage, was einen Menschen dazu treiben kann, einem anderen das Leben zu nehmen. Es sind ganz unterschiedliche Beweggründe, die meist nachvollziehbar motiviert sind und so die Frage beim Leser aufreißen, ob man selbst auch in dieser Situation enden könnte. Natürlich würde niemand bei klarem Verstand so weit gehen und doch: Jo Nesbø präsentiert ganz normale Figuren, die einem tagtäglich über den Weg laufen könnten und bei denen schlicht ein einziger Tropfen zu viel wurde und das Fass zum Überlaufen brachte. Kann man nicht selbst auch an diesen Punkt gelangen? Würde man so weit gehen? Und hat man nicht sogar sehr viel Verständnis für sie? Eine moralische Herausforderung, die dabei bestens unterhält.

Jørn Lier Horst – Wisting und der See des Vergessens


Jørn Lier Horst – Wisting und der See des Vergessens

William Wisting ist im Urlaub als er einen anonymen Brief mit einer Fallnummer erhält. Der Mord an einer jungen Frau aus dem Jahr 1999, der aufgeklärt und der Mörder verurteilt werden konnte. Dieser hat inzwischen seine mehrjährige Strafe abgesessen und ist wieder ein freier Mann. Auf einen zweiten Fall aus dem Jahr 2001, an dem Wisting selbst arbeitete, wird er ebenfalls anonym aufmerksam gemacht. Beide Fälle weisen frappierende Parallelen auch. Auch in diesem Fall gab es eine Verurteilung, der Täter ist zwischenzeitlich jedoch bereits verstorben. Was will man Wisting mitteilen? Und vor allem: wer? Während der Kommissar seinen Urlaub also mit privaten Nachforschungen verbringt, sind seine Kollegen an einem aktuellen Fall, bei dem ebenfalls eine junge Frau zu Tode kam, diesen kann Wisting jedoch nur aus der Ferne begleiten – bis sich die Fälle beginnen zu kreuzen.

„Wisting und der See des Vergessens“, Jørn Lier Horsts vierter Roman der Cold Case Reihe fügt sich nahtlos in die Serie der Altfälle ein, die den norwegischen Ermittler beschäftigen. Im Gegensatz zu den vorherigen jedoch, sind die aktuellen Fälle geklärt, was ein gänzlich anderer Ansatz ist. Diese dennoch erneut aufzurollen und nochmals zu betrachten, hat einen ganz eigenen Reiz, insbesondere, da sich die Kriminaltechnik im Laufe der Jahre enorm entwickelt hat und auch, weil hier die Polizeiarbeit durchaus kritisch hinterfragt wird.

Die Geschichte beginnt nicht mit einem aufsehenerregenden Fall oder einem dramatischen, noch immer ungeklärten Verbrechen. In entspanntem Erzählton darf der anonyme Briefeschreiber den Stein ins Rollen bringen, der sofort Wistings Neugier weckt. Weder Urlaub noch Krankheit können ihn vom Ermitteln abhalten. Es ist kein Rennen gegen die Zeit, eher eine akribische, solide Revision der alten Ermittlungen, die den Krimi prägt, der daher viel weniger durch Spannung als durch interessante Einblicke in die Polizeiarbeit überzeugen kann. Immer wieder neue Spuren tauchen unerwartet auf und lenken Wisting mal in diese, mal in jene Richtung. Über allem schwebt jedoch immer das große Fragezeichen nach dem heimlichen Strippenzieher, der den Kommissar wie eine Marionette zu lenken scheint.

Ein grundsolider Krimi, der detailreich die Ermittlungen aufschlüsselt ohne dabei jedoch langatmig zu werden oder sich in ebendiesen zu verlieren. Ganz im Gegenteil, an zahlreichen Stellen hat sich mir die Frage gestellt, ob die rechtlich in Deutschland ähnlich wäre, wie etwa die Auswertungen von Dashcams, der unmittelbare Zugriff auf Daten von Mautstationen und Stromanbietern oder das Auslesen von Gesundheitsapps. Umgekehrt verblüfft, welche Schlüsse aus diesen neuen Daten gezogen werden können und verdeutlicht, wie gläsern wir als Bürger geworden sind. Fingerabdrücke zu verwischen reicht schon lange nicht mehr aus, um nicht entdeckt zu werden.

Gewohnt gute Unterhaltung, der Autor setzt die Reihe mit einem ganz anderen Ermittlungsszenario fort und kann erwartungsgemäß bestens unterhalten.

Linn Strømsborg – Nie, nie, nie


Linn Strømsborg – Nie, nie, nie

Schon seit acht Jahren ist sie mit Philip in einer glücklichen Beziehung, kein Wunder, dass ihre Familien und Freunde die unausweichliche Frage nach Hochzeit und Kindern Mantra artig wiederholen. Doch sie will keine Kinder, sie ist glücklich mit ihrem Leben und ihrer Beziehung, es fehlt nichts. Der Freundeskreis wird mit Anfang 30 langsam kleiner, immer mehr beginnen ein Nest zu bauen, draußen, auf dem Land und in den Vorstädten, um dem Lärm der Großstadt zu entfliehen, um es sich mit der Kleinfamilie im neuen Kokon einzurichten. Da geht man abends nicht mehr spontan weg, alles muss nun gut geplant sein. Als ihre beste Freundin Anneken und deren Mann Alex dann plötzlich auch die Schwangerschaft verkünden, ist auch die letzte Verbündete schwach geworden. Sie wollten doch zusammen alt werden, ohne Kinder.

Linn Strømsborgs Erzählerin erzählt genau jene Geschichte, die ziemlich allen Frauen ab Mitte/Ende 20 bekannt vorkommen dürfte. Sobald sich eine feste Partnerschaft abzeichnet, wartet das Umfeld nur noch darauf, endlich die Ankunft eines neuen Erdenbürgers feiern zu dürfen. Als gäbe es kein anderes Konzept, keinen gegensätzlichen Lebensentwurf, wird bei aller Modernität und erreichten Bildungsabschlüssen von Frauen immer noch erwartet, dass sie irgendwann zurückkehren zu Kind und Küche. „Nie, nie, nie“ wollte die Erzählerin genau das und sieht sich mit einer Welt konfrontiert, in der ihre Vorstellung scheinbar keinen Platz hat.

Sie mag Kinder, beschäftigt sich auch mit ihnen, trägt und beruhigt sie – aber deshalb will sie noch lange keine eigenen haben. Auch ihre Partnerschaft ist ihr genug, sie ist glücklich mit Philip und kann ihr Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten. Ihr ist völlig bewusst, dass dies eine hedonistische Sichtweise ist – aber im Ernst: welche Frau bekommt Kinder für die Rentenkasse? Sie kann sich dem Thema nicht entziehen: in der Familie, am Arbeitsplatz, mit Freunden, immer wieder kommt es auf und seit Jahren schon hat sie ausweichende Sätze parat, um das Gespräch rasch auf etwas anderes zu lenken. Von Beginn ihrer Beziehung an hat sie keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihre Meinung nicht ändern wird, doch bei Philip ändert sich die Lage und so wird auch das gemeinsame Fundament brüchig, auf dem sie stehen.

Soll man sich dem Druck irgendwann einfach beugen? Nur damit es aufhört? Auch das zieht sie in Betracht, als sie jedoch auch sieht, was die Elternschaft mit ihren besten Freunden macht, ist diese Option schnell wieder vom Tisch. Ein Baby zu haben ist nicht immer eitel Sonnenschein, es strengt an, zermürbt, raubt die letzten Kräfte und Anneken erkennt sich selbst bald nicht mehr wieder – und doch ist ihre Tochter für sie das Beste, was in ihrem Leben jemals geschehen ist.

„Kannst du glücklich sein, wenn dich alle für unglücklich halten? Wenn ich mich gegen Kinder entscheide, wird man mir dann immer mit Mitleid und Bedauern begegnen, von der Häme und den Egoismus-Vorwürfen mal ganz abgesehen?“

Linn Strømsborg beschönigt weder die eine noch die andere Sicht, sondern lässt authentisch miterleben, wie sich Freundschaften, Beziehungen und auch das eigene Leben im Laufe der Zeit verändert. Es ist weder ein feministisches Manifest der selbstbestimmten Frau, noch ein Urteil über den einen oder den anderen Weg. Im Gegenteil, an den Frauenfiguren werden ganz unterschiedliche Haltungen zum Thema Mutterschaft deutlich und auch was dies mit jenen Frauen tut, die sich dem gesellschaftlichen Diktat beugen und nicht ihrem Bauchgefühl folgen. Wunderbar unaufgeregt erzählt, ein heikles Thema mal nicht vom Extrem her betrachtet, sondern mit all seinen Facetten und widersprüchlichen Emotionen mitten aus dem Leben heraus.

Jørn Lier Horst – Wisting und der fensterlose Raum

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Jørn Lier Horst – Wisting und der fensterlose Raum

Kommissar William Wisting wird vom Generalstaatsanwalt zu einem vertraulichen Gespräch gebeten. In der Sommerhütte des kürzlich verstorbenen ehemaligen Außenministers Bernhard Clausen wurden Umzugskisten mit mehreren Millionen Kronen in Fremdwährung gefunden. Der Ermittler soll herausfinden, was es damit auf sich hat, bevor die Öffentlichkeit etwas davon erfährt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Mortensen und seiner Tochter Lina beginnt er die geheimen Ermittlungen. Schnell können sie Verbindungen herstellen zu einem Überfall auf einen Geldtransport, offenbar steht auch ein alter Vermisstenfall in Zusammenhang mit dem ehemaligen Minister, der nicht nur allseits beliebt, sondern auch völlig unbescholten war. Als die Hütte in Flammen aufgeht, kurz nachdem Wisting und sein Team alle wichtigen Dokumente herausgeholt haben, wird ihnen klar, dass es hier um eine deutlich größere Sache geht als zunächst vermutet.

Der zweite Fall der Cold Case Reihe für den norwegischen Ermittler führt ihn ebenso in die heiklen Kreise der Politik wie auch ins brutale Osloer Milieu, wo ein Menschenleben nicht viel zählt. Jørn Lier Horst bietet dabei wieder einmal einen ausgesprochen komplexen Fall mit mehreren Unterfällen, die langsam miteinander verwoben werden. Wie auch schon in anderen Fällen kombiniert er dabei geschickt klassische Polizeiarbeit mit der investigativen Arbeit der Journalistin Lina, was schön die Parallelen, aber auch Unterschiede aufzeigt.

Kommissar Wistings aktueller Fall hat mich restlos überzeugen können. Die Arbeit der Ermittler geht strategisch und logisch voran, sie sind nicht auf Kommissar Zufall angewiesen, sondern werten vorhandene Informationen systematisch aus und nähern sich so der Auflösung. Die Figuren erscheinen erfreulich authentisch, Jørn Lier Horst verzichtet auf die typischen Klischees bei deinem Team und dank Enkeltochter Amalie stören auch immer wieder ganz banale Alltagsprobleme wie gesicherte Kinderbetreuung oder Quengelei die Arbeit, was der Handlung seinen sympathisch normalen Touch verleiht.

Der Fall ist spannend angelegt und startet zunächst mit vielen vermeintlichen Sackgassen, was die Ermittler schon fast verzweifeln lässt. Doch dann – um Wistings Metapher zu verwenden – finden sich langsam die Schlüssel und Schlösser und Türen beginnen sich zu öffnen. Das Tempo steigert sich gegen Ende und aus dem sehr klassischen Cold Case wird ein unter hohem Zeitdruck geführter akuter Fall mit realer Bedrohung.

Für mich stimmt bei der Serie einfach alles, daher ganz eindeutig eine Leseempfehlung.

Lotta Elstad – Mittwoch also

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Lotta Elstad – Mittwoch also

Er ist sie ihren Freelancer-Job bei einer Zeitung los, dann trennt sich auch noch ihr Freund von ihr. Kurzerhand bucht Hedda einen Billigflug nach Athen, um dem tristen Osloer Alltag zu entkommen, auch wenn das ihre finanzielle Misere noch verschlimmert. In Griechenland kommt jedoch nur ihr Koffer an, sie selbst muss nach einem Notfallzwischenstopp in Sarajewo den Flieger verlassen und reist spontan per Bus nach Berlin. Dort hat sie mit Milo einen One-Night-Stand, der nicht mehr als eine Tinder-Bekanntschaft sein sollte. Doch wieder zu Hause muss sie feststellen, dass sie schwanger ist und dass das norwegische Gesundheitssystem inzwischen ordentlich Bedenkzeit vor eine mögliche Abtreibung stellt.

Der Roman beginnt in locker ironischem Ton, der Heddas unerwartet aufgeschobene Abtreibung schildert. An dieser Stelle kann man noch schmunzeln, auch wenn einem das Gefühl beschleicht, dass dies nicht ihr erster Arztbesuch mit diesem Anliegen ist.

„Oslo 2016: Alles, was ich früher gern gemacht habe, ist heute entweder unmöglich, moralisch verwerflich oder gesetzeswidrig. Inzwischen erntet man vorwurfsvolle Blicke. Inzwischen habe ich sogar schon mit dem Rauchen aufgehört – eine Investition in meinen Körper, wie es die Leute vom Gesundheitswesen im Wirtschaftsslang ausdrücken würden, und im Auftrag meines Körpers (denn den will ich auch zurückhaben) setze ich mich also ins Sprechzimmer des Arztes.“

Bald schon weicht die Sympathie, die man noch für die Frau hegt, die „kurzen Prozess“ mit ihrer Situation machen möchte, einer Irritation bis man sie irgendwann vollends mit Kopfschütteln betrachtet. Der Rückblick auf die Ereignisse, die sie letztlich in das Arztzimmer geführt haben, werden durchaus mit Humor und Selbstironie geschildert, bei dem Wissen jedoch, dass man es nicht mit einem unbedachten agierenden Teenager zu tun hat, sondern mit einer Akademikerin jenseits der 30 mit eigentlich verantwortungsvollem Job, lässt doch große Zweifel an ihrem Verstand aufkommen.

So wie Hedda sich kurzen Prozess mit dem ungewollten Kind wünscht – der letztlich dank Aloe Vera Saft erfolgreich in Gang gesetzt wird – muss man auch mit der Protagonistin abrechnen: verantwortungslos, dumm, naiv, unreif – es gibt gar nicht genug passende Adjektive, die die Bandbreite ihrer verstörenden Persönlichkeit beschreiben können.

Der Verlag bewirbt den Roman mit einem unaufgeregten Blick auf „weibliche Selbstbestimmung“ – die setzt aber auch die Übernahme von Verantwortung voraus und ist kein Freibrief für hirnloses Verhalten. Auch ist Hedda nicht „tough“ und „unabhängig“, sondern lebt gerade dankt ihrer geringen Voraussicht extrem prekär in jeder Hinsicht. Und Sympathien kann sie von mir sicher keine erwarten. Einzig der Erzählton der Autorin und die Neugier, welches Ende das Drama letztlich nimmt, haben mich davon abgehalten den Roman in die Ecke zu pfeffern – wo er ohne Frage hingehört.

Linn Ullmann – Die Unruhigen

Die Unruhigen von Linn Ullmann
Linn Ullmann – Die Unruhigen

Kann man Gefühle, Empfindungen und Erinnerungen in Worte fassen? Worte finden, die getreu das wiedergeben, was in einem drin ist? Die Erzählerin schreibt von ihrer Familie, episodenhaft, bruchstückhafte Erinnerungen versammelt sie in diesem Band. Erinnerungen an ihren Vater, mit dem sie kurz vor seinem Tod noch auf Band festhalten wollte, was ihnen wichtig war, doch das Projekt konnte nicht mehr vollendet werden. Es bleibt fragmentarisch, wie alle anderen Erinnerungen. Auch jene an die Mutter, als sie noch ein Kind war und mit ihr nach Amerika zog, von Kindermädchen betreut wurde und die große Einsamkeit aushalten musste. Als Kind von Künstlern, Lebemenschen, Freiheitsliebenden, fehlte ihr bisweilen Struktur und Verlässlichkeit, doch war da immer eine Liebe.

Linn Ullmanns fiktive Erzählung über eine Familie wurde in Norwegen und dem Rest Skandinaviens mit großer Begeisterung aufgenommen und erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Nominierungen für angesehene Preise. Der Roman ist gewagt, folgt er doch keinem bekannten Schema, sondern löst sich ganz im Sinne der Figuren von starren Vorgaben und festgefahrenen Konventionen. Weder bleibt er innerhalb fester Genregrenzen noch gibt es eine chronologisch erkennbare Struktur. So wie auch Gedanken hin- und herspringen, wird auch die Geschichte dieser Familie erzählt, die aus kleinen und großen Mosaiksteinen zusammengesetzt werden muss.

Ohne Frage kann Linn Ullmann erzählen und Figuren vor dem inneren Auge auferstehen und geradezu real werden lassen. Ihre Dialoge wirken authentisch, die Figurenzeichnung ebenso, man fragt sich sogar bisweilen, ob es sich hier wirklich um Fiktion handelt oder ob nicht doch eine reale Geschichte niedergeschrieben wurde, so überzeugend wird die Interaktion von Kind und Eltern dargeboten.

Allerdings konnte mich der Roman nicht wirklich packen. Die innovative Struktur war es vermutlich, die genau das vermissen ließ, was ich an Romanen schätze: die inhärente Logik und das Gerüst, das die Handlung einrahmt und leitet. Mir blieb vieles zu fragmentarisch, zu wenig konnte ich die Entwicklung des Mädchens hin zur Frau nachvollziehen, zu groß die zeitlichen Lücken in der Erzählung, um durchdacht und nachvollziehbar zu wirken. Dies lässt mich etwas unbefriedigt zurück. Der Stream of Consciousness, dem sich die Erzählung über weite Teile hingibt, ist keine Erzählform, der ich leicht folgen kann, zwar wirkt vieles hierdurch lebendiger und authentischer, aber es führt auch zu Abschweifungen, Längen, Nebensächlichkeiten, die mir zu viel Geradlinigkeit in der Handlungsführung vermissen lassen.

Gunnhild Øyehaug – Wait, Blink

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Gunnhild Øyehaug – Wait, Blink

It is a random and unexpected encounter that brings the student Sigrid and the author she has been admiring for years together. They are mutually attracted immediately and in a café try to get closer without revealing too much of them at first. Trine, however, is ready to reveal a lot as a performance artist who works with her body. But she is struggling with being a mother. Another couple is somehow trying to imitate a film scene which is originally set in Paris but transferred to Copenhagen by the director Linnea. It is just a short glance at their lives, but we see the decisive moment that has to potential to transform everything.

I was eager to read “Wait, Blink” since I usually like the Scandinavian way of telling stories. However, I couldn’t really get into the novel. I assume this is due to the fact that there is not one story, but several quite independent stories are told alternatingly and I was always waiting for the moment in which they connect and form a whole which I didn’t really find.

The scenes about Trine were hardest for me since this character is quite unique and I could hardly follow her thoughts and actions. I liked Linnea and her idea of reproducing “Before Sunrise” – “Before Sunset” in her own life. Sigrid is not really a sympathetic character, but I could link with her thoughts and her struggle to appear as a strong and independent woman while she is actually insecure and afraid of human beings.

Even though the content did not really convince me, I adored Gunnhild Øyehaug’s style of writing. She has found an exceptional tone for her narration and the way of the narrator to talk to you as the reader like he was a good friend and his slightly ironic undertone were great to read. Øyehaug shows what she is capable of and I am looking forward for another novel by her.

Jo Nesbø – The Snowman

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Jo Nesbø – The Snowman

Es ist relativ ruhig in Oslo als zwei vermisste Frauen die Aufmerksamkeit von Harry Hole wecken. Ein anonymer Brief, den er wenige Wochen zuvor erhalten hat, ließ ihn damals noch etwas ratlos zurück, doch jetzt fürchtet er, dass ein Serienkiller am Werk sein könnte. Außer seinem Team ist niemand so recht von der Idee überzeugt, aber vor allem Katrine Bratt, die Neue, findet schnell weitere Hinweise, die diese These stützen. Gemeinsam haben die ungeklärten Fälle immer eine Sache: am Tag des ersten Schneefalls wird eine Frau Opfer und immer findet sich in der Nähe des Tatorts ein Schneemann. Die fieberhafte Suche nach dem Täter beginnt, doch das Team ahnt nicht, in welche Richtung die Ermittlungen führen werden.

Band 7 der Reihe um den norwegischen Kriminalkommissar Harry Hole erfüllt einmal mehr alle Erwartungen: ein komplexer Fall, ein interessanter Protagonist, eine gelungene Mischung von Kriminalfall und persönlichem Schicksal. Hole ist gerade trocken und dabei sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen, als er mit diesem Fall konfrontiert wird, aber die Geister der Vergangenheit lauern an jeder Ecke, was ihn zugleich beruflich wie privat an seine Grenzen bringt.

Was mich einmal mehr bei Jo Nesbø überzeugen kann, ist die Atmosphäre, in der er seinen Roman ansiedelt. Der norwegische Winter spielt im „Snowman“ eine entscheidende Rolle und dringt auch zum Leser durch. Die Kälte, die man zu dieser Jahreszeit vermutet wird gepaart mit jener, die durch den Grusel vor den Taten entsteht. Dazu ist der Autor ein Meister im Spuren legen und lesen, so manches, was man nebenbei überlesen könnte, stellt sich hinterher als wesentliches Element heraus, man ist gefordert als Leser und wird dafür bestens unterhalten.