Trent Dalton – Der Junge, der das Universum verschlang

Trent Dalton – Der Junge, der das Universum verschlang

Was für andere hochgradig seltsam erscheinen mag, ist für den 12-jährigen Eli Bell Anfang der 1980er Jahre im australischen Brisbane einfach das normale Leben. Sein Bruder Gus spricht nicht, seine Mutter und ihr Freund dealen mit Heroin und der berühmteste Verbrecher des Landes ist sein Babysitter. Eli träumt davon, eines Tages Reporter bei der Zeitung zu sein und unablässig hinterfragt er alles, was ihm in seinem Leben begegnet. Als sich jedoch sein Stiefvater Lyle mit dem Drogenkartell anlegt und versucht, lukrative Nebenschäfte an diesen vorbei zu organisieren, bricht für die ungewöhnliche Familie alles zusammen. Aber das hält den Jungen nicht davon ab, tapfer weiter seinen Weg zu gehen. Er weiß, dass die Wahrheit über das, was mit Lyle geschehen ist, irgendwann ans Licht kommen wird und auch wenn die Jahre vergehen, bleibt er an seiner ganz eigenen Story.

Der Autor Trent Dalton berichtete in einem Interview, dass es hinter dem Wandschrank seines Kinderzimmers eines geheimen Raum mit einem roten Telefon gab. Der Escape Room seiner Familie ist der Ausgangspunkt für sein Erstlingswerk, das noch mehr Parallelen zu seiner Vita aufweist und von Dalton selbst als halb Fiktion, halb Realität bezeichnet wird. Es ist eine coming-of-age Geschichte, ein Kriminalroman und eine Milieustudie, die ein Leben am unteren Ende der Gesellschaft nicht beschönigt. In seiner Heimat wurde Dalton mit allen vier großen literarischen Preisen ausgezeichnet und wurde auch beim Publikum zu einem Verkaufsschlager.

Es gibt quasi keine Facette des Lebens, die in dem Roman nicht eher oder später aufgegriffen wird. Drogen und Gewalt bilden den Hintergrund, vor dem die Geschichte erzählt wird. So drastisch das Milieu, in dem Eli und Gus aufwachsen, auch geschildert wird, so vielschichtiges ist dieses jedoch auch. Gerade an der Figur Arthur „Slim“ Halliday zeigt sich, dass ein notorischer Verbrecher nicht zwingend nur böse ist, von ihm lernt Eli die wichtigsten Lektionen in seinem Leben. Seine geradezu philosophischen Fragen nach dem Guten und Bösen durchziehen den Roman wie ein roter Faden. Auch Gus ist alles andere als gewöhnlich, sein Mutismus gekoppelt mit einer Savant-gleichen Vorsehungsgabe passt sich jedoch völlig natürlich in die Geschichte ein.

Ungläubig folgt man der Handlung, die in rasantem Tempo die Jugendjahre Elis durchläuft und unglaubliche Episoden schildert, die so fern jedes Durchschnittslebens sind, dass es mir bisweilen nicht ganz leicht fiel, sie nicht für gänzlich übertrieben und fragwürdig zu halten. Der Erzählton passte zwar hervorragend zu dem jungen Protagonisten, ist in seiner lakonischen Art auch unterhaltsam, aber so wirklich konnte mich der Roman nicht erreichen.

Wolfgang Franßen – Mado

Wolfgang Franßen – Mado

Mado ist die rebellische Tochter einer rebellischen Tochter einer selbstbewussten, unabhängigen Frau. Sturheit und Eigensinn ziehen sich durch die Familie und werden von einer an die nächste Generation weitergegeben. Nichtsdestotrotz gilt jedoch im Notfall: Blut ist dicker als Wasser und wenn eine Hilfe braucht, sind die anderen da, ohne Wenn und Aber. Mado ist in so einer Situation. Nachdem sie ihren Freund erschlagen hat, ist sie aus Paris zurück in die bretonische Heimat geflüchtet, wo sie Zuflucht bei der Oma sucht. Diese verspricht, sich um das Malheur zu kümmern. Schnell merkt Mado jedoch, dass sie sogleich wieder von all dem eingeholt wird, das sie schon hinter sich gelassen glaubte: die Kneipe der Mutter, die Streitigkeiten mit ihrer Schwester Verelle, die Langeweile, die sie in die Arme von Thierry treibt, und die Geldnot, die ein besseres Leben verhindert. Für die 25-Jährige steht jedoch fest: sie lässt sich nicht mehr unterkriegen und wird sich gegen die Widrigkeiten des Lebens wehren.

„Ihre Großmutter hatte im Gefängnis gesessen. Ihre Mutter war eine Hure. Ihre Schwester eine Nonne. Sie eine Mörderin. Eine perfekte Familie.“

Der Verleger Wolfgang Franßen schreibt in seinem gleichnamigen Roman die Geschichte einer jungen Frau, der wenig im Leben geschenkt wurde. Die Mutter betreibt eine Kneipe auf dem Land, schon der Ruf der Großmutter war zweifelhaft und so hält die Zukunft auch für Mado wenig Hoffnung bereit. Bleibt also nur die Flucht nach vorne in die schillernde Hauptstadt, in der Provinz nichts zu haben, ist genauso gut wie in Paris nichts haben, also bleibt nichts zu verlieren.

„Ihr stand eine Nacht voller Selbstmitleid, Prahlerei und hartem Sex bevor, in der es nur darauf ankam, wie lange er durchhielt. Am besten, sie schloss sich gleich im Bad ein.“

Häufig verlaufen die Erfahrungen zyklisch und so erlebt auch Mado das, was sie schon kennt: Gewalt, insbesondere gegen Frauen. Das haben ihre Mutter und Großmutter auch schon hinter sich gebracht und es folgt einer gewissen Logik, dass auch Mado – wie später auch ihre Schwester Verelle – auf misogyne Männer trifft, die in ihr keine gleichberechtigte Partnerin, sondern eine nützliche Freizeitbeschäftigung sehen.

„Mado was fünfundzwanzig und von ihrer Großmutter nicht dazu erzogen worden, einen Herd zu bewachen.“

Mado versucht dies zu durchbrechen, zumindest ausreichend Willensstärke wurde ihr mitgegeben, die Lösung, die sie dafür wählt, ist jedoch mehr so semioptimal, weshalb sie genau dahin zurückkehrt, woher sie kam. Damit geht sie auch zurück auf Start, denn nichts hat sich für sie verändert.

Der Roman hinterlässt zwiespältige Gefühle. Einerseits sieht man, wie die Frauen der Familie Kaaris ihren Kopf haben und sich nicht unterkriegen lassen, zusammenhalten und pragmatisch tun, was getan werden muss. Andererseits kommen sie aus der Gewaltspirale und dem Leben am Rand der Gesellschaft nicht heraus. Mado hat Träume und ein verdammtes Recht auf ein bisschen Glück – nur irgendwie hat das noch keiner dem Schicksal erklärt.

Ein Milieuroman, der nah an seiner Protagonistin ist, die mir mit all ihrer Störrigkeit und Wut – und bisweilen auch der derben Sprache und dem durchaus grenzwertigen Verhalten – dennoch gut gefallen hat, gerade weil sie so ist, wie sie ist.

Deniz Ohde – Streulicht

Deniz Ohde – Streulicht

Am Rande des Industrieparks, der Säure in die Luft pustet und klebrigen Schnee produziert, wächst die Ich-Erzählerin auf. Mit ihren Freunden Pikka und Sophie besucht sie das Gymnasium, glaubt dort so sein zu können wie diese, doch hinter der Tür der elterlichen Wohnung ist vieles anders. Vater wie Großvater trinken zu viel, wollen keine Veränderung und herrschen ruppig über den Haushalt. Die Mutter, die einst aus der Türkei in ein vermeintlich besseres Leben geflüchtet war, akzeptiert dies stumm, bis es nicht mehr geht. Kein Umfeld für eine vielversprechende Zukunft und so kommt es auch: die Versetzung gescheitert, das Gymnasium Vergangenheit. Warum noch kämpfen, wenn der Ausgang doch ohnehin schon gewiss ist?

In Deniz Ohdes Debütroman verarbeitet die Autorin gleich zwei Erfahrungen, die sowohl unsere Gesellschaft wie auch das Bildungswesen prägen: Als Arbeiterkind fehlt ihr der Zugang zum notwendigen Habitus, der Voraussetzung für den Bildungserfolg ist, als Tochter einer türkisch-stämmigen Mutter verleugnet sie zunächst den offenkundigen ausländischen Namen, der sie ebenfalls stigmatisiert und in eine Schublade steckt, auf der sicher nicht Bildungsaufsteiger steht. Sie hat nie gelernt, für sich zu sprechen, Widerstand gegen erfahrenes Unrecht zu leisten und muss so den schweren Weg nehmen.

Gewalt kennt viele Formen. Die Erzählerin erlebt sie auf vielfältige Weise: verbal, psychisch, physisch. Angst und Sprachlosigkeit sind die Folgen, die sie über viele Jahre lähmen und ihr jedes Selbstvertrauen rauben. So trist die Umgebung in der Nähe des grauen und lärmenden Industrieparks, der nur noch von den unzähligen Flugzeugen übertrumpft wird, so traurig auch das Elternhaus in jeder Hinsicht. Sie lernt früh, unsichtbar und unhörbar zu werden, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Mutter keine Verbündete, kämpft diese noch mit der eigenen Befreiung, die ihr mit der Flucht aus der Heimat vermeintlich schon gelungen war, nur um sie in eine neue, andere Gefangenschaft zu bringen.

Symbolisch zwei Szenen für einerseits die Leere, in der sie schwebt, und andererseits die vermeintlichen Freunde, die an ihrer Seite stehen. Bei einem Aufsatz zum Thema Identität fällt ihr nichts ein. Sie weiß nicht, wer sie eigentlich ist, was sie ausmacht, ebenso wenig wo sie hin will. Trotz hervorragender Zensuren traut ihr die Freundin Sophie, mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, reit- und Ballettstunden gesegnet, nicht zu, das Abitur zu schaffen. Obwohl sie ihr Wissen unter Beweis stellt, bleiben immer Zweifel, wird dies als nur zufällig oder vorläufig anerkannt. Sie passt nicht in das Bild und immer wieder finden sich fadenscheinige Gründe, sie wieder beiseite zu schieben.

Es ist kein Roman von Emanzipierung; bei der Rückkehr in die elterliche Wohnung wird sie trotz inzwischen vorhandenem Studienabschluss wieder zu dem unscheinbaren Mädchen, das nichts kann und nichts zählt. Tief haben sich die Erfahrungen aus dem Kindesalter eingeschnitten und Narben verursacht, die sich nicht kaschieren lassen. Ein atmosphärisch düsterer Roman, der ohne plakative Gewaltexzesse doch verdeutlicht, wie grausam ein Leben in Deutschland verlaufen kann. Inhaltlich sicherlich ein würdiger Kandidat für den diesjährigen Deutschen Buchpreis.

Sibylle Berg – GRM. Brainfuck

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Sibylle Berg – GRM. Brainfuck

England nach dem Brexit. Der Klimakollaps hat das Land noch nicht eingeholt, das ist aber auch die einzige Katastrophe, die nicht über das Königreich hereingebrochen ist. Die Armen werden ärmer, die Reichen werden reicher, die Kinder und Jugendlichen sind chronisch vernachlässigt bis misshandelt, die Bevölkerung wird totalüberwacht, das Gesundheitssystem am Ende, Arbeit gibt es kaum mehr, die Computer mit ihren Algorithmen haben die Kontrolle übernommen. Vier Jugendliche, fast noch Kinder, schließen sich zusammen zu einer Zweckgemeinschaft, einem Familienersatz, und suchen nach dem Glück, das die Erwachsenen ihnen sicher nicht bieten können.

Sibylle Berg ist als Autorin bekannt, die vor harten Themen nicht zurückschreckt und mit scharfem Ton den Finger in Wunden zu legen weiß. Auch „GRM“ besticht durch eine bisweilen geradezu brutale Sprache, die nichts beschönigt, wo es nichts mehr zu beschönigen gibt, sondern die harten Wahrheiten beim Namen nennt. Die Begründung der Jury des Schweizer Buchpreises 2019 bringt schon so ziemlich alles auf den Punkt, was es zu dem Roman zu sagen gibt:

„In ihrem Roman «GRM» treibt Sibylle Berg den entfesselten Neoliberalismus auf die Spitze und attackiert eine moralisch verkommene Zwei-Klassen-Gesellschaft mit ihrer eigenen entfesselten Fantasie. Dieser Entwicklungsroman ist eine Mind Bomb von emotionaler Wucht.“

Die Geschichte befindet sich irgendwo zwischen Dystopie und beißender Satire und ist aufgrund des harten Tones, der zur Handlung hervorragend passt, keine leichte Lektüre. Die schlimmsten Auswüchse einer Gesellschaft treibt Berg einfach noch ein bisschen weiter: noch mehr Überwachung, noch mehr Gewalt (die nun auch gar niemanden mehr zu interessieren scheint), noch mehr Drogenrausch. Das Männer- und Frauenbild bewegt sich indes rückwärts und wird letztlich nur noch reduziert auf die Dichotomie „er bestimmt-sie untergibt sich“.

„Auch Rochdale wurde unerfreulich. Immer mehr Menschen bewaffneten sich, täglich gab es Schlägereien. Schwule wagten sich nach Einbruch der Dämmerung nicht mehr auf die Straßen, Frauen dito. Aber das nur am Rande, am Rande der Welt, die in eine neue Phase der Widerwärtigkeit taumelte. Ja, es ging allen besser.”

So bösartig und zynisch die Figurensteckbriefe erscheinen, reduziert und zugespitzt auf den Punkt, so sehr wachsen einem die vier Jugendlichen ans Herz.

„Die Kinder gehörten zur neu definierten Generation Z. Das Ende des Alphabets. Das Ende der Nahrungskette, gut erforscht, um Produkte besser verkaufen zu können. Sie waren die zweite Welle von Digital Natives. Körperlich verbunden mit digitaler Technologie, waren sie in Ermangelung irgendeiner Perspektive zur Darsteller-Generation geworden.”

Don, Peter, Hannah und Karen sind alle auf ihre Weise Außenseiter, von ihren Familien vergessen, von der Welt gemieden haben sie nur noch sich.

Ein Roman, der an die Substanz geht und doch in all seiner Drastik notwendig ist, damit niemand sagen kann, man hätte es ja nicht vorher wissen können. Für mich an mancher Stelle etwas zu viel, aber vermutlich hat es genau das gebraucht: ein Milieu, über das man nicht lesen will; Gewalt, die man nicht ertragen kann; eine Politik, die jede Menschlichkeit verloren zu haben scheint.

Volker Kutscher – Der nasse Fisch

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April 1929, Gereon Rath ist gerade von Köln in die Hauptstadt gezogen; statt im Morddezernat muss er jetzt allerdings in der Sitte seinen Dienst schieben, was ihn jedoch nicht daran hindert, privat in dem Fall um den unbekannten Toten vom Landwehrkanal zu ermitteln. Schnell stößt er auf eine Spur, sein Zimmernachbar, ein Journalist, kommt ihm dabei zu Hilfe. Doch seine Ermittlungen werden nicht nur von der Unterwelt ungern gesehen, stört er doch erheblich die Ruhe, sondern auch bei der Polizei selbst macht er sich damit Feinde. Dass er zudem der Stenotypistin und Jurastudentin Charlie Ritter Avancen macht, stößt den Kollegen ebenfalls auf.

Volker Kutschers Auftakt zu Serie um Kommissar Gereon Rath verbindet gleich mehrere Themen miteinander: die politisch fragile Lage Ende der 1920er, das berühmt-berüchtigte Berliner Nachtleben der Roaring Twenties, Korruption in der Polizei und beste Verbindungen ins Milieu – wenig läuft in geordneten Bahnen und wer erfolgreich ermitteln will, muss sich unkonventioneller Methoden bedienen und unerschrocken sein Ziel verfolgen.

Parallel zur Verfilmung unter dem Titel „Babylon Berlin“ wurde in Zusammenarbeit von Radio Bremen, WDR und RBB auch eine Hörspielversion des Romans produziert und unter anderem mit Ulrich Noethen, Peter Lohmeyer, Meret Becker und Uwe Ochsenknecht prominent und überzeugend besetzt.

Die Handlung überzeugt durch komplexe Verwicklungen, ein authentisches Setting und vor allem zwei starke Protagonisten. Die Umsetzung als langes Hörspiel von fast vier Stunden konnte mich ebenfalls direkt begeistern. Die Sprecher sind hervorragend besetzt und die Ausgestaltung, insbesondere die musikalische Untermalung von Verena Guido und dem WDR Funkausorchester, könnte besser kaum sein. Nachdem ich die Verfilmung nach nur wenigen Minuten wieder aufgegeben habe, weil sie mir doch zu trostlos und wenig ansprechend erschien, hätte ich beim Hörspiel noch viele weitere Stunden zuhören können. In der ARD Mediathek sind die Folgen aktuell noch abrufbar.

Russel D. McLean – Ed‘s Dead

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Russel D. McLean – Ed‘s Dead

Jen Carter führt eigentlich ein recht ruhiges Leben, gelegentlich, nein, eher meistens ist sie zwar genervt von den Kunden, die in der Glasgower Buchhandlung, in der sie arbeitet, dumme Fragen stellen, aber insgesamt passt das alles. Ihr Freund Ed hingegen hat nun endgültig das Maß überspannt als er sie in seine Drogendeals verwickelt, weshalb sie ihm unmissverständlich das Ende der Beziehung erklärt. Nur wenige Tage später überrascht sie in ihrer Wohnung einen vermeintlichen Einbrecher, mit einem Messer bewaffnet setzt sie sich zur Wehr – und bringt Ed dabei versehentlich um. Statt der Polizei ruft sie Eds Mitbewohner Dave an, der sich um die Beseitigung der Leiche kümmert. Doch was wollte Ed eigentlich in ihrer Wohnung? Die Frage ist schnell beantwortet, als Jen ihren Wandschrank genauer untersucht: dort hatte Ed seine Einkünfte und Vorräte gelagert. Im Verbrechen vereint, teilen Dave und Jen die Hinterlassenschaften, nicht ahnend, welche Folgen das für sie haben wird.

Russel D. McLean arbeitete mehrere Jahre als Buchhändler im schottischen Dundee, bevor er zu schreiben begann. In seiner Reihe um den Ermittler McNee sind bereits fünf Bände erschienen, darüber hinaus gibt es mehrere Standalones, die alle in seiner Heimat spielen und sehr viel Lokalkolorit aufweisen, wie auch die Geschichte um Jen Carter.

Die Protagonistin trägt die Handlung locker. Jen ist nicht auf den Mund gefallen, was der Geschichte neben der Krimihandlung auch immer wieder eine Menge Komik verleiht. Dass sie sich von der braven Buchhändlerin zur meist gesuchten Mörderin Schottlands entwickelt, ist zwar etwas ungewöhnlich und sicher nicht ganz glaubwürdig, aber durchaus nachvollziehbar durch den Plot motiviert. Jen plant ihr Handeln nicht, sondern schlittert tatsächlich von einer Katastrophe in die nächste. Schmankerl am Rande sind ihre wiederholten Vergleiche mit literarischen Figuren und bekannten Romanen, die auch die Kapitelüberschriften liefern und so ihr Profil als Leseratte unterstreichen.

Neben der toughen Hauptfigur konnte mich der Autor vor allem mit seinem lockeren und ironischen Ton schnell packen. Viel Situationskomik und Wortwitz lassen einem immer wieder schmunzeln und gerade die weniger repräsentativen Ecken Glasgows hat McLean clever mit eingebaut und verleiht dem Roman so ein eigenes Flair. Gelungene Mischung aus Krimi und Komik, die nicht ganz ernstzunehmen ist.

Emelie Schepp – Weißer Schlaf

Weisser Schlaf von Emelie Schepp
Emelie Schepp – Weißer Schlaf

Es ist ihre einzige Chance etwas Geld zu verdienen und man hat ihnen versichert, dass sie in wenigen Tagen wieder zurück sein werden. Also schlucken die beiden thailändischen Mädchen die Pillen und steigen in den Flieger nach Europa. Doch noch bevor sie ihr eigentliches Ziel erreichen, ist eine von ihnen durch die Drogen gestorben und liegt nun tot in einem Zugabteil im Bahnhof von Norrköping, die andere kann sich davonschleichen und die Kontaktperson treffen. Was nach einem Fall von internationalem Drogenhandel aussieht, wird die schwedische Polizei noch vor weitere Rätsel stellen, denn bald darauf wird ein junger Mann ermordet in seiner Wohnung gefunden, er hatte offenbar ebenfalls Kontakt ins Milieu und weitere Spuren weisen nicht nur auf eine neue Macht in der Drogenszene hin, sondern auch auf eine mysteriöse Frau, die so gar nicht in das Bild passen will. Die Staatsanwältin Jana Berzelius weiß, wer die Unbekannte ist: sie selbst. Denn sie verfolgt neben den offiziellen Fällen auch noch eine ganz persönliche Agenda.

Emelie Schepps Thriller „Weißer Schlaf“ ist der zweite in der Reihe um die Staatsanwältin Jana Berzelius; drei Bände sind bislang in deutscher Übersetzung erschienen, der vierte ist für Herbst 2018 angekündigt. Die Autorin hat für ihre Romane den renommierten schwedischen Crime Time Specsaves Reader’s Choice Award gleich zweimal hintereinander gewonnen, 2016 und 2017 wurde sie zur beliebtesten Krimiautorin Schwedens gewählt, eine hohe Auszeichnung bedenkt man die Konkurrenz im eigenen Land.

Der Thriller erfüllt alle Erwartungen: eine komplexe Geschichte, die zunehmend weitere Facetten bekommt und vom Leser höchste Konzentration erfordert, um keines der unzähligen Details zu übersehen. Dazu das passende Setting im schwedischen Winter, der schnell die Sonne untergehen und mit Massen an Schnee und klirrender Kälte den Aufenthalt im Freien rasch zur Gefahr werden lässt.

Am entscheidendsten ist jedoch in der Reihe die Protagonistin Jana Berzelius, die gleichermaßen intelligent und souverän in ihrer Funktion als Staatsanwältin erscheint, andererseits aber auch mysteriös und undurchschaubar bezogen auf ihr Privatleben und ihre Vorgeschichte. Im zweiten Band erhellt sich einiges um ihre Kindheit, doch immer noch bleibt die Frage offen, wer sie eigentlich ist. Die Rolle ihres Mentors und Stiefvaters wird geklärt, aber welches Trauma sie erlitten an, an das sie sich auch nicht erinnern kann, liegt weiterhin im Dunkeln. Die Figur überrascht immer wieder, vereint sie die klassisch gute wie auch die böse Seite miteinander, zeigt sich gesetzestreu und entschlossen die Recht der Schwachen zu verteidigen, um im nächsten Moment nach eigenen Regeln zu spielen. Eine ungewöhnliche Konstruktion, die jedoch keineswegs unglaubwürdig erscheint, sondern einen eigenen Reiz hat.

Alles in allem eine Story, die überzeugend konstruiert wurde, mit immer neuen Fakten unerwartete Richtungen aufnimmt und im Laufe der Handlung auch immer mehr den notwendigen Thrill aufweist. Ich bin kein Freund von Cliffhangern, in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um eine Reihe handelt, die stark an die Protagonistin geknüpft ihr, sei dies verziehen.