Dave Eggers – Every

Dave Eggers – Every

Nachdem die Firma Circle schon weite Teile des Internets beherrschte, hat sie sich mit dem Aufkauf eines online Versandhauses, das nach einem südamerikanischen Dschungel benannt war, auch den Konsummarkt gesichert. Unter dem Namen „Every“ kontrolliert Mae Holland nun weite Teile des Alltags der Menschen. Delaney Wells hat viel dafür getan, um bei Every angestellt zu werden, doch weniger, weil sie von dem Unternehmen fasziniert wäre, sondern weil sie Rache nehmen möchte. Von außen ist der Konzern zu mächtig, um ihm zu schaden, das kann nur aus dem Innersten gelingen. Mit ihrem Mitbewohner Wes entwickelt sie eine Strategie: mit immer absurderen Vorschlägen für Apps wollen sie den Menschen die Augen öffnen, doch ihre Idee fruchtet nicht. Statt sich angewidert abzuwenden, nehmen die Nutzer die immer weiterreichenden Einschränkungen begeistert auf und sind gerne bereit, immer mehr Freiheiten aufzugeben. Sie müssen also noch weiter gehen.

Mit großer Faszination hatte ich vor einigen Jahren „The Circle“ gelesen und trotz der etwas flachen Protagonistin konnte mich die Idee des Romans begeistern. Nun legt Dave Eggers den Gegenentwurf, die Zerstörung seiner eigenen Schöpfung, vor. Mit Delaney hat er eine clevere und mutige Figur geschaffen, die konsequent ihr Ziel verfolgt, das auch glaubwürdig motiviert ist, die Umsetzung jedoch bleibt für mich hinter den Erwartungen zurück. Dies liegt vor allem an vielen Längen, die die Handlung nicht voranbringen und der Vorhersehbarkeit der Entwicklungen, hier hätte ich mir mehr Überraschungen gewünscht.

Delaneys Ansatz, immer absurdere Vorschläge zu machen, die die Menschen kontrollieren – welche Worte verwenden sie, wie gut gelingen die Interaktionen mit anderen, wie gute „Freunde“ sind sie wirklich bis hin zu vollständigen Überwachung des Lebens – treiben aktuelle Entwicklungen immer weiter. Die Argumentationsstruktur von Every überzeugt: all dies dient der eigenen Sicherheit und Kontrolle. Wessen Sprache permanent überwacht wird, wird sich bemühen „korrekt“ und rücksichtsvoll zu sprechen und so wird die Welt ein bisschen besser. Die Bodycams zeichnen alles auf, weshalb man auch die kleinen Verfehlungen des Alltags sichtbar macht und sie so nach und nach einstellt. Alle werden zu besseren Menschen. Ein rücksichtsvoller Umgang miteinander, Reduzierung von Gewalttaten und auch noch der Schutz der Umwelt – wer kann sich dem ernsthaft verweigern?

Eggers geht einfach einen Schritt weiter und zeigt schön, wie leicht die Fallen eigentlich zu entdecken wären, in die die Figuren tappen. Jedoch, sie wollen das, denn das Leben wird leichter, wenn einem Entscheidungen abgenommen werden und Ordnung und Struktur herrscht. Nichts ist anstrengender, als selbst zu denken, weshalb man das großzügig an Every abgibt. So überzeugend dieser Aspekt ist, es hätten ein paar Erfindungen weniger sein dürfen, denn die 20. App bringt die Handlung irgendwann auch nicht mehr weiter.

Eine kleine Gruppe von Verweigerern versucht sich all dem zu widersetzen, Anarchisten, die mit ihren Mitteln in den Kampf ziehen, ebenso wie ein paar Intellektuelle, die jedoch nicht gehört werden. Auch Delaneys Freund Wes und seine Entwicklung im Laufe der Handlung bleibt für mich zu plakativ und einfallslos, Eggers kann definitiv mehr als abgenutzte Versatzstücke zu verwenden.

Die Idee überzeugt, auch die Protagonistin ist gelungen, aber der Autor hätte für mein Empfinden mehr daraus machen können. Einzelne Szenen – der Ausflug zu den Robben und die Folgen – sind herrlich, auch das Offenlegen der heuchlerischen Argumente ist gut umgesetzt. Viele Längen und eine doch recht absehbare Entwicklung schlagen jedoch auf der negativen Seite zu Buche.

Katrine Engberg – Das Nest

Katrine Engberg – Das Nest

Ein Teenager, der am Wochenende nicht nach Hause kommt. Grund zur Beunruhigung oder völlig normales Verhalten? Oscars Eltern sind besorgt, zwei Jahre zuvor waren die Inhaber eines erfolgreichen Auktionshauses schon einmal bedroht worden und ein mysteriöser Brief lässt sich nur schwer deuten. Jeppe Kørner und Anette Werner begeben sich auf die Suche, unsicher, was sie von den Eltern mit seltsamen Erziehungsansichten halten sollen. Als in einer Müllverbrennungsanlage eine Leiche auftaucht, befürchten sie Schlimmstes, doch der Fall ist viel komplexer als sie anfangs vermuten.

Bereits zum vierten Mal lässt Katrine Engberg ihr Ermittlerduo in Kopenhagen auf Verbrecherjagd gehen. Neben dem undurchschaubaren Fall geraten beide auch in emotionale Verwirrungen und stellen ihre Beziehungen in Frage. Mit jedem Band gewinnen Jeppe und Anette an Facetten hinzu ohne dabei in bekannte und schon abgedroschene Schemata zu passen. Menschliche Schwächen lassen sie authentisch wirken ohne dabei auf Kosten der Spannung zu gehen.

Der Fall wird ist clever konstruiert und schon zu Beginn schickt sie die Leser geschickt auf eine falsche Fährte, die sich zwar rasch auflöst, aber nur um durch weitere Fragezeichen ersetzt zu werden. Es ist nicht das eine Motiv, die eine Tat, die die Geschichte antreibt, es sind niedere menschliche Instinkte, Ursünden, denen gleich mehrere Figuren verfallen und denen sie sich ergeben, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, wer die Opfer ihrer Taten sein werden.

Es braucht keine detaillierten Beschreibungen von brutaler Gewalt, um das alltägliche Grauen, das sich hinter hübschen Fassaden versteckt, zu visualisieren. Katrine Engberg nutzt das alltägliche Grauen, das so naheliegt und von dem man sich kaum distanzieren kann, um die Spannung zu erzeugen und den Leser zu erschüttern. Dies gelingt ihr auch in diesem Band fraglos hervorragend.

Peter Mohlin/Peter Nyström – Der andere Sohn

Peter Mohlin/Peter Nyström – Der andere Sohn

Nach einem gefährlichen Einsatz gegen ein Drogenkartell muss John Adderley durch das FBI-Zeugenschutzprogramm eine neue Identität erhalten. Er bittet darum, nach Schweden versetzt zu werden, das Land, in dem er die ersten 12 Jahre seines Lebens verbracht hat. Widerstrebend stimmen seine Vorgesetzten zu, da sonst der Prozess platzen würde. Es ist jedoch keine Nostalgie, die ihn zurücktreibt, seine Mutter bittet um seine Hilfe. 10 Jahre zuvor wurde sein Halbbruder des Mordes an der Erbin eines Klamottenimperiums beschuldigt, aus Mangel an Beweisen jedoch wieder freigelassen. Nun wird der Fall erneut aufgerollt und die Mutter fürchtet, dass es wieder keine fairen Ermittlungen gibt. John wird in das Ermittlungsteam eingeschleust und kann bald nicht nur die Leiche finden, sondern auch nachweisen, dass es Manipulationen bei den Ermittlungen gab. Offenbar sitzt der Täter in den Reihen der Polizisten.

Das Autorenteam Mohlin/Nyström kennt sich bereits seit Kindheitstagen und hat mit „Der andere Sohn“ nun zum ersten Mal gemeinsam einen Kriminalroman verfasst, den Auftakt einer Reihe, die in der schwedischen Stadt Karlstad angesiedelt ist. Die Geschichte liefert genau das, was man von skandinavischer Spannungsliteratur gewohnt ist: eine sauber gestrickte, komplexe Handlung, die jedoch auch Raum lässt, um einen Blick in die Gesellschaft und kulturellen Eigenheiten zu gewähren.  Der Protagonist John nimmt dabei eine interessante Zwischenposition ein: weitgehend in den USA sozialisiert und beruflich durch die Arbeit beim FBI geprägt, spricht er zwar die Sprache seiner neuen Kollegen, hadert jedoch mit so mancher Eigentümlichkeit, an die er sich nur schwer gewöhnen kann.

Was geschah mit Emelie in der Nacht vor 10 Jahren? Und wo ist die Leiche der jungen Frau? Nach einer Party wollte sie noch einen mysteriösen Mann treffen, doch ihre Spur verliert sich, das letzte Lebenszeichen ist eine große Menge Blut an einem Felsen, ganz in der Nähe finden sich Spermaspuren, die zu Johns Halbbruder führen. Doch dieser leugnet die Tat und auch die junge Frau gekannt zu haben. Sobald John sich näher mit ihr befasst, zeigt sich, dass die Studentin zwei ganz unterschiedliche Seiten hatte, die offenbar zu ihrem Verhängnis wurden. Als John die Manipulationen am Beweismaterial entdeckt, nimmt die Handlung nicht nur eine Wende, sondern auch das Tempo ordentlich Fahrt auf. Und immer muss der Ermittler auch damit rechnen, dass seine wahre Identität entdeckt wird, was ihn das Leben kosten könnte.

Ein überzeugender Auftakt, auch wenn der Anfang mit John Vorgeschichte in Baltimore etwas ausführlich war und nicht in unmittelbarem Zusammenhang zum Cold Case steht. Jedoch scheint dies in den Folgebänden wieder relevant zu werden. Der Fall bietet einige überraschende Wendungen, die durch akribische Polizeiarbeit und nicht durch bloßen Zufall ausgelöst werden. Die Spannung wird gelegentlich durch kleine interkulturelle Missverständnisse – Gott bewahre: Küchendienst für den ehemaligen FBI–Ermittler und viel zu kleine Autos mit Gangschaltung– unterbrochen, die zur Abwechslung auch zum Schmunzeln einladen.

Olivia Rayne – My Mother the Psychopath

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Olivia Rayne – My Mother the Psychopath

When children grow up, they do this in the believe that their parents know best and that they only want the best for their children. Since they hardly have any insight in other children’s homes, they forcibly must come to the conclusion that what they experience is how things in a family should be. Olivia has always known that her mother isn’t easy, they have changed home so many more times than any other kid she knows and even as a small child, she knew what to avoid and what to do around her mother for fear of her reaction. But it took her many years to understand the woman who gave birth to her and to find an explanation for her mother’s behaviour: she is a psychopath.

Olivia Rayne tells her experiences of growing up with a psychopathic mother. The chapters are dedicated to typical clinical features that a person diagnosed with this mental illness shows and a short explanation. Then, she outlines how this realised in her mother’s case. It is unbelievable to read what the girl had to endure and how she was left alone while her father watched and could clearly see what was happening. Not only did he not provide any help or shelter, he even supported his wife’s erratic behaviour. Outside the family, hardly anybody had the chance to do anything about the situation since the facade portrayed a totally different picture of the events that at times made people wonder.

The book is highly informative since you get a lot background information of how a psychopath operates. You can also recognise the patterns of manipulation they use and thus, at least I hope, get an idea of how they remain undiscovered for a long time. Yet, first and foremost, it is very moving and heart-breaking and should startle anybody who works with children to provide them with help and clear ideas of what is acceptable and what is unacceptable parental behaviour.

Charles Lewinsky – Der Stotterer

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Charles Lewinsky – Der Stotterer

Johannes Hosea Stärckle ist ein Meister des Wortes. Aber nur des geschriebenen Wortes, gesprochen bekommt er kaum mehr eine Silbe heraus, bevor das Stottern losgeht. Das war mal anders, aber Geschehnisse aus seiner Kindheit haben ihn zu dem gemacht, was er ist und das geschriebene Wort wurde zu seinem Beruf. Jedoch nicht als Journalist oder Schriftsteller, sondern als Betrüger, weshalb er auch jetzt eine Gefängnisstrafe absitzen muss. Dies hindert ihn jedoch nicht am Schreiben und der Padre wird sein Publikum. Ihm vertraut er sich, erzählt aus seiner Kindheit in der Sekte, den Umgang des Vaters mit seinem Stottern, aber auch dem Betrug, den er begangen hat – was klingt wie die Beichte eines Geläuterten, stellt sich jedoch bald schon als weitere Manipulation heraus. Seinen Mitinsassen bleibt sein Talent nicht verborgen und wissen ebenfalls daraus Profit zu schlagen, den Wehren kann sich der Stotterer kaum.

Charles Lewinsky ist seit vielen Jahren eine feste Größe in der Schweizer Literaturwelt. Zahlreiche seiner Romane wurden für hochrangige Preise nominiert und ausgezeichnet. Sein neuer Roman zeichnet sich für mich durch eine pointierte und treffgenaue Sprachgestaltung aus, inhaltlich konnte mich sein Protagonist nicht ganz überzeugen.

Genaugenommen gibt es nur eine Erzählstimme, die des Johannes Hosea Stärckle, der sich jedoch mal in Briefen an seinen Padre wendet, mal in seinem Tagebuch Trost sucht, mal als Geschichtenerzähler und auch als Briefeschreiber auftritt. Je nach Adressat wandelt sich Ton und Ausdruck, wirkt glaubwürdig und überzeugend. Dass die Straftäter sein Ausdrucksvermögen in seinem Sinne nutzt und auch im Gefängnis die Möglichkeiten von Manipulation und mitleiderregender Dramatik voll ausspielt, ist bei der Anlage des Charakters nachvollziehbar. Man muss sich am Anfang am Riemen reißen, um seinen Schelmenmärchen nicht zu glauben und in ihm nicht das Opfer zu sehen, als das er sich stilisiert.

Das Schreiben steht im Zentrum, dafür werden andere interessante Aspekte – die Hackordnung im Gefängnis, die Mechanismen, mit denen dort Macht demonstriert wird u.a. – an den Rand gedrängt, was ich etwas schade fand. Vor allem, da diese ihm letztlich seinen großen Wunsch ermöglichen.

Man kann sich mit Stärckle nicht identifizieren. Er ist zweifelsohne ein intelligenter Zeitgenosse, der geschickt die Fäden in der Hand hat, aber als Sympathieträger taugt er nicht. Eher als noch abschreckendes Beispiel, denn seine Manipulationsversuche machen vor nichts und niemandem halt.

Für mich war es letztlich etwas zu viel des Protagonisten. Keine andere Sicht, kein Schritt zurück durch eine neutrale Erzählinstanz, nicht einmal Antworten auf die zahlreichen Briefe erhält man als Leser, was einen ein wenig erdrückt. Zumal die Märchen Stärckles auch sehr viel Raum einnehmen. Sprachlich gelungen, auch die zentrale Figur interessant in der Anlage, aber letztlich genau dadurch etwas übers Ziel hinaus geschossen.

Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Roman und Autor finden sich auf der Verlagsseite.

Thomas Sautner – Fremdes Land

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Thomas Sautner – Fremdes Land

Jack Blind ist sich sicher, dass er und seine Partei nicht nur schon sehr bald die Regierung übernehmen, sondern dass sie auch das Leben für die Menschen verbessern werden. Als der regierende Präsident unerwartet zurücktritt und Neuwahlen ausgerufen werden, tritt das ersehnte Ereignis ein und Jack wird Stabschef und enger Vertrauter des Präsidenten. Sowohl er wie auch sein Freund und Neu-Staatsoberhaupt Mike Forell sind gänzlich unerfahren, aber eine hilfsbereite Gräfin nimmt sie unter ihre Fittiche und erleichtert ihnen den Start im Amt. Sie stellt ihnen auch den „Vertreter“ vor, der für eine Gruppe von wichtigen Wirtschaftsbossen spricht und die neue Regierung vor allem in ihrem Kampf gegen den islamistischen Terror unterstützen möchte. Nein, Gegenleistungen möchten sie dafür nicht, sie haben zwar den einen oder anderen vernachlässigbaren Wunsch, aber das sind doch Petitessen, die man im Vorbeigehen erledigen kann. Obwohl Jack eindringlich von seiner Schwester gewarnt wird, läuft er sehendes Auges ins Unglück – und reißt das ganze Land mit.

Thomas Sautners Roman ist bereits einige Jahre alt, was der Aktualität jedoch keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, vieles, was er beschreibt, kann man inzwischen in der Realität beobachten: die Angst vor islamistischem Terror, die Möglichkeiten der völligen Überwachung, die der Endverbraucher schon gar nicht mehr nachvollziehen kann und spätestens seit der Euro- und Banken-Krise von 2008 sollte auch dem letzten aufgegangen sein, dass nicht die gewählten Volksvertreter die wesentlichen Entscheidungen treffen. Die Tatsache, dass der entscheidende Vertreter der Wirtschaftsinteressen nicht einmal einen Namen bekommen hat, spricht hierbei Bände.

An vielen Stellen hat mich „Fremdes Land“ an bekannte Dystopien erinnert, die gefühlsverstärkten Kinos und die Feelgood-Pillen kommen einem stark aus „Brave New World“ bekannt vor, die staatliche Überwachung und Gedankenkontrolle kennt man aus „1984“. Auch der Aufbau der Figurenkonstellation ist recht typisch für eine Dystopie: der naive und im Umgang mit anderen Menschen gehemmte Protagonist, der nicht durchschaut, was eigentlich geschieht und nur die Vorteile des Systems sehen möchte, obwohl ihm eine nahestehende Person versucht vor der Gefahr zu warnen. Die Zuspitzung der Situation, die letztlich private und öffentliche Interessen konfrontieren und eskalieren lässt. Trotz der leicht erkennbaren Versatzstücke schmälert dies in keiner Weise den Roman. Inhaltlich hat er einige neue Aspekte zu bieten und der starke Fokus auf den politischen Entscheidungen machte ihn für mich interessanter als viele Romane des Genres, die ihren Schwerpunkt eher auf die persönlichen Entwicklungen einzelner Figuren legen.

Eine Dystopie, die so wirklichkeitsnah und authentisch daherkommt, dass man vergessen könnte, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt. Ein herausragender Roman des Genres, der leider viel zu wenig Beachtung erfahren hat.

Greer Hendricks/Sarah Pekkanen – The Wife Between Us

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Greer Hendricks/Sarah Pekkanen – The Wife Between Us

Vanessa ist ein psychisches Wrack. Nach der Scheidung von Richard kommt sie nicht mehr auf die Füße. Aber sie muss die junge Frau warnen, die geradewegs ins Verderbern rennt und ebabsichtigt, ihre Nachfolge anzutreten. Sie kennt Richard nicht so, wie sie ihn kennt. Auch zu ihr war er charmant und nett. Anfangs. Doch dann hat er sich in einen Kontrollfreak verwandelt, der keinen ihrer Schritte unbeobachtet ließ. Und nun hat er wieder eine junge Frau gefunden, die er bezaubern kann und die für ihn die perfekte Ehefrau spielen soll. Nellie fühl sich beobachtet, irgendetwas ist seltsam, auch die Anrufe, bei denen offenbar jemand am anderen Ende der Leitung ist, jedoch nie ein Wort sagt, beunruhigen sie zunehmend. Langsam wird ihr ihr eigenes Leben unheimlich. Und noch eine dritte Frau beobachtet die Szenerie, doch was ist ihr geheimer Plan?

Sarah Pekkanen arbeitet bereits seit Jahren als Autorin und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, Greer Hendricks war mehrere Jahre Lektorin bei Simon & Schuster und ist ausgebildete Journalistin. Für „The Wife Between Us“ arbeiteten die beiden Frauen erstmals zusammen und herausgekommen ist ein clever konstruierter Krimi, der immer wieder überraschen kann.

Der Roman beginnt ohne viel Vorgeplänkel, unmittelbar ist man in der Geschichte, die alternierend die Vanessas Erlebnisse nach der Trennung von Richard und Nellies Vorbereitungen auf die Hochzeit mit ebendiesem erzählt. In welchem Verhältnis die beiden Frauen stehen, glaubt man recht schnell zu wissen, einzig der Moment des Zusammentreffens und der Offenbarung von Vanessas Leid stehen noch aus. Doch dann zeigt sich, dass der Roman deutlich geschickter aufgebaut ist, als es zunächst den Anschein macht und die leichte Verschiebung der Erzählung lässt einen neuen Blickwinkel zu.

Durch die raffinierte Erzählkonstruktion wird ein bizarres und gefährliches Abhängigkeitsverhältnis geschildert, in dessen Zentrum ein charmanter Mann steht, der durch geschickte Manipulation die Kontrolle über seine junge Frau gewinnt und nicht nur ihren Alltag überprüfen und lenken kann, sondern der sie auch psychisch unbemerkt nach und nach in eine Abhängigkeit bringt, aus der sie allein so einfach nicht mehr ausbrechen kann.

Dies ist kein ganz neues Thema, bisweilen auch etwas durchschaubar und leicht vorherzusehen. Es ist tatsächlich die Anlage der Erzählung, die die Schwächen hier locker ausgleicht und so zu dem überzeugenden Ergebnis führt. Dass es am Ende noch eine weitere Überraschung gibt, war allerdings nicht abzusehen, wäre für mich auch nicht mehr erforderlich gewesen.

Insgesamt ein runder Roman, der eine neue Variante einer bekannten Geschichte erzählt. Den beiden Autorinnen ist hier ein kleines Kunststück gelungen, indem sie einen völlig unerwarteten Aufbau geschaffen haben, der sich erst langsam entfaltet und dadurch überzeugen kann.

Ein herzlicher Dank geht an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu den Autorinnen und dem Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Michael Nast – #egoland

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Michael Nast – #egoland

Ein Bekannter hat sich das Leben genommen. Eigentlich hatten sie schon lange keinen Kontakt mehr, aber er hat Michael Nast das Manuskript seines Romans mit der Bitte, dieses zu veröffentlichen, hinterlassen. Je tiefer Nast in die Geschichte eindringt, desto unbehaglicher wird ihm. Das, was da vor ihm liegt, ist nicht nur Fiktion, es ist die Dokumentation eines gemeinen Plans, der immer mehr Opfer forderte, zuletzt das des Schöpfers. Aus dem Spiel mit flüchtigen Bekannten hat Andreas Landwehr ein reales Szenario gemacht, hat sich selbst zum Autor und Regisseur aufgeschwungen und die Menschen wie Spielfiguren bewegt. Immer mehr hat es ihn fasziniert, wie sie ihm gehorchten, wie einfach sie zu manipulieren waren und ihm Glauben geschenkt haben. Doch plötzlich läuft sein Spiel nicht mehr wie vorgesehen, die Figuren agieren plötzlich anders, als er es geplant hat, und das Ganze nimmt einen verhängnisvollen Verlauf.

Michael Nast versucht in seinem Roman gleich mehrere Grenzen zu überschreiten. Nicht nur die Buch-im-Buch-Geschichte, die den Autor zum Erzähler macht und eine quasi Realität des Textes suggeriert, sondern auch die Verwischung zwischen realer und online Welt, zwischen echtem Sein und medial dargestelltem Ich wird thematisiert. Wer sind wir wirklich? Der Mensch in Fleisch und Blut oder das online Profil mit den ansprechenden Umgebungen und sympathischen Posen?

Für mich hätte es den etwas zu sehr künstlich wirkenden Rahmen mit dem Manuskript des angeblichen Freundes, der nun verstorben ist, nicht gebraucht. Die Story selbst hat genügend Potenzial, als dass man ihr den Anschein von Realität künstlich hätte konstruieren müssen.

Nimmt man nur diese Handlung – der Cameo des Autors wäre ihm ja gegönnt gewesen – hat diese durchaus einige interessante Facetten. Andreas‘ Manipulationen setzen an den Schwachstellen seiner Co-Figuren an. Er braucht sich noch nicht einmal besonders viel Mühe zu geben, um sie leicht zu lenken, mit ein wenig Zeit kann er dank ihrer online Profile und dem, was sie ihm zusätzlich beichten, genau die Schalter drücken, die sie zum Agieren in seinem Sinne veranlassen. Die Grundhaltung der unbestimmten Unzufriedenheit mit Beziehung, Job und Leben im Allgemeinen und dem Eindruck, dass andere immer mehr und tollere Sachen erleben als man selbst, ist ja inzwischen so verbreitet, dass man keinerlei Schwierigkeiten hat, sich vorzustellen, dass die Ereignisse tatsächlich so hätten stattfinden können. Ebenso die Tatsache, wie schnell sich ein recht vollständiges Bild eines Menschen über seine Bewegungen im Internet erstellen lässt.

Dadurch, dass der Verlauf sich langsam zuspitzt und man ja letztlich weiß, wie es endet, entsteht auch eine gewisse Spannung, da man gebannt auf den großen Knall wartet. Auch hier die kurze Nebenhandlung des Berliner U-Bahn-Treters – ein wenig zu viel gewollt und zu dick aufgetragen für meinen Geschmack.

Alles in allem aber eine durchaus lesenswerte Geschichte, die vor allem durch die recht authentisch wirkenden Figuren überzeugt. Ein wenig übers Ziel hinausgeschossen, aber sieht man darüber hinweg, gute Unterhaltung.