Linn Strømsborg – Nie, nie, nie


Linn Strømsborg – Nie, nie, nie

Schon seit acht Jahren ist sie mit Philip in einer glücklichen Beziehung, kein Wunder, dass ihre Familien und Freunde die unausweichliche Frage nach Hochzeit und Kindern Mantra artig wiederholen. Doch sie will keine Kinder, sie ist glücklich mit ihrem Leben und ihrer Beziehung, es fehlt nichts. Der Freundeskreis wird mit Anfang 30 langsam kleiner, immer mehr beginnen ein Nest zu bauen, draußen, auf dem Land und in den Vorstädten, um dem Lärm der Großstadt zu entfliehen, um es sich mit der Kleinfamilie im neuen Kokon einzurichten. Da geht man abends nicht mehr spontan weg, alles muss nun gut geplant sein. Als ihre beste Freundin Anneken und deren Mann Alex dann plötzlich auch die Schwangerschaft verkünden, ist auch die letzte Verbündete schwach geworden. Sie wollten doch zusammen alt werden, ohne Kinder.

Linn Strømsborgs Erzählerin erzählt genau jene Geschichte, die ziemlich allen Frauen ab Mitte/Ende 20 bekannt vorkommen dürfte. Sobald sich eine feste Partnerschaft abzeichnet, wartet das Umfeld nur noch darauf, endlich die Ankunft eines neuen Erdenbürgers feiern zu dürfen. Als gäbe es kein anderes Konzept, keinen gegensätzlichen Lebensentwurf, wird bei aller Modernität und erreichten Bildungsabschlüssen von Frauen immer noch erwartet, dass sie irgendwann zurückkehren zu Kind und Küche. „Nie, nie, nie“ wollte die Erzählerin genau das und sieht sich mit einer Welt konfrontiert, in der ihre Vorstellung scheinbar keinen Platz hat.

Sie mag Kinder, beschäftigt sich auch mit ihnen, trägt und beruhigt sie – aber deshalb will sie noch lange keine eigenen haben. Auch ihre Partnerschaft ist ihr genug, sie ist glücklich mit Philip und kann ihr Leben nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten. Ihr ist völlig bewusst, dass dies eine hedonistische Sichtweise ist – aber im Ernst: welche Frau bekommt Kinder für die Rentenkasse? Sie kann sich dem Thema nicht entziehen: in der Familie, am Arbeitsplatz, mit Freunden, immer wieder kommt es auf und seit Jahren schon hat sie ausweichende Sätze parat, um das Gespräch rasch auf etwas anderes zu lenken. Von Beginn ihrer Beziehung an hat sie keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihre Meinung nicht ändern wird, doch bei Philip ändert sich die Lage und so wird auch das gemeinsame Fundament brüchig, auf dem sie stehen.

Soll man sich dem Druck irgendwann einfach beugen? Nur damit es aufhört? Auch das zieht sie in Betracht, als sie jedoch auch sieht, was die Elternschaft mit ihren besten Freunden macht, ist diese Option schnell wieder vom Tisch. Ein Baby zu haben ist nicht immer eitel Sonnenschein, es strengt an, zermürbt, raubt die letzten Kräfte und Anneken erkennt sich selbst bald nicht mehr wieder – und doch ist ihre Tochter für sie das Beste, was in ihrem Leben jemals geschehen ist.

„Kannst du glücklich sein, wenn dich alle für unglücklich halten? Wenn ich mich gegen Kinder entscheide, wird man mir dann immer mit Mitleid und Bedauern begegnen, von der Häme und den Egoismus-Vorwürfen mal ganz abgesehen?“

Linn Strømsborg beschönigt weder die eine noch die andere Sicht, sondern lässt authentisch miterleben, wie sich Freundschaften, Beziehungen und auch das eigene Leben im Laufe der Zeit verändert. Es ist weder ein feministisches Manifest der selbstbestimmten Frau, noch ein Urteil über den einen oder den anderen Weg. Im Gegenteil, an den Frauenfiguren werden ganz unterschiedliche Haltungen zum Thema Mutterschaft deutlich und auch was dies mit jenen Frauen tut, die sich dem gesellschaftlichen Diktat beugen und nicht ihrem Bauchgefühl folgen. Wunderbar unaufgeregt erzählt, ein heikles Thema mal nicht vom Extrem her betrachtet, sondern mit all seinen Facetten und widersprüchlichen Emotionen mitten aus dem Leben heraus.

Sayaka Murata – Die Ladenhüterin

sayaka-murata-die-ladenhüterin
Sayaka Murata – Die Ladenhüterin

Keiko Furukura ist mit sich und ihrem Leben eigentlich im Reinen. Als Studentin hatte sie bereits in einem Konbini, einem 24-Stunden-Supermarkt, angefangen und auch 18 Jahre später arbeitet sie immer noch dort als Aushilfe. Ihr ganzes Leben richtet sich nach dem Takt des Markes, in ihrer Freizeit ruht sie sich aus, um für ihren Einsatz wieder fit zu sein und unzählige Chefs und neue Mitarbeiter hat sie kommen und gehen sehen, sie selbst wurde zum Gesicht ihres Marktes. Als sie Shiraha wiedertrifft, der als Aushilfe ihr Kollege war, wegen seiner zahlreichen Verfehlungen aber nach kurzer Zeit bereits wieder gehen musste, wird dies ihr Leben verändern. Sie nimmt den obdachlosen Mann mit in ihre kleine Wohnung, nicht ahnend, dass sie ihn nicht so einfach wieder loswerden würde und dass ausgerechnet dieser Taugenichts ihren Lebensentwurf ins Wanken bringen würde.

Aus westlicher Sicht mutet vieles in diesem Roman sehr befremdlich an, die Werte und Normen der japanischen Gesellschaft weichen doch sehr stark von den unseren ab und lassen einem mit Verwunderung auf sich manchen Dialog blicken. Dies ist jedoch auch der interessante und spannende Aspekt des Romans, der so einen Einblick in diese fremde Welt ermöglicht und das beleuchtet, was von außen nicht so offensichtlich ist.

Das erste, was einem irritiert, ist Keikos absolute Verbindung mit ihrer Arbeit. Dies kann an sich bei uns genauso vorkommen, doch sie ist nur eine Aushilfe, noch dazu in einem Supermarkt, wofür sie mit ihrem Universitätsabschluss völlig überqualifiziert ist. Dass sie so in dieser Arbeit aufgehen kann, ist nicht einfach nachzuvollziehen und vor allem, dass dies sich auch in einem solchen Maß auf ihr Privatleben ausdehnt, das sie explizit zur Regenerierung für ihre Arbeit gestaltet.

Der zweite verwunderliche Aspekt war für mich die gesellschaftliche Bewertung der Menschen. Es gibt akzeptable Lebensentwürfe, die sich aber für die beiden Geschlechter auch stark unterscheiden, alle anderen werden recht rigoros abgelehnt. Dass Keiko eine Arbeitsstelle hat und mit ihrem Einkommen ihr Leben offenbar problemlos bestreiten kann, ist dennoch wegen ihres Status als Aushilfe nicht hinnehmbar. Wäre sie verheiratet, würde dies wiederum akzeptiert werden. Die Definition über den Job und die Art der Anstellung als Grundlage für das gesellschaftliche Ansehen muten sehr befremdlich und für die heutige Zeit ausgesprochen rückständig an.

Am meisten jedoch hat mich verwundert, wie die eigentlich unabhängige Frau, die ihr Leben im Griff hat und im Reinen mit sich und ihrer Situation ist, so schnell unter dem Einfluss eines Mannes geraten kann, ihre eigenen Bedürfnisse verleugnet und sich ausnutzen lässt. Shiraha ist ein Schmarotzer, anders kann man es wohl kaum ausdrücken, doch sie lässt ihn gewähren, ordnet sich ihm in ihrer eigenen Wohnung unter und befolgt seine Anweisungen. Kurzzeitig scheint man die Motivation – das vorgeblich geregelte Leben an der Seite eines Mannes, was für eine Frau mit Mitte 30 der einzig akzeptable Zustand zu sein scheint – nachvollziehbar, doch sie kann diese Rolle gar nicht ausfüllen und scheitert im Prinzip vom ersten Tag an daran.

Ein insgesamt sehr japanischer Roman, der gesellschaftliche Mechanismen ebenso offenlegt wie den Arbeitsethos, der sich drastisch von unserer Work-Life-Balance Diskussion unterscheidet. Zwar sind die Figuren auch dort weitgehend Außenseiter, dennoch bieten sie ausreichend Projektionsfläche für einen kurzen Blick auf so manche schiefe Entwicklung.