Klaus Modick – Fahrtwind

Klaus Modick – Fahrtwind

Nach gerade so bestandenem Abitur und einigen Semestern halbherzigem Studium allerlei Geisteswissenschaften, weiß der Ich-Erzähler, dass das nicht seine Welt ist, ebenso wenig wie jene der Eltern, die ihn gerne als Nachfolger im Heizungsbaubetrieb sehen würden. Doch Anfang der 70er ruft die große weite Welt und so packt er Rucksack und Gitarre und hebt den Daumen gen Süden. Er muss nicht lange warten bis er den ersten Chauffeur findet, den Hauptpreis scheint er jedoch mit zwei Damen gezogenen zu haben, in die eine verliebt er sich sofort und die andere entpuppt sich als Gräfin, die ihm in einem Wiener Luxushotel einen Job als Musiker anbietet. Die Avancen der älteren Dame sind jedoch eher aufdringlicher Natur und die namenlose Angebetete scheint bereits vergeben, so dass er sich schon bald wieder auf den Weg macht. Doch dieses Mal gerät er an zwei Rocker, die sich als in Hommage an „Easy Rider“ als Wyatt und Billy vorstellen und offenbar in illegaler Mission unterwegs sind und in dem Tramper genau jenes Puzzleteilchen gefunden haben, das ihnen für ihren verrückten Plan noch fehlte…

Klaus Modicks Roman ist ein bisweilen aberwitziger Roadtrip, der jedoch wunderbar den Geist der Zeit trifft. Hippies, der Traum der großen Freiheit, ein Taugenichts als Protagonist, der eigentlich vor nur nichts tun möchte und schnell versteht, dass manchmal weniger zu fragen und verstehen zu wollen die bessere Alternative ist. Auf seiner persönlichen Magical Mystery Tour frei nach Eichendorff begegnen ihm neben diverser kurioser Figuren auch halluzinogene Drogen jeglicher Art, die alles nur noch bunter erscheinen lassen als es ohnehin schon ist.

Ebenso wie die fast 200 Jahre alte Vorlage kontrastiert Modick die (Lebens-)Künstler, die unbeschwert den Tag genießen und das Leben auf sich zukommen lassen und dort sind, wo sie hingespült werden. Ihnen gegenüber stehen die Spießbürger, die moralisierend den Zeigefinger erheben und sich in ihrem kleingeistigen und vorhersehbaren Dasein eingerichtet haben. Wie auch Eichendorff nutzt Modick den Ich-Erzähler, um den Leser für eine Lesart der Lebensgestaltung zu gewinnen.

Trotz oder gerade wegen der offenkundigen Parallelen zu dem klassischen Vorbild liest sich Modicks Geschichte als modernes Märchen vom Traum von Freiheit und Liebe, der gefahrlos ausgelebt werden kann. Die Sehnsucht nach dem unbestimmten „Südwärts“ in ein neues Leben transferiert er unterhaltsam mit leichtem Ton und italienischem Flair, wobei auch immer auch ein Hauch Musik in der Luft hängt.

Polly Samson – Sommer der Träumer

Polly Samson – Sommer der Träumer

Nach dem Tod der Mutter flüchtet die junge Erica mit ihrem Bruder Bobby vor den Wutausbrüchen des Vaters aus London auf die griechische Insel Hydra. Dort hofft sie auch mehr über ihre Mutter zu erfahren, denn deren ehemals beste Freundin Charmian lebt dort und hatte sie eingeladen. Sie ist es auch, die das Mädchen in die Gemeinschaft von Schriftstellern, Malern und Musikern einführt, die dort ein unbeschwertes Leben der Bohemians führen und alle hoffen, dass sie von der Muse geküsst werden und das nächste große Meisterwerk verfassen.

Polly Samson ist mit dem Pink Floyd Sänger David Gilmour verheiratet und hat für die Band an unzähligen Liedtexten mitgearbeitet. In „Sommer der Träumer“ lässt sie eine Reihe von bekannten Künstlern erscheinen, unter anderem Leonard Cohen und seine norwegische Muse Marianne Ihlen. die Insel ist nicht nur klein, sondern 1960 auch noch ohne Strom, was das Leben reduziert und unweigerlich auch die zwischenmenschlichen Emotionen in den Fokus rückt.

Erica kommt als naive junge Frau zu der bunten Community, sie ist nicht nur unerfahren, sondern auch bezogen auf ihr Leben und ihre Zukunft planlos und zudem durch den Verlust der Mutter schwer getroffen. Sie beobachtet und bewundert das unbeschwerte Leben das voller Drogen und Sex, das aber auch von Gewalt geprägt ist und in dem insbesondere die Frauen weniger als eigenständige Künstlerinnen wahrgenommen werden, denn als willfährige Partnerinnen, die den Launen der leidenden Künstler ausgesetzt sind.

Leider hat mich der Roman nicht wirklich erreicht. Ich fand Ericas Verzweiflung in London nach dem Verlust der Mutter noch gut greifbar und berührend, auf der Insel jedoch dominieren andere Charaktere und sie wird zunehmend in die Rolle der Beobachterin gedrängt. Das Mysterium um ihre Mutter trägt auch nur bedingt zum Spannungsaufbau. An dem Titel reizte mich vor allem die Atmosphäre der kleinen Insel, auf der kreative Menschen sich ganz dem künstlerischen Schaffen widmen – leider sind es aber eher Beziehungsprobleme und Gewaltausbrüche, die die Tage prägen. Insgesamt durchaus leicht zu lesen, aber leider weit hinter den Erwartungen geblieben.

T.A. Cotterell – Was Alice wusste [Kurzrezension]

Was Alice wusste von TA Cotterell
T.A. Cotterell – Was Alice wusste

Als Alice eines abends spät auf dem Weg nach Hause einen Anruf ihrer Tochter erhält mit der Frage, wo der Vater bleibt, ist sie besorgt, aber sicher, dass es eine Erklärung dafür geben wird. Ed ist ein fürsorglicher Mann und Vater, auf den sie sich stets verlassen kann. Doch dann kommt alles anders als erwartet: Ed war auf einer Party, betrunken, bei einer jungen Künstlerin – und die ist nun tot. Ed kann sich an nichts mehr erinnern, außer, dass er wohl mit ihr geschlafen hat. Die Zweifel beginnen zu nagen und auch die Polizei steht schon kurz darauf vor ihrer Tür.

T.A. Cotterells Roman wird als Psychothriller klassifiziert. An Psychothrill konnte ich nicht viel erkennen. Kurz gefasst: vorhersehbar, langwierige Schleifen und schwache Ablenkungsmanöver, die keine Spannung erzeugten, sondern nur langweilten und die Handlung verzögerten. Insgesamt zu banal in tausendfach gelaufenen Bahnen, um ansatzweise zu überzeugen.

Anaïs Barbeau-Lavalette – Suzanne

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Anaïs Barbeau-Lavalette – Suzanne

Anaïs sieht ihre Großmutter nur einmal als Kind, als diese sie heimlich besuchen kommt und wieder davonschleicht. Jahre später wird sie sie mit ihrer Mutter nochmals aufsuchen, doch die Ablehnung der alten Frau ist deutlich und grausam. Sie will Tochter und Enkelin nie mehr sehen. Erst als Suzanne stirbt, wird Anaïs wieder ihre Wohnung betreten, dieses Mal entschlossen herauszufinden, wer diese Frau war. Suzanne Meloche wird 1926 in eine französischsprachige Familie im englischsprachigen Ottawa als eines von unzähligen Kindern geboren. Das Geld ist knapp, ebenso die Zuneigung der Eltern. Früh schon flieht sie aus dem Haus und schließt sich einer Gruppe von Malern, Bildhauern, Dichtern und Schauspielern an, entschlossen, die Welt zu verändern. Doch auch dort bleibt sie Außenseiterin und so wird sie ihr Leben lang auf der Flucht und der Suche sein, nach ihrem Platz.

Anaïs Barbeau-Lavalette zeichnet das Bild einer nicht nur einsamen, sondern auch immer gehetzten Frau nach. Niemand scheint Suzanne das geben zu können, was sie braucht. Die Mutter verwehrt ihr die Zuneigung, nach der sie sich sehnt. Das Klavier im elterlichen Haus, das eine magische Anziehung auf sie ausübt und das sie so gerne zum Erklingen gebracht hätte, bleibt für sie ein Tabu. Die Faszination, die die Freigeister und Künstler auf sie ausüben, ist leicht nachvollziehbar, jetzt scheint das Leben möglich, von dem sie so lange geträumt hat. Doch der Alltag holt sie ein, der Lebensunterhalt muss finanziert werden, bald auch schon die erste Tochter und die Zeit ist noch nicht reif für fortschrittliche Gedanken.

Suzanne irrt durch die Welt, nachdem sie ihre Kinder und den Mann verlassen hat. Doch weder in Europa noch bei den Rassekämpfen in den USA kann sie das finden, was sie sucht. Sie bleibt ihr Leben lang eine Frau auf der Flucht. Erst 1980 werden ihre Gedichte unter dem Titel Aurores fulminantes veröffentlicht, nachdem die Künstlergruppe Automatistes sich schon längst aufgelöst hat und ihr jedes Interesse an öffentlichem Ruhm fehlt. Der Originaltitel der Biographie „La femme qui fuit“ ist deutlich aussagekräftiger als nur der Vorname wie in der deutschen Ausgabe. Insgesamt ein lesenswerter Bericht über das Leben einer von der Geschichte vergessenen Frau.