Dominique Manotti – Marseille.73

Dominique Manotti – Marseille.73

Commissare Daquin hat keine gute Zeit gewählt, um die französische Hauptstadt gegen die Mittelmeerstadt Marseille einzutauschen. Im Sommer 1973 explodiert dort die Gewalt zwischen Franzosen und Zuwanderern. Der Mord an dem Jugendlichen Algerier Malek droht die Stadt vollends im Chaos versinken zu lassen. Die Polizei fährt schwerste Geschütze auf, die Maghrebiner organisieren sich ebenfalls. Daquin steht dazwischen und muss bald erkennen, dass nicht nur die Zivilbevölkerung von Rassismus durchdrungen ist, sondern dass die größte Gefahr aus den eigenen Reihen kommt.

Es sind die sogenannten „Circulaires Marcellin-Fontanet“, die die französische Regierung anlässlich steigender Arbeitslosenzahlen im Jahr 1972 erlassen hat. Mit dem Gesetz wurde die Zuwanderung drastisch beschränkt und viele Arbeiter, die nach dem Algerienkrieg nach Frankreich übersiedelt waren, wurden plötzlich zu Illegalen. Dieses historische Ereignis mit seinen gesellschaftlichen Folgen greift die französische Grande Dame des Kriminalromans Dominique Manotti in „Marseille.73“ auf. Sie zeichnet dabei ein bedenkliches Bild nicht nur der Bewohner, sondern vor allem der Polizei und der Presse und beim Lesen wird man unweigerlich von der Frage verfolgt, ob sich in den fast 50 Jahren seither in Frankreich – oder auch bei uns – wirklich viel geändert hat. Ein Blick in eine x-beliebige Tageszeitung könnte einem dies recht schnell verneinen lassen.

„Nachdem das Offensichtliche ausgesprochen ist, fühlt sich jeder berufen, seine Meinung zu äußern. »Die haben uns aus Algerien rausgeschmissen, also müssen jetzt wir sie rausschmeißen. Ist doch normal.« – »Ja, aber man wird ein bisschen nachhelfen müssen, von selber gehen die nicht.« Manche meinen, eine Lösung zu haben: »Wenn man ein paar von ihnen umbringt, kriegen die anderen Angst und hauen ab.«“

Es ist eine komplexe Situation, die Leser, die mit der politischen Lage Anfang der 70er Jahre in Frankreich nicht vertraut sind, erst für sich sortieren müssen. Die Folgen des Krieges mit der ehemaligen Kolonie, die fragile Machtbalance zwischen konkurrierenden Banden in Südfrankreich, verflochtene Zugehörigkeitsgefüge, all dies muss erst durchdrungen werden, um den Fall in seiner Vielschichtigkeit zu erschließen. Dies macht den besonderen Reiz beim Lesen aus, weil nicht eine geradlinige Story von Motiv – Tat – Auflösung präsentiert wird.  

Basierend auf realen Ereignissen wird so aus einem spannenden Mordfall ein Dokument, das die Ursprünge von strukturellem, institutionalisiertem Rassismus erklärt. Dass es gerade in Südfrankreich viele Anhänger rechtsradikaler Parteien wie dem Front National gibt, ist kein Zufall. Als Lektüre auch unbedingt in Kombination mit Jean-Claude Izzos Marseille Trilogie (Total Khéops, Chourmo, Soléa) zu empfehlen, in der der Polizist Fabio Montale auf ziemlich verlorenem Posten gegen den korrupten Polizeiapparat kämpft und in der sich das, was sich bei Manotti andeutet, längst verfestigt hat.

Ein sozialkritischer Krimi, der leider kein bisschen an Relevanz und Warnung verloren hat und bei dem es sträflich wäre, sich entspannt zurückzulehnen und zu denken, dass dies ja nur ein französisches Problem sei.

Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

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Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

007 ist tot. Sein Körper treibt regungslos im Hafen von Marseille. Die Mission lief sensationell schief. Glücklicherweise kann M auf einen jungen Kandidaten zurückgreifen, der sich in New York und Stockholm bereits im Einsatz bewährt hat: James Bond. Eine neue Nummer lehnt er ab, er will in die Fußstapfen von 007 treten und in Südfrankreich die Mission zu Ende führen, die seinen Vorgänger das Leben gekostet hat und so dessen Ehre retten. Er weiß, dass mit der korsischen Mafia nicht zu spaßen ist und dass diese vermutlich hinter dem Mord an dem Spion steckt. Doch ihr seltsames Verhalten wirft seit Monaten Fragen auf: warum liefern sie keinen Heroin Nachschub? Was bereiten sie vor? James Bond begibt sich in die Höhle des Löwen, wo noch ein anderer Gegner wartet: die attraktive Sixtine, vor der er sich ebenfalls besser in Acht nehmen sollte.

James Bonds erster Einsatz als Doppelnull-Agent, mit dem er sich die Lizenz zum Töten verdienen soll und der die Vorgeschichte zu „Casino Royale“ liefert. Gewagt von Horowitz, der sich schon zum zweiten Mal mit Hilfe von unveröffentlichtem Material Ian Flemings an die große Agentenfigur wagt. Viele bekannte Bausteine finden sich wieder – das Casino, der Martini, die attraktive Gespielin, der übermächtige Gegner, der gleich die ganze Weltherrschaft an sich reißen will – und für meinen Geschmack hat Horowitz Fleming überzeugend seine Stimme verliehen. Vor allem finde ich die Handlung ganz hervorragend in die Zeit hineingesetzt: es ist nicht der James Bond, den man aus den aktuellen Filmen kennt, sondern der Agent der 1950er Jahre.

Der Kriminalfall bietet einiges an verwirrenden Ansatzpunkten, die einem kräftig miträtseln lassen. Insgesamt ein überzeugender Fall, der glaubwürdig fundiert ist und von höchst individuellen Motiven geleitet wird, die jedoch erst nach und nach offenbart werden. Die volle Punktzahl gibt es jedoch nicht, da mir Bond wiederholt nur schwer vorstellbar agiert, so leichtsinnig könnte und dürfte ein Doppelnull Agent nicht sein. Auch dass Sixtine schnell die Seiten wechselt und von der knallharten Geschäftsfrau zur unterwürfigen Begleiterin an Bonds Seite wird, war mir in der Figurenzeichnung nicht stimmig genug. Mehrfach haben seine Gegner die Möglichkeit, ihn zu töten und tun es nicht – für die brutale Mafia, die andere Agenten schnell hinrichtet nicht ganz einleuchtend.

Nichtsdestotrotz insgesamt tolle Unterhaltung, die problemlos an die Romane Flemings heranreicht.