Ein Teenager, der am Wochenende nicht nach Hause kommt. Grund zur Beunruhigung oder völlig normales Verhalten? Oscars Eltern sind besorgt, zwei Jahre zuvor waren die Inhaber eines erfolgreichen Auktionshauses schon einmal bedroht worden und ein mysteriöser Brief lässt sich nur schwer deuten. Jeppe Kørner und Anette Werner begeben sich auf die Suche, unsicher, was sie von den Eltern mit seltsamen Erziehungsansichten halten sollen. Als in einer Müllverbrennungsanlage eine Leiche auftaucht, befürchten sie Schlimmstes, doch der Fall ist viel komplexer als sie anfangs vermuten.
Bereits zum vierten Mal lässt Katrine Engberg ihr Ermittlerduo in Kopenhagen auf Verbrecherjagd gehen. Neben dem undurchschaubaren Fall geraten beide auch in emotionale Verwirrungen und stellen ihre Beziehungen in Frage. Mit jedem Band gewinnen Jeppe und Anette an Facetten hinzu ohne dabei in bekannte und schon abgedroschene Schemata zu passen. Menschliche Schwächen lassen sie authentisch wirken ohne dabei auf Kosten der Spannung zu gehen.
Der Fall wird ist clever konstruiert und schon zu Beginn schickt sie die Leser geschickt auf eine falsche Fährte, die sich zwar rasch auflöst, aber nur um durch weitere Fragezeichen ersetzt zu werden. Es ist nicht das eine Motiv, die eine Tat, die die Geschichte antreibt, es sind niedere menschliche Instinkte, Ursünden, denen gleich mehrere Figuren verfallen und denen sie sich ergeben, ohne auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, wer die Opfer ihrer Taten sein werden.
Es braucht keine detaillierten Beschreibungen von brutaler Gewalt, um das alltägliche Grauen, das sich hinter hübschen Fassaden versteckt, zu visualisieren. Katrine Engberg nutzt das alltägliche Grauen, das so naheliegt und von dem man sich kaum distanzieren kann, um die Spannung zu erzeugen und den Leser zu erschüttern. Dies gelingt ihr auch in diesem Band fraglos hervorragend.
Kurz nach der Geburt ihrer Tochter ist Anette Werner im Erziehungsurlaub und so muss Jeppe Kørner allein in einem schwierigen Fall ermitteln. In einem Kopenhagener Brunnen wird eine Leiche gefunden, an den Armen seltsame Schnittverletzungen, die zum Ausbluten geführt hatten. Schon am nächsten Morgen die zweite Leiche, anderer Fundort, dieselbe Vorgehensweise. Die Kripo ermittelt auf Hochtouren, bald schon scheint sich auch eine Verbindung zwischen den Opfern aufzutun, doch am dritten Tag schon müssen sie die dritte Leiche bergen. Wenn der Mörder in diesem Tempo weitermacht, wird dies das grausamste Szenario, das Dänemark je gesehen hat. Alle Anzeichen weisen auf ein inzwischen geschlossenes Heim für psychisch kranke Jugendliche hin. Es scheint als wolle sich jemand an den ehemaligen Mitarbeitern rächen – aber wer und vor allem warum?
Der dritte Teil von Katrine Engbergs Serie um das dänische Ermittlerduo Werner/Kørner hat mir bislang am besten gefallen. Die beiden Protagonisten blieben mir immer etwas zu wenig greifbar, in diesem Roman nun werden sowohl Jeppe wie auch Anette von ihrer menschlich-verletzlichen Seite gezeigt, was ihnen deutlich mehr Profil und Authentizität verleiht. Der Fall überzeugt ebenfalls, bis kurz vor der Enthüllung des Täters hatte ich eine ganz andere Figur im Verdacht, noch eine zweite als weitere Option und bei beiden lag ich völlig daneben. Was zu den Vorgängerromanen auffällt, ist das Fehlen eines ganz spezifischen Ortes Kopenhagens, an den die Handlung geknüpft wird, dafür greift sie nun ein gesellschaftskritisches Thema auf, das überzeugend in den Krimi integriert wird.
Einmal mehr sind die Figuren, die völlig normalen Menschen der dänischen Hauptstadt, der eigentliche Star und verleihen dem Buch die typisch dänische Bodenständigkeit und Glaubwürdigkeit. Anette Werner kämpft mit ihrer neuen Rolle als Mutter, die sich emotional an ihre Grenzen bringt. Das Stillen des Kindes allein lastet sie gedanklich nicht aus und zunehmend unruhiger wird sie ob der spannenden Ermittlungen der Kollegen. Jeppe hingegen leidet ebenfalls unter seiner privaten Lebenssituation, notgedrungen nach der Trennung bei seiner Mutter untergeschlüpft, drängt diese ihn wieder in die Rolle eines Kindes, das auf Schritt und Tritt überwacht werden muss. Auch ihre Freundin, die Autorin und ehemalige Professorin Esther de Laurenti wird mit ihren Unzulänglichkeiten konfrontiert als der neue Nachbar ihr schöne Augen macht und sie seinem Charme sofort erliegt.
Die Handlung rund um Sommerfuglen, das Heim für psychisch kranke Jugendliche weist auf einige diskussionswürdige Fakten hin: die chronische Unterfinanzierung des Gesundheitssektors, die die überlasteten und teilweise überforderten Mitarbeiter zu fragwürdigen bis illegalen Handlungen verleitet, die keineswegs im Sinne einer Besserung der Kranken sind, sondern lediglich der Versuch, mit den vorhandenen Rahmenbedingungen irgendwie zurechtzukommen. Rücksichtsloses Personal, das sich auf Kosten derjenigen, die sich nicht wehren können, entweder finanziell bereichert oder gar die Karriere aufbaut. Junge Menschen in schwierigen Situationen, denen man kein Gehör schenkt und keine adäquate Hilfe zukommen lässt. Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen, die keine eine fundierte Basis haben, aber erklären, weshalb eine Rückkehr in die Gesellschaft nach einem längeren stationären Aufenthalt quasi unmöglich wird.
All dies wird in eine spannende Handlung zusammengeführt und überzeugt restlos. Die Reihe war als Trilogie angekündigt, was ausgesprochen bedauerlich wäre, denn dann hätte sie mit „Glasflügel“ bereits den Abschluss erreicht. Für mich dürften noch zahlreiche weitere Bände folgen.
Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Titel und Autorin finden sich auf der Verlagsseite.
„(…) die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des HERRN kommt.“ [Joel 2:31]
Unheil kündigt der Blutmond an und Unheil kommt über die Kopenhagener Modeszene. Es beginnt mit dem Mord an dem Designer Alpha Bartholdy, der bei einer Veranstaltung im Rahmen der Fashion Week eine giftige Substanz getrunken hat, die seinen Körper verätzte und zu einem raschen Tod führte. Nur zwei Tage später geschieht ein weiterer Mord auf dieselbe Weise. Die Mordkommission hat allerhand zu tun und Jeppe Kørner beschleicht ein komisches Gefühl. Sein Freund Johannes hatte als letzter Kontakt zu Bartholdy, schnell stellt sich auch raus, dass beide eine Affäre hatten und sich am fraglichen Abend öffentlich gestritten hatten. Jetzt ist Johannes unauffindbar. Hat er etwas mit den Morden zu tun? Jeppes Nerven sind bis zum Reißen angespannt, da bietet auch seine neue Freundin kaum Entspannung, noch dazu da immer offenkundiger wird, dass sie im Alltag nicht so gut harmonieren wie im Urlaub. Jeppes Kollegin Anette hat derweil wenig Sinn für die Sorgen des Kollegen, ihr Gesundheitszustand macht ihr zunehmend zu schaffen und sie freundet sich fast mit dem Gedanken an, direkt auf einen Herzinfarkt zuzurasen. Aber jetzt ist nicht der richtige Moment für eine Auszeit, sie muss wohl oder übel durchhalten.
Fall zwei für das dänische Ermittlerteam, das einmal mehr von dem sympathischen Rentnerpaar Esther de Laurenti und Greger unterstützt wird, die sie im Fall des „Krokodilwächters“ kennengelernt haben. Ähnlich wie im Vorgängerband wählt Katrine Engberg einen ganz besonderen Handlungsort ihrer Heimatstadt Kopenhagen: dieses Mal wird das Geologische Museum zum Schauplatz eines hinterhältigen Mordes.
Stärker als im ersten Band der Serie steht dieses Mal das Ermittlerteam im Fokus der Geschichte, was mir gut gefallen hat, da sie vorher noch etwas zu blass blieben und jetzt ein deutlicheres Profil zeigen. Besonders Jeppe Kørner wird gefordert, ist er doch direkt mit dem Fall verbunden, da einer seiner ältesten Freunde unter Mordverdacht gerät. Diese nicht auflösbare Zwickmühle wird für ihn zur Zerreißprobe und drängt ihn immer mehr, andere Spuren zu verfolgen, so abstrus diese auch zu sein scheinen. Der Kommissar hat sich offenbar verrannt, da er die unverkennbare Erklärung nicht sehen mag. Die Lösung des Falls basiert auf einer in sich stimmigen, aber doch sehr wenig naheliegenden Verbindung, die mir ein wenig zu konstruiert erschien. Dies hat aber weder der Spannung noch dem Lesegenuss geschadet, denn einmal mehr konnte mich Katrine Engberg restlos überzeugen und die Erwartungen voll erfüllen.
Ein sauber konstruierter Fall mit einer ungewöhnlichen Mordwaffe, keine Nerven zerreißende Spannung, dafür überzeugende und authentisch wirkende Figuren, die der Handlung Leben einhauchen.
Ein herzlicher Dank geht an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Buch und Autorin finden sich auf der Verlagsseite.
Eine junge Frau wird in Kopenhagen ermordet. Julie wurde in ihrer WG überfallen und durch zahlreiche Messerstiche verstümmelt. Was wie ein grausamer, aber doch recht normaler Mord beginnt, erhält schnell eine seltsame Note: Die Vermieterin Julies, Esther de Laurenti, die im selben Gebäude wohnt und die Studentin natürlich kannte, ist gerade dabei einen Krimi zu schreiben und der Mord an Julie entspricht genau dem Szenario, das sie sich ausgedacht hatte. Die Ermittler Jeppe Kørner und Anette Werner schließen die ehemalige Professorin als Täterin aus, aber es muss eine Verbindung geben. Er hat Zugang zu dem unveröffentlichten Manuskript und wer wollte sich an Julie oder Esther rächen?
Katrine Engberg ist in Dänemark keine Unbekannte, als Tänzerin und Regisseurin hat sie sich bereits einen Namen gemacht, nun wagt sie sich auch ins literarische Fach und konnte mich mit ihrem Debut restlos überzeugen. „Krokodilwächter“ steht den großen skandinavischen Krimis in nichts nach: ein komplexer Fall, der sich im völlig durchschnittlichen dänischen Milieu abspielt; zwei Ermittler, die keine Superhelden sind, sondern auch mit ihren privaten Problemchen zu kämpfen haben und dennoch den Fall zielgerichtet und mit menschlichen Maß lösen.
Viele vermeintliche falsche Fährten legt Engberg aus, immer wieder findet sich das Ermittlerduo an einem toten Ende und muss von Neuem beginnen. Interessant ist jedoch, dass keine der Spuren wirklich ins Nichts führt, sondern dass es der Autorin gelingt, am Ende alle Fäden zu einem stimmigen und glaubwürdigen Gesamtbild zusammenzufügen. Dabei verzichtet sie auf allzu detaillierte und grausame Mordbeschreibungen, was jedoch durch kleine Szene, die ihr eigenes Gruselpotenzial haben, ganz locker aufgewogen wird. Besonders gut gefallen hat mir die Verortung des Romans in Kopenhagen, wenn man die Stadt ein wenig kennt, findet man vieles davon im Roman wieder. Und es ist durchaus nicht von der Hand zu weisen, dass Dänemark ein kleines Land mit wenigen Bewohner ist, was zu so mancher unliebsamen Begegnung führen kann. Handlung und Setting spielen so immer wieder Hand in Hand.
Ein vielversprechender Auftakt einer neuen Serie, der vermutlich nicht nur in Dänemark begeisterte Leser findet.