Agatha Christie – Der Tod wartet

Agatha Christie – Der Tod wartet

Eigentlich will Hercule Poirot nur das Fenster seines Hotelzimmers schließen, als er einen kurzen Dialog mitanhört, bei dem es ganz offenkundig darum geht, eine Frau zu töten. Genau das ist auch einige Tage später unweit der alten Ruinenstätte Petra der Fall: die alte Mrs Boynton, die ihre Familie tyrannisierte und für die Reisegesellschaft eine Qual darstellte, wird tot aufgefunden. Dr. Gerard, der sich zufällig am selben Ort aufhält, kommen Zweifel am natürlichen Tod, weshalb Poirot hinzugebeten wird. Dieser kündigt an, innerhalb von nur 24 Stunden das Mysterium lösen und den Mörder präsentieren zu können.

„Der Tod wartet“ ist bereits der 18. Fall für den belgischen Meisterdetektiv, den Agatha Christie dieses Mal lange Zeit nur am Rand der Handlung erscheinen lässt. Im Vordergrund steht Familie Boynton, die jedoch immer nur durch die Augen von Sarah King, einer jungen britischen Ärztin, und dem französischen Psychologen Dr. Gerard beschrieben werden, die sich zufällig in demselben Hotel in Jerusalem und später in dem Beduinenlager bei Petra aufhalten. Poirot löst den Fall, in dem er akribisch alle Beteiligten befragt und in gewohnter Manier Unstimmigkeiten offenlegt und die richtigen Schlüsse zieht.

Die Schilderungen der tyrannischen Matriarchin im Hotel und auf der Reise bieten quasi allen Figuren ein Mordmotiv. Die drei Stiefkinder Raymond, Carol und Lennox nebst seiner Frau Nadine werden systematisch unterdrückt und von Fremden ferngehalten. Die Mutter verfügt über das Geld der Familie und hat den Ton, den sie sich einst als Gefängniswärterin aneignete, auch bei der Erziehung der Stiefkinder beibehalten. Ihre eigene Tochter Ginevra ist inzwischen so weit der Realität entrückt, dass sie die Unterdrückung kaum mehr wahrnimmt. Sarah King und Dr. Gerard beunruhigt, was sie beobachten, auch dem Freund der Familie, Jefferson Cope, scheint nicht wohl bei dem zu sein, was seine alte Freundin den jungen Menschen antut. Die Lage spitzt sich in dem heißen Wüstenwetter immer weiter zu, so dass der Mord nicht weiter verwunderlich ist.

Auch wenn außer Frage steht, dass es hier zu einer heimtückischen Tötung kam, wird doch auch die Frage angerissen, ob man gemessen an dem, was die Kinder und potentiellen Täter erdulden mussten, von einer klassischen Schuld reden kann oder ob das Ableben nicht notwendig war, damit viele andere Personen leben konnten.

Eine gemeinschaftliche Tat kommt ebenso infrage wie der mutige Schritt eines einzelnen, man glaubt nur noch kleine Details von der Lösung entfernt zu sein, als Agatha Christie einmal mehr überrascht. Ein kurzes Vergnügen, auch wenn man einräumen muss, dass die Erzählweise mit zahlreichen Redundanzen und Wiederholungen etwas der Mode gekommen ist. Ein typischer Poirot, der vollends die Erwartungen bedient.

Nadine Pungs – Meine Reise ins Übermorgenland.

Nadine Pungs meine Reise ins Übermorgenland
Nadine Pungs – Meine Reise ins Übermorgenland.

Als Frau alleine einmal die Arabische Halbinsel von Jordanien bis in den Oman durchqueren – was für eine absurde Vorstellung und doch reizvoll, was sich die Journalistin Nadine Pungs vorgenommen hat. Zum einen finde ich die Region unheimlich spannend: uralte Geschichte, eine unbekannte Welt, völlig fremde Kulturen; andererseits sind da auch die Bedenken: was wird sie dort als Frau erleben, inwieweit lässt sich ihr Vorhaben überhaupt umsetzen. Sie trifft ganz unterschiedliche Menschen, bekommt mal mehr, mal weniger Einblick in den Alltag, ihre unvoreingenommene Haltung erlaubt ihr dabei auch zu völlig neuen Einsichten zu kommen. Mit informativen und wohl dosierten Hintergrundinformationen angereichert, wird dies ein nicht nur unterhaltsamer, sondern vor allem sehr aufschlussreicher Reisebericht.

Man weiß gar nicht, wo man eigentlich anfangen soll, so dicht ist der Text letztlich und so viele Eindrücke bleiben auch bei einem als Leser hängen. Vielleicht nähert man sich am besten geografisch, denn auch wenn die bereisten Länder alle auf derselben Halbinsel liegen und allgemein als „arabisch“ zusammengefasst werden, könnten die Unterschiede kaum größer sein. Saudi-Arabien kann sie wegen fehlender Visaausstellung nicht bereisen, so sind es vor allem die kleineren Länder, die man oftmals von Zentraleuropa aus gar nicht so deutlich unterscheiden kann.

Ganz unverkennbar treten diese Differenzen bei den Freiheiten der Frauen hervor, häufig trifft Pungs auf hochgebildete, emanzipierte Frauen, die ihr Leben selbst gestalten und sich nichts von den Eltern oder Brüdern vorschreiben lassen. Auch wenn viele verschleiert sind, haben sie hierzu eine gänzlich andere Auffassung als die bei uns vorherrschende. Die Bedeckung wird als modisches Accessoire stilvoll eingesetzt und bietet in der Öffentlichkeit nicht nur Schutz nicht nur vor fremden, ungewollten Blicken, sondern vor allem vor Klatsch und Tratsch, weil man sich so anonym bewegen kann.

Rechtlos und unterdrückt sind weniger die Frauen als die Einwanderer aus Südostasien, die sie in mehreren Ländern als billige Arbeitskräfte kennenlernt. Es grenzt an moderne Sklaverei, die jedoch gesellschaftlich toleriert und nicht infrage gestellt wird. Die Trennlinien verlaufen anders als bei uns, weshalb die westliche Journalistin auch erstaunlich große Freiheiten auf ihrer Reise genießt. Ähnlich geht es den zahlreichen Expats, die jedoch auf der Halbinsel weitgehend unter sich bleiben. Eine Vermischung findet dort faktisch gar nicht statt, interkulturelle Ehe sind faktisch nicht vorhanden.

Man könnte es Doppelmoral nennen oder einfach als ein Arrangieren mit den Gegebenheiten sehen. All die Laster, die man dem Westen vorwirft – Alkohol, Drogen, Prostitution – finden sich dort ebenso, nur vielleicht nicht ganz so öffentlich und von oberflächlicher Protzerei, gerade in Dubai, ist hier in den letzten Jahren ebenfalls viel angekommen.

Sicherlich sind Reiseberichte ein ganz eigenes Genre, das eine große Bandbreite zu bieten hat und nicht selten auch etwas langatmig werden kann. Pungs gelingt es jedoch, ihre Erfahrungen ansprechend und unterhaltsam darzubieten, wodurch man gerne mit ihr auf Reisen geht.

Hala Alyan – Häuser aus Sand

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Hala Alyan – Häuser aus Sand

In Jaffa ist sie aufgewachsen, doch sie wurden vertrieben und so wird Nablus die neue Heimat für Salma und ihre Familie. Ihre Kinder könnten kaum verschiedener sein, die in sich gekehrte Widad und die beiden modernen, lebhaften Mustafa und Alia. Kurz vor Alias Hochzeit liest Salma im Kaffeesatz und weiß, dass ihrer Tochter ein bewegtes Leben bevorsteht. Die Vorhersehung wird sich bewahrheiten, Alia, die den besten Freund ihres Bruders, Atef, heiratet, wird mit ihm und den Kindern Riham, Karam und Souad immer wieder von Neuem beginnen, vor Krieg flüchten und das Leben in einem anderen Land neuordnen müssen. Auch ihre Kinder werden in gewisser Weise zu Nomaden werden und Alias Enkel werden schließlich vor all den Einflüssen und Kulturen, der unterschiedlichsten Länder, in denen sie gelebt haben, kaum mehr wissen, wo sich ihre Wurzeln befinden.

Hala Alyan hat in ihrem Debut Roman einer Familie eine Stimme gegeben, deren Geschichte jedoch typisch ist für die vieler aus dem Nahen Osten. Über Generationen immer weiter über die Erdteile zerstreut, wegen Krieg und Vertreibung zu Flucht und Neubeginn in der Fremde gezwungen und mit jeder Generation ein Stück weiter vom eigentlichen Ursprung entfernt.

Der Aufbau des Buches hat mir unheimlich gut gefallen, es ist nicht nur die Geschichte Alias, auch wenn sie Dreh- und Angelpunkt der Handlung bleibt. Wir erleben mehrere Generationen: Kinder, die andere Werte und Ideale als die Eltern vertreten, sich entfernen und doch immer wieder zueinander finden. Es sind immer nur Momentaufnahmen, dazwischen fehlt vieles, aber das ist nicht wichtig, es ist der Moment, der zählt.

Neben der Geschichte der Familie ist der Roman auch hochpolitisch – politische Entscheidungen sind es, die die Yacoubs immer wieder vertreiben: aus Jaffa, aus Nablus, aus Kuweit, aus den USA, aus dem Libanon. Aber es sind nicht diese politischen Entwicklungen, die thematisiert werden, sondern ihre Auswirkungen auf die Menschen, das erzwungene Nomadentum, die Entwurzelung, der Sprachenmischmasch, der zwangsweise über die verschiedenen Wohnorte und Lebensläufe entsteht und die Kommunikation schon zwischen Großeltern und Enkeln erschwert. Der Roman ist keine Anklage, eher ein Zeugnis, das mahnend dasteht und für sich selbst spricht.

Als Manar am Ende wieder in Jaffa steht, dem Sehnsuchtsort ihrer Ur-Großmutter und eine Verbindung spürt, die sie nicht einordnen und schon gar nicht mit ihrer Familiengeschichte in Zusammenhang bringen kann, schließt sich der Kreis. Ein rundes Buch mit starken Figuren und überzeugend vor dem Hintergrund der Geschichte des Nahen Ostens der letzten Jahrzehnte erzählt.