Kopano Matlwa – Du musst verrückt sein, wenn du trotzdem glücklich bist

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Kopano Matlwa – Du musst verrückt sein, wenn du trotzdem glücklich bist

Fünfundzwanzig Jahre ist es nun her, dass in Südafrika die Apartheid gesetzlich beendet wurde. Zu kurz, um auch in den Köpfen den Rassismus zu beenden. Masechaba arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus, wo sie jeden Tag mit ansehen muss, wie Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe nicht nur diskriminiert werden, sondern man sie bisweilen auch einfach sterben lässt. Dass System ist chronisch unterfinanziert und bald schon muss sich die junge Frau fragen, weshalb sie sich das überhaupt antut, immer weitermacht und wo ihre Ideale geblieben sind, denn wenn sie sich nicht anpasst, kann sie den harten Alltag nicht durchstehen. Eine Vergewaltigung durch mehrere Männer in der Klinik wirft sie schließlich völlig aus der Bahn.

„Manchmal möchte ich irgendwas empfinden. Ich führe eine Reanimation durch und weiß, ich sollte etwas dabei empfinden, aber ich weiß nicht mehr, wie das geht. Etwas in mir ist blockiert, steckt fest. Auf meiner Brust liegt ein Gewicht, ich will es wegatmen, aber das kann ich nicht. Deswegen bin ich auch erleichtert, wenn die Patienten sterben.”

Den Klinikalltag, den Kopano Matlwa schildert, ist für unsere Verhältnisse unvorstellbar. Die Autorin weiß, wovon sie schreibt, sie ist selbst Ärztin und neben ihrer bereits mehrfach ausgezeichneten Schreiberei ist sie als Aktivistin für die Rechte von Frauen engagiert. Die großen Erwartungen ihrer Generation, der sogenannten „Born Free“, nach der Wende und die ebenso große Enttäuschung, da diese in keiner Weise erfüllt wurden, sind ihr literarisches Hauptthema.

„Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich erwartet habe, wie sich »Gutes tun« anfühlen würde. Auf jeden Fall nicht so. Da ist kein Zauber, keine göttliche Erleuchtung. Es ist genauso schwer wie Böses tun”

Das Innenleben der Erzählerin ist schwer zu ertragen. Nicht nur der Rassismus, der in der Klinik offen zur Schau getragen wird, sondern auch die Ohnmacht gegenüber einem System, dem sie nichts entgegenzusetzen hat, sind entsetzlich und werden von der Autorin ungeschönt offengelegt. Masechaba will sich weder den gesellschaftlichen noch den medizinischen Gegebenheiten hingeben, sondern Menschen helfen, Leben retten, aber sie kommt an ihre Grenzen. Wenn sie nicht ebenso abstumpft wie alle anderen um sie herum, wird sie zugrunde gehen. Gewalt ist allgegenwärtig, nicht nur landen die Opfer auf ihren Behandlungsstühlen, sondern die Ärzte und Schwestern selbst müssen immer und überall damit rechnen.

„Doch als ich dort am Boden lag, in jenem dunklen Gang, während sich das Blut langsam um meine Hose sammelte, konnte ich nur noch an Kaliumchlorid denken, 7,46 % in der 10-ml-, 20 % in der 20-ml-Ampulle und viel zu wenig in der vorgefertigten Lösung, um einen tödlichen Herzstillstand auszulösen.”

Nicht nur dass dieses unglaubliche Verbrechen an ihrem Arbeitsplatz geschieht macht einem sprachlos. Es sind vor allem die Reaktionen darauf. Blutend mit zerrissenen Hosen und verstört von dem Erlebnis kritisiert man sie für ihre langsame Arbeit. Der Priester sieht es als göttliche Fügung, ihr persönliches Umfeld bittet sie, die Tat zu verschweigen, eigentlich solle sie froh sein, immerhin lebe sie ja noch und genaugenommen war es doch eh nur ein kurzer Vorgang, der nichts mit irgendwelchen Emotionen zu tun hat. Wie schlecht es ihr damit geht, ist in dieser Welt egal, denn Gewalt gegenüber Frauen gehört so sehr zur Tagesordnung, dass sie nur noch zu Schulterzucken führt.

Ein grausamer Blick in ein Land, dessen Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Schilderungen sind brutal und entsetzlich, dennoch folgt man dem Bericht der Erzählerin gebannt. Immer wenn man denkt, jetzt könne es nicht mehr schlimmer werden, kommt es schlimmer und dennoch gibt es am Ende ein Fünkchen Hoffnung, gerade da, wo man es am wenigsten erwarten würde. Gerade weil die Geschichte eine Herausforderung ist, sollte man sie lesen, um den eigenen Blick auf die Welt und unseren Alltag wieder etwas gerade zu rücken.

Kenneth Bonert – The Mandela Plot

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Kenneth Bonert – The Mandela Plot

Life is well regulated in South Africa at the end of the 1980s. Apartheid rules and black and white only meet when the former serves or received commands from the later. Thing are only slightly different in the Jewish Helger household in Johannesburg; having survived the Holocaust, the parents developed a more humane attitude than most of their white fellows. Yet, their routines change with the arrival of an American exchange teacher. Annie Goldberg has come to teach at a primary school in one of the townships – a place none of the Helger family would ever go to. 16-year-old Martin is fascinated by the pretty and radical woman. Her political opinion drastically differs from his parents’ point of view and soon he finds himself in the middle of the struggles to fight for freedom for the oppressed peoples’ hero Nelson Mandela.

The beginning of the novel is immediately captivating. Just as Martin is fascinated by this strange American, the reader also falls for her charisma. She is a freedom fighter who can easily convince her audience with her statements on the current political situation in a way that you just have to agree – knowing that things might be a lot more complicated. The double complex of having a Jewish survivor family who went through oppression by the Nazi regime gives the novel an even more complicated background.

I especially appreciated the long debates between the Helgers and Goldberg, they gave a precise picture of South Africa of that time and the contradicting positions were thus well established. However, even though this was very interesting, it did not add to the suspense. Since the novel is promoted as “literary thriller”, I’d have expected a bit more of that.

At some point of the story, I got a bit lost. Even though I liked the protagonist Martin and his development is well motivated and largely plausible, the plot was a bit unsatisfactory. At the end, I even had the impression that there was a certain lack of idea of how to finish it at all, the solution chosen did everything but convince me. All in all, I had the impression that the novel wanted to be too much: a thriller, historical fiction, coming-of-age and also the specific aspects of the surviving Jew – it obviously cannot serve all expectations aroused and therefore to conclude, it is only partly recommendable.

Bianca Marais – Summ, wenn Du das Lied nicht kennst

Summ wenn du das Lied nicht kennst von Bianca Marais
Bianca Marais – Summ, wenn Du das Lied nicht kennst

Südafrika, 1976. Das Land ist durch die Apartheit klar geteilt, die Rollen der Schwarzen und Weißen unumstößlich festgeschrieben und wenn sich ihre Wege kreuzen, weiß jeder, wo er steht. Doch die kleine Robin muss schon jung miterleben, dass womöglich doch nicht alles in Stein gemeißelt ist. Als ihre Eltern von Schwarzen ermordet werden, kommt sie bei ihrer recht progressiven Tante Edith unter. Diese ist gänzlich ungeeignet, sich um ein Kind zu kümmern und möchte auch ihren Job als Stewardess nicht aufgeben. Eine Lösung finden sie in Beauty, einer schwarzen Lehrerin aus der Transkei, die in Johannesburg nach ihrer Tochter sucht, die sich dem Kampf gegen die Unterdrückung angeschlossen hat. Im Laufe der Zeit lernt Robin, dass es Gut und Böse auf beiden Seiten gibt und dass im Leben nicht die Hautfarbe das Entscheidende ist.

„Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ ist ein etwas sperriger Titel, der sich jedoch recht schnell im Roman erklärt. Letztlich ist es das, worum es geht: sich im Leben zu helfen wissen und sich mit der Situation zu arrangieren. Dies ist jedoch im Apartheits-Setting Südafrikas nicht ganz einfach, der Autorin ist jedoch gelungen, eine passende Perspektive zu finden, um die Positionen klar zu machen, ohne sich einseitig gegen die Unterdrückung zu stellen. Durch Robins kindlich-naiven Blick, der Dinge erst einmal als gegeben nimmt, was sie aber nicht daran hindert, sie zu hinterfragen, kann sie umso besser unterstreichen, wie absurd die Vorurteile waren.

Die beiden Protagonistinnen könnten verschiedener nicht sein: nicht nur ihre Hautfarbe trennt sie, auch das Alter und ihre gesellschaftlich zugewiesenen Rollen sollten eigentlich jede Art von Zuneigung verhindern. Doch beide, Robin wie Beauty, sind einfach Menschen, was sich positiv in Bezug auf ihre Freundschaft auswirkt, wie auch negativ, indem sie ihren Emotionen folgen und so Fehler machen. Beide sind auf ihre Art jedoch sympathisch und tragen die Handlung.

Besonders gut gefallen hat mir, dass nicht nur die Unterdrückung der Schwarzen thematisiert wurde, sondern auch Juden und Homosexuelle als Randgruppen und Opfer von Ausgrenzung und Gewalt thematisiert wurden. Selten ist es in einem Unterdrückungsstaat nur eine Minorität, die den Anfeindungen ausgeliefert ist.

Trotz der Ernsthaftigkeit der Geschichte wird diese mit einem lockeren, oft sogar lustigen Ton erzählt, was nur unterstreicht, dass es keinen Sinn macht, den Kopf in den Sand zu stecken, egal wie verzweifelt man ist.

Ein gelungener Roman, der zudem vom Verlag wunderschön gestaltet wurde und so auch optisch richtig etwas hermacht.

Ein herzlicher Dank geht an die Verlagsgruppe Random House für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zum Titel finden sich auf der Verlagsseite.

Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

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Deborah Levy – Was ich nicht wissen will

Deborah flieht aus Südafrika nach Mallorca, Mitten im Winter, um zu schreiben. Doch schon das Ankommen ist so beschwerlich, dass sie keinen richtigen Anfang findet. Mit einem chinesischen Ladenbesitzer kommt sie ins Gespräch. Er genau wie sie fern der Heimat, der Landessprache nicht mächtig, fremd. Sie erzählt ihm von ihrer Kindheit in Südafrika, zur Zeit der Apartheit, als man ihren Vater wegen seiner Aktivitäten für den ANC verhaftete und sie zu einer entfernten Tante schicke, wo sie als jüdischen Mädchen bei Nonnen unterrichtet wurde. Sprach sie zuvor schon nicht viel, verstummt sie nun fast gänzlich. Nach Jahren des Wartens wird der Vater freigelassen und die Familie flieht nach England. Zwar spricht man dieselbe Sprache, aber das Mädchen findet immer noch keine Worte, um sich auszudrücken. Erst durch das Schreiben kann sie das, was in ihr vorgeht, nach außen dringen lassen.

Deborah Levys literarischer Durchbruch gelang ihr 2012 mit Heim Schwimmen, für das sie auf der Shortlist des Man Booker Prize 2012 stand. Dasselbe konnte sie im vergangenen Jahr mit Hot Milk wiederholen. Als Südafrikanerin hat sie die Rassentrennung miterlebt, die auch zentral für „Was ich nicht wissen will“ ist. Der Untertitel, der leider bei der deutschen Ausgabe fehlt, unterstreicht die realen Bezüge, dass es ihre Gedanken sind und ihre Erklärung dafür ist, weshalb sie zur Schriftstellerin wurde: A reponse to George Orwell’s 1946 essay ‚Why I write‘.

Es sind zwei Phasen in ihrem Buch, die mich besonders beeindruckt haben. Die erste zu ihrer Kindheit in Johannesburg, wo sie mit der den Kindern eigenen Naivität die Welt beobachtet und erfasst, ohne zu verstehen, was sie sieht und was dies bedeutet:

Der Koffer, den mein Vater packt, ist sehr klein. Bedeutet das, er kommt bald wieder? Die Männer haben ihm ihre breiten Hände auf die Schultern gelegt. (…) Und jetzt wird er zügig abgeführt von Männern, von denen ich aus mitgehörten Gesprächen zwischen Mom und Dad weiß, dass sie andere Menschen foltern und dass sie manchmal am Handgelenk ein Hakenkreuz eintätowiert haben.

Vor allem die innige Beziehung zu ihrem Kindermädchen Maria und deren Tochter Thandiwe und das nur langsame Begreifen, dass sie zwar im selben Haus, aber nicht in derselben Welt leben, wird durch ihren kindlichen Blick nicht verwässert, sondern geschärft:

Thandiwe durfte eigentlich nicht bei uns zu Hause sein, denn sie war schwarz, und ich hatte versprechen müssen, es keiner Menschenseele zu sagen. Ich nannte Thandiwe manchmal Doreen, aber nur hin und wieder. Doreen weinte auch noch, als Maria mit ihr den Bungalow verließ und sie zur Bushaltestelle »Nur für Schwarze« brachte, von der aus sie in die »Township« zurückfahren sollte, in der sie lebte.

Zum anderen ihre Zeit in England, wo sie sich wie im Exil fühlt, zwangsverfrachtet, da in der alten Heimat kein Leben mehr möglich ist. Auch nach Jahren ist sie in der neuen Heimat nicht angekommen und vermisst das, was sie aufgeben musste:

Seit sechs Jahren lebte ich jetzt in England und war fast so englisch wie eine eingefleischte Engländerin. Trotzdem war ich von anderswo. Mir fehlten der Geruch der Pflanzen, für die ich keine Namen hatte, die Stimmen der Vögel, für die ich keine Namen hatte, das Gemurmel in Sprachen, für die ich keine Namen hatte.

Gerne erinnert sie sich zurück, doch als Erwachsene muss sie erkenne, dass ihre Erinnerungen sich womöglich nicht mit den Eindrücken der anderen Menschen decken:

Nur eine Erinnerung möchte ich behalten: Maria, die auch Zama ist, wie sie abends auf den Verandastufen sitzt und Büchsenmilch trinkt. Die afrikanischen Nächte waren warm. Die Sterne leuchteten hell. Ich liebte Maria, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich ebenfalls liebte. Politik und Armut hatten sie von ihren leiblichen Kindern getrennt, und sie war ausgelaugt von den weißen Kindern in ihrer Obhut.

Auch wenn der Verlag ihn als Roman führt, ist es doch eher ein Essay über das Dasein als Schriftsteller, in dem Deborah Levy genau wie auch Orwell autobiographisch begründet darlegt, weshalb sie gar nichts anderes tun kann, als schreiben. Orwells vier Motive gelten meines Erachtens gleichermaßen für Levy: Egoismus, da man gerne auch über sich schreibt; ästhetischer Enthusiasmus, ein historischer Impuls und die politische Absicht – all dies findet sich hier uns in anderen ihrer Werke wieder.