Jérôme Leroy / Max Annas – Terminus Leipzig

Jérôme Leroy / Max Annas – Terminus Leipzig

Nach einem Alleingang mit ihrem Team, bei dem ein Kollege tödlich getroffen wird, wird die DGSE Kommissarin Christine Steiner zunächst beurlaubt. Die Zeit soll sie auch nutzen, um den Selbstmord ihrer Mutter zu verarbeiten. Obwohl privat unterwegs bittet ihr Chef sie, bei einem Einsatz in Lyon zu unterstützen. Dort wurde ein älteres deutsches Ehepaar ermordet, ehemalige Mitglieder einer linksextremen Gruppierung, auf die ein deutsch-französisches rechtes Bündnis offenbar gerade Jagd macht. Als Christine den Tatort inspiziert, findet sie etwas, das sie völlig aus der Bahn wirft: ein Foto, auf dem ihre Mutter und sie als Kleinkind zu sehen sind. Ihre Mutter hatte nie darüber gesprochen, weshalb sie 1971 alle Brücken zu ihrer deutschen Heimat abgebrochen hat. Christine benötigt nicht viele Informationen, um sich schon kurz danach auf den Weg nach Leipzig zu machen und Rache zu nehmen.

Es gibt Autoren, zu deren Büchern man greift, ohne auch nur einen kurzen Blick auf den Klappentext zu werfen. Jérôme Leroy zählt für mich zu diesen, Max Annas konnte mich bislang gleichermaßen begeistern. Eine Kooperation von beiden ist daher etwas, das ich mir kaum entgehen lassen konnte. „Terminus Leipzig“ ist im Rahmen des Krimifestivals „Quais du Polar“ zwischen den beiden Autoren und ihren Verlagen Edition Nautilus aus Deutschland und Le Point aus Frankreich entstanden. Wie auch in ihren anderen Romanen wird die Handlung von gesellschaftspolitischen Ereignissen getragen, hier der gegenwärtige Terrorismus, der mit der linksextremen Gewalt in der Bundesrepublik der 1970er geschickt verbunden wird.

Als Leiterin einer Antiterroreinheit ist Christine unerschrocken und strategisch in ihrem Vorgehen. So akribisch sie sich über ihre Zielpersonen informiert, hat sie die fehlenden Informationen über ihre eigene deutsche Herkunft immer hingenommen und die Mutter nie genötigt, etwas über ihre Zeit vor dem Umzug in die französische Provinz zu berichten. Das Foto vom Tatort lässt jedoch kaum andere Schlüsse zu als dass die unauffällige Krankenschwester offenbar eine extremistische Vergangenheit hat. In Wolfgang Sonne, der ebenfalls zu sehen ist, glaubt Christine ihren Vater zu erkennen, weshalb sie sich auf den Weg zu ihm macht, um Antworten auf die bislang nie gestellten Fragen zu erhalten. Doch dafür bleibt kaum Zeit, denn gerade in Leipzig angekommen, geraten sie in das Feuer der Rächer, die Sonne ebenfalls ausfindig gemacht haben.

Ein rasanter Kurzkrimi, der sich nicht lange mit der Figurenentwicklung aufhält, sondern unmittelbar ins Geschehen einsteigt. Eine vielversprechende Zusammenarbeit der beiden Autoren, die für mein Empfinden noch stärker hätte ausgebaut werden können, denn sie reißen nur an, was sie eigentlich können. Auch die Handlung bietet noch Entwicklungsspielraum, womöglich ist dies ja in dem Cliffhanger am Ende angelegt, wünschen würde ich mir das jedenfalls.

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Berthet soll getötet werden, von seinen eigenen Leuten, die wie er Mitglied der Unité sind, jeder Einheit, die im Verborgenen die Schmutzwäsche des Staates beseitigt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Berthet ist Agent, Auftragsmörder, der nicht viele Fragen stellt, sondern sauber die Befehle ausführt. Nebenbei hat er seit Jahren jedoch auch seine eigene Agenda, diese hat auch einen Namen: Kardiatou Diop. Als er ihr zum ersten Mal begegnete, war sie eine 14-jährige Göre aus der Vorstadt mit schlechter Zukunftsprognose, doch im Geheimen hat er immer wieder die Weichen gestellt und eine schützende Hand über das Mädchen gehalten, das inzwischen zur populären Politikerin aufgestiegen ist. Doch bevor seine Kollegen ihren ultimativen Anschlag durchführen, muss Berthet noch etwas erledigen: seine Geschichte erzählen.

„Das ist das Alter, denkt Berthet erneut. Oder die Wehmut. Berthet ist ein Nostalgiker. Das weiß er. Dabei gibt es eigentlich nicht viel, dem er nachtrauern kann. Er hat sich sein Leben lang mit nichts anderem als Mord, Folter, Erpressung, Destabilisierung, Manipulation, Vergewaltigung, Verstümmelung, Attentaten und Entführungen beschäftigt. Trotzdem ist Berthet ein Nostalgiker.“

Schon Jérôme Leroys Krimi „Der Block“ über die extremen Rechten in Frankreich konnte mich sehr begeistern, weshalb die Erwartungen an „Der Schutzengel“ hoch waren. Wieder einmal greift er in einem Roman politische Ereignisse und gesellschaftliche Strömungen auf, die maßgeblich für die Handlung sind. Der aktuelle Krimi ist jedoch in seiner Konstruktion etwas sperrig, was das Lesen nicht ganz einfach macht, wenn dies auch literarisch experimentell und interessant gestaltet ist. So kommt es für mich nach extrem starkem Beginn im ersten Teil zu einem langsamen Nachlassen, Teil drei ist mit Abstand der schwächste, was ich einzig der Perspektivwahl zuschreiben würde.

Der Krimi beginnt damit, dass Man Berthet in Lissabon in voller Aktion erlebt. Nein, eigentlich hat er dort keinen Auftrag, sondern genießt nur die Stadt unter einer seiner vielen Identitäten, als er auf ein ziemlich dilettantisch agierendes Trio aufmerksam wird. Es endet nicht nur im Blutbad, sondern im völligen Chaos. In Teil zwei will er den Autor Joubert davon überzeugen, seine Memoiren zu schreiben. Joubert ist gerade verlassen worden und ziemlich abgebrannt, aber ein dreiteiliges, ziemlich totes Mordkommando in seinem Wohnzimmer überzeugt ihn dann doch recht schnell.

»Wenn ich jedes Mal geheult hätte, wenn mein Leben im Umbruch war und ich Zeuge eines Blutbads wurde … Diese linken Intellektuellen sind die reinsten Waschlappen. Verdammt noch mal.« »Und dann wird er bald auch noch fünfzig«, fügt Berthet hinzu, während er Joubert die Schulter tätschelt. »Und er hat nicht viel Geld und auch keine Rolex.«

Berthet ist ohne Frage die interessanteste Figur. Zahlreiche Brüche – kaltblütiger Mörder hier, Poesie liebender Schutzengel dort – zeigen immer wieder neue Seiten. Daneben verliert man beinahe die politischen Implikationen seines Daseins aus den Augen. Der Aufstieg der extremen Rechten, die verzweifelten Versuche diese im Zaum zu halten und das Mächtegleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen, man kann sich problemlos das Dasein der Unité vorstellen. Mit dem SAC (service d’action civique) gab es ja durchaus schon eine reale Vorlage.

Neben den kritischen Anspielungen begeistert der Roman jedoch vor allem durch die lakonische Erzählweise. Berthet fackelt nicht lange rum, er nennt die Dinge beim Namen, er hat zu viel gesehen, um noch irgendwas zu beschönigen. Außer in der Poesie, da darf es schon mal etwas verspielter für ihn werden.

Jérôme Leroy – Der Block

pb
Jérôme Leroy – Der Block

Eine Nacht in Paris. Zwei Männer lassen uns an ihren Gedanken teilhaben. Antoine Maynard, Schriftsteller, Intellektueller und Ehemann der bald wichtigsten Frau im Land wartet auf ihre Rückkehr. Im Fernsehen betrachtet er die aktuellen Meldungen zu den seit Wochen anhaltenden Aufständen. Schon 752 Tote. Das wird der Partei in den laufenden Verhandlungen helfen. Er erinnert sich zurück an seine Anfänge, einerseits intelligenter Schüler, der die meiste Zeit mit Bücher verbrachte, gleichzeitig aber auch Karriere als brutaler Einheizer der extremen Rechten, der Jagd auf Muslime, Schwarze und Juden gleichermaßen machte. Doch der rechte Pöbel ist salonfähig geworden und am Ende dieser Nacht werden sie gleich mehrere Ministerien besetzen. Begleitet bei seinem Aufstieg hat ihn Stéphane Stankowiak, Stanko, der neue Leute rekrutierte und für den Straßenkampf ausbildete. Aber Stanko ging einmal zu weit und heute Nacht ist die Order ausgegeben, ihn zu lynchen. Beide Männer warten auf ein Zeichen, das die Grübeleien beendet und doch können sie sich vor den Erinnerungen nicht schützen. Individuelle Erinnerungen, die den fatalen Aufstieg einer extremen Partei beschreiben.

Man muss bei der Besprechung des Buchs eigentlich von hinten anfangen. Das Nachwort des Autors ist wichtig bei der Einordnung seines Romans, den er selbst als „Roman noir“ bezeichnet und somit die Grenze zwischen Gut und Böse verwischt und die gesellschaftskritische Relevanz verdeutlicht. Die Fiktion versucht möglichst nah an der Realität zu bleiben, da sie diese zum wesentlichen Inhalt hat – aber wie kann man über eine extreme politische Partei schreiben, ohne juristische Konsequenzen gleich mit einzukalkulieren? Ein schmaler Grat, der Jérôme Leroy zweifelsohne gelungen ist. Man erkennt den Front National, obwohl er entsprechende Modifikationen vorgenommen hat. Es sind aber auch nicht die ganz prominenten Gesichter der Partei, die ihm Roman handeln, sondern zwei fiktive Nebenerscheinungen, die in dieser Weise real sein könnten oder auch nicht.

Die beiden Ich-Erzähler könnten verschiedener kaum sein, umso interessanter aber, wie sie den Weg zu dieser Partei und dort offenbar eine Ersatzfamilie gefunden haben. Antoine, als Autor wenig beachtet trotz der erzielten Erfolge. Sein Talent im Umgang mit der Sprache und seine Liaison mit der Lieblingstochter des „Alten“, in den 80ern und 90ern unangefochtene Nummer 1 der Partei, macht ihn wertvoll für die Bewegung, kann er doch sprachlich passend neue Zielgruppen erschließen. Interessiert an Geschichte und bedingt durch seine eigene Familie ist er bestens vertraut mit den Geschehnissen in der Welt und doch ist die Partei für ihn attraktiv – womöglich aber liegt hier der besondere Reiz in seiner Ehefrau, für die er seinen Beruf und sein Leben opfert und die heute die Nummer 1 ist und bald auch im Land die wichtigste Person sein wird.

Das extreme Gegenteil davon ist Stanko. Spross einer geradezu typischen Arbeiterfamilie. Als Jugendlicher schon hat er die Untreue der Mutter beobachtet, zugesehen, wie sein Vater die Arbeitslosigkeit im Alkohol ertränke und war bald schon Opfer eines Pädophilenrings geworden. Entwurzelt mit wenig Bildung hat er schnell den Weg zu radikalen Schlägertrupps gefunden. Trotz aller Bemühungen Antoines seinen Intellekt ein wenig zu fördern, ist Stanko doch immer der primitive Arbeiter fürs Grobe geblieben. Und jetzt braucht und will man ihn nicht mehr.

Verwundert schaut man aus Deutschland auf das Nachbarland und den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Front National. Wer, mit auch nur einem Funken verstand, kann diese Partei unterstützen? Jérôme Leroy gibt Antworten in seinem Roman:

„On nous cache tout. On nous dit rien. Man verheimlicht uns alles. Man sagt uns gar nichts, singt Jacques Dutronc. Genau dieses primitive Ressentiment treibt, unausgesprochen, den Durchschnittsfaschisten an“

Das Gefühl von den Regierenden nicht ernstgenommen zu werden und Wesentliches verheimlicht zu bekommen, lässt den kleinen Mann zu denjenigen rennen, die Wahrheit und Ehrlichkeit versprechen. Die große Masse jedoch bleibt passiv-apathisch in ihrem Alltag gefangen. Schon lange interessieren sie sich nicht mehr für das, was über ihr eigenes Heim hinausgeht. Sicherlich extrem formuliert, aber in der Aussage nicht zu verachten:

„Du fragst dich in dieser Nacht wirklich, was eher deinen Respekt oder dein Opfer verdient: eine Gesellschaft, in der neun von zehn Paaren, wenn sie aus dem Kino kommen, zuerst ihr Handy wieder einschalten, bevor sie miteinander sprechen, oder eine Gesellschaft, in der eine junge, verschleierte Frau fähig ist, sich an einem Grenzposten selber in die Luft zu jagen, im Namen ihres Volkes und ihres Glaubens?”

Wer kurz vor der Präsidentschaftswahl am 23.4. und 7.5.2017 verstehen will, weshalb der FN mit seiner Anführerin Marine Le Pen durchaus eine Chance hat, sollte zu Leroys Roman greifen. Und wer endlich einen Anstoß braucht, nicht mehr nur zuzuschauen, was sich in Europa gerade an extremen Parteien widerstandslos formiert, sollte dieses Buch ebenfalls lesen.