Arvid Heubner – Totenstill

Arvid Heubner – Totenstill

Ein Eliteinternat in Sachsen-Anhalt. Seit vielen Jahren schon ist es Tradition, dass die Abiturientinnen zu einer Silentiumwoche aufbrechen, um vor den Prüfungen nochmals mentale Energie zu tanken. Doch nun ist seit mehreren Tagen kein Kontakt mehr zu ihnen herzustellen und die winterlichen Temperaturen und der starke Schneefall machen den Verantwortlichen Sorgen. Die Polizei kämpft sich zur Hütte vor, diese ist jedoch verlassen, von den Mädchen und ihrem Lehrer keine Spur. Erst als einige Stunden später die 18-jährige Mia völlig erschöpft aufgefunden wird und den Hinweis auf eine Höhle geben kann, gibt es die erste hilfreiche Spur. Doch was die Ermittler dort erwartet, ist ein Bild des Grauens: alle Schülerinnen sowie der Tutor sind tot, brutal und eiskalt ermordet. Tinus Geving vom LKA und ehemaliger Europol Ermittler leitet die Mordkommission, die schon bald merkt, dass der Fall nicht nur wegen der Herkunft der höheren Töchter brisant ist, sondern auch ganz aktiv aus den eigenen Reihen behindert wird.

Der Klappentext hat mich unmittelbar neugierig auf den Thriller gemacht. Welche Intrigen wohl in diesem Internat gesponnen wurden, dass sie mit einem solchen Verbrechen endeten? Und wer sind die Eltern der Mädchen, dass diese statt zu trauern Einfluss auf die Ermittlung nehmen können? Leider jedoch blieb die Geschichte für mich etwas hölzern und an vielen Stellen nicht wirklich nachvollziehbar. Der Fokus liegt nicht auf den Geschehnissen der Schule, sondern auf der Soko Eichenburg, allen voran dem Geving, der an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und dessen negative Gemütsverfassung dich bleiern über den ganzen Text senkt.

Die Ermittlungen der Sonderkommission kommen nur langsam voran, viel zu wenige Hinweise erschweren die Spurensuche, wesentliche Untersuchungen werden schlichtweg vergessen. Weshalb Geving nicht mehr Europol ist, erschließt sich im Laufe der Handlung durch seine Flashbacks, dass er aber in der tiefsten Provinz versauert, erklärt sich dadurch für mich nicht. Auch dass sein letzter internationaler Fall plötzlich mit den Vorkommnissen des Internats in Verbindung steht und er die großen Zusammenhänge erkennt, war für mich etwas zu viel des Zufalls.

Parallel werden die Intrigen innerhalb der sachsen-anhaltinischen Landesregierung gesponnen. Auch hier leider nur eine Ansammlung eindimensionaler Figuren, die sich durch Machtgeilheit und Rücksichtslosigkeit auszeichnen, weitere Charaktermerkmale sind Fehlanzeige. Politik ist hier kein komplexes Thema, sondern eine Spielwiese für Egozentriker, die diese maximal ausreizen.

Die Kapitelüberschriften weisen eine gewisse Anlehnung an die sieben Todsünden auf, was sehr viel hergegeben hätte, leider bleiben aber die Figuren insgesamt zu flach, um dies in glaubwürdige Motive und überzeugende Aktionen umzusetzen. Zwar werden am Ende die Zusammenhänge restlos offengelegt, diese sind aber für mein Empfinden etwas zu abenteuerlich, um glaubwürdig zu wirken. Ein spannendes Szenario und durchaus ansprechender und spannender Schreibstil, aber in der Gesamtschau nicht ganz rund.

Mark Johnson – Die schlichte Wahrheit

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Mark Johnson – Die schlichte Wahrheit

Dass er einmal in der Politik landen würde, hatte sich Jonatan Stark nicht vorstellen können. Neue Technologien entwickeln, um umweltfreundlich die erforderliche Energie herzustellen, war sein großer Traum. Doch als ein ehemaliger Studienkollege ihm den Job offerierte, schlug er zu. Nun aber läuft die Sache aus dem Ruder, der Ministerpräsident persönlich bittet ihn als Experten um einen Gefallen, er soll bei der Beraterfirma Lionshare spionieren und deren revolutionäre Technik auskundschaften. Alles zum Wohl des schwedischen Volkes – und um die Haut des Politikers zu retten, dessen Umfragewerte eine deutliche Sprache sprechen. Jonatan spielt notgedrungen mit und gerät in ein unglaubliches Geflecht von rücksichtslosen Politikern, geldbesessenen Interessen von Wirtschaftsbossen und brutalen russischen Oligarchen.

Mark Johnson bedient sich in seinem Debutroman „Die schlichet Wahrheit“ gängiger Versatzstücke guter Politthriller: eine aufgeheizte politische Stimmung; ehrgeizige Individuen, die bereit sind über Leichen zu gehen; Journalisten, die noch an höhere Ideale glauben und für diese viel riskieren; russische Oligarchen, die sich über den heimlichen Besitz an Energieunternehmen nicht nur ein Einkommen sichern, sondern westliche Staaten von sich abhängig und erpressbar machen. Dazu noch ein paar Mordanschläge und vor allem ein unbescholtener, sympathischer Bürger, der zwischen die Fronten gerät. Das kann in einem spannenden und rasanten Thriller münden – oder eben sensationell danebengehen. So wie hier.

Das ganze Konstrukt ist so aberwitzig, dass es jeder Glaubwürdigkeit entbehrt. Die beiden Politiker versuchen sich mit absurdesten Spielchen, die zu nicht mehr als Kopfschütteln taugen, gegenseitig reinzulegen. Die ganze Handlung wird auf wenige Stunden komprimiert, was allein schon große Fragen nach dem Realitätsgehalt aufreißt. Es gibt quasi kein Klischee, das Johnson auslässt, im Gegenteil, alle werden maximal bedient, großes Highlight: der folternde russische Oligarch – platter geht es kaum. Freund und Feind sind irgendwie einerlei und dem guten Jonatan können Folter, Verfolgungsjagden und brenzligste Situationen nichts anhaben. „Die schlichte Wahrheit“ ist schlicht ganz großer Unfug, der maximal als fürs Actionkino taugt, wo auf glaubwürdige und logische Handlung nicht viel Wert gelegt wird.

Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

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Anthony Horowitz – James Bond: Ewig und ein Tag

007 ist tot. Sein Körper treibt regungslos im Hafen von Marseille. Die Mission lief sensationell schief. Glücklicherweise kann M auf einen jungen Kandidaten zurückgreifen, der sich in New York und Stockholm bereits im Einsatz bewährt hat: James Bond. Eine neue Nummer lehnt er ab, er will in die Fußstapfen von 007 treten und in Südfrankreich die Mission zu Ende führen, die seinen Vorgänger das Leben gekostet hat und so dessen Ehre retten. Er weiß, dass mit der korsischen Mafia nicht zu spaßen ist und dass diese vermutlich hinter dem Mord an dem Spion steckt. Doch ihr seltsames Verhalten wirft seit Monaten Fragen auf: warum liefern sie keinen Heroin Nachschub? Was bereiten sie vor? James Bond begibt sich in die Höhle des Löwen, wo noch ein anderer Gegner wartet: die attraktive Sixtine, vor der er sich ebenfalls besser in Acht nehmen sollte.

James Bonds erster Einsatz als Doppelnull-Agent, mit dem er sich die Lizenz zum Töten verdienen soll und der die Vorgeschichte zu „Casino Royale“ liefert. Gewagt von Horowitz, der sich schon zum zweiten Mal mit Hilfe von unveröffentlichtem Material Ian Flemings an die große Agentenfigur wagt. Viele bekannte Bausteine finden sich wieder – das Casino, der Martini, die attraktive Gespielin, der übermächtige Gegner, der gleich die ganze Weltherrschaft an sich reißen will – und für meinen Geschmack hat Horowitz Fleming überzeugend seine Stimme verliehen. Vor allem finde ich die Handlung ganz hervorragend in die Zeit hineingesetzt: es ist nicht der James Bond, den man aus den aktuellen Filmen kennt, sondern der Agent der 1950er Jahre.

Der Kriminalfall bietet einiges an verwirrenden Ansatzpunkten, die einem kräftig miträtseln lassen. Insgesamt ein überzeugender Fall, der glaubwürdig fundiert ist und von höchst individuellen Motiven geleitet wird, die jedoch erst nach und nach offenbart werden. Die volle Punktzahl gibt es jedoch nicht, da mir Bond wiederholt nur schwer vorstellbar agiert, so leichtsinnig könnte und dürfte ein Doppelnull Agent nicht sein. Auch dass Sixtine schnell die Seiten wechselt und von der knallharten Geschäftsfrau zur unterwürfigen Begleiterin an Bonds Seite wird, war mir in der Figurenzeichnung nicht stimmig genug. Mehrfach haben seine Gegner die Möglichkeit, ihn zu töten und tun es nicht – für die brutale Mafia, die andere Agenten schnell hinrichtet nicht ganz einleuchtend.

Nichtsdestotrotz insgesamt tolle Unterhaltung, die problemlos an die Romane Flemings heranreicht.

Petra Morsbach – Opernroman

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Petra Morsbach – Opernroman

Tristan und Isolde, Figaros Hochzeit, Fidelio, Die Fledermaus – seit Jahrhunderten schon begeistern die großen tongewaltigen Opern die Menschen. Auch in kleinen Häusern werden sie regelmäßig inszeniert, trotz all der Widrigkeiten wie dem fehlenden adäquaten Personal auf der Bühne und im Orchestergraben oder den frustrierten Sängern und Dirigenten, die sich mit der Kleinstadt-Tingelei, die jedermann nur hassen kann, ihre Sporen verdienen müssen. Neid, Missgunst, Intrigen, Enttäuschungen, überschwängliche Freude – die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen kann man arrangiert wie auch real erleben. Petra Morsbachs „Opernroman“ lüftet den Vorhang und erlaubt den Blick hinter die Kulissen der schönen Kunstwelt, der gar nicht mehr so schmuckvoll und imposant ist.

Mit „Justizpalast“ hatte mich die Autorin restlos begeistern können. Die Fähigkeit, auch kleinste Details wahrzunehmen und sie in der Erzählung überzeugend und punktgenau unterzubringen, hatten mich sehr angesprochen. Es gelang ihr, die tröge Juristerei mit Leben zu füllen und das Spannungsfeld der Figuren aufzuzeigen. Dieses in den Kulturbetrieb zu übertragen klang verlockend, doch leider war der Roman eine herbe Enttäuschung.

Die große Oper findet nicht statt. Zu viele Figuren laufen durchs Bild, ohne dass man zu ihnen eine Beziehung aufbauen könnte und dem Leser ihr Schicksal so nahegehen könnte. Rasch werden die Kulissen ausgetauscht und zahlreiche geschilderte Momente und Akteure scheinen mehr Kulisse als aktiv Agierende zu sein. Die Bühne dreht sich weiter, nächster Aufzug, nächste Kulisse – es wiederholt sich und schafft es nicht, Interesse zu wecken. Die Einblicke in die Theaterwelt bleiben zu fragmentarisch, zu punktuell, um zu einer Handlung zu verschmelzen. Ein Schicksal reiht sich an das nächste, aber so wie Schauspieler nach einer Saison das Haus verlassen, rauscht auch das Buch an einem vorbei, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen und ist schnell schon vergessen. Das imposante Donnern eines Wagner verkommt so zu einem launischen Gepiepse, das mich nicht erreicht hat.