Norbert Gstrein – Der zweite Jakob

Norbert Gstrein – Der zweite Jakob

Kurz vor seinem sechzigsten Geburtstag soll eine Biografie des Schauspielers Jakob Thurner erscheinen. Weder hat er Lust auf die Feierlichkeiten, noch auf die Termine mit seinem Biografen. Im Zuge der Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit stellt ihm seine Tochter Luzie eine Frage, die die Beziehung der beiden nachhaltig erschüttern wird: was ist das Schlimmste, dass er je getan hat? Es gibt etwas, das er seit Jahrzehnten für sich behalten hat: beim Filmdreh nahe der mexikanischen Grenze bei El Paso war er in einen Unfall verwickelt, bei dem eine Frau ums Leben kam. Er und seine Begleiterin, die Hauptdarstellerin des Films und Partnerin seines besten Freundes, haben sie nach dem Aufprall in der Wüste zurückgelassen, sind einfach weggefahren, sie konnten ja auch nichts mehr für sie tun. Doch war das wirklich so?

Norbert Gstreins Roman über das Älterwerden und die Beschäftigung mit dem eigenen Dasein und dem Erreichten hat es auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Er erzählt die Geschichte eines alternden Mannes, der Herr bleiben will über seine eigene Biographie, die er über Jahrzehnte selbst gestaltet hat, ausblendete, was nicht so hübsch und vorzeigbar war, hervorhob, was mehr schillerte und für Glanz im biederen Österreich sorgte. Sein eigenes Gewissen hat er damit ebenso versucht zu täuschen wie das öffentliche Bild.

Die Handlung springt zwischen dem Jetzt, kurz vor dem runden Geburtstag und den Kontroversen mit dem bohrenden und hartnäckigen Biographen, sowie dem daraus resultierenden Auseinanderdriften mit der Tochter und der Erinnerungen an die Ereignisse in New Mexico hin und her. Thurner macht sich selbst zum passiven Teilhaber des fatalen Unfalls, der von ihm als Höhepunkt eines unter schlechtem Stern stehenden Filmdrehs stilisiert wird. Doch die Flucht vor der Schuld gelingt nicht, ebenso wenig wie jene vor der Herkunft, die er geflissentlich versucht zu verleugnen, die ihm jedoch erst die Schauspielerei ermöglichte. Mit einem großzügigen Erbe gesegnet kennt er keine finanziellen Sorgen, konnte immer vor Frauen und Kindern und Sonstigem zu fliehen, um ja, zu sich zu finden, eine Auszeit von seinem Leben zu nehmen, schlichtweg wegzulaufen.

Bekanntgeworden ist er mit der Darstellung des Fieslings, eine Rolle, von der er sich als Mensch natürlich distanzieren will, einzig, es gelingt nicht; seine Tochter spiegelt ihm in aller Brutalität, was er ist und leugnet zu sein. Die Geschichte seines Lebens, die er Genre geschrieben gesehen hätte, kann es nicht geben, denn sie existiert in der gewünschten Form nicht, sondern ist nur in seinem Kopf und seiner Vorstellung vorhanden.

Voller interessanter Dynamiken zwischen den Figuren entsteht ein vielschichtiges Bild des Protagonisten, der sich Stück für Stück seine Identität erschaffen will und damit scheitert. Nicht nur für sich scheitert, sondern auch in seinen Beziehungen zu anderen Menschen – den Ehefrauen, den Freunden, der Tochter – scheitert, denn er kann nicht im Beruf und im wahren Leben nur Schauspieler sein, der sich seine Rolle je nach Gusto gestaltet. Und dabei ist er nie ein Original, sondern immer nur der zweite Jakob.

Joe Fischler – Veilchens Feuer

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Joe Fischler – Veilchens Feuer

Valerie Mausers zweiter Fall führt sie in die Szene der Deutschrocker und Musikstars. Wolf Rock kehrt in seine Tiroler Heimat zurück, um dort ein Konzert zu geben. Doch eine diffuse Drohung, die auf einen Vorfall Ende der 1970er Bezug nimmt, vermiest schnell die Stimmung. Der Star kann sich an keine Vorkommnisse erinnern, in diesem Jahrzehnt war er dank Alkohol und Drogen permanent so zugedröhnt, dass die Zeit nur als Nebel in seinem Gehirn vorhanden ist. Aber nicht nur das beschäftigt die Polizei, sondern auch der Ort des Konzerts: Im Bergiselstadion hat wenige Jahre zuvor bei einer Großveranstaltung durch Massenpanik bereits mehrere Todesopfer gegeben, weil zu viele Leute auf zu geringem Raum drängten und jetzt sollen noch mehr ins Stadion gelassen werden, um Wolf Rock zuzujubeln.

„Veilchens Feuer“ ist ein recht typischer Regionalkrimi aus den Alpen und bedient auch alle Klischees: geistig eingeschränkte Figuren mit überschaubarem Horizont; jeder kennt jeden schon immer und weiß auch irgendwie alles; eine Art von Humor und Witz, die vermutlich nur Hinterwäldlern zugänglich ist; ein Fall, der sehr überschaubar komplex ist und schon früh vom Leser problemlos zu lösen ist, während die Ermittler noch kopflos umherirren.

Zugegebenermaßen bin ich kein Fan von Regionalkrimis, weil sie meist doch sehr schematisch und banal sind – allen voran die französischen, in denen über weite Strecken nur gegessen und Wein getrunken wird und der Kommissar dank irgendwelcher alter Tantchen im Dorf seinen Fall löst. Nun ein Alpenkrimi um einen vermeintlichen Rockstar, der mich aber eher ganz stark an die typischen Künstler aus dem Schlager-Milieu erinnert, was die Sache jetzt nicht leichter erträglich macht. Auch das Ermittlungsteam besticht durch Einfältigkeit und Figuren, die vermutlich kurios und einzigartig wirken sollen, aber leider eher dümmlich und überzeichnet wirken. Allen voran „Veilchen“, bei der ich mich sogar gefragt habe, ob der Autor nicht ernsthaft Frauen hasst, wenn eine so plakative Figur erschafft: kein Hirn, permanente Reduzierung auf ihr Aussehen (wenigstens da kann sie punkten, wobei einem das Geseier der männlichen Figuren irgendwann auch böse nervt) und offenkundige Überforderung bei jeder Aufgabe, der mehr als zwei Hirnzellen erfordert. Was will er uns damit sagen?

Ach ja, eigentlich soll es ja ein Krimi sein; nun ja, es gibt einen Fall, sogar eine Tote, aber die Spannung versteckt sich geschickt hinter den Bergen und kommt nicht zum Vorschein. Wäre aber auch schwierig, denn so offenkundig ist schon nach wenigen Seiten, was in den 70ern geschehen sein muss, dass nur eine große Überraschung, die es aber nicht gibt, einen anderen als den vorhersehbaren Verlauf ermöglicht hätte. Fazit: puuh, man muss diese Art Krimis schon sehr mögen, um dem Buch etwas Gutes abgewinnen zu können.