Takis Würger – Unschuld

Takis Würger - Unschuld

Takis Würger – Unschuld

Vaters zu beweisen. Dieser sitzt im Todestrakt und soll hingerichtet werden. Für einen Mord, den er nicht begangen hat, da ist sich Molly sicher. Ihr bleibt nur eine einzige Chance: sie muss nach Rosendale, wo sie als kleines Kind lebte und direkt in das Auge des Orkans: in die Familie, die dem Ort den Namen gab und deren Sohn Casper zehn Jahre zuvor erschossen wurde. Nur bei der Familie selbst kann die Wahrheit liegen. Ihre Tarnung als Hausmädchen und Journalistin fliegt sofort auf, doch wundersamer Weise sie darf bleiben.

Takis Würgers Roman „Unschuld“ ist eigentlich nach sehr schematischen, vorhersehbaren Strukturen klassisch als Krimi aufgebaut: der angenommenen Unschuld eines unheilbar kranken Mannes, der hingerichtet werden soll; seine Tochter, die in letzter Minute versucht die Wahrheit herauszufinden, um ihn zu retten; eine verquere Familie voller Geheimnisse, bei denen offenkundig der Schlüssel zu den Geschehnissen zehn Jahre zuvor liegt. Und doch liest sich die Geschichte, in der man sofort weiß, wer gut und wer böse ist, nicht wie ein klassischer Krimi.

Man ahnt vom Beginn an, wie alles ausgehen wird. Man erkennt die Motive, kann vorhersehen, welche Wendungen die Figuren erst noch für sich aufdecken müssen. Nichts überrascht wirklich, der Spannungsbogen ist schön gestrickt, wie man es erwarten würde. All das und doch packt einem Takis Würger, entfaltet die Geschichte einen Sog, liest man einfach weiter, will man nicht aufhören, bis die Unschuld endlich bewiesen ist.

Es wäre aber zu kurz gegriffen, nur 300 Seiten Unterhaltung in dem Roman zu sehen. Das verhindert der Autor zudem mit dem Nachwort, wenn es dem Leser nicht schon vorher als fader Beigeschmack bewusst geworden ist. Molly und ihr Vater bilden das untere Ende der amerikanischen Gesellschaft, Aufstieg ist eine Illusion, es kann nur noch weiter bergab gehen. Der Todestrakt und die unheilbare Huntington Krankheit scheinen das natürliche Schicksal des Vaters zu sein.

Im Kontrast dazu die Rosendales, einst in einer Liga mit den Rockefellers können sie sich alles erlauben. Sich freikaufen. Die Regeln bestimmen, die nur zu ihren Gunsten aufgestellt werden. Dass sie ihr eigenes Leben nicht leben, sondern nur mit Medikamenten und esoterischen Retreats aushalten, passt ebenso ins Bild, wie die Vernarrtheit in Waffen und die großzügige Unterstützung der NRA. Doch auch sie sind vom Schicksal verdammt, können vermeintlich den finalen Todesstoß hinausschieben, dabei sind sie schon lange innerlich tot.

Takis Würger zeichnet ein dunkles Bild der gegenwärtigen USA. Es ist nicht mehr das Land der Träume, in dem jeder alles erreichen kann. Es ist ein Sumpf, in dem schon lange moralische Orientierung und Werte versunken sind. So moralinsauer das klingen mag, kommt es aber in der Handlung nicht daher. Beiläufig lässt der Autor die großen Probleme der amerikanischen Gesellschaft aufblitzen, die jedoch zu Ursache und Treiber der Handlung werden.

Ein Roman, dessen Relevanz sich aus der Nähe zu einer brutalen und schonungslosen Realität ergibt.

Ein herzlicher Dank geht an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Seite der Penguin Random House Verlagsgruppe.

Alfred Bodenheimer – Der böse Trieb

Alfred Bodenheimer – Der böse Trieb

Schon seit Jahren trifft sich Rabbi Klein mit Viktor Ehrenreich für tiefgründige Gespräche. Sie sehen sich nicht oft, der Zahnarzt gehört auch nicht zu seiner Gemeinde, sondern wohnt im deutschen Lörrach. Doch nun hat er einen Termin verstreichen lassen und wird sich auch nicht mehr melden, denn Ehrenreich wurde in seinem Haus erschossen während seine Frau Sonja in Vietnam auf Reisen war. Dass es in der Ehe schon länger kriselte, war Klein bekannt, doch reicht das für einen Mord? Die deutsche Polizei scheint vor allem die Gattin im Visier zu haben. Auch wenn er sich dieses Mal raushalten will, schnell schon findet der Rabbi Anzeichen dafür, dass es Viktors Wohltätigkeit im Kongo sein könnte, die zu der unglaublichen Tat geführt hat.

Schon zum sechsten Mal lässt der Schweizer Professor für jüdische Literatur- und Religionsgeschichte Alfred Bodenheimer seinen Züricher Rabbi ermitteln. „Der böse Trieb“ spielt dieses Mal nicht unmittelbar in der jüdischen Gemeinde, Glaubensfragen bestimmen aber wieder ganz wesentlich das Handeln der Figuren. Besonders interessant dieses Mal, dass der Autor mit Unschärfen arbeitet und Fragen offen lässt, auf die man als Leser selbst eine Antwort finden muss.

Die Serie lebt von ihrem Protagonisten, der Ermittler wider Willen setzt seinen Verstand ein und nimmt auch die Zwischentöne wahr. Was ihn jedoch nicht daran hindert, an anderer Stelle selbst immer wieder in unruhige Gewässer zu geraten, vor allem seine Frau Rivka zeichnet sich auch in diesem Fall durch eine starke Persönlichkeit aus, die ihrem Mann die Stirn bietet.

Der Fall bleibt bekannten Mustern treu, er lebt nicht von der ganz großen Spannung, sondern bietet immer wieder neue Spuren, die alle plausibel zu einem Motiv führen könnten und zutiefst menschlich sind. Die Figuren wirken durch und durch authentisch in ihren kleinen und großen Verfehlungen und reißen damit über den Kriminalfall hinaus essentielle Fragen des Lebens auf.

Einmal mehr eine gelungene Verbindung von Kriminalgeschichte und jüdischem Leben in Europa, das in diesem Band auch durchaus seine hinterfragenswerte Seiten offenbart.

Camilla Sten – Das Haus der stummen Toten

Camilla Sten – Das Haus der stummen Toten

Eleanor erlebt das, was niemand erleben sollte: als sie ihre Großmutter Vivianne besuchen will, trifft sie auf deren Mörder. Aufgrund ihrer Gesichtsblindheit kann sie den Täter jedoch nicht identifizieren. Monate später ist sie endlich so weit, sich um den Nachlass zu kümmern und fährt gemeinsam mit ihrem Freund und ihrer Tante nach Solhöga, einem Gut, von dem sie noch nie etwas gehört hat. Ein Notar begleitet sie, um den Bestand des Hofs aufzunehmen. Kaum sind sie angekommen, geschehen seltsame Dinge in den alten Gemäuern. Eleanor scheint ihre Großmutter hören zu können, die sie warnt. Und wo steckt eigentlich der Gutsverwalter? Schnell wird gewiss: ihr Gefühl trügt sie nicht: sie schweben in Lebensgefahr.

Der zweite Thriller der schwedischen Autorin Camilla Sten konnte mich restlos von ihrem Talent, das ihr sicherlich auch durch ihre berühmte Mutter Viveca mitgegeben wurde, überzeugen. „Das Haus der stummen Toten“ zeichnet sich durch eine düstere Atmosphäre aus, die einem immer wieder Schaudern lässt. Man ahnt bald schon, dass vieles nicht so ist, wie es scheint, aber woher die Bedrohung tatsächlich kommt, zeigt sich erst spät.

Der Thriller ist perfekt durchorchestriert: der Mord an der Großmutter, der der jungen Protagonistin noch in den Knochen steckt. Dann das düstere Anwesen, das offenbar mit gutem Grund verheimlicht wurde. Ein mysteriöses Tagebuch, das mehr Fragen aufreißt als es Antworten geben könnte und unerklärliche Vorgänge sowie der Schatten einer Person, die sich offenbar in ihrer Nähe befindet und die Fäden immer enger zieht.

Spannung von Beginn an und ein gut gehütetes Familiengeheimnis, das endlich aufgelöst werden will – ein Psychothriller, wie man ihn sich wünscht.

Taylor Jenkins Reid – Die sieben Männer der Evelyn Hugo

Taylor Jenkins Reid – Die sieben Männer der Evelyn Hugo

Evelyn Hugo – einer der größten Stars, die Hollywood je hervorgebracht hat und die auch mit fast 80 Jahren noch alle zum Luft anhalten bringt, wenn sie irgendwo auftaucht. Sie will Monique Grant, eine unbekannte Journalistin, um ihre Biografie zu schreiben. Warum ist nicht nachvollziehbar, doch die Diva macht klar: sie oder niemand. Monique besucht sie täglich in ihrem luxuriösen Appartement in Manhattan und lernt eine ganz andere Seite der Frau kennen, die die Öffentlichkeit als Sex Bombe und Gattin von sieben Ehemännern abgespeichert hat. Ein Leben voller Kämpfe, Siegen und Niederlagen – und voller Leidenschaft, die jedoch nur im Verborgenen existieren konnte. Monique ist fasziniert von der Frau, die vor ihr alle Schandtaten und Emotionen ausbreitet – doch es bleibt die Frage: warum sie? Welchen Grund hat die Schauspielerin, ausgerechnet Monique Grant all das anzuvertrauen?

„Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ ist der Roman, mit dem die amerikanische Schriftstellerin Taylor Jenkins Reid ihren Durchbruch schaffte, der jedoch auf Deutsch erst fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung erscheint. Mich hat die Autorin mit ihren fabelhaften Romanen „Daisy Jones & The Six“ und „Malibu Rising“ bereits restlos überzeugen können und genau das, was mich dort begeistern konnte, findet sich auch bei Evelyn Hugo: Figuren, die so authentisch und lebendig wirken, als würde man mit ihnen im Raum sitzen und all das erleben, was sie gerade durchmachen. Ein emotionales Auf und Ab, das ein großes und geheimnisvolles Leben offenbart, von dem man gar nicht glauben kann, dass es nicht real gewesen sein soll.

Immer wieder erinnert die Autorin geschickt daran, dass über der ganzen Geschichte ein Geheimnis hängt, das es noch zu lüften gilt. Dies kann jedoch nicht von dem schillernden Leben der Protagonistin ablenken, die am Ende ihres Lebens angekommen nichts mehr zu verbergen hat und frank und frei ihrem deutlich jüngeren Gegenüber alle richtigen wie auch falschen Entscheidungen offenbart. Es enthüllt sich das Leben einer Frau, die zum Star geboren war, die für ihre Chancen kämpfte, egal wie groß die Steine waren, die man ihr in den Weg legte. Sie war aber immer auch intelligent genug, die Grenzen zu kennen, jene, die Hollywood Frauen in den 50er und 60er Jahren auferlegte und jede der Gesellschaft, die noch nicht bereit war, jede Form von Liebe zu akzeptieren.

Ein Roman voller Leidenschaft, die nicht wenig Leiden schaffte, der schillernd Liebe und Freundschaft in allen Facetten schildert. Evelyn Hugo ist nicht verbittert, sie hat auch keine große Beichte mehr abzulegen, sie ist mit sich im Reinen und hat – trotz mancher Fehler – das Leben gelebt, das sie leben wollte. Emanzipiert lange bevor der Begriff geprägt wurde und doch den Konventionen unterworfen – Taylor Jenkins Reid fängt Widersprüche ein und lässt sie doch nachvollziehbar und plausibel werden.

So wie die Journalistin Monique zugleich fasziniert ist, wird man auch als Leser unmittelbar gefangen und folgt mit Sensationsgier wie auch Neugier den Schilderungen, ahnend, dass es noch einen Aspekt gibt, der womöglich alles zunichtemacht, was vorher an Begeisterung und Zuneigung für die Hauptfigur aufgebaut wurde. So entsteht eine Geschichte, die mitreißt auf der emotionalen Achterbahn, aus der man am Ende etwas durchgeschüttelt, aber mit absolutem Hochgefühl aussteigt.

Julia Schoch – Das Vorkommnis

Julia Schoch – Das Vorkommnis

Aussage, dass sie beide denselben Vater hätten. Sie wird überrumpelt, von einer Fülle an Emotionen übermannt, weiß nicht, wie sie reagieren soll. Nach dem ersten Schock kommen die Fragen, zahlreiche, vielfältige, die Wesentliches, was sie über ihre Familie zu wissen glaubte, plötzlich auch anders deuten lassen. Eine Flucht in die USA, wo sie an einem College deutsche Literatur lehrt, ermöglicht ihr Distanz und Reflexion und die Möglichkeit, ihre Gedanken und ihr Leben zu ordnen.

Julia Schoch ist vielfältig schreibend unterwegs, neben Romanen verfasste sie zahlreiche Essays, Kolumnen und vor allem auch Übersetzungen aus dem Französischen. Ihre Arbeiten wurden wiederholt ausgezeichnet, jüngst erhielt sie die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung. In „Das Vorkommnis“ greift sie einen einschneidenden Moment im Leben ihrer Protagonistin auf, der unerwartet über den Alltag hereinbricht und etwas in Wanken bringt, was vorher, wenn vielleicht auch fragil, immer noch fest auf dem Boden stand.

„Als ich darüber zu schreiben begann, dachte ich, ich würde ihre Geschichte erzählen, aber das kann ich nicht, ich schreibe nicht über sie“

Durch die Perspektive der Ich-Erzählerin, die zu dem Leser spricht oder eher fast tagebuchartig ihre Gedanken niederschreibt, taucht man unmittelbar und tief ein in die Emotionen, die durch die Begegnung ausgelöst werden. Die vordergründige Handlung läuft chronologisch weiter, spannender jedoch das Innenleben der Figur, das sich in einer Abwärtsspirale befindet und zunehmend abbaut. Eine Enttäuschung führt dazu, weitere zu erahnen, zu erwarten und schließlich auch ohne Beweise als gegeben anzunehmen.

Es fällt nicht schwer, sich selbst in der Erzählerin zu spiegeln. Jede Familie hat ihre Geheimnisse, hat ungesagte Dinge, die doch alle wissen und die sich bisweilen über Generationen verlieren, bisweilen aber auch weitergetragen werden. Dank der Erzählperspektive ein intensiver Roman, der auch viel über die Erzählerin offenbart, ihre Unsicherheiten hervorholt und auch das Verhältnis zum Schreiben immer wieder thematisiert. Vielschichtig wie eine Zwiebel nähert man sich Schicht um Schicht dem eigentlichen Kern, der entweder Abkehr oder Versöhnung heißen muss.

Ruth Ware – Das Chalet

Ruth Ware – Das Chalet

Danny und Erin warten in dem französischen Luxus-Chalet auf die nächste Gruppe von Gästen: ein britisches Start-up, das dort die Neuausrichtung der Firma diskutieren und gleichzeitig entspannen will. Doch schon bei der Ankunft wird deutlich, dass es große Spannungen gibt und die Gruppe in zwei Lager zerfällt, die sich zwischen den beiden Gründern und Mehrheitseigentümern Topher und Eva aufspalten. Nur Liz scheint irgendwie nirgendwo dazuzugehören, es ist auch nicht klar, weshalb die ehemalige Mitarbeiterin überhaupt zu dem Trip mitgekommen ist. Die ohnehin angespannte Stimmung wird herausgefordert als erst Eva von einem Ski-Ausflug nicht zurückkommt und dann eine Lawine das Chalet von der Außenwelt abschließt. Doch statt zusammenzuhalten und sich gemeinsam der Situation zu stellen, ereignen sich mysteriöse Todesfälle, die nur eins bedeuten können: unter den Anwesenden ist ein Mörder.

Wie gewohnt routiniert erzählt Ruth Ware auch ihren neuesten Thriller und erfüllt mit diesem genau die Erwartungen, die ich hatte: Die Story beginnt harmlos und entwickelt sich dann langsam zu einem spannenden Katz-und-Maus-Spiel, bei dem man keiner Figur trauen kann, denn alle haben ihre kleinen und großen Geheimnisse. Der Kreis der Verdächtigen ist überschaubar, aber es ist nicht nur die Frage, wer da ein perfides Spiel treibt, die einem das Buch nicht mehr weglegen lässt, sondern noch viel mehr jene nach dem Warum.

Die Abgeschiedenheit des Chalets hoch in den Alpen bietet die perfekte Kulisse für den Thriller, die junge hippe Gruppe des Start-Ups erfüllt zunächst auch alle Klischees, die die Sympathien herausfordern. Es scheint als sei das im Raum stehende Übernahmeangebot das Moment, das sie auseinanderdividiert, bald jedoch wird deutlich, dass noch viel mehr dahintersteckt und dass das Beziehungsgeflecht komplexer ist als vermutet. Als Mordmotiv würden zig Millionen aus dem Deal ja allemal ausreichen, aber das wäre hier bei weitem zu kurz gedacht.

Die Handlung wird im Wechsel aus zwei Perspektiven erzählt, die zunächst verwundern. Zum einen von Erin, die als Mitarbeiterin des Chalets Außenseiterin der Gruppe ist und diese mit einem gewissen Abstand betrachten und analysieren kann und der man aufgrund ihrer zuvorkommende und hilfsbereiten Art auch gerne glaubt. Bis ihre Figur Fragen aufwirft, viele Fragen, große Fragen. Nicht minder sieht dies bei der zweiten ich-Erzählerin Liz aus, deren Anwesenheit ebenfalls verwundert und die ein natürlicher Störkörper zu sein scheint. Sie passt in keiner Weise zu den anderen, aber hätte sie wirklich ein Motiv, ihnen was Böses zu wollen?

Die Autorin hat ihren Stil gefunden, der mir immer wieder gefällt und mich bestens unterhält. Wenn man mehrere ihrer Romane gelesen hat – z.B. „Hinter diesen Türen„, „The Death of Mrs Westaway„, „The Lying Game„, „The Woman in Cabin 10“ – weiß man worauf man sich einlässt und was einem erwartet, auch „Das Chalet“ ist diesbezüglich keine Überraschung, was ich allerdings keineswegs negativ sehen würde.

Anna Karolina – Auf Tod komm raus

Anna Karolina – Auf Tod komm raus

Nicolas Moretti und seine Zwillingsschwester Jasmine wollen eigentlich nur gemeinsam Weihnachten fern der Familie feiern. In einer Kneipe kommt es jedoch zu einer Auseinandersetzung, als sie sich auf der Toilette Kokain ziehen. Die Geschwister fliehen, der Angreifer verfolgt sie jedoch. In Jasmines Wohnung fühlen sie sich sicher und werfen auch gleich noch weitere Tabletten ein. Am nächsten Morgen erwacht Nicolas, neben ihm seine blutverschmierte Schwester, die in der Nacht brutal ermordet wurde – und er hat nichts davon mitbekommen. Oder ist er gar der Täter? Erinnern kann er sich an nichts. Seine Strafverteidigerin Angela Köhler beauftragt die ehemalige Polizistin Ebba Tapper damit, Beweise für Nicolas‘ Unschuld zu finden, denn die Polizei hat sich sofort auf ihn eingeschossen und ermittelt gar nicht mehr erst in andere Richtungen. Ebba ist eine außergewöhnliche Ermittlerin, allerdings wird ihr Verstand durch den hohen Alkoholkonsum immer wieder böse getrübt.

Die schwedische Autorin Anna Karolina ist mir bereits aus einer Zusammenarbeit mit Mons Kallentoft in der Zack Herry Reihe bekannt, weshalb ich neugierig auf ihren neuen Krimi wurde. Die ehemalige Polizistin eröffnet mit „Auf Tod komm raus“ die Reihe um Ebba Tapper, im Original ist bereits ein zweiter Teil gefolgt. Der Krimi ist von der ersten Seite an spannend konstruiert und bietet zahlreiche unerwartete Wendungen, die die Figuren immer wieder in neuem Licht erscheinen lassen und den Leser auf mehr als eine falsche Fährte schicken. Nordic Crime in Bestform.

Die Handlung spielt sich zwischen dem Verdächtigen Nicolas, der Anwältin Angela und der Privatermittlerin Ebba ab. Alle drei Figuren haben eine Vergangenheit und alle drei haben Geheimnisse, die sie lieber nicht preisgeben wollen. Der ehemals erfolgreiche Fußballer ist nicht ehrlich zu seinen Verteidigerinnen und verheimlicht etwas, das im Zusammenhang mit seiner und Jasmines Familie stehen muss. Sein unkontrollierter Drogenkonsum könnte jedoch auch dazu geführt haben, dass er tatsächlich im Wahn zum Mörder wurde, schließlich war die Wohnungstür verschlossen und andere Spuren finden sich in der Wohnung nicht.

Dass Ebbas frühere Kollegen nicht gut auf sie zu sprechen sind, offenbart sich recht schnell, doch der Grund hierfür bleibt zunächst im Dunkeln. Dass sie ihren Alkoholkonsum nicht im Griff hat und dies zu so manchem Ausfall und Erinnerungslücken führt, ist auch der Sache nicht immer dienlich. Doch sie hat ein untrügliches Gespür und ist hartnäckig und bisweilen auch einfach dreist, um ihr Ziel zu erreichen. Als Sympathieträgerin taugt sie nur bedingt, aber sie hat das Herz am rechten Fleck und sucht nach der Wahrheit und Gerechtigkeit.

Angela Köhler taucht immer wieder am Rande auf, sie beauftragt Ebba und man fragt sich mehr als einmal, weshalb sie sich so bedingungslos vor sie stellt. Ihre dunkle Seite versteckt sie lange Zeit, doch sie hätte damit rechnen können, dass Ebba hinter ihre Fassade blicken wird und die Abgründe erkennt, die dort versteckt sind.

Eine souverän konstruierte Geschichte, die überraschen kann und von den sehr eigenen Figuren lebt, die Lust auf weitere Bände der Reihe machen.

Silvia Avallone – Bilder meiner besten Freundin

Silvia Avallone – Bilder meiner besten Freundin

Es war ein bestimmtes Ereignis, das Elisa wenige Tagen vor Weihnachten dazu gebracht hat, die Geschichte niederzuschreiben und dafür ihre Erinnerungen, die sie so lange verdrängte, wieder heraufzubeschwören. Viele Jahre sind vergangen, doch nun ist es, als wenn all dies erst gestern geschehen wäre. Aus der alleinerziehenden Dozentin wird wieder das unsichere Mädchen, das neu in der Klasse ist und keinen Anschluss findet. Bis Beatrice sie als Freundin auswählt. Bea, das schönste Mädchen des Ortes, deren Mutter bereits auf zahlreichen Covern war und der selbst ebenfalls eine Karriere in der Modebranche bevorsteht. Eli und Bea könnten ungleicher kaum sein und doch entwickelt sich eine enge Freundschaft, die es nur der anderen erlaubt, hinter die familiäre Fassade zu schauen und die Abgründe zu sehen, die sich bei beiden auftun. Die Welt außerhalb des verschworenen Duos sieht nur das unscheinbare Mädchen, das sich in die Literatur flüchtet, und dazu das andere, das schon früh das Leben inszeniert und in der noch neuen online Welt zur Schau stellt. Doch etwas ist geschehen, dass das innige Band reißen ließ und sie für immer entfremdete.

Die italienische Autorin Silvia Avallone hat zunächst mit Gedichten auf sich aufmerksam gemacht, doch schon ihr erster Roman wurde vielfach ausgezeichnet. Auch ihre aktuelle Erzählung konnte Publikum wie Kritiker gleichermaßen begeistern. „Bilder meiner besten Freundin“ erzählt die Geschichte einer Freundschaft zweier ungleicher Mädchen, die sich zufällig finden und unzertrennlich werden. Es sind gleich zwei Mysterien, die die Geschichte überlagern: was hat sie entzweit und was hat dazu geführt, dass Elisa viele Jahre später plötzlich wie eine Besessene alles aufschreibt?

Es ist kurz nach der Jahrtausendwende, dass Elisa zu ihrem Vater ziehen muss und so Beatrices Klassenkameradin wird. Die Welten, in denen sie leben, könnten kaum unterschiedlicher sein. Elisas Vater ist der klassische intellektuelle Gelehrte, der den Alltagsdingen nur wenig Interesse entgegenbringen kann. Ihre Mutter hingegen ist unstet, emotional und mit der Kindererziehung überfordert. Nachdem Elisas älterer Bruder schon in eine Welt von Partys und Drogen abgedriftet ist, soll die Tochter in geordneten Verhältnissen aufwachsen und wird gegen ihren Widerstand umgesiedelt. Als die Fremde mit komischen Akzent ist sie ausgeschlossen und einsam. Bis Bea sie entdeckt.

Diese kommt aus gutbürgerlichem Elternhaus mit einer Mutter, die nur die Modellkarriere ihrer Tochter im Sinn hat. Leicht ist es auch für Bea nicht, der permanente Druck, die Erwartungen zu erfüllen, auf Gewicht und Äußeres zu achten, die beide keinen Ausrutscher verzeihen. Ein Schicksalsschlag wirft sie völlig aus der Bahn, doch Elisa fängt sie auf, ist wie eine Schwester für sie. Die Mädchen habe jedoch auch Geheimnisse voreinander und diese sind es, die letztlich zu dem Bruch und tiefer Enttäuschung führen.

Zugegebenermaßen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, eine gewisse Ähnlichkeit zu Elena Ferrantes neapolitanischen Saga zu erkennen. Nicht nur die Freundschaft zweier geradezu gegensätzlicher Mädchen als zentrales Element, sondern auch der Erzählstil wirkte bekannt. Dies ist jedoch keineswegs so negativ zu bewerten, wie es klingen mag. Im Gegenteil, mit viel Begeisterung hatte ich die Tetralogie um Elena und Lila verfolgt und gleichermaßen hat mich die Geschichte von Elisa und Beatrice von der ersten Seite an gefesselt. Souverän erzählt, immer wieder überraschend, die beiden Protagonistinnen differenziert und vielseitig gestaltet – ein überzeugender Roman, in den man gerne abtaucht. Und er macht neugierig auf die Autorin, von der es jedoch in deutscher Übersetzung derzeit erst ein einziges Buch zu geben scheint.

Bernhard Schlink – Die Enkelin

Bernhard Schlink – Die Enkelin

Kaspar hat es kommen sehen, zu häufig schon war seine Frau Birgit zu betrunken, um noch zu verstehen, was sie tat. Und nun ist das Unglück geschehen, sie muss in der Badewanne eingeschlafen sein. In den Monaten zuvor hatte sie intensiv an einem Roman gearbeitet, doch ihr Computer ist kaputt, einem Experte gelingt es jedoch die Daten zu retten. Was Kaspar liest, erschüttert ihn, offenbar kannte er die Frau kaum, mit der jahrzehntelang das Leben geteilt hat, vor allem trug sie ein Geheimnis in sich, das den Buchhändler in das völkische Milieu führt. Er ist abgestoßen von dem nationalen Gedankengut und der feindseligen Haltung, auf die er dort trifft. Auch die junge Sigrun ist indoktriniert und fest von der Richtigkeit des rechten Weltbildes überzeugt. Kann Kaspar ihr eine andere Welt zeigen?


Bernhard Schlink gelingt es immer wieder Romane zu schreiben, in die man sich einlesen muss und die dann plötzlich einen Sog entwickeln, der einen in die Geschichte zieht und gefangen hält. Auch „Die Enkelin“ ist so ein Roman, der mich vor allem durch die starke Figurenzeichnung überzeugen konnte. Es ist das Aufeinandertreffen sich widersprechender und ausschließender Überzeugungen, die zugleich von Zuneigung und gemeinsamer Liebe zur Musik  herausgefordert werden. Es ist sicher kein Wohlfühlroman, sondern eine komplizierte Auseinandersetzung damit, wie das Leben manchmal spielt. 


Die erste Konfrontation erleben Kaspar und Birgit. Er aus dem Westen, sie aus der DDR. Für die Liebe ist er bereit, alles aufzugeben, doch sie hat sich schon längst von dem sozialistischen Staat abgewandt und wagt die gefährliche Flucht. Birgit war bereit, alles hinter sich zu lassen, alles aufzugeben, doch so einfach lässt sich ein Leben nicht abschütteln, man nimmt immer etwas mit und weil sie dies nicht teilen kann, ist sie bereit viele Jahre im Stillen zu leiden.


Ebenso wie von seiner Frau wird Kaspar auch von Sigruns Familie ausgeschlossen. Sie leben in einer abgeschotteten Gemeinschaft, die sich ihre eigene Welt geschaffen hat. Sie brauchen keine Mauern von außen, sie haben sich selbst eingemauert in ihren Überzeugungen und erziehen die Kinder im völkischen Sinne. Trotz seiner Aufgeschlossenheit und hoher Toleranz kommt Kaspar dort an seine Grenzen, doch er will das Mädchen nicht so einfach aufgeben. Argumente allein reichen nicht, er muss andere Wege finden, um sie zu erreichen und ihr Weltbild infrage zu stellen. Keine leichte Aufgabe, die sich der Senior da vorgenommen hat.


Schlink greift kein einfaches Thema auf, setzt dieses aber überzeugend und nachdenklich stimmend um. Der Roman fordert den Leser heraus, sich selbst den Dilemmata zu stellen, mit denen die Figuren konfrontiert sind, bietet keine einfachen Antworten, denn die kann es nicht geben, auch Kompromisse nicht nicht immer möglich. Die Realität ist komplex und mehrdimensional, Schlink fängt dies ein und macht ein Angebot zum Nachdenken, das Höchste, was Literatur erreichen kann. 

Steintór Rasmussen – Poesie des Mordens

Steintór Rasmussen – Poesie des Mordens

Kommissar Jákup á Trom ist gerade auf zweiwöchiger Fortbildung in Kopenhagen, als man dort die Leiche eines Färingers findet. Die örtliche Polizei bittet ihn, seinen Aufenthalt zu verlängern und bei der Aufklärung mitzuwirken. Der Tote ist kein Unbekannter, Tóki Narvason gilt als bester Schriftsteller der Inselgruppe. Jákup hatte sich eigentlich sehr auf die Heimat gefreut, nicht nur, weil er seine Frau und die Kinder wiedersehen wollte, sondern auch weil es das Wochenende der großen Strickclubparty im Hotel Atlantis ist, die sich niemand entgehen lässt und wo alles geschehen kann. Genau das ist auch der Fall, unter anderem gibt es am Sonntagmorgen eine Tote – die Freundin des verstorbenen Poeten. Das kann kein Zufall sein.


Steintór Rasmussen entführt mit „Poesie des Mordens“ zum dritten Mal auf die Atlantikinseln, die literarisch bei weitem nicht so prominent sind wie beispielsweise Island, das zahlreichen Autoren als Krimischauplatz dient. Die außergewöhnliche Natur des Eilands spielt dieses Mal eine nachrangige Rolle, dafür wird die Handlung sehr stark durch die Traditionen – Strickclubs und deren Festivals sind mir von nirgendwo bislang untergekommen – und die spezifische Gesellschaftsstruktur getragen. 


Die beiden Mordfälle, bei denen nicht einmal eindeutig geklärt ist, ob es Morde sind, sind zwar das tragende Element, rücken für mich aber hinter die Figuren zurück. Immer wieder erlauben Einschübe Blicke in die Vergangenheit sowie in die Seele und das Gedankenwirrwarr eines enttäuschten Menschen. Doch reicht diese Enttäuschung, um gleich zwei Feinde aus dem Leben zu befördern? Viele Jahrzehnte gehütete Geheimnisse kommen plötzlich ans Licht und stellen so manchen Lebensentwurf infrage.


Neben den herausfordernden Ermittlungen fällt dieses Mal Jàkup durch seine eigenen Qualen auf. Auch er hat ein Geheimnis, sein Umgang jedoch damit und die Tatsache, wie er mit zweierlei Mass seine Schwächen und die der anderen beurteilt, kommen unerwartet. Der bis dato rechtschaffene Polizist zeigt plötzlich eine ganz neue und nicht gerade schmeichelhafte Seite. 


Rasmussen hat eigenen ganz eigenen Erzählstil gefunden, der bisweilen etwas unemotional wirkt und doch fesselt. Die Geschichte ist überzeugend konstruiert und entfaltet sich erst langsam, wobei dieses Mal die Figuren herausragend gestaltet wurden und die Handlung souverän tragen und voranbringen.