David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

David Lagercrantz – Der Mann aus dem Schatten

Nach dem Fußballspiel einer Jugendmannschaft wird der Schiedsrichter Jamal Kabir erschlag in einem benachbarten Wäldchen aufgefunden. Der Verdacht fällt schnell auf einen Vater, der schon während des Spiels ein erhitztes Gemüt gezeigt hat und im Viertel für seine Ausbrüche bekannt ist. Einzig die Beweise oder ein Geständnis fehlen der Polizei, weshalb Micaela Vargas ins Team der Mordermittlung geholt wird. Sie stammt aus demselben Viertel wie der Verdächtige und kennt diesen seit Kindheitstagen; vielleicht kann sie ihn dazu bewegen, die Tat zu gestehen. Micaela kommen jedoch schnell Zweifel, die noch verstärkt werden, nachdem die Polizei den berühmten Psychologen Hans Rekke hinzuzieht. Die junge Polizistin will den Fall aufklären, stößt aber bald auf Widerstände und wird schließlich ganz abgezogen. Scheinbar hat sie die richtigen, aber unerwünschten Fragen gestellt.

Der Journalist und Autor David Lagercrantz konnte mich mit seinen Fortsetzungen der Stieg Larsson Reihe um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist bereits begeistern. „Der Mann aus dem Schatten“ ist die Eröffnung seiner Reihe um den manisch-depressiven Psychologen Hans Rekke und die unerschrockene Ermittlerin Micaela Vargas. Auch wenn der erste Fall in sich abgeschlossen sind, sind doch schon viele Hinweise angelegt, die sogleich neugierig auf die folgenden Bände machen.

Lagercrantz lässt seine Handlung um Jahr 2003 starten, was zunächst verwundert, im Laufe der Geschichte enthüllt sich jedoch, dass sie in einem damals aktuellen politischen Kontext steht und weit über den kleinen Sportplatz in Stockholms Außenbezirk hinausgeht. Das bedauernswerte Opfer, ein aus Afghanistan Geflüchteter, hatte sich scheinbar gut in Schweden eingelebt und sich im Jugendsport engagiert. Dass ein väterlicher Ausraster zu so einer Tat führt, kann schnell verworfen werden. Nun jedoch stellt sich die Frage, ob Jamal Kabir wirklich der Mann war, wie ihn alle kannten.

Die beiden Protagonisten Micaela und Hans könnten gegensätzlicher kaum sein, was sie zu einem nicht unkomplizierten, aber sich hervorragend ergänzenden Team macht. Beide sind mit interessanten Charakterzügen ausgestattet und haben komplexe Familiengeschichten im Hintergrund, die noch viel Raum für Entwicklungen bieten. Mich konnten sie beide unmittelbar für sich gewinnen.

Der Schlüssel zur Lösung des Falls ist nicht leicht zu finden und Lagercrantz integriert geschickt psychologische Aspekte, die durch Rekke eingebracht werden, wie auch die politisch brisante Lage, die durch US-amerikanische Operation „Enduring Freedom“ in Afghanistan ausgelöst wurde. Micaela hingegen ist die Figur, die zwischen den unterschiedlichen Welten der verschiedenen Gesellschaftsschichten wandert und ein feines Gespür für Zwischentöne zeigt und unerschrocken für die Wahrheit kämpft.

Ein packender Politthriller, der fraglos Lust auf weitere Bände der Reihe macht.

Ein herzlicher Dank geht an das Blogger Portal und die Penguin Random House Verlagsgruppe. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Dror Mishani – Vertrauen

Dror Mishani – Vertrauen

Zwei ungewöhnliche Fälle beschäftigen Avi Avraham und seine Kollegin Esthi Wahabe: ein Schweizer Tourist hat sein Hotel verlassen und ist seither verschwunden und eine Frau hat ein Baby in einem Einkaufszentrum bei einem Krankenhaus ausgesetzt. Während Avi schnell herausfindet, dass Jacques Bartoldi eigentlich Raphael Chouchani heißt und Franzose marokkanischer Abstammung ist, sieht sich Esthi mit Liora einer Frau gegenüber, deren Geschichte mit jedem Verhör abenteuerlicher und verworrener wird. Die beiden Ermittler stecken fest, nichts scheint zusammenzupassen in ihren Fällen und sie werden das Gefühl nicht los, dass sie nur Marionetten sind, wobei sie nicht wissen, wer im Hintergrund die Fäden zieht.

Auch im vierten Fall für Kommissar Avi Avraham hat Dror Mishani wieder eine komplexe Geschichte gestrickt, die sich nicht so leicht durchschauen lässt. „Vertrauen“ besticht dabei vor allem mit der permanenten Ungewissheit, in der sich die Protagonisten ebenso wie der Leser befindet. Man spürt, dass etwas nicht stimmt, kann das lose Gewirr an Fäden jedoch nicht zu einem stimmigen Zusammenhang bringen.

Äußert Avi Avraham schon zu Beginn Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Berufs, stürzt ihn die Ermittlung völlig in die Sinnkrise.

„Leben retten und Grausamkeit, Gewalt und das Böse bekämpfen.“

Das war es, was er seiner inzwischen verstorbenen Chefin als Grund nannte, weshalb er sich für den Polizeidienst beworben hat. Ihre Erfahrung und Weitsicht hatten sie infrage stellen lassen, ob das in ihrer Position wirklich möglich sei. Und nun erkennt Avi, dass er eigentlich immer erst dann kommt, wenn das Verbrechen schon geschehen ist, wenn die Opfer schon zu beklagen sind und er nur noch hinterherräumen kann, aber keine Tat je verhindert. In dieser Stimmung kommt er zu dem Hotel, wo ein Gast vermisst wird, dort gibt man ihm zu verstehen, dass schon alles wieder erledigt, das Gepäck von Verwandten abgeholt und alles geklärt sei. Doch der Kommissar merkt, dass etwas faul ist und beginnt zu hinterfragen. Jeder Stein indes, den er umdreht, befördert neue Fragen hervor und die potenziellen Antworten lassen irgendwann nur den Schluss zu, dass der Geheimdienst involviert sein muss.

„Ich bin faktisch ihr Affe, wie beim organisierten Verbrechen, verstehst du? Ich bin der, der für sie die Wahrheit vertuscht, ohne es zu wissen, und ich kann nichts dagegen tun“

Sein Verdacht erhärtet sich und der geschickte Ermittler wird mehr als deutlich darauf hingewiesen, dass er seine Nachforschungen einstellen solle, da es nichts mehr zu ermitteln gäbe. Wie zu erwarten, spornt ihn das nur noch mehr an.

Seine Kollegin hat es zwar nicht mit dem Mossad, dafür aber mit einer durchtriebenen und undurchsichtigen Frau zu tun. Lioras Motiv wie auch die Entwicklung ihrer Geschichte um das Frühchen lassen Esthi nicht los. Sie will verstehen, was geschehen ist, wird aber aus der Mutter und ihrer 16-jährigen Tochter nicht schlau. Auch hier ist die Frage nach der Schuld nicht einfach zu beantworten, denn alle involvierten sind zugleich Täter und Opfer.

Zwei Handlungsstränge, die sich immer wieder auch kreuzen und deren Entwicklung gänzlich unvorhersehbar ist. Weniger noch lässt sich jedoch voraussagen, was die Fälle mit den beiden Ermittlern machen, denn diese lässt das Grauen, mit dem sie sich befassen müssen, ebenfalls nicht kalt. Dror Mishani bleibt sich treu, einmal mehr ein Krimi, der sich, genau wie auch „Die schwere Hand“ oder „Drei“ durch eine interessante und vielschichtige Figurenzeichnung auszeichnet und damit restlos überzeugt.

Karl Eidem – Der Schwede

Karl Eidem – Der Schwede

Der schwedische Geheimdienstler Hans Edelman weiß nicht genau, was er von den Informationen seines israelischen Kollegen halten soll. Angeblich werde seit Jahrzehnten in Moskau ein Schwede festgehalten, mehr wisse man nicht. Kann das sein? Ja, es gibt Menschen, die verschwunden sind, aber welches Interesse sollten die Russen an diesen haben? Edelman will den Ball flach halten und schickt einen Späher, der tatsächlich ein Foto eines sehr alten Mannes machen kann, der sich in einem gut bewachten und elektronisch abgeschirmten Gebäude aufhält. Er beginnt die Vorbereitungen für eine heikle Mission, die heimlich vom Mossad begleitet wird, der dabei seine ganz eigenen Interessen verfolgt.

Der Autor Karl Eidem ist von Haus aus Finanzanalyst, hat in seiner Heimat jedoch schon zahlreiche Nordic Noir Romane veröffentlicht. „Der Schwede“ ist der Auftakt zu seiner Serie um Hans Edelman und David Karlén. Der Krimi ist geradlinig erzählt, ohne viele Nebenhandlungen und Extraschleifen bewegt er sich von der Kontaktaufnahme durch die Israelis hin zu der heiklen Mission in der russischen Hauptstadt. Interessant ist daran, dass der Protagonist und Namensgeber des Buchs weitgehend im Dunkeln bleibt. Mehr als seine vermutete Nationalität ist lange Zeit nicht bekannt, was neben der Spannung, die durch das wagemutige Befreiungskommando entsteht, zusätzliche Fragen aufwirft.

Ein recht typischer Polit- und Geheimdienstthriller, der die komplexen Zusammenhänge der Gegenwart verdeutlicht. Der israelische Dienst verfügt über die technischen und personellen Mittel, um weit über die Landesgrenzen hinaus Spuren zu verfolgen und die Vorgänge der Welt im Geheimen zu überwachen.

„So war Stalin verstorben und schließlich auch Lawrenti Beria, der berüchtigte KGB-Chef und Stalins Nemesis. Andere hatten die Macht übernommen, und die Frage war im Niemandsland versumpft, was mit dem Gefangenen geschehen sollte. Der Geheimdienst hatte beschlossen, ihn am Leben zu halten. Man wusste schließlich nicht, ob er irgendwann einmal wieder von Nutzen sein konnte.“

Der Nachfolgedienst des KGB wiederum spiegelt die Zerrissenheit des Landes wider. Der Bewacher des Schweden nimmt seinen Job ernst, fühlt sich ganz dem Geheimdienst und seinem Land verpflichtet ohne zu erkennen, in welche Gefahr er sich selbst bringt oder zu hinterfragen, was er tut. Seine Kollegen sind weitaus weniger engagiert und ermöglichen durch ihre Nachlässigkeit die Mission der Schweden und Israelis erst.

Hans Edelman und sein Team geraten als kleines Land zwischen die großen Mächte. Er riskiert viel für das Leben eines Landmannes, von dem er nicht einmal sicher sein kann, dass er tatsächlich einer der vermissten Schweden ist. Er allein trägt das Risiko, ohne alle Spielsteine zu kennen.

Die Handlung wird von dem Vorgehen des rationalen schwedischen Ermittlers geprägt, der unaufgeregt der Sache nachgeht und die Befreiung plant. Keine emotionale Zerreißprobe, auch keine ablenkenden Widrigkeiten, sondern eine zielgerichtet erzählte Geschichte, der es dennoch nicht an Spannung mangelt.

John le Carré – Silverview

John le Carré – Silverview

Julian Lawndsley hat seinen stressigen Job in London aufgegeben, um in einem kleinen englischen Küstenort eine Buchhandlung zu eröffnen, auch wenn er bislang nur wenig Erfahrung in diesem Bereich hat. Eines Abends kommt ein ungewöhnlicher Kunde in seinen Laden, der auf dem nahegelegenen Herrschaftssitz Silverview wohnt und sich als Jugendfreund von Julians Vater vorstellt. Mit Ratschlägen will er den Neubuchhändler unterstützen, der nicht sicher ist, was er von Edward Avon halten soll. Sein Vater hatte ihn nie erwähnt, aber er scheint bestens informiert über Julians Familie und da Edwards Frau schwerkrank ist, will er den älteren Herren auch nicht gleich der Lüge bezichtigen. Zur selben Zeit klingeln bei den Geheimdiensten alle Alarmglocken, eine undichte Stelle weist auf den kleinen Küstenort und setzt eine Maschinerie von Agenten in Gang.

„Silverview“ ist der letzte Roman des großen britischen Krimiautors, der selbst für die Geheimdienste gearbeitet hat und immer wieder sein Insiderwissen geschickt für seine Romane einsetzte. John le Carré bleibt auch in diesem Krimi dem Stil treu, den man von seinen letzten Geschichten kennt. Es ist nicht mehr der Agent in Action, der zwischen die Fronten gerät und selbst den eigenen Leuten nicht trauen kann, sondern eine komplexe Hintergrundgeschichte, die sich erst langsam enthüllt und vor allem von dem erzählerischen Geschickt des Autors lebt.

Julian ist offenkundig ein unschuldiger Zivilist, der die Bitten des älteren Herren nicht wirklich abschlagen kann und so in die Handlungen verstrickt wird, die er nicht mehr abschätzen oder gar stoppen kann. Dass er sich in Edwards Tochter verliebt, ist geradezu klassisch und geschieht dezent nebenbei. Man hat es mit distinguierten und höchst zivilisierten Menschen zu tun, deren kriminelles Potenzial woanders liegt.

Als geübter le Carré Leser weiß man, dass man den harmlosen Figuren genauso wenig trauen darf wie den offenkundig verdächtigen. Mit feinem Humor präsentiert der Brite dann auch eine Spionagegeschichte in Reinform, die sich vor aller Augen und doch im Verborgenen abspielt und aus dem netten, freundlichen Nachbarn plötzlich einen ganz großen Player im globalen Spiel der Mächte macht. All das geschieht ohne moderne Technik auf herrlich klassische Weise mit Briefen, die heimlich überbracht werden, und konspirativen Verabredungen an öffentlichen Orten.

Mit dem Roman taucht man ein wenig ab in eine längst vergangene Zeit und kann noch einmal einen großen Autor erleben. Und wieder einmal reißt dieser die großen Fragen auf, nämlich danach, wo letztlich die Loyalitäten liegen, wie weit Integrität geht und wo schlicht Menschlichkeit über strategische Überlegungen siegt. Vielleicht nicht der größte Roman le Carrés, aber auf jeden Fall ein würdiger Abschied.

Yassin Musharbash – Russische Botschaften

Yassin Musharbash – Russische Botschaften

Gerade ist die Journalistin Merle Schwalb beim „Globus“ befördert worden, ihre Recherchen haben sie zu den top Investigativjournalisten der Republik gemacht. Zufällig wird sie Zeugin eines Unfalls, wie sie vermutet, ein Mann stürzt vom Balkon und ist sofort tot. Doch der Polizeibericht spricht eine andere Sprache, was ihre Neugier weckt. Das Opfer war offenbar russischer Staatsbürger und hat geheime Informationen an deutsche Sicherheitsdienste weitergegeben. Mit einem Kollegen der Norddeutschen Zeitung, der scheinbar an derselben Geschichte nur von einem anderen Ende her arbeitet, schließt sich Merle zusammen, denn offenkundig haben sie brisantes Material in Händen: eine kryptische Liste mit Namen von Menschen, die, so scheint es, aus Russland gezielt Geld für Desinformation bekommen haben. Darunter auch die Chefs der beiden Zeitungen. Es kann Merles größte Story werden – oder ihr Untergang.

Yassin Musharbash ist Journalist der Wochenzeitung „Die Zeit“, kennt also die Arbeit seiner Protagonistin aus eigener Erfahrung. Auch das Thema Fake News und gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Steuerung der Nachrichten beschäftigt nicht erst seit Donald Trumps erstem Wahlkampf die Medien, die oftmals Täter und Opfer zugleich sind und daher auch immer wieder der Kritik ausgesetzt sind. Die Zusammenarbeit mit John Le Carré, für den der Autor als Rechercheur arbeitete, hat sicherlich auch seine Spuren in dem Politthriller hinterlassen.

Was dem Roman hervorragend gelingt, ist die journalistische Arbeit darzustellen. Wie akribisch und aufwändig Nachforschungen sein können, die manchmal dann doch im Sand verlaufen, Quellen, die mal mehr mal weniger glaubwürdig sind, Zufälle, die zu nützliche Informationen führen und auch immer der Druck durch die Konkurrenz, die eigenen Vorgesetzten und unter Umständen auch eine reale Gefahr, je nachdem, mit wem man sich gerade beschäftigt.

Man hat keine Zweifel daran, dass ein Fall wie in dem Thriller erzählt, sich so zutragen könnte. Die Verstrickungen von Politik, Wirtschaft, Medien, dazu Geheimdienste und Individualinteressen sind kaum mehr zu überblicken. das meiste finde im Verborgenen statt, nur selten erfährt die Öffentlichkeit durch aufsehenerregende Ereignisse wie der Vergiftung Skripals oder dem Tiergartenmord von diesen Vorgängen. Die Entwicklung der Geschichte, das langsame Zuspitzen und sich annähern an die Urheber der ominösen Liste folgt einem überzeugenden Spannungsbogen, auch die „Seiteneinschläge“, die die Arbeit der Journalisten behindern, sind dramaturgisch passend platziert.

Was mir etwas fehlte, war der Zugang zur Protagonistin, eigentlich ist eine junge und ehrgeizige Frau gut dafür geeignet, die Sympathien der Leser zu gewinnen, Merle blieb mir aber fremd. Dies lag womöglich daran, dass der Autor sie immer wieder mit Vor- und Nachnamen adressierte, was eine Distanz schafft. Sicherlich muss ei eine gewisse Abgebrühtheit und Nervenstärke mitbringen, um in ihrem Job zu bestehen, leider erscheint sie aber dadurch etwas emotionskalt und abgeklärt, dass ihre Recherchen mit echten Menschen zu tun hat und diese Dinge auch Auswirkungen auf diese haben – immerhin gibt es einen Toten! – lässt sie unverhältnismäßig kalt. Das jedoch der einzige Schwachpunkt für mich.

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Jérôme Leroy – Der Schutzengel

Berthet soll getötet werden, von seinen eigenen Leuten, die wie er Mitglied der Unité sind, jeder Einheit, die im Verborgenen die Schmutzwäsche des Staates beseitigt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Berthet ist Agent, Auftragsmörder, der nicht viele Fragen stellt, sondern sauber die Befehle ausführt. Nebenbei hat er seit Jahren jedoch auch seine eigene Agenda, diese hat auch einen Namen: Kardiatou Diop. Als er ihr zum ersten Mal begegnete, war sie eine 14-jährige Göre aus der Vorstadt mit schlechter Zukunftsprognose, doch im Geheimen hat er immer wieder die Weichen gestellt und eine schützende Hand über das Mädchen gehalten, das inzwischen zur populären Politikerin aufgestiegen ist. Doch bevor seine Kollegen ihren ultimativen Anschlag durchführen, muss Berthet noch etwas erledigen: seine Geschichte erzählen.

„Das ist das Alter, denkt Berthet erneut. Oder die Wehmut. Berthet ist ein Nostalgiker. Das weiß er. Dabei gibt es eigentlich nicht viel, dem er nachtrauern kann. Er hat sich sein Leben lang mit nichts anderem als Mord, Folter, Erpressung, Destabilisierung, Manipulation, Vergewaltigung, Verstümmelung, Attentaten und Entführungen beschäftigt. Trotzdem ist Berthet ein Nostalgiker.“

Schon Jérôme Leroys Krimi „Der Block“ über die extremen Rechten in Frankreich konnte mich sehr begeistern, weshalb die Erwartungen an „Der Schutzengel“ hoch waren. Wieder einmal greift er in einem Roman politische Ereignisse und gesellschaftliche Strömungen auf, die maßgeblich für die Handlung sind. Der aktuelle Krimi ist jedoch in seiner Konstruktion etwas sperrig, was das Lesen nicht ganz einfach macht, wenn dies auch literarisch experimentell und interessant gestaltet ist. So kommt es für mich nach extrem starkem Beginn im ersten Teil zu einem langsamen Nachlassen, Teil drei ist mit Abstand der schwächste, was ich einzig der Perspektivwahl zuschreiben würde.

Der Krimi beginnt damit, dass Man Berthet in Lissabon in voller Aktion erlebt. Nein, eigentlich hat er dort keinen Auftrag, sondern genießt nur die Stadt unter einer seiner vielen Identitäten, als er auf ein ziemlich dilettantisch agierendes Trio aufmerksam wird. Es endet nicht nur im Blutbad, sondern im völligen Chaos. In Teil zwei will er den Autor Joubert davon überzeugen, seine Memoiren zu schreiben. Joubert ist gerade verlassen worden und ziemlich abgebrannt, aber ein dreiteiliges, ziemlich totes Mordkommando in seinem Wohnzimmer überzeugt ihn dann doch recht schnell.

»Wenn ich jedes Mal geheult hätte, wenn mein Leben im Umbruch war und ich Zeuge eines Blutbads wurde … Diese linken Intellektuellen sind die reinsten Waschlappen. Verdammt noch mal.« »Und dann wird er bald auch noch fünfzig«, fügt Berthet hinzu, während er Joubert die Schulter tätschelt. »Und er hat nicht viel Geld und auch keine Rolex.«

Berthet ist ohne Frage die interessanteste Figur. Zahlreiche Brüche – kaltblütiger Mörder hier, Poesie liebender Schutzengel dort – zeigen immer wieder neue Seiten. Daneben verliert man beinahe die politischen Implikationen seines Daseins aus den Augen. Der Aufstieg der extremen Rechten, die verzweifelten Versuche diese im Zaum zu halten und das Mächtegleichgewicht nicht ins Wanken zu bringen, man kann sich problemlos das Dasein der Unité vorstellen. Mit dem SAC (service d’action civique) gab es ja durchaus schon eine reale Vorlage.

Neben den kritischen Anspielungen begeistert der Roman jedoch vor allem durch die lakonische Erzählweise. Berthet fackelt nicht lange rum, er nennt die Dinge beim Namen, er hat zu viel gesehen, um noch irgendwas zu beschönigen. Außer in der Poesie, da darf es schon mal etwas verspielter für ihn werden.

John le Carré – Federball

John le Carré – Federball

Viele Jahrzehnte hat Nat für seinen Dienst wertvolle Arbeit im Ausland geleistet, Quellen geführt und dazu beigetragen, dass die Lage zwischen Ost und West nicht eskaliert. Seine Frau Prue hat derweil in England die Stellung gehalten, die gemeinsame Tochter großgezogen und sich eine Karriere als Anwältin aufgebaut. Nach seiner Heimkehr ins Mutterland hat Nat auf einen renommierten Posten in der Russlandabteilung gesetzt, aber man schiebt ihn in die schon aufgegebene Unterabteilung „Oase“ ab, ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht. Dort trifft er auf Florence, eine etwas spröde aber ausgesprochen begabte junge Agentin, die bald auch schon mit einer herausragenden Operation ankommt, die jedoch abgebügelt wird. So sehr ihn seine berufliche Situation anödet, so gut läuft es privat, in Ed hat er auch unerwartet einen ebenbürtigen Badmintongegner gefunden. Auch wenn der junge Mann bisweilen seltsame Züge aufweist, fühlt Nat sich doch auch geschmeichelt, ihm auf dem Court noch immer das Wasser reichen zu können. Der Gedanke, dass dies seine Sinne etwas trügen mag, kommt ihm derweil jedoch fatalerweise nicht.

John le Carré schreibt einmal mehr über das, was er am besten kann: Geheimagent, Doppelagenten, Quellen Anwerbung und Aufrechterhaltung, geheime Treffen mit anderen Diensten und dabei einmal mehr ein Protagonist, der zwar treu der Krone gegenüber ist, aber nicht unbedingt jede Vorschrift seines Dienstes billigt und befolgt. Der Roman ist von Beginn an als beichtender Rückblick konzipiert, so dass einem als Leser schnell klar ist, welche Figuren nicht so harmlos sind, wie sie zunächst erscheinen mögen, es bleibt jedoch die spannende Frage, was sie tun werden und vor allem wie sie die Welt der Agenten aufmischen.

Auch im inzwischen sehr fortgeschrittenen Alter hat le Carré kein bisschen nachgelassen und einen spannenden Spionageroman nach recht klassischen Muster, aber mit brandaktueller Thematik vorgelegt. Das globale Mächtegleichgewicht hat sich verschoben und sein Heimatland ist dank des Brexit in eine durchaus prekäre Sicherheitslage geraten. Der Austritt aus der Europäischen Union und damit verbunden die Abkehr von den kontinentalen Freunden stellt das Land vor die Aufgabe, neue Allianzen einzugehen bzw. alte festzuzurren. Unter einem Präsident Trumpf durch aus ein zweischneidiges Vorhaben, das nicht von allen mit Begeisterung aufgenommen wird, schon gar nicht von einem ehemaligen Agenten, der den Kalten Krieg erlebt hat und bekennender Europäer ist.

Vor diesem Hintergrund lässt er seinen alternden Agenten Nat eine neue Aufgabe übernehmen, deutlich unter dem Spektrum, das er bis dato auszufüllen hatte. Man kann ihm Befugnisse wegnehmen, aber sein Spürsinn ist gut wie eh und je und so kann er auch dank alter Kontakte die unglaublichen Pläne aufdecken, die ihm keine Alternative lassen, als selbst aktiv zu handeln und beherzt das zu tun, was für seine Heimat am besten ist.

Kein besonders charmantes Bild seiner Heimat und seines ehemaligen Arbeitgebers zeichnet le Carré, aber wieder einmal hat man keine Zweifel daran, dass all das, was er als Fiktion verpackt genauso auch morgen in den Zeitungen stehen könnte: korrupte Beamte, die zweifelhafte Allianzen eingehen und denen die eigenen Schäfchen näher sind als das Wohl des Landes. Vielleicht nicht ganz so stark wie seine Romane um George Smiley, aber dennoch restlos überzeugend.

Daniel Silva – Das Vermächtnis

Daniel Silva – Das Vermächtnis

Prinzessin Reema besucht die Schweizer Schule unter einer falschen Identität, nicht nur soll nicht bekannt werden, dass sie Tochter des Saudischen Thronfolgers Khalid ist, sie schwebt auch in Lebensgefahr. Doch aller Schutz reicht nicht aus, denn die Entführer haben Verbündete hinter den Mauern der Bildungsanstalt. Kronprinz Khalid ist verzweifelt, so sehr, dass er den besten Mann für den Job anheuert: Gabriel Allon, Chef des israelischen Geheimdienstes. Über die New Yorker Museumsmitarbeiterin Sarah, die ehemals für die CIA arbeitete und mehr als eine Mission mit Gabriel bewältigte, kann er den Kontakt herstellen. Eine erste Befreiungsaktion geht unsäglich schief, doch wenn es um Kinder geht, versteht der Chef-Spion keinen Spaß, zu sehr wundet ihn seine persönliche Erfahrung. Die Tatsache Väter zu sein verbindet die Männer, die eigentlich nie zusammentreffen dürften und das ist es auch, was Gabriel eine gefährliche Mission eingehen lässt.

„Das Vermächtnis“ ist bereits der 19. Band der Serie um den israelischen Agenten und inzwischen Chef des sogenannten Dienstes, Gabriel Allon. Auch wenn Daniel Silva immer wieder global politisch brisante Konstellationen aufgreift und diese geschickt in die Handlung einbindet, sind die Parallelen zur Realität dieses Mal besonders explosiv: nicht nur findet der Mord um den Journalisten Kashoggi Eingang, auch die Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Thronfolger und Mohammed bin Salman sind kaum zu leugnen. Dass es aktuell gerade zu einer Annäherung zwischen Israel und dem saudischen Königreich kommt, wird die Geschichte schon fast rechts von der Realität überholt.

Der Autor liefert einmal mehr einen spannenden Thriller nach bekanntem Muster: in hohem Tempo jagt Allon von Land zu Land, bindet mal befreundete Geheimdienste ein, mal lässt er diese bewusst im Dunkeln über seine Vorhaben. Hinter ihm her zieht sich eine Spur der Verwüstung, so ganz lassen sich Kollateralschäden nicht vermeiden. Es gibt ein Wiedersehen mit zahlreichen Figuren früherer Bände der Reihe, was das Handeln der Figuren glaubwürdig motiviert und die Entführungsgeschichte überzeugend mit politischen Konflikten verbindet.

Kommen mir manchmal bei den doch eher action-reichen Storys die Figuren etwas zu kurz, ist Silva dieses Mal vor allem der Kronprinz als hitziger und impulsiver Jungspund, der durch die Erlebnisse reift, brillant gelungen. Hier würde man sich tatsächlich wünschen, dass die Wirklichkeit der Fiktion folgen möge.

Einmal mehr genau das Buch, das ich erwartet habe. Ein Autor, der sein Handwerk versteht, Fans der Serie einerseits mit exakt dem bedient, was sie schätzen und dennoch immer wieder eine neue spannende Geschichte liefert.

Mark Fahnert – Lied des Zorns

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Mark Fahnert – Lied des Zorns

Europa im Visier islamistischer Terroristen. Von langer Hand aus dem Mittleren Osten geplant, wollen sie Rache nehmen an jenen, die sie als Ungläubige und Kolonialisten betrachten. Die westlichen Geheimdienste sind ihnen auf der Spur, sie haben den Drahtzieher Abu Kais schon lange auf ihrer Liste und scheinen ihn nun auf frischer Tat ertappen zu können. Auch Saskia versucht Anschläge in Deutschland zu verhindern und wird dann selbst zum Opfer. In letzter Sekunde kann sie ihrer Zwillingsschwester noch eine Warnung zukommen lassen, die Ex-Elitesoldatin Wiebke hat eigentlich mit dem Kämpfen abgeschlossen, aber ungewöhnliche Situationen erfordern ihren Tribut.

Mark Fahnerts Debüt ist der Auftakt einer neuen Thriller Serie um Wiebke Meinert. Der Polizist mit dem Spezialgebiet politisch und religiös motivierte Straftaten hat eine der größten Bedrohungen unserer Zeit zum Thema gemacht und zeigt die internationale Vernetzung des Terrorismus und den dadurch extrem erschwerten Kampf gegen diese Art von Verbrechen.

Die Thematik ist gut gewählt für einen spannenden politischen Thriller. Kurze Kapitel wechseln sich ab, was die sich überschlagenden Ereignisse gut widerspiegelt und zudem die Komplexität durch die große Anzahl an Akteuren verdeutlicht. Genau hier liegt für mich aber auch der größte Schwachpunkt der Geschichte: mir fehlte der rote Faden, der den Leser begleitet, die Haupthandlung, die die Ereignisse leitet. Zwar ist mit Wiebke vermeintlich eine Protagonistin geschaffen, aber diese erscheint viel zu spät und so ganz schlüssig ist für mich ihre Rolle nicht geworden. Durch die hohe Agitation bleibt auch nur wenig Zeit, die Figur kennenzulernen und Sympathien zu ihr aufzubauen. Sie ist reduziert auf die wütende Kampfmaschine ohne Vergangenheit und weitere Charakterzüge.

Zu viele Details und Nebenhandlungen sind es letztlich, die die Handlung zerfasern und ihr nicht nur Spannung, sondern vor allem den Sog rauben, der einem beim Lesen fesseln könnte. Viele Verbindungen haben sich mir auch nicht erklärt, was womöglich auch einfach daran lag, dass ich bisweilen den Eindruck hatte, den Überblick zu verlieren und nicht mehr alles im Blick zu haben. Komplexität und Anspruch erhöhen sich nicht einfach dadurch, dass man eine immer größer werdende Anzahl von zusätzlichen Handlungssträngen hinzufügt. Hier wäre mir Tiefe beispielsweise bei der Figurenzeichnung oder der Motivation der einzelnen Figuren lieber gewesen.

Im Schreibstil durchaus ansprechend, thematisch ebenfalls attraktiv, aber in der Umsetzung hat das Buch leider nicht die Erwartungen erfüllen können.

Ein Dank geht an den Piperverlag für das Rezensionsexemplar. Mehr Informationen zu Autor und Buch finden sich auf der Verlagsseite.

Amaryllis Fox – Life Undercover

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Amaryllis Fox – Life Undercover

Jeder kennt sie, die Bücher und Filme über die Agenten, die für CIA, MI6, DGSE oder Mossad gefährliche Aufträge ausführen und die Welt vor den Schurken bewahren. Doch die schillernden Figuren der Unterhaltungsindustrie zeigen nur die eine Seite, auf der sie stark und unverwundbar sind und von einem Kampf in den nächsten ziehen. Ihre Zweifel sieht man selten und noch viel weniger weiß man darüber, wo sie herkommen und wie sie zu dem geworden sind, was uns beim Zusehen so fasziniert. Amaryllis Fox ist eine von ihnen, ein Jahrzehnt ihres Lebens hat sie in den Dienst der CIA gestellt, geheime Missionen unternommen, um ihr Land vor Anschlägen zu schützen. Ein Leben mit fremden Identitäten, die sie selbst vor ihrer Familie und Partner geheim halten musste.

„Einen Garten anzulegen ist der höchste Akt des Glaubens an ein Morgen.“

Dieses Zitat, das die Agentin schon als kleinen Mädchen an einem Schild im Nachbarsgarten gelesen hat, bringt ihre Motivation auf den Punkt: sie will die Welt ein bisschen besser machen, ihren Beitrag zum Frieden leisten. Sie wächst auf zwischen den USA und Großbritannien, der Vater ist beruflich viel unterwegs und Umzüge alle paar Jahre gehören zum Alltag. Schon früh beginnt sie sich für Politik zu interessieren und eine Schulaufgabe über Aung San SUU Kyi, damals gewaltfreie Kämpferin für die Demokratie in ihrer Heimat Myanmar, wird bestimmend für den Weg sein, den sie einschlägt.

Es braucht die Erzählung über ihre Kindheit und Jugend, um zu verstehen, weshalb Amaryllis Fox sich für diese Karriere und gegen die Arbeit bei Hilfsorganisationen entscheidet. Die Ausbildung ist intensiv und anstrengend, immer überschattet von der Angst, doch noch aussortiert zu werden, es nicht zu schaffen, den Anforderungen nicht zu genügen. Und doch können diese Monate und Jahre sie nicht auf das echte Leben vorbereiten, wenn plötzlich Beruf und Privatleben – und in ihrem Fall auch noch ein Kind – unter einen Hut gebracht werden müssen.

Fox schildert die Seite, die sonst verborgen bleibt. Die Angst, die omnipräsent ist und drohend über ihr und ihrer Familie schwebt. Sie stellt ihr Tun auch infrage und im Laufe der Jahre, insbesondere nachdem sie Mutter geworden ist, nehmen menschliche Aspekte zunehmend mehr Raum bei der Beurteilung einer Lage ein. Es ist ein Bericht aus dem Innersten der CIA, sie gibt Einblick in strategische Denkweisen und die bisweilen zermürbende Detailarbeit, die zu dem Job gehört, der in der Realität viel weniger glamourös ist als auf der Leinwand.

Sicherlich ist Amaryllis Fox eine ungewöhnliche Frau, mit nicht einmal zwanzig Jahren wurde sie rekrutiert und gehört allein schon wegen ihres Geschlechts zu einer absoluten Minderheit. „Life Undercover“ sind eine Art Memoiren, die keine Abrechnung mit dem Geheimdienst sind; sie hat sich aus nachvollziehbaren Gründen für diese Arbeit entschieden und daran ändern auch Jahre mit falscher Identität nichts. Ihre analytischen Fähigkeiten erlauben es ihr auch hier Emotionen unter Kontrolle zu halten, die sie in der Zusammenarbeit mit ausländischen Informanten braucht, um Beziehungen und Vertrauen aufzubauen, die bisweilen ihr einziger Schutz sind.

Spannende Einblicke in die Arbeit der CIA, die jedoch viel mehr die interessante Frage danach beantwortet, was diese mit den Menschen macht als dass spektakuläre Geheimnisse offenbart würden.

Ein herzlicher Dank geht an die Hanser Literaturverlage für das Rezensionsexemplar. mehr Informationen zu Autorin und Buch finden sich auf der Verlagsseite.