Mons Kallentoft – Verschollen in Palma

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Mons Kallentoft – Verschollen in Palma

Tim Blanck konnte es nicht ertragen. Spurlos ist seine Tochter Emme auf Mallorca verschwunden und die Polizei scheint nicht gerade bemüht nach dem 16-jährigen Mädchen zu suchen. Also kündigt er seinen Job und reist selbst auf die Balearen-Insel. Drei Jahre sind inzwischen vergangen und Spuren gibt es keine. Als Privatermittler verdient er inzwischen sein Geld, sein neuer Fall schein einfach: der deutsche Unternehmer Peter Kant hat ein anonymes Schreiben erhalten, demzufolge ihn seine Frau Natascha betrügt. Es dauert nur wenige Stunden, bis Tim den Beweis dafür hat. Als er dem Auftraggeber die Fotos vorlegt, scheint dieser relativ gefasst, gewillt, mit Natascha wieder alles ins Reine zu bringen. Doch nur kurze Zeit später wird Kant verhaftet: seine Frau ist spurlos verschwunden und ihr Liebhaber tot. Ein klassischer Fall von Eifersuchtsmord. Doch Kant beteuert glaubhaft seine Unschuld und Tim will diese beweisen, vor allem nachdem Kant in der Zelle scheinbar Selbstmord begangen und einen Abschiedsbrief mit Geständnis hinterlassen hat. Doch die Schrift ist sicher nicht seine. Tim beginnt zu wühlen und ahnt nicht, mit wem er sich anlegt.

Mons Kallentoft ist seit vielen Jahren eine bekannte und vielfach ausgezeichnete Größe unter den schwedischen Krimiautoren, mich konnte er vor allem mit seinen Malin Fors und Zack Herry Reihen begeistern, die beide mit starken Figuren und komplexen Handlungen überzeugen. „Verschollen in Palma“ ist der Beginn einer womöglich neuen Reihe um den schwedischen Privatermittler auf der Mittelmeer-Insel.

Zunächst scheint völlig klar, worum es bei der Handlung geht: ein verzweifelter Vater ist auf der Suche nach seiner Tochter, hofft auch nach Jahren noch auf ein Lebenszeichen und will diese nicht aufgeben, solange es keine Gewissheit über ihren Tod gibt. Sein Job als Privatermittler scheint nur ein Nebenschauplatz, der sich dann jedoch rasant zu einem komplexen Fall ausweitete, der schlichtweg nichts auslässt: Korruption in allen Bereichen der Verwaltung und Polizei, Vetternwirtschaft schlimmster Sorte, Drogen, zwielichtige Partys, bei denen die High Society der Insel nicht nur alle Arten von Drogen konsumiert, sondern vor allem auch sehr junge Mädchen misshandelt. Es ist ein wahrer Sumpf, in den der Protagonist förmlich hineinfällt. Glaubwürdig wird das Ausmaß der Verstrickungen und des Abgrunds immer weiter ausgedehnt, bis es zu dem notwendigen Showdown kommt.

Geschickt hat der Autor den Kriminalfall aufgezogen und vor allem völlig unerwartet in eine gänzlich andere Richtung entwickelt. Das Tempo nimmt in der Erzählung stetig zu und die Geschichte wird routiniert zu einem passenden Ende geführt. Einzig, es fehlt der Schlusspunkt. Ein interessanter Aspekt, der offen lässt, was an dieser Stelle gesagt wird – auch wenn man es sich denken kann – aber auch, ob die Handlung fortgeführt werden wird. Gewohnt routiniert erzählt, aber im Vergleich zu den beiden Reihen um Malin Fors und Zack Herry für mich nicht ganz so stark.

Tanja Raich – Jesolo

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Tanja Raich – Jesolo

Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mit beiden Beinen im Leben stehend. Sie machen Urlaub in Jesolo, weil sie immer Urlaub in Jesolo machen. Sie kennen das Hotel, den Stand mit den immer gleichen Liegen, die Umgebung und wissen, worauf sie sich einlassen. Doch statt entspannter Tage verbringen sie die schönste Zeit des Jahres mit Streitigkeiten. Ein wiederkehrendes Thema ist Andreas Weigerung, mit Georg zusammenzuziehen. Sie will ihre Freiheit nicht aufgeben, er will und kann sie nicht verstehen. Im Haus seiner Eltern ist genügend Platz, sie können die Miete sparen, haben Unterstützung. Für Andrea die Vorhölle. Doch dann teilt ihr Arzt ihr mit, dass sie schwanger ist. Sie denkt über Abtreibung nach, sagt Georg nicht Bescheid, bis sie die vermeintlich freudige Nachricht doch teilt und sich für das gemeinsame Leben entscheidet. Ein Leben, das nicht ihres ist, das sie nie wollte und das sie schon hasst, bevor es beginnt.

Tanja Raich bringt in ihrem Roman das Dilemma der heutigen Frau auf den Punkt. Jahrelang schildert man ihr die Illusion der beruflichen Selbstverwirklichung, lässt sie zur Karriere ansetzen und suggeriert ihr, dass sie die ganze Welt haben kann. Doch dann wird sie 30 und aus der ganzen Welt wird plötzlich Kinder, Küche, Kirche. Wer sich sträubt, muss den Gegenwind aushalten, Alternativen zum tradierten Rollenverständnis gibt es nicht. Ihr Erstlingswerk hat ihr die Nominierung auf der Shortlist Debüt 2019 des Österreichischen Buchpreises beschert, einer Auszeichnung, der man aufgrund ihrer Sprachversiertheit nur uneingeschränkt zustimmen kann.

Vom Ende her betrachtet, beginnt der Roman interessanterweise geradezu mit dem Auflösen der Beziehung der beiden Protagonisten. Man wundert sich, dass sie den finalen Schritt nicht endlich tun, so quälend sind ihre Auseinandersetzungen. Sie verletzten sich gegenseitig absichtlich, nichts scheint sie mehr zu verbinden. Nur nach außen erhalten sie noch den Schein. Die Zäsur kommt durch die Schwangerschaft. Lange war ich überzeugt, dass Andrea sich gegen das Kind, gegen Georg und gegen das gemeinsame Leben entscheidet. Doch dann kommt es anders und genau das, wovor sie immer Angst hatte, tritt ein. Noch stellt sie Bedingungen an das gemeinsame Leben, doch mit dem Heranwachsen des Kindes schwindet ihr Widerstand und mit ihm verschwindet Andrea:

„Das ist nur der Anfang. Dieser Strudel wird uns immer weiter nach unten ziehen. Aber vielleicht zieht dieser Strudel nur mich nach unten, während du sorglos an der Oberfläche weiterschwimmst.“

Georg realisiert seinen Traum vom Haus, von der Familie, von der Idylle auf dem Land. Immer beratend an seiner Seite: seine Eltern. Andrea ist nur ein Möbelstück, ein Accessoire, das aber bitte nicht reinreden soll:

„Was weiß ich schon von diesem neuen Leben. Darüber weißt du besser Bescheid.“

Und bald schon erkennt sie in sich die Kopie ihrer Schwiegermutter, die wartet, dass der Gatte nach Hause kommt, um ihm dann das heiße Essen zu servieren.

Wenig deutet zu Beginn des Buchs auf das hin, was Andrea widerfährt. Aber so ist nun mal das Leben und Tanja Raich schildert authentisch, wie Frauen in diese Rolle hineingedrängt werden, zunächst ganz sachte, sich irgendwann ergeben und einfach machen, was man von ihnen erwartet. Widerstand ist zwecklos bzw. der Zeitpunkt, um einen anderen Weg einzuschlagen, wurde einfach verpasst. Sie können daran verzweifeln oder sich einreden, dass das auch ihr Traum ist. Ist ja auch alles ganz toll. Nur halt nicht das, was sie vom Leben erwarteten, wovon sie träumten, was aus ihnen hätte werden können.

Dramaturgisch überzeugend, sprachlich stark – ein Debut, das mich schnell überzeugen konnte und das in seiner Aktualität nicht unterschätzt werden sollte, denn diese Generation wir irgendwann ausbrechen wollen und sich das zu holen, was man ihr versprochen hatte.