Mercedes Rosende – Falsche Ursula

Mercedes Rosende – Falsche ursula

Ursula ist frustriert. Sie hat Übergewicht, fühlt sich hässlich und ihre Nachbarin mit den lauten hochhackigen Schuhen nervt sie auch. Ganz anders ihre Schwester Luz, die schon als Kind von den Eltern bevorzugt wurde. Als sie einen Anruf erhält, stutzt sie, angeblich wurde ihr Ehemann entführt und sie soll Lösegeld beschaffen. Was für ein Mann? Sie beginnt zu recherchieren und kommt schnell dahinter, dass es zu einer Verwechslung kam, weil sie denselben Namen trägt wie die Gattin des entführten Unternehmers Santiago Losada. Aus der Situation lässt sich doch was machen und kurzerhand dreht sie den Spieß um und gibt den überforderten Entführern Anweisungen. Aber ganz so einfach ist der Fall dann doch nicht…

„Falsche Ursula“ ist der Auftakt zur Montevideo-Reihe der uruguayischen Autorin Mercedes Rosende. Die deutschen Übersetzungen fingen mit Teil 2 der Reihe an, „Krokodilstränen“, für den die Autorin 2019 mit dem LiBeraturpreis, der ausschließlich an Schreibende aus Afrika, Asien, der arabischen Welt oder Lateinamerika vergeben wird, ausgezeichnet wurde. Die Protagonistin, groß, laut, oftmals unerträglich und doch wiederum charmant in ihrer zynischen Art, trägt dabei die Handlung ganz wesentlich. Diese schwankt zwischen einer Abrechnung mit den gängigen Erwartungen an Frauen und gesellschaftlichen Klischees und einer geradezu grotesken Kriminalgeschichte, die immer wieder völlig unerwartete Wendungen nimmt.

Ursula ist gewöhnungsbedürftig, ohne Frage, dabei blickt sie doch mit viel Realismus auf sich und ihr trostloses Leben. Sie entspricht keiner Norm, passt in kein Schema und gerade deshalb kann man sich in irgendeiner ihrer Eigenschaften wiederfinden. Mit sarkastisch-ironischem Blick beobachtet sie die Welt um sich herum und entfaltet unerwartet eine nicht zu unterschätzende kriminelle Energie.

Mercedes Rosende findet dabei eine ungewöhnliche Erzählform, die verschiedene Perspektiven mischt und so auch unerwartete Außenblicke auf Ursula erlaubt. Spannend, bisweilen urkomisch und ebenso gesellschaftskritisch, eine grandiose Mischung, die sich auf gerade mal 200 Seiten entfaltet und viel Spaß auf weitere Abenteuer mit der resoluten Protagonistin macht.

Felicity Ward – Sag mir, wer ich bin

Felicity Ward – Sag mir, wer ich bin

Es war nicht einfach für die 16-jährige Sally ihre Eltern davon zu überzeugen, sie statt in die Schweiz nach Paris zu schicken. Kaum angekommen wird sie übel zugerichtet an der Gare Lazare gefunden und kämpft im Krankenhaus ums Überleben. Sie wurde von einem Mann entführt, misshandelt und beinahe vergewaltigt. Aber das kann sie ihren Eltern nicht erzählen, auch ihre Erinnerungen an ihren Peiniger und das, was genau geschehen ist, sind eher diffus, weshalb sie schweigt. Viele Jahre lang, doch die Angst begleitet sie, auch wieder zu Hause in Montreal. Auf der Straße, in Aufzügen, überall fürchtet sie sich. Eine Beziehung mit einem Mann – unvorstellbar. Ihr Job bei einer Hilfsorganisation für Frauen in Not verstärkt ihre Überzeugung, dass alle Männer gewalttätig sind zudem. Erst ihrem Patenonkel gelingt es Jahre später, dass sie über das Erlebte sprechen kann, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie ihre Angst auch loswird, denn die Gefahr bleibt: will der Mann das zu Ende bringen, was er Jahre zuvor begonnen hatte?

Wenn ein Roman von einem Vorwort begleitet werden, frage ich mich meist, ob es dem Autor oder der Autorin nicht gelungen ist, das, was er oder sie sagen wollte, in der Geschichte zu verarbeiten, so dass zusätzliche Erklärungen erforderlich werden. Im Falle von Felicity Wards Roman sieht dies jedoch anders aus. Bevor man sich auf Sallys schreckliche Erlebnisse einlässt, wird das Trauma psychologisch eingeordnet und auch das schwierige Verhältnis der französisch- und englischsprachigen Kanadier miteinander historisch eingeordnet. Beides ist zum Verständnis unterstützend hilfreich, vor allem Sallys Zustand, der ihre Mitmenschen schier verzweifeln lässt, ist nicht einfach nachzuvollziehen, wenn man sich mit posttraumatischen Belastungsstörungen nicht auseinandergesetzt hat. Dies ist das zentrale Element der Geschichte: der Körper heilt, die Spuren des Überfalls sind bald schon nicht mehr zu sehen, aber die Wunden auf der Seele schließen sich nicht.

Man wünscht sich nichts mehr, als dass die junge Frau sich von den Dämonen, die sie immer wieder heimsuchen, befreien kann. Es sind die kleinen Details, die die Autorin überzeugend eingefangen hat, die Hinweise darauf geben, dass Sally nichts überwunden, nichts verarbeitet hat. Ihr ganzes Leben wird akribisch um das Trauma eingerichtet. Nie als erste im Restaurant sein, nie alleine mit einem Mann in einem Auto sitzen. Sie versucht zwar hin und wieder eine Konfrontation, aber professionelle Hilfe lehnt sie ab und so verfestigt sich ihr schlechter Zustand zusehends, den sie –  für die Außenwelt etwas beschönigt – versucht zu verstecken. Die Geduld, die ihr Patenonkel aufbringt, ist unglaublich, und auch er verfällt der Illusion, irgendetwas dauerhaft zum Besseren verändern zu können.

Das Verhältnis der sich wenig positiv gesinnten Bevölkerungsgruppen Kanadas, die sich durch Sprache und Religion unterscheiden, wird immer wieder gestreift. Tief verwurzelte Vorurteile, absurdeste Zuschreibungen – man kann kaum glauben, wie borniert die Menschen sein konnten – und auch vielfach heute, fast 50 Jahre nach dem Zeitpunkt der Handlung – noch sind.

Ein eindrücklicher Roman, der sicherlich nicht für jedermann eine passende Lektüre ist. Hervorragend gelingt es Felicity Ward, die Folgen – und auch Ursachen, die sich erst viel später erklären – eines traumatischen Erlebnisses zu schildern und nachvollziehbar zu verdeutlichen, weshalb eine Rückkehr in das normale Leben bisweilen eben nicht möglich ist. Trotz, oder gerade wegen, der Schwere der Thematik eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Trent Dalton – Der Junge, der das Universum verschlang

Trent Dalton – Der Junge, der das Universum verschlang

Was für andere hochgradig seltsam erscheinen mag, ist für den 12-jährigen Eli Bell Anfang der 1980er Jahre im australischen Brisbane einfach das normale Leben. Sein Bruder Gus spricht nicht, seine Mutter und ihr Freund dealen mit Heroin und der berühmteste Verbrecher des Landes ist sein Babysitter. Eli träumt davon, eines Tages Reporter bei der Zeitung zu sein und unablässig hinterfragt er alles, was ihm in seinem Leben begegnet. Als sich jedoch sein Stiefvater Lyle mit dem Drogenkartell anlegt und versucht, lukrative Nebenschäfte an diesen vorbei zu organisieren, bricht für die ungewöhnliche Familie alles zusammen. Aber das hält den Jungen nicht davon ab, tapfer weiter seinen Weg zu gehen. Er weiß, dass die Wahrheit über das, was mit Lyle geschehen ist, irgendwann ans Licht kommen wird und auch wenn die Jahre vergehen, bleibt er an seiner ganz eigenen Story.

Der Autor Trent Dalton berichtete in einem Interview, dass es hinter dem Wandschrank seines Kinderzimmers eines geheimen Raum mit einem roten Telefon gab. Der Escape Room seiner Familie ist der Ausgangspunkt für sein Erstlingswerk, das noch mehr Parallelen zu seiner Vita aufweist und von Dalton selbst als halb Fiktion, halb Realität bezeichnet wird. Es ist eine coming-of-age Geschichte, ein Kriminalroman und eine Milieustudie, die ein Leben am unteren Ende der Gesellschaft nicht beschönigt. In seiner Heimat wurde Dalton mit allen vier großen literarischen Preisen ausgezeichnet und wurde auch beim Publikum zu einem Verkaufsschlager.

Es gibt quasi keine Facette des Lebens, die in dem Roman nicht eher oder später aufgegriffen wird. Drogen und Gewalt bilden den Hintergrund, vor dem die Geschichte erzählt wird. So drastisch das Milieu, in dem Eli und Gus aufwachsen, auch geschildert wird, so vielschichtiges ist dieses jedoch auch. Gerade an der Figur Arthur „Slim“ Halliday zeigt sich, dass ein notorischer Verbrecher nicht zwingend nur böse ist, von ihm lernt Eli die wichtigsten Lektionen in seinem Leben. Seine geradezu philosophischen Fragen nach dem Guten und Bösen durchziehen den Roman wie ein roter Faden. Auch Gus ist alles andere als gewöhnlich, sein Mutismus gekoppelt mit einer Savant-gleichen Vorsehungsgabe passt sich jedoch völlig natürlich in die Geschichte ein.

Ungläubig folgt man der Handlung, die in rasantem Tempo die Jugendjahre Elis durchläuft und unglaubliche Episoden schildert, die so fern jedes Durchschnittslebens sind, dass es mir bisweilen nicht ganz leicht fiel, sie nicht für gänzlich übertrieben und fragwürdig zu halten. Der Erzählton passte zwar hervorragend zu dem jungen Protagonisten, ist in seiner lakonischen Art auch unterhaltsam, aber so wirklich konnte mich der Roman nicht erreichen.

Sam Lloyd – Der Mädchenwald

Sam Lloyd – Der Mädchenwald

Sie wollte nur kurz ans Auto gehen, doch dann wird die 13-jährige Elissa vor der Halle, in der sie eigentlich an einem Schachturnier teilnimmt, entführt. In einem Keller unter einem Cottage hält man sie gefangen, angekettet und nur mit dem Allernötigsten ausgestattet. Sie bekommt Besuch, nicht nur von dem grausamen Entführer, der brutal zuschlägt, wenn sie nicht gehorcht, sondern auch von einem Jungen, der etwas gleich alt sein muss und sich als Elijah vorstellt. Elissa gelingt es, sein Vertrauen zu wecken, aber wird das genügen, damit der scheinbar etwas eingeschränkte Junge sich auch zu ihrem Helfer wird instrumentalisieren lassen? Elissas Hoffnung wird bald jedoch schon schwer enttäuscht und sie muss sich fragen, ob sie Elijah nicht gänzlich falsch eingeschätzt hat und er derjenige ist, vor dem sie wirklich Angst haben sollte.

„Dieser Junge“, fährt Annie fort. „Er ist ein Kämpfer. Sein Leben ist ihm mehr wert als alles andere. Was auch immer nötig ist, um es zu erhalten, er wird es tun.“

Auch wenn Elissa als Opfer eigentlich im Zentrum der Handlung steht, ist es doch Elijah, der durch sein ungewöhnliches Verhalten sofort alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Passagen, in denen der Junge die Erzählerstimme übernimmt, sind schwer einzuschätzen, man kann vieles nicht wirklich einordnen, es scheint nicht zusammenzupassen, was er erzählt und vor allem wie. Auch seine Gegenspielerin ist mit interessanten Facetten ausgestattet, sie beherrscht nicht nur das Schachspiel, sondern ist eine Meisterin im Verstecken geheimer Botschaften. Mit diesen beiden Figuren ist die Grundlage für einen spannenden und unterhaltsamen Thriller gelegt. Leider hat er mich aber nicht wirklich packen können.

Der Hauptgrund, weshalb mich die Geschichte nicht überzeugte, sind letztlich zu viele Ungereimtheiten, Teile, die einfach nicht geschmeidig ineinanderpassen wollten. Der Entführer bleibt als Figur völlig nebelig, weshalb Elijah für ihn so wichtig ist, wird nur am Rande erwähnt, aber nicht überzeugend erläutert. Auch seine Helferin Annie erscheint als brutale Sadistin, die zwar eine Erklärung für die Entführungen liefert – vermeintlich untaugliche alleinerziehende Mütter, vor denen die Kinder gerettet werden müssen – aber auch diese Motivation bleibt eher diffus als sinnhaft zu wirken.

Die Unstimmigkeiten in der Figur Elijah mögen sich durch das psychologische Profil, das im Laufe der Handlung ersichtlich wird, erklären, wirken aber doch auch recht willkürlich zusammengesetzt. Dass ein junges Mädchen wie Elissa in dieser Situation derart abgebrüht agieren könnte, dass sie ihre Entführer zu manipulieren versucht, kann auch nur in der Fiktion als vorstellbar gelten.

Es knirscht beim Lesen hier und da, gerade auch Elijahs Erzählpassagen sind sprachlich herausfordernd, was sich jedoch durch die Figur noch rechtfertigen lässt, aber gleichermaßen auch Spannung nimmt, da man mehr so durch die Erzählung holpert. Die Ermittlerin bleibt gänzlich blass, außer bezogen auf ihren Privatproblemen, die meines Erachtens völlig überflüssig waren.

Durchaus gutes Grundkonzept und auch zwei interessante Protagonisten, die Umsetzung jedoch hat mich nicht überzeugt.

Lars Kepler – Der Spiegelmann

Lars Kepler – Der Spiegelmann

Schon vor Jahren ist Jenny Lind auf dem Weg von der Schule nach Hause spurlos verschwunden, die Eltern haben jede Hoffnung aufgegeben, das Mädchen nochmals lebend zu sehen. Doch nun taucht ihr Leichnam auf: auf einem Spielplatz mitten in Stockholm erhängt. Eine Passantin dachte noch sie retten zu können, doch da war es bereits zu spät. Der einzige Augenzeuge, der den Täter gesehen haben muss, ist Martin, der jedoch nach einem Unfall unter Psychosen leidet, Erinnerungslücken hat und kaum mehr zusammenhängend berichten kann. Kommissar Joona Linna fallen Parallelen auf und vor allem ein seltsames Brandzeichen an Jennys Hinterkopf lässt ihn stutzig werden: könnte es sich um einen Serientäter handeln, der bislang unentdeckt geblieben ist? Er muss herausfinden, was Martin in dieser Nacht beobachtet hat, das ihn offenkundig sehr schockierte, er bittet den Hypnotiseur Erik Maria Bark um Hilfe und die Zeit eilt, denn ein weiteres Mädchen ist verschwunden.

Das schwedische Autorenpaar, das hinter dem Pseudonym Lars Kepler steckt, führt die erfolgreiche Reihe um den eigenwilligen Kommissar Joona Linna auch im achten Band erfolgreich und spannend weiter. Nachdem er beim letzten Mal ziemlich einsam gegen einen alten Feind mit noch offenen persönlichen Rechnungen kämpfen musste, steht nun wieder ein klassischer Kriminalfall im Zentrum der Handlung. Der mysteriöse Täter bleibt dabei lange Zeit im Dunkeln, sowohl die Ermittlungsarbeit wie auch das Schicksal seiner Opfer sind bekannt, doch der große Unbekannte ist ein Mysterium.

Die Polizeiarbeit, bei der Linna bekannt eigenwillig seinen Weg geht, was mit seiner Vorgesetzten erwartungsgemäße Konflikte provoziert, folgt bekannten Mustern und verfolgt systematisch die Spuren, die ins Drogenmilieu führen und den Kommissar emotional an seine Grenzen führen: ist er wirklich der Mensch, der ihm seine Tochter vorwirft zu sein und mit dem sie keinen Kontakt haben will?

Interessanter jedoch gestaltet sich die Geschichte um den Augenzeugen Martin, dessen Psyche nach zwei furchtbaren Erlebnissen – ein Unfall mit dem Tod der Brüder in der Kindheit sowie einen weiteren als Erwachsener, bei die Tochter von ihm und seiner Frau Pamela ums Leben kam – ihm das Leben schwermacht. Er hört Stimmen und fühlt sich von zwei imaginären Jungen verfolgt, er sieht Dinge, die es nicht gibt und hat Erinnerungen, die er jedoch nicht einordnen kann. Mit Elektroschocks, Medikamenten und schließlich der Hypnose versucht man Zugang zu den verschlossenen Bereichen zu bekommen, um nachvollziehen zu können, was er wirklich gesehen hat und was nicht.

Der Täter, der bald unter dem Namen „Caesar“ bekannt ist, erscheint nur in wenigen Momenten, ist dort aber äußerst brutal und rücksichtslos. Dies bestätigen alle, die ihm jemals begegnet sind und das bringt das verschwundene Mädchen in größte Gefahr.

Ein routiniert erzählter Thriller, der vor allem durch interessante Figuren überzeugt und durchaus auch kritische Fragen bezogen auf fragwürdige Behandlungsmethoden psychisch Kranker aufwirft.

Daniel Silva – Das Vermächtnis

Daniel Silva – Das Vermächtnis

Prinzessin Reema besucht die Schweizer Schule unter einer falschen Identität, nicht nur soll nicht bekannt werden, dass sie Tochter des Saudischen Thronfolgers Khalid ist, sie schwebt auch in Lebensgefahr. Doch aller Schutz reicht nicht aus, denn die Entführer haben Verbündete hinter den Mauern der Bildungsanstalt. Kronprinz Khalid ist verzweifelt, so sehr, dass er den besten Mann für den Job anheuert: Gabriel Allon, Chef des israelischen Geheimdienstes. Über die New Yorker Museumsmitarbeiterin Sarah, die ehemals für die CIA arbeitete und mehr als eine Mission mit Gabriel bewältigte, kann er den Kontakt herstellen. Eine erste Befreiungsaktion geht unsäglich schief, doch wenn es um Kinder geht, versteht der Chef-Spion keinen Spaß, zu sehr wundet ihn seine persönliche Erfahrung. Die Tatsache Väter zu sein verbindet die Männer, die eigentlich nie zusammentreffen dürften und das ist es auch, was Gabriel eine gefährliche Mission eingehen lässt.

„Das Vermächtnis“ ist bereits der 19. Band der Serie um den israelischen Agenten und inzwischen Chef des sogenannten Dienstes, Gabriel Allon. Auch wenn Daniel Silva immer wieder global politisch brisante Konstellationen aufgreift und diese geschickt in die Handlung einbindet, sind die Parallelen zur Realität dieses Mal besonders explosiv: nicht nur findet der Mord um den Journalisten Kashoggi Eingang, auch die Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven Thronfolger und Mohammed bin Salman sind kaum zu leugnen. Dass es aktuell gerade zu einer Annäherung zwischen Israel und dem saudischen Königreich kommt, wird die Geschichte schon fast rechts von der Realität überholt.

Der Autor liefert einmal mehr einen spannenden Thriller nach bekanntem Muster: in hohem Tempo jagt Allon von Land zu Land, bindet mal befreundete Geheimdienste ein, mal lässt er diese bewusst im Dunkeln über seine Vorhaben. Hinter ihm her zieht sich eine Spur der Verwüstung, so ganz lassen sich Kollateralschäden nicht vermeiden. Es gibt ein Wiedersehen mit zahlreichen Figuren früherer Bände der Reihe, was das Handeln der Figuren glaubwürdig motiviert und die Entführungsgeschichte überzeugend mit politischen Konflikten verbindet.

Kommen mir manchmal bei den doch eher action-reichen Storys die Figuren etwas zu kurz, ist Silva dieses Mal vor allem der Kronprinz als hitziger und impulsiver Jungspund, der durch die Erlebnisse reift, brillant gelungen. Hier würde man sich tatsächlich wünschen, dass die Wirklichkeit der Fiktion folgen möge.

Einmal mehr genau das Buch, das ich erwartet habe. Ein Autor, der sein Handwerk versteht, Fans der Serie einerseits mit exakt dem bedient, was sie schätzen und dennoch immer wieder eine neue spannende Geschichte liefert.

Andreas Winkelmann – Der Fahrer

andreas winkelmann der fahrer
Andreas Winkelmann – Der Fahrer

Ein brutaler Serienmörder versetzt Hamburg und das Team um Kommissar Jens Kerner in Angst und Schrecken. Junge Frauen werden aus ihrem Auto heraus entführt und brutal ermordet. An den Wagen hinterlässt der Täter ein Hashtag mit der zynischen Aufforderung #findemich, mit der er die Polizei nicht nur herausfordert, sondern provoziert und durch seine Postings auf Instagram lässt er die ganze Welt daran teilhaben. Schnell verdichten sich die Anzeichen, dass alles auf Jens Kerner ganz persönlich ausgerichtet ist, scheinbar führt jemand einen perfiden Rachefeldzug ganz direkt gegen ihn und es dauert auch nicht lange, bis dieser einen Schuldigen glaubt entdeckt zu haben: seinen eigenen Bruder. Blind vor Wut reagiert Kerner genau so, wie es sein Gegenspieler kalkuliert hat: er rastet aus und wird suspendiert. Ohne ihren Kopf muss das Team nun sehen, wie sie es mit dem Mörder aufnehmen können.

Viele positive Rezensionen und Lobeshymnen hatten mich neugierig auf den Autor gemacht, seit Jahren schon ist Winkelmann eine feste Größe unter den deutschsprachigen Autoren. Doch leider folgte mit diesem Roman für mich eine herbe Enttäuschung: eine Aneinanderreihung von alten Krimi-Versatzstücken, ein Protagonist, der an fehlender Sympathie kaum mehr unterboten werden kann und eine Geschichte, die so abstrus konstruiert ist, dass es schon ein Paralleluniversum benötigen würde, um einen Funken Realismus darin erkennen zu können.

Schon das erste Drittel des Buches hat mich so dermaßen genervt, dass ich kurz vorm Weglegen war. Ein Ermittler des Typs „Ich hatte eine schwere Kindheit und deshalb darf ich mich gegenüber allen wie ein Arschloch verhalten“ ist einfach out. Das war vielleicht in den 80ern mal modern und selbstgerechte Machotypen kamen mit ihrem Egotrip gut an, ich finde das heute schlichtweg überholt und wenig geistreich. Zu einer privaten Freitagabend Verabredung nimmt er selbstverständlich die Dienstwaffe mit, damit er jederzeit rumballern könnte – sorry, aber hä? Natürlich ermittelt er nach der Suspendierung allein weiter und bricht auch ohne Skrupel in Häuser ein. Im echten Leben hätte er für beides (hoffe ich zumindest) eine Abmahnung bekommen und wäre nicht wieder von der Vorgesetzten zurück zum Dienst erbettelt worden. Ob es besonders cool wirken soll, dass er noch nie etwas von einem Hashtag gehört hat und Social Media für böse hält? Ich denke ein echter Polizist könnte sich das kaum mehr erlauben.

Die Handlung selbst besteht aus banalsten Mustern und ist vorhersehbar wie ein Rosamunde Pilcher Film. Spannend war da gar nichts, dafür aber ganz schön viel ziemlich hanebüchen. Die Motivlage des Täters ist so aberwitzig und unglaubwürdig, reiht sich damit aber in die Charakterisierungen der anderen Figuren nahtlos ein. Da haben wir den gutmütigen, etwas plumpen älteren Polizisten, der schnell mit Hausmeistern per du ist; die böse Vorgesetzte, die keiner leiden kann und die natürlich völlig überfordert und unfähig ist; die junge Kollegin, der ein peinlicher Fehler passiert, die aber total nett ist und geradezu prädestiniert für die Zielscheibe des Täters ist; der schmierige Journalist und der heimlich helfende Privatermittler dürfen natürlich auch nicht fehlen. Wenn man nach etwas Gutem sucht in diesem Sammelsurium an Plattitüden: es gibt keinen Gärtner und dieser ist auch nicht der Mörder.

Fazit: als Sommerlektüre am Strand, wenn man möglichst gering gefordert werden möchte und auf bekannte Muster setzten will zwecks Reduktion der geistigen Eigenleistung beim Lesen – perfekt. Ansonsten: es gibt sicherlich genügend wirklich gute Alternativen auf dem Markt.

Remy Eyssen – Dunkles Lavandou

remy eysson dunkles lavandou
Remy Eyssen – Dunkles Lavandou

Im beschaulichen Le Lavandou steht die Sommersaison unmittelbar bevor und alle sind auf den Einfall der Touristen vorbereitet. Doch dann schreckt ein schrecklicher Selbstmord das Örtchen auf: eine junge Frau hat sich von einer Brücke gestürzt und wurde dann von einem LKW überrollt. Leon Ritter, zuständiger Rechtsmediziner, stellt jedoch fest, dass die Frau schon tot war, als sie von der Brücke fiel. Zudem weist die Leiche noch zahlreiche andere Verletzungen auf, die auf brutale Folter und Misshandlung hinweisen. Eine zweite Leiche mit ähnlichen Zeichen lässt Ritter schnell an einen Serientäter denken, doch davon will man bei der Polizei nichts hören. Auch seine Lebensgefährtin Isabelle hat zunächst Zweifel, noch dazu fehlen konkrete Spuren. Die Lage spitzt sich zu als weitere junge Frauen vermisst gemeldet werden, eine davon Tochter des Kultusministers, was den Druck auf die Ermittler drastisch erhöht.

Im sechsten Fall für den deutschen Rechtsmediziner im Dienste der provenzalischen Polizei verbindet Remy Eysson verschiedene typische Themen typischer Kriminalromane: Entführung, ein besessener Serientäter, biblische Zeichen und dann auch noch ein prominentes Opfer, dessen Vorerkrankung den Zeitdruck besonders erhöht. Das alles in einem cosy crime Setting zwischen malerischen Olivenhainen und Weinbergen und immer mit perfekter Urlaubskulisse und Sonnenschein verschmilzt zu einer unterhaltsamen Sommerlektüre.

Insgesamt ist der Krimi für mich ein recht routinierter Roman, der das liefert, was man von diesem Genre erwartet: das Lebensgefühl Südfrankreichs – lokale Spezialitäten und guter Wein als Grundvoraussetzung für das Wohlsein – in charmanter Atmosphäre zwischen Mittelmeer und ansprechender Landschaft steht im Konkurrenzkampf mit dem Kriminalfall. Dieser ist recht typisch aufgezogen und überschaubar komplex. Für mein Empfinden etwas zu platt die falschen Fährten, die zu offenkundig sind und eigentlich auch die Polizisten nicht wirklich täuschen sollten. Ebenso blieb mir der Täter mit seinem Motiv etwas zu blass. Mehr Einblick in sein Denken hätte sicherlich den Verdacht früher auf ihn gelenkt und vielleicht ein wenig der Spannung genommen, allerdings wird die Figur für routinierte Krimileser auch schnell sehr offenkundig als heißer Kandidat.

Insgesamt leichte Unterhaltung, die sich perfekt als sommerliche Reiselektüre eignet.

Edna O’Brien – Das Mädchen

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Edna O’Brien – Das Mädchen

Gerade noch ist die Welt der Schulmädchen in Ordnung, doch von einer Sekunde auf die nächste ist nichts mehr so wie es war. Die Milizionäre von Boko Haram überfallen sie und bringen die Schülerinnen in ein Camp im Dschungel. Dort erwarten sie Misshandlungen, Vergewaltigungen, Beschimpfungen und Verachtung. Sie sollen bekehrt werden, konvertieren zum rechten Glauben und Kindersoldaten produzieren für den Kampf der Gotteskrieger. Maryam und Buki sind zwei von ihnen, die die Qualen erdulden müssen, innerlich sterben, um das, was man ihnen äußerlich antut, aushalten zu können. Gemeinsam gelingt ihnen die Flucht und mit Maryams Tochter Babby begeben sie sich auf den langen und beschwerlichen Weg nach Hause. Die Mädchen sind nicht mehr, wer sie waren und auch die Überlebenden ihrer Dörfer sehen sie nicht mehr als die Töchter, die ihnen einst gestohlen wurden.

Edna O’Brien verarbeitet in ihrem Roman das Schicksal der 276 Chibok Mädchen, die im April 2014 von Boko Haram entführt wurden, was weltweit für Aufsehen gesorgt hatte. Sie schildert unverblümt das, was sie in der Gefangenschaft erleben, was sowohl die physischen Misshandlungen aber auch die psychologischen Indoktrinationen mit ihnen tun. Viele der Mädchen bleiben namenlos, beispielhaft für das Schicksal vieler folgt die Erzählung Maryam, die trotz aller Widrigkeiten einen Weg findet, die Situation auszuhalten, weiterzukämpfen und nicht aufzugeben, sondern auf den Morgen und einen besseren Tag zu hoffen.

„Es liegt nicht in unserer Macht, etwas zu ändern“, sagte sie (…).

„Warum nicht?“, fragte ich.

„Weil wir Frauen sind.“

Gerade wurde global der Weltfrauentag gefeiert, die Lebenswelt der nigerianischen Mädchen und Frauen ist weit davon entfernt, ihnen Rechte oder gar Gleichberechtigung einzuräumen. Die Grausamkeiten, die Maryam in Gefangenschaft erleidet, sind nur ein Teil der Erzählung. Nach ihrer beschwerlichen und gefährlichen Rückkehr muss sie erleben, dass sie auch in ihrem Heimatort, ja sogar in ihrer eigenen Familie nicht mehr wirklich willkommen ist. Man nimmt ihr ihr Kind weg, das das Blut des Teufels in sich trägt und macht Maryam selbst mitverantwortlich für das, was man ihr angetan hat. Die Umkehr des Opfers zum Täter ist fast noch perfider als die Gräueltaten der Entführer.

Bisweilen könnte man beim Lesen den Glauben an die Menschheit verlieren, so wie eine der Figuren resigniert feststellt, dass die menschliche Natur teuflisch geworden sei und die Welt nicht mehr die sei, die es mal gab. Aber Edna O’Brien liefert auch die Gegenbeispiele, Buki, die Maryam bei der Flucht nach Kräften unterstützt, der Hirtenstamm, der sie temporär aufnimmt und beschützt und letztlich die Nonnen, die sie und ihr Kind so annehmen, wie sie sind. Maryam fühl sich bisweilen innerlich tot, von jedem Lebenswillen verlassen und doch bleibt am Ende Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden kann. Auch wenn Maryams Mutter nicht an die Macht der Frauen glaubt, ist es aber vielleicht die nächste Generation, die vor dem Hintergrund ihrer eigenen und auch der kollektiven Erfahrungen die Welt zu einem besseren Ort verändern wird können.

Pascal Engman – Feuerland

pascal engman feuerland
Pascal Engman – Feuerland

Nur noch die eine Entführung, dann wird Nicolas mit seiner Schwester endlich aus Stockholm verschwinden. Ivan ist ein zuverlässiger Partner, es kann nichts schiefgehen, denn wie beim letzten Mal ist alles minutiös geplant. Doch dann laufen die Dinge anders, denn die Legion, eine der berüchtigsten Banden Schwedens, hat einen Auftrag für Nicolas: er soll zehn Straßenkinder entführen. Nicolas hat nach seinen Jahren bei einer Eliteeinheit des Militärs kein Interesse an krummen Geschäften, die Entführungen sind so geplant, dass niemand zu Schaden kommt und die Lösegeldforderungen bleiben moderat. Kommissarin Vanessa Frank wartet derweil darauf endlich wieder in den Dienst zurückkehren zu dürfen, aber nur weil sie suspendiert ist, heißt das ja nicht, dass das Verbrechen pausiert und prompt gerät sie zwischen die Fronten.

Der schwedische Journalist Pascal Engman konnte mich im letzten Jahr mit seinem Debüt „Der Patriot“ bereits von seinem schriftstellerischen Können überzeugen, sein zweiter Thriller „Feuerland“ steht dem in nichts nach. Verschiedene Handlungsstränge werden geschickt miteinander verwoben, politisch brisante Themen dabei aufgegriffen und die Handlung von interessanten Figuren getragen. Tempo und Spannung sind hoch, so dass keine Wünsche offenbleiben.

Der Roman bietet viele beachtenswerte Einzelaspekte, die es verdient hätten, ausführlich besprochen zu werden, was aber den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen würde. Die politischen Themen – Korruption innerhalb der Ermittlungsbehörden, kaum einzudämmende Bandenkriminalität, europäischer Kolonialismus in Südamerika, globaler Organ- und Menschenhandel, geheime Interventionen von Spezialeinheiten, die nie an die Öffentlichkeit geraten – finden ihren Platz in der Handlung, ohne diese zu stark zu dominieren und mit ihrer Brisanz zu erdrücken. Engman gelingt es die dahinterliegenden Mechanismen aufzuzeigen und lädt so den Leser zum Nachdenken und Hinterfragen ein.

Im Vordergrund stehen sich zwei scheinbar gegensätzliche Protagonisten gegenüber, die jedoch beide nicht in das vorgezeichnete Schema passen wollen. Vanessa ist nicht die rechtschaffene Polizistin, die gesetzestreu agiert und Vorschriften befolgt. Nicolas ist ein Verbrecher mit Ehrenkodex und festen Regeln, die von einem erstaunlichen Humanismus geprägt sind. Beide werden sie herausgefordert und ihre Ansichten infrage gestellt.

Zwar war mir das Ende etwas zu dick aufgetragen, aber das tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch. Von dem ungleichen Paar Vanessa und Nicolas würde ich gerne noch mehr lesen.