Jean Hanff Korelitz – The Plot

Jean Hanff Korelitz – The Plot

Jacob Finch Bonner galt als vielversprechender junger Autor, doch nach seinen ersten Erfolgen will sich einfach keine Idee mehr einstellen. Als Lehrer eines drittklassischen Kurses für angehende Autoren schlägt er sich durch und verliert dabei immer mehr an Selbstrespekt. Als sein Schüler Evan Parker ihm von seiner Buchidee berichtet, muss er anerkennen, dass dieser Plot noch nie da war, ein völlig neues Thema, nicht nur eine Variante eines bekannten Musters. Einige Jahre später wundert er sich, weshalb er immer noch nichts von diesem großartigen Werk gehört hat, denn neben der außergewöhnlichen Geschichte hatte Parker auch ein unverkennbares Schreibtalent. Er stellt fest, dass Parker verstorben ist, so wie der Rest seiner Familie, es ist niemand mehr da, der diese Geschichte erzählen könnte – außer ihm selbst.

Jean Hanff Korelitz konnte mich bereits mit vorherigen Romanen überzeugen, vor allem „The Devil and Webster“ war herausragend konstruiert. „The Plot“ besticht durch einen Protagonisten, der nicht wirklich bösartig ist, aber durchaus seine Chancen zu nutzen weiß und der langsam in die Enge getrieben wird. Eine Mischung aus bissigem Blick in die Literaturwelt, Krimi und Psychostudie bietet der Roman viel Raum für Spekulationen und immer wieder überraschende Wendungen.

Wie auch schon in anderen Romanen beginnt die Handlung mit einem recht ausufernden Vorspann, dessen Relevanz erst später offenkundig wird. Die Autorin spielt dabei geschickt damit, dass sie dem Leser den Plot vorenthält, über den sehr viel gesprochen wird und der das Buch zu einem nie dagewesenen Sensationserfolg macht. Man rätselt, um was für eine Geschichte es sich handeln könnte, die so außergewöhnlich ist, dass sie sogar Nichtleser zum Roman greifen lässt. Perfekt orchestriert kommt man er langsam dahinter, weshalb nicht unmittelbar offengelegt wird, was Evan Parker erzählen wollte und mit der Handlung hält man plötzlich auch den Schlüssel zu einer ganz anderen Geschichte in der Hand.

Seit langem mal wieder ein Krimi, den ich kaum aus der Hand legen konnte, da die große Frage, was hinter all dem steckt, maximal die Neugier weckt.

Volker Kutscher – Goldstein

Volker Kutscher – Goldstein

Gereon Rath bekommt einen Auftrag, auf den er zunächst wenig Lust hat: das FBI hat die deutsche Polizei informiert, dass der New Yorker Untergrundboss Abraham „Abe“ Goldstein auf dem Weg nach Berlin ist. Den Grund für den Besuch der Heimat seiner Eltern kennt man nicht, aber es schwant ihnen nichts Gutes. Der Kommissar soll Goldstein bei seinem Aufenthalt überwachen und zwar in der Form, dass dieser das auch merkt. Unterdessen haben die beiden jungen Ausreißer Benny und Alex eine lukrative Methode gefunden zu Geld zu kommen: sie lassen sich abends in Kaufhäuser einschließen und räumen nachts Uhren und Schmuck ab. Doch ausgerechnet im schillernden KaDeWe geht etwas schief und sie werden von der Polizei überrascht. Alex kann flüchten, doch Benny bezahlt mit dem Leben. Gereons Verlobte wird auf die Suche des Mädchens angesetzt, beide ahnen noch nicht, dass sie ihre Aufträge bald schon wieder zusammenführen werden.

Der dritte Fall des Berliner Kommissars und seiner toughen Verlobten ist im Sommer 1931 angesiedelt, als sich die Situation in der Hauptstadt zwischen Nationalsozialisten, Kommunisten und dem Untergrund langsam zuspitzt. Volker Kutscher zeichnet in „Goldstein“ fast amerikanische Verhältnisse mit sich bekriegenden Banden und Straßenschlachten, die durch die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der Nationalsozialisten befördert werden. Im Zentrum jedoch die beiden Handlungsstränge um den amerikanischen Gast und das Diebespärchen, die clever miteinander verbunden werden und nach und nach ein komplexes Netz von Verstrickungen enthüllen.

Der dritte Roman der Reihe setzt in gewohnter Manier die Geschichte fort. Kutscher entwickelt einerseits die Handlung um Rath und Charly Ritter weiter, wobei letztere einmal mehr als frühe Feministin gleiche Rechte für Frauen einfordert und unbeirrt ihren Weg geht, obwohl man ihr nicht nur Steine, sondern geradezu Felsen in den Weg legt.

Goldstein wirkt fast sympathisch, man merkt schnell, dass er nicht umsonst eine New Yorker Unterweltgröße ist, denn so einfach lässt er sich von der deutschen Polizei nicht aufhalten – bei was auch immer er vorhat. Es bleibt mysteriös, ob die zunehmenden Gewaltausbrüche zwischen den rivalisierenden Ringvereinen mit ihm in Verbindung stehen oder plötzlich noch ein weiterer Player in der Stadt aufgetaucht ist. Auch Johann Marlow, seinerseits Berliner Unterweltboss, ist sichtlich beunruhigt und fordert von Rath nun die Gegenleistung für seine frühere Unterstützung ein – Rath muss sich einmal mehr auch zum Gehilfen der Gegenseite machen. Wobei sich Gut und Böse immer schwerer voneinander unterscheiden lässt und mit Hitlers Getreuen geradezu auf groteske Weise verschiebt.

Wie gewohnt überzeugend konstruiert mit interessanter Figurenzeichnung; vor allem die junge Alex hat mir gut gefallen, wie sie zwischen die Räder gerät. Auch die politische Lage, die im Hintergrund wirkt, spielt einmal mehr geschickt in die Geschichte hinein und befeuert diese.

Theresa Prammer – Lockvogel

Theresa Prammer – Lockvogel

Schauspielschülerin Toni hätte sich nicht vorstellen können, dass ihr das passiert. Ihr Freund Felix ist auf und davon und hat ihre ganzen Ersparnisse sowie den Schmuck ihrer Oma mitgenommen. Zur Polizei will sie nicht gehen, da sie dann der Oma beichten müsste, was geschehen ist. Aus diesem Grund sucht sie Hilfe bei Edgar Brehm, seines Zeichens Privatdetektiv. Dieser ist nicht nur gesundheitlich angeschlagen, sondern auch finanziell in einer Notlage, weshalb ihm sein neuer Auftrag gerade Recht kommt: Sybille Steiner, Frau eines erfolgreichen Regisseurs, engagiert ihn, um Anschuldigungen gegen ihren Mann prüfen zu lassen. Dieser soll jahrelang die Situation junger, ambitionierter Schauspielerinnen ausgenutzt haben. Da kommt Toni ins Spiel: sie hat zwar kein Geld, um den Detektiv zu bezahlen, aber als Lockvogel kann sie die Kosten quasi abarbeiten.

Theresa Prammers Krimi ist eine unterhaltsame Mischung aus klassischem Mordfall, immer wieder humorvollen Einschüben und der immer noch aktuellen #metoo Debatte. Die liebevoll gezeichneten Figuren tragen dabei ganz entscheidend zu Gelingen bei: sowohl die bisweilen naive und chaotische Toni wie auch der angeschlagene Detektiv Brehm wirken wie aus dem Leben gesprungen: sie sind keine Superhelden, im Gegenteil, nicht wenig geht bei ihren Ermittlungen auch schief, aber die kleinen und großen Schwächen machen sie schlicht sympathisch und menschlich.

So richtig scheinen in dem Fall die Puzzleteile nicht zusammenzupassen: bei schillernden einer Party im Haus der Steiners wird ein Aushilfskellner getötet. War das Drehbuch, das der verhinderte Autor dem Starregisseur zustecken hat wollen der Anlass? Doch wie brisant sollte dessen Inhalt gewesen sein? Da ist das anonyme Tagebuch, dass man Sybille Steiner zugespielt hat deutlich aufschlussreicher. Das ungleiche Team stürzt sich in die Ermittlungen, wobei Toni bald merkt, dass sie zwar über Schauspieltalent verfügt, aber die Improvisation, die undercover Einsätze erfordern, auch geübt sein will, weshalb sie ein uns andere Mal in durchaus kritische Situationen gerät. So wie Brehm sie aus diesen retten muss, kommt auch sie ihm zu Hilfe, denn mehr als einmal drohen sie gnadenlos aufzufliegen und zu scheitern.

Obwohl es sich um einen Krimi handelt, war die Spannung eher moderat, was für mich aber durch den lockeren Erzählton und die wirklich herausragenden Figuren locker wettgemacht wurde. Die verschiedenen Handlungsstränge wurden überzeugend miteinander verbunden und letztlich auch sauber gelöst. Eine runde und unterhaltsame Angelegenheit.

Vendela Vida – Des Tauchers leere Kleider

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Vendela Vida – Des Tauchers leere Kleider

Eine Frau flieht, nur weg aus Amerika. Casablanca erscheint ihr entfernt genug. Kaum im Hotel angekommen, wird ihr Rucksack mit Pass und Kreditkarten gestohlen. Das Personal macht einen engagierten Eindruck, auch die Überwachungskamera zeigt den Schuldigen. Die Polizei beruhigt sie, man wird den Täter schnell finden. Doch am nächsten Tag auf der Wache übergibt man ihr den falschen Rucksack inklusive dem Pass einer anderen Frau. Soll sie diesen annehmen und das Thema abhaken oder weiter ihren eigenen fordern? Sie greift zu und übernimmt die fremde Identität. In ihrem Hotel will sie nicht bleiben und zieht daher um. In ihrer neuen Unterkunft finden gerade Dreharbeiten mit einer berühmten Schauspielerin statt und nach dem Ausfall eines Lichtdoubles wird sie spontan engagiert. Mit einer neuen Identität eröffnet sich ein neues Leben. Aber so leicht lässt sich das alte nicht abstreifen.

Vendela Vidas Roman kann immer wieder überraschen. Nicht nur weil die Protagonistin völlig absurd und wenig nachvollziehbar agiert, sondern auch weil die Handlung immer wieder unerwartete Wendungen nimmt. Wenig an dem Roman entsprach dem, was ich von ihm erwartet hatte.

Im Zentrum steht die junge Frau, die offenbar Schreckliches erlebt hat, was sich aber erst sehr spät im Roman nach und nach offenbart, ihre Flucht aber letztlich sehr glaubhaft motiviert. Casablanca ist für sie kein reiflich überlegtes Ziel, überhaupt scheint der Ort, an den sie reist, nur am Rande relevant zu sein. So bleibt das Setting auch weitgehend beliebig und die Handlung könnte sich ziemlich überall abspielen, womit die Autorin leider eine Chance vergeben hat. Dass sie die fremde Identität annimmt und wie es dazu kommt, kann man entweder als völlig unglaubwürdig oder ausgesprochen klischeehaft einordnen – beides ist nicht besonders befriedigend.

Den größten Teil der Handlung nehmen die Begegnung mit der Schauspielerin und die Dreharbeiten ein. Zugegebenermaßen hat mich der Ablauf an einem Filmset herzlich wenig interessiert, dies wird aber detailliert ausgeführt. Die Schauspielerin selbst ist eine durchaus interessant angelegte Figur, bleibt aber oftmals zu skizzenhaft, um real zu wirken.

Auch das Ende lässt mich etwas unzufrieden zurück. Überstürzt flüchtet sie immer weiter und es ist nicht abzusehen, ob und wie sie sich ihrem Leben wieder stellen will. Mittlerweile gänzlich ohne Papiere und Habseligkeiten, irrt sie umher. Dies erscheint dann doch etwas arg überzogen.

Interessant am Roman war der Schreibstil. Die Autorin hat sich für eine ungewöhnliche Erzählperspektive entschieden, wie folgende Passage verdeutlicht:

Du schlägst den Pass auf und siehst, dass dir das Foto zwar ähnelt – die Frau hat glatte braune Haare und helle, weit auseinanderstehende Augen –, dass es aber nicht dein Pass ist. Er gehört, wie du siehst, einer Frau namens Sabine Alyse. Der Polizeichef legt dir ein rotes Portemonnaie hin.

Diese Du-Erzählung in der der Erzähler die Protagonistin adressiert ist gewöhnungsbedürftig und vermutlich nicht umsonst eher selten.

Das Gesamturteil fällt gemischt aus. Die guten Ansätze können die verschenkten Chancen nicht aufwiegen und die Erzählperspektive gestaltete das Lesen doch etwas holprig.