Antonia Baum – Siegfried

Antonia Baum – Siegfried

Der Erzählerin wird einfach alles zu viel. Sie zieht die Reißleine und begibt sich in die Psychiatrie. Dort muss sie warten und so beginnen die Gedanken zu rotieren. Sie erinnert sich an ihre Kindheit mit Siegfried, dem Mann ihrer Mutter, und dessen strenge Mutter Hilde, bei der sie immer dann bleiben musste, wenn ihre Eltern auf Geschäftsreise waren. Und sie hält ihr jetziges Leben mit Alex und der gemeinsamen Tochter dagegen. Alex ist nicht wie Siegfried, er kann ihr auch nicht das Leben bieten, das Siegfried ihrer Mutter bot. Je länger der Tag und das Warten dauern, desto negativer wird ihr Bild von ihrem Leben und vor allem ihrem Partner.

Antonia Baums Roman „Siegfried“ spiegelt zwei Männer verschiedener Generationen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Es könnte egal sein, wenn nicht die Erzählerin den Vergleich anstellen würde und unausgesprochene Erwartungen ihr Leben ins Wanken bringen würden. Es ist eine Geschichte von Schieflagen, zwischen den Geschlechtern, den Generationen, auch zwischen Ost und West und je tiefer man eintaucht, desto dominanter wird die kindliche Prägung, die stärker ist, als den Figuren bewusst ist.

Der Titel des Buchs überrascht, ist Siegfried doch eigentlich nicht die zentrale Figur. Erst im Lauf der Handlung wird jedoch deutlich, wie bestimmend der Mann für die Ideale und Erwartungen der Erzählerin ist. Er hat ein Modell vorgelebt, nach dem sie sich mit zunehmendem Alter immer mehr sehnt. Die Strenge seiner Mutter hat ihn erfolgreich werden lassen, auch wenn dies ein unterkühltes Verhältnis zur Folge hatte. Jedoch ermöglicht sein Erfolg einen Lebensstandard, der vor allem mit Sicherheit verbunden ist.

Mit Alex genoss die Erzählerin zunächst die Sorglosigkeit und ein Leben nach eignen Maßstäben. Doch schleichend offenbart sich, dass er ein Kind seiner ostdeutschen Erziehung ist und sie in verschiedenen Welten leben. Unweigerlich treffen zwei sehr verschiedene Sichtweisen aufeinander, die nicht vereinbar sind. Je prekärer die finanzielle Lage des Paares, desto kritischer beäugt die Erzählerin die Leistung ihres Partners und vor allem sein Unvermögen, ihr das zu bieten, was Siegfried ihr bieten konnte.

Die Erzählerin ist eine erfolgreiche und intelligente Frau und dennoch scheitert sie am Alltag und daran, die richtigen Schlüsse aus dem zu ziehen, was sie beobachtet und weiß. Es fehlt ihr der richtige Weg zu kommunizieren, klar zu machen, was sie braucht, stattdessen läuft sie in Eskalation, deren erstes Opfer sie selbst ist.

Auch mich würde Alex wahnsinnig machen, doch er kann nicht aus seiner Haut und kann auch nicht verstehen, was er falsch macht. Die Erzählerin ist jedoch keineswegs in einem Leben mit ihm gefangen. Sie könnte ausbrechen, wie einst ihre Mutter, sie kennt allerdings auch den Preis.

Ein intensiver Roman, der ohne dies groß zu umschreiben eine genaue Analyse vieler westdeutschen Nachkriegsfamilien liefert und Lebensmodelle kontrastiert, die weiter nicht voneinander entfernt sein könnte. Im selben Land zur selben Zeit aufzuwachsen und zu leben, genügt nicht, um auch erfolgreich gemeinsam leben zu können.

Daniela Krien – Der Brand

Daniela Krien – Der Brand

Viele Jahrzehnte schon gehen Rahel und Peter gemeinsame Wege, doch nachdem die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, haben sie immer weniger gemeinsam. Rahel hofft, im Urlaub wieder zueinander zu finden. Drei Wochen werden sie auf dem Bauernhof eines befreundeten Paares verbringen und sich dort um alles kümmern, während diese in einer Reha sind. Sie schätzen und respektieren sich, aber die Liebe, die einmal da war, scheint sich verflüchtigt zu haben, in getrennten Betten liegen sie wach, sinnieren über sich, ihr Leben, ihren jeweiligen Beruf und natürlich auch darüber, was die Pandemie so verändert. Mal scheinen sie sich anzunähern, dann jedoch driften sie so weit auseinander, dass das Hand Reichen unmöglich erscheint.

Daniela Krien greift in ihrem Roman ein schwieriges Thema auf: wie geht man nach mehreren Jahrzehnten gemeinsamem Leben mit möglichen Rissen in der Beziehung um? Kann man jenseits der Mitte des Lebens nochmal neu beginnen, allein oder zu zweit, was ist wirklich wichtig, wenn plötzlich gleich von mehreren Seiten Bedrohungen aufziehen? Rahel wie auch Peter sind reflektierte Akademiker, die sich nicht von ihren Emotionen leiten lassen, im Gegenteil, diese scheinen oftmals gar nicht zugänglich, doch nicht auf alle Fragen des Lebens gibt es rationale Antworten.

Als Leser ist man bei Rahel, die als Psychoanalytikerin täglich ihren Klientel hilft klar zu sehen, Konflikte zu erkennen und zu lösen, in ihrer eigenen Beziehung, aber auch jener zu ihrer Tochter, ebenso hilflos dasteht, wie diejenigen, die bei ihr Hilfe suchen. Sie liebt Peter immer noch, ist sicher aber unsicher, ob er das genauso empfindet. Ihr Körper sendet Signale aus, doch sie kann sie nicht lesen und so auch kaum Antworten darauf finden, wo sie selbst steht.

Der Alltag auf dem Bauernhof ist konkret, die Pflanzen müssen gegossen, die Tiere versorgt werden, so ganz anders als ihr theoretisches Dasein Zuhause. Aber der idyllische, einfache Hintergrund liefert auch Ablenkung und Flucht, so dass sie kaum dazu kommen das anzusprechen, was besprochen werden muss. Es ist ein zögerlicher Tanz, keiner von beiden will verletzen oder Grenzen übertreten, doch genau das Unausgesprochene verursache gleichermaßen Schmerz.

Die Autorin fängt die widersprüchlichen Empfindungen, die feinen Wahrnehmungen und Verletzlichkeiten der Figuren überzeugend ein. Gerade die Unfähigkeit die großen Gefühle anzusprechen setzt sie so überzeugend um. Rahel wie auch Peter wirken authentisch, ebenso ihre Konflikte. Eine detailgenaue Studie menschlicher Empfindungen an einem möglichen Wendepunkt im Leben.

Klaus Modick – Fahrtwind

Klaus Modick – Fahrtwind

Nach gerade so bestandenem Abitur und einigen Semestern halbherzigem Studium allerlei Geisteswissenschaften, weiß der Ich-Erzähler, dass das nicht seine Welt ist, ebenso wenig wie jene der Eltern, die ihn gerne als Nachfolger im Heizungsbaubetrieb sehen würden. Doch Anfang der 70er ruft die große weite Welt und so packt er Rucksack und Gitarre und hebt den Daumen gen Süden. Er muss nicht lange warten bis er den ersten Chauffeur findet, den Hauptpreis scheint er jedoch mit zwei Damen gezogenen zu haben, in die eine verliebt er sich sofort und die andere entpuppt sich als Gräfin, die ihm in einem Wiener Luxushotel einen Job als Musiker anbietet. Die Avancen der älteren Dame sind jedoch eher aufdringlicher Natur und die namenlose Angebetete scheint bereits vergeben, so dass er sich schon bald wieder auf den Weg macht. Doch dieses Mal gerät er an zwei Rocker, die sich als in Hommage an „Easy Rider“ als Wyatt und Billy vorstellen und offenbar in illegaler Mission unterwegs sind und in dem Tramper genau jenes Puzzleteilchen gefunden haben, das ihnen für ihren verrückten Plan noch fehlte…

Klaus Modicks Roman ist ein bisweilen aberwitziger Roadtrip, der jedoch wunderbar den Geist der Zeit trifft. Hippies, der Traum der großen Freiheit, ein Taugenichts als Protagonist, der eigentlich vor nur nichts tun möchte und schnell versteht, dass manchmal weniger zu fragen und verstehen zu wollen die bessere Alternative ist. Auf seiner persönlichen Magical Mystery Tour frei nach Eichendorff begegnen ihm neben diverser kurioser Figuren auch halluzinogene Drogen jeglicher Art, die alles nur noch bunter erscheinen lassen als es ohnehin schon ist.

Ebenso wie die fast 200 Jahre alte Vorlage kontrastiert Modick die (Lebens-)Künstler, die unbeschwert den Tag genießen und das Leben auf sich zukommen lassen und dort sind, wo sie hingespült werden. Ihnen gegenüber stehen die Spießbürger, die moralisierend den Zeigefinger erheben und sich in ihrem kleingeistigen und vorhersehbaren Dasein eingerichtet haben. Wie auch Eichendorff nutzt Modick den Ich-Erzähler, um den Leser für eine Lesart der Lebensgestaltung zu gewinnen.

Trotz oder gerade wegen der offenkundigen Parallelen zu dem klassischen Vorbild liest sich Modicks Geschichte als modernes Märchen vom Traum von Freiheit und Liebe, der gefahrlos ausgelebt werden kann. Die Sehnsucht nach dem unbestimmten „Südwärts“ in ein neues Leben transferiert er unterhaltsam mit leichtem Ton und italienischem Flair, wobei auch immer auch ein Hauch Musik in der Luft hängt.

Friedrich Ani – Letzte Ehre

Friedrich Ani – Letzte Ehre

Fariza Nasri ist eine der besten Kommissarinnen, denn sie bringt die Menschen zu reden. Sie hört ihnen zu, gibt ihnen das Gefühl, dass sie sich bei ihr endlich alles von der Seele reden können. Nach dem Verschwinden der 17-jährigen Finja stecken die Ermittlungen fest, die Polizisten sind sich jedoch sicher, dass Stephan Barig, der Freund der Mutter, etwas damit zu tun hat. Langsam nähert sich die Oberkommissarin der Wahrheit. Sie hört Dinge, die sie nicht hören will, sich aber anhören muss und findet in dem Netz, das sie langsam webt, weitere Spuren zu einem ganz anderen Verbrechen und auch da ist sie es wieder, der das Herz ausgeschüttet wird und die die Last der Mörder auf sich nehmen muss. Dabei trägt sie auch ihre eigene Last, denn auf welcher Seite des Tisches im Befragungsraum Täter sitzen, verwischt ebenso wie die Vorstellung von Täter und Opfer.

Schon seit vielen Jahren ist Friedrich Ani eine feste Größe im deutschen Literaturbetrieb, mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis und anderen Ehrungen ausgezeichnet, hat er sich daneben auch als Drehbuchautor für Filme und Hörspiele einen Namen gemacht. Immer wieder erschafft er dabei ungewöhnliche Ermittler, die sich in keine Schublade pressen lassen, allen voran Tabor Süden. In „Letzte Ehre“ macht er eine Frau zur Protagonistin und wieder handelt es sich um einen Charakter, der aneckt, heraussticht, aber über genau jene speziellen Fähigkeiten verfügt, die letztlich zum Ermittlungserfolg führen.

Fariza Nasri spielt nicht guter Bulle/böser Bulle, sie konfrontiert ihre Gegenüber nicht mit Fakten, unterstellt ihnen nichts. Sie hört zu, gibt ihnen das Gefühl zu ersten Mal im Leben frei erzählen zu können. Sie haben keine Angst vor ihr, glauben sich ihr anvertrauen zu können und ahnen nicht, wie sie jedes Detail einsaugt, bis sie genug gehört hat, um zum Schlag auszuholen. So beherrscht sie in den Gesprächen ist, so emotional wird sie, als ihre Freundin überfallen und brutal misshandelt wird. Es gibt auch eine andere Seite der scheinbar völlig kontrollierten Frau, jene, die sie gut verbirgt, die ihr aber schon einmal zum Verhängnis wurde.

Neben seiner ungewöhnlichen Protagonistin besticht der Roman jedoch noch viel mehr durch die clevere Anlage gleich mehrerer Mordfälle, die so reibungslos ineinanderfließen, als wäre es geradezu zwingend von einem zum nächsten zu kommen. Spannend auch die Frage nach Schuld, Nasri kümmert sich nicht um die Emotionen der Täter, sie blickt dahinter und findet komplexe Geflechte, die, genau wie in ihrem eigenen Fall, die scheinbar so eindeutigen Grenzen der wohlgeordneten Welt verwischen.

Auch wenn viel gemordet und ermittelt wird, ein klassischer Krimi ist „Letzte Ehre“ so gar nicht. Es ist viel mehr der Blick in den Abgrund der menschlichen Psyche, der all das an die Oberfläche spült, was lange gut versteckt war, weil es hässlich und schlicht böse ist.

Jens van Rooij – HOLIDAY Reisebuch: Hiergeblieben! 55 fantastische Reiseziele in Deutschland

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Jens van Rooij – HOLIDAY Reisebuch: Hiergeblieben! 55 fantastische Reiseziele in Deutschland

Wohin im Sommer, wenn das Virus, das uns schon das ganze Frühjahr begleitet, über allen Entscheidungen schwebt? Viele Länder noch ganz geschlossen oder mit Quarantäneregelungen, die einen Urlaub mehr oder weniger unmöglich machen; die Vorstellung, über Stunden auf engstem Raum im Flieger zu sitzen, ist ebenfalls nur begrenzt verlockend. Warum nicht also in Deutschland bleiben und erkunden, was es quasi vor der Haustür gibt? Jens van Rooij hat 55 sehenswerte Orte zusammengetragen, die alle auch ein berühmtes Pendant in der Ferne haben, zugleich aber viel weniger überlaufen und vor allem schnell und auch mal nur für einen Tages- oder Wochenendausflug erreichbar sind.

Die Bandbreite ist recht groß, von Naturschauspielen wie dem Geysir von Andernach oder den Kreidefelsen von Rügen, über moderne Architektur wie der Pyramide der Stadtbibliothek von Ulm und alte Gemäuer bis hin zu Ausflügen mit Tieren findet sich für jeden Geschmack etwas. Damit sich eine etwas weitere Anreise auch lohnt, werden zudem Hotel- und Restauranttipps vor Ort sowie Sehenswertes in der näheren Umgebung präsentiert.

Viele Ziele kennt man zumindest vom Hörensagen, die Idee jedoch, sie mit einem berühmten internationalen Vorbild zu vergleichen, fand ich originell. Die Erläuterungen sind knackig kurz und reichen vollkommen aus für einen ersten Eindruck. Auch die Umgebungstipps fand ich eine gute Idee, nur wegen einer Brücke wird man wohl kaum ein Ziel mehrere hundert Kilometer entfernt ansteuern, mag diese auch noch so spektakulär sein. Das E-Book ist mit Links versehen, so dass man aus der Idee auch direkt eine konkrete Planung machen und sich die Vorschläge detaillierter auf den jeweiligen Homepages ansehen kann.

Eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, die als Inspirationsquelle für Ausflüge und Kurzurlaub in heimischen Landen ein guter Ausgangspunkt ist.